D. R. Headrick: Technology

Cover
Title
Technology. A World History


Author(s)
Headrick, Daniel R.
Series
New Oxford World History
Published
Extent
179 S.
Price
€ 53,53
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Karin Zachmann, Technische Universität München

Weltgeschichte hat Konjunktur in einer Zeit, da die globalen Dimensionen menschlichen Handelns für jede und jeden Einzelne/n allerorts greifbar sind. Dass die Herausgeber der New Oxford World History der Geschichte der Technik einen Band in ihrer Buchreihe widmen, ist sehr zu begrüßen, denn sie spielt eine herausragende Rolle im Prozess der sukzessiven Erschließung immer neuer Existenz- und Handlungsräume für die Menschen. Aber lässt sich eine Weltgeschichte der Technik, die einen den Westen favorisierenden Fokus überwindet, auf Vergleiche und Interaktionen zwischen verschiedenen Räumen und Gesellschaften Wert legt und die globalen Dimensionen lokaler Geschichten herausarbeitet, auf weniger als 200 Seiten unterbringen? Diese anspruchsvolle Aufgabe überantworteten die Reihenherausgeber Daniel R. Headrick, der bereits in mehreren Büchern die Koevolution von Technik und Gesellschaft aus einer transnationalen Perspektive über mehrere Epochen hinweg bearbeitet und dabei die Fähigkeit zur großen Synthese bewiesen hat.

Um es vorwegzunehmen – Headrick meistert diese Herkulesaufgabe in der ersten Hälfte des Buches mit Bravour. Hier wird ein großes Panorama entrollt und die Verknüpfung von biologischer, naturräumlicher, klimatischer und kultureller sowie sozialer Entwicklung überzeugend dargestellt. Im zweiten Teil des Buches, der die Technikentwicklung vor dem Hintergrund des Aufstiegs der westlichen Welt darstellt, geht die globale Perspektive in vielen Erfindungs- und Innovationsgeschichten des transatlantischen Raumes verloren. Das hat, wie unten näher erläutert wird, mit dem der Erzählung zugrunde liegenden Technikverständnis zu tun.

Headrick arbeitet im ersten Kapitel heraus, dass die Technikentwicklung ein unverzichtbarer Bestandteil der Menschwerdung ist. Obwohl auch manche Tiere Werkzeuge verwenden, sind Menschen, weil sie biologisch nicht auf einen speziellen Lebensraum spezialisiert sind, auf den Werkzeuggebrauch angewiesen, um zu überleben. Die Nutzung von Werkzeugen aber bestimmt auch die biologische Entwicklung der Menschen, in deren Körper sich der Technikgebrauch einschreibt. Der Werkzeuggebrauch allein kann die Menschwerdung jedoch nicht erklären. Headrick macht klar, dass die Fähigkeit zur symbolischen Repräsentation über Sprache und Dinge der entscheidende Knackpunkt war, um die kulturelle Entwicklung in Gang zu setzen, die mit ihrer Dynamik die biologische Evolution weit übertraf. Der Autor arbeitet in konzentrierter Form heraus, wie die Menschen der Steinzeit sich über die Erde verbreiteten, unter welch unterschiedlichen Bedingungen und wo sie die Agrikultur entwickelten und sesshaft wurden, und dass sie dadurch begannen, ihre natürliche Umwelt dauerhaft zu manipulieren. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft erschlossen sich die Menschen eine neue ökologische Nische, die gemessen an biologischen Standards wie Körpergröße kein besseres Leben, aber eine größere Bevölkerungsdichte ermöglichte und aus der es deshalb keine Rückkehr gab.

Den hydraulischen Zivilisationen widmet Headrick sein zweites Kapitel. Die frühen Hochkulturen, die in den Flußtälern des Mittleren Ostens, aber auch in Flusslandschaften Chinas und in Mittel- und Südamerika entstanden, beruhten auf der Technik einer komplexen Bewässerungswirtschaft. Mit Wittfogels, von der Fachwissenschaft freilich verworfenen, Konzept der hydraulischen Despotie setzt sich Headrick nicht auseinander.1Er arbeitet in der parallelen Betrachtung aller Flusstalkulturen überzeugend heraus, warum und wie gerade in trockenen, auf Wasserzuführung angewiesenen Gebieten die ersten komplexen Gesellschaften entstanden, die große Bauprojekte meisterten, die die Töpferei und Textilverarbeitung mit den regional gegebenen Ressourcen voranbrachten und die Metallverarbeitung aufnahmen, und die in Mesopotamien, China und Mesoamerika unabhängig voneinander die Technik der Schrift fanden und nutzten. Dass die frühen Hochkulturen trotz ihrer elaborierten Technik räumlich relativ begrenzt blieben, erklärt Headrick damit, dass es die neolithischen Bauern und Hirten vorzogen, solange noch Land zur Bewirtschaftung verfügbar war, unabhängig zu bleiben und sich nicht der Disziplin von Steuern, Gesetzen, religiösen und politischen Autoritäten zu unterwerfen.

Schlüssig gelingt es Headrick in seinem dritten Kapitel, die Erzählung zur Entstehung großer Imperien in den letzten anderthalb Jahrtausenden vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung ausgehend von drei Innovationen – Eisen, Pferd und Räderwagen – zu organisieren. Die Verfügbarkeit über Eisen erlaubte die Herstellung besserer Werkzeuge, aber auch neuer Waffen. Und der Einsatz domestizierter Pferde sowie die Erfindung von Streitwagen erweiterten die Machtpotentiale für den Krieg. Der Ansturm der Reiterheere zerstörte die Flusstalkulturen Eurasiens, auf deren Trümmern sich viel größereImperien in Assyrien, Persien, Rom, China und Indien ausbreiteten, die nun auch die neolithischen Bauern und Hirten tributpflichtig machten. Die großen Imperien formierten sich über den Bau von Straßen, Kanälen, Aquädukten und Städten, förderten den Schiffbau und die Schifffahrt und brachten die Handwerke und mechanische Techniken voran.

Im vierten Kapitel, dem zum Mittelalter, stehen China, der Mittlere Osten und Europa im Mittelpunkt, weil sich hier bedeutende Produktivitätsschübe in der Landwirtschaft vollzogen und ausgehend davon auch die Gewerbe, die mechanischen Künste und viele Wissensgebiete wie die Mathematik und die Astronomie kräftig entwickelten. Obwohl Headrick den Revolutionsbegriff in der Kapitelüberschrift verwendet, geht er nicht auf Gimpels Konzept von der industriellen Revolution des Mittelalters ein, sondern weist der Entwicklung in der Landwirtschaft die zentrale Bedeutung zu.2 Westeuropa attestiert er die größte Rückständigkeit im Vergleich zu China als der damals dynamischsten Region, und zum Mittleren Osten. Aber in zwei Besonderheiten, der vielfältigen Nutzung animalischer Antriebskräfte und dem dezentralen Charakter europäischer Agrargesellschaften, in denen lokale Technologien unter Kontrolle der Bauern und Handwerker entwickelt wurden, sieht der Autor entscheidende Faktoren für den künftigen Aufstieg Europas.

In Kapitel 5, das als Zeitalter globaler Interaktion die Zeit von 1300 bis 1800 umfasst, rückt Headrick vier Innovationsprozesse ins Zentrum seiner Betrachtung. Das sind Schiffbau und Navigation als die entscheidenden Faktoren für die großen geographischen Entdeckungen und das Aufblühen des Welthandels; das Schießpulver und die Entstehung von Feuerwaffen als Basis der Kolonialisierung und frühneuzeitlicher Staatsbildungsprozesse; der globale Transfer von Feldfrüchten und Tieren als Grundlage für eine Erhöhung der Kalorienproduktion der Weltlandwirtschaft und so auch der Weltbevölkerung,und schließlich die Drucktechnik als Basis für eine neue Wissens-, Rechts- und Glaubenskultur. Kenntnisreich zeichnet der Autor nach, wie und mit welchen Effekten sich diese Innovationen verbreiteten, oder behindert bzw. abgebrochen wurden. Dann aber folgt aus der überaus differenzierten Darstellung ein sehr eindimensionaler und kaum plausibler Schluss. Den Auswirkungen der Mongoleneinfälle wird das größte Gewicht für den Aufstiegs Europas und den Rückfall Chinas und der arabischen Welt zugeschrieben. (vgl. S. 87) Hier mündet die in einer Überblicksdarstellung notwendige Komprimierung, die Headrick bis hierher souverän gemeistert hat, in Reduktionismus. Denn trotz der durchaus nachhaltigen Auswirkungen der Mongoleneinfälle auf die Entwicklungsdynamik der einst mächtigen Reiche Afro-Eurasiens, waren diese Verlagerungsprozesse doch viel komplexer. Viele Gründe dafür führt der Autor im Text auch an.

Kapitel 6, 7 und 8 haben die industrialisierte Welt im Fokus. Dieser Teil ist deutlich schwächer als der erste Teil. Die Erzählung wird jetzt zu einer linearen Darstellung der technischen Entwicklung, die sich am Modell des Westens orientiert und alternative, nicht dominante oder im mainstream liegende Prozesse ausblendet. Gegen die Aufforderung der Herausgeber, Weltgeschichte nicht aus einer westlichen Perspektive zu schreiben, wird die nicht-westliche-Welt in Headricks Darstellung jetzt zur Peripherie, die den Westen nachahmt. Das aber hätte mit einem reflektierten Technikbegriff vermieden werden können. Headrick setzt Technik gleich mit Innovation und konzentriert sich darauf, wo neue Technik entsteht und die Gesellschaft verändert.Aber zur Technik gehören auch die Artefakte, Sachsysteme und all die hergestellten Dinge, die die Menschen schon lange nutzen, oder solche Technologien, die in bestimmten Regionen und Kulturen lange überleben, während sie in anderen gar nicht auftauchen oder schnell verschwinden. Was David Edgerton als „Shock of the Old“ zum Thema gemacht hat, sollte auch Eingang in eine Weltgeschichte der Technik finden, weil nur mit einem nicht ausschließlich auf Innovationen fokussierten Technikbegriff unser Leben mit Technik in globaler Dimension adäquat zu erfassen ist.Auch die Entscheidung, auf Reflexionen zum Forschungsstand und zu verschiedenen Forschungsansätzen völlig zu verzichten, sollte bei einer Neuauflage überdacht werden.

Trotz der Kritik am zweiten Teil ist das Buch überaus lesenswert. Es gibt den Studierenden und allen Interessierten einen komprimierten und sehr gut argumentierten historischen Überblick über die Koevolution von Technik und Gesellschaft von den Anfängen der Menschheit bis in die Gegenwart.

Anmerkungen:
1 Karl August Wittfogel, Die orientalische Despotie, Köln 1962.
2 Jean Gimpel, Die industrielle Revolution des Mittelalters, Zürich, München 1980.
[3] David Edgerton, The Shock of the Old, London 2006.

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15.06.2013
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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