Comparison and History

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Title
Comparison and History. Europe in Cross National Perspective


Editor(s)
Cohen, Deborah; O´Connor, Mauren
Published
New York 2004: Routledge
Extent
256 Seiten
Price
22,50 Euro
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
PD Dr. Matthias Middell Zenturm für Höhere Studien Universität Leipzig middell@uni-leipzig.de

Dieser Band hat einen erheblichen Nutzen, indem er die Debatte, die für einige Jahre mit großer Heftigkeit vor allem in der deutschen Historiographie um Varianten und Reichweite der komparativen Geschichtsschreibung geführt wurde, für ein anglophones Publikum aufbereitet. Symbolisiert wird dies auch durch den Wiederabdruck eines Textes von Heinz-Gerhard Haupt und Jürgen Kocka über Methoden, Ziele und Probleme vergleichender Geschichtsschreibung, der einem einschlägigen Band 1996 als Einleitung diente. Zugleich werden dabei einige Schwerpunkte der amerikanischen Diskussion um den Vergleich akzentuiert, insbesondere die Erörterung von Gender-Aspekten (Susan R. Grayzel über Geschlechtergeschichte und Vergleichende Kulturgeschichte am Beispiel des Ersten Weltkrieges sowie Susan Pedersen allgemeiner über Komparatistik und Frauengeschichte reflektierend), Nationalismus (Glenda Sluga über die Rolle komparatistischer Imaginationen für die Konstituierung der Nation) und Globalisierungsgeschichte. Insofern kann die Initiative der Herausgeberinnen und des Deutschen Historischen Instituts in Washington, die die zugrunde liegende Konferenz an der University of Cincinnati 2001 hervorbrachte, nur begrüßt werden. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich seit 2001 wiederum einiges im anvisierten Feld getan hat, was Deborah Cohen und Maura O’Connor in ihrer Einleitung und den bibliographischen Empfehlungen am Ende des Bandes zu berücksichtigen versuchen.
Vergleich und das, was die Herausgeberinnen wechselnd cross-national und transnational historiography nennen, sind – soweit hat sich die Debatte inzwischen von starren Entgegensetzungen zur Betonung einer notwendigen Komplementarität bewegt – zwei Verfahren, die mit ihrem jeweils spezifischen Fokus und ihren je eigentümlichen Erkenntnismöglichkeiten gleicher Weise benötigt werden, um eine zunehmend durch Verflechtung gekennzeichnete Geschichte zu entschlüsseln. Mit transatlantischer Gelassenheit führen die Herausgeberinnen durch das Gestrüpp der Vorschläge von Transfergeschichte über histoire croisée bis entangled/ shared history ohne sich länger bei feineren Differenzierungen aufzuhalten: Im Spiegel der Übertragung ins Englische verlieren offenkundig manche Finessen ihren Reiz. Dem springt Michael Miller mit einem Aufsatz über die verschiedenen Zugänge zu Netzwerken, die nationalgeschichtliche Grenzen überspannen, bei. Wie die Mehrheit der Beiträge räsoniert auch Miller über die Herausforderung transnationaler Geschichte vor dem Hintergrund seiner stark nationalgeschichtlich geprägten Ausbildung und der Schwierigkeiten, den hochgesteckten Zielen in der Praxis nachzukommen, in der Quellenzugang und Sprachbeherrschung bei der Berücksichtigung der einschlägigen Forschungsliteratur nach wie vor Hinderungsgründe für den Durchmarsch zur transnationalen Geschichte per se sein können. Ein Blick in die Literaturliste, die dem Band am Ende beigegeben ist, verweist auf das Dilemma: erfreulicherweise, und wohl auch dem DHI Washington zu danken, haben deutschsprachige Arbeiten Eingang gefunden, aber „Europe in cross-national perspective“ müßte vielleicht doch noch die eine oder andere Historiographie der Alten Welt mit berücksichtigen.
Ähnlich nüchtern wie das Verhältnis von Vergleich und Transfer betrachten Cohen und O’Connor zusammen mit ihren Beiträgerinnen (vor allem Nancy L. Green, die über verschiedene Formen es Vergleichs nachdenkt, und Marta Petrusewicz, die sich der europäischen Peripherie in Form Irlands, Polens und der beiden Sizilien zwischen 1820 und 1870 als Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte annimmt) die Frage, ob ein Bias hin zur Nation und zum Nationalstaat zu den Kosten des historischen Vergleichs gehört. Es gibt keinen Grund zu leugnen, daß ein solche Verzerrung lange Zeit die komparatistische Literatur dominierte, aber es besteht andererseits ebenfalls kein Grund, dies als Notwendigkeit in die Zukunft zu verlängern.
David Armitage macht in seinem abschließenden Essay den Hintergrund deutlicher, vor dem sich das wachsende Interesse an transnationaler Geschichte erklären läßt. Mit Verweis auf Kant, der (1783) den Prozeßcharakter der Aufklärung gegenüber der Idee betonte, man lebe bereits in einem aufgeklärten Zeitalter, unterstreicht Armitage, daß wir heute keineswegs in einer vollständig globalisierten Welt mit entsprechenden idealen Märkten, global governance und konvergierter Weltkultur leben, sondern vielmehr in einem „Zeitalter der Globalisierung“. Da in diesem Zeitalter verschiedene Varianten der Globalisierung, Widerstände und proaktive Vertiefungsversuche einander ablösen, bekämpfen und sich verflechten, bleibt den Historikern vor allem die Aufgabe, diese „entanglements“ zu rekonstruieren, wenn sie ihre orientierende und er- oder aufklärende Funktion wahrnehmen wollen. Die vielen „Vorgeschichten“ der heutigen Globalisierungsprozesse helfen uns zu verstehen, warum wir gerade die beobachtbare und keine andere Resultante der Kämpfe zwischen den vertretenen politischen Alternativen erleben. Daß Historiographie in dieser Eigenschaft eine wachsende Nachfrage zu erwarten hat, liegt nahe und ermutigt eine Debatte um die Erneuerung der Geschichtswissenschaft, der auch dieses Buch sich als Mosaikstein einfügt.
In der deutschsprachigen Historiographie würde man einen Tagungsband wie den vorliegenden möglicherweise am Ende der Rezension mit dem Hinweis auf die fehlende Homogenität der Beiträge relativieren. Die Tatsache, daß vor den einzelnen Aufsätzen das Wort „Chapter“ im Inhaltsverzeichnis vermerkt ist, gibt der Sache dagegen viel mehr Glanz. Der Vorteil der Vielstimmigkeit und der Komplementarität der Perspektiven bleibt erhalten, und der Beigeschmack des etwas willkürlich Ausgewählten, dem auch in der Einleitung nicht mit einem Hinweis darauf, was noch alles zu beachten wäre, entgegen getreten wird, ist kaum mehr zu bemerken. Dieser Teil der „Amerikanisierung“ dürfte leicht zu imitieren sein und könnte dem Tagungsband wieder etwas von jenem Prestige zurückgeben, das er in den etzten Jahren verloren hat.

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Published on
22.04.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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