H. Bergenthum: Weltgeschichten im Zeitalter der Weltpolitik

Title
Weltgeschichten im Zeitalter der Weltpolitik. Zur populären Geschichtsschreibung im Wilhelminischen Deutschland


Author(s)
Bergenthum, Hartmut
Series
Forum Deutsche Geschichte 4
Published
München 2004: Martin Meidenbauer
Extent
299 S.
Price
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Matthias Middell, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Wenn Studienabschlussarbeiten in Buchform veröffentlicht werden, ist oftmals Skepsis angebracht, ob ein bereits ausgereiftes Produkt auf den Markt geworfen wird, oder die allfällige Propagierung des Prinzips publish or parish zum Frühstart verleitet hat. Nicht so jedoch im Fall der Giessener Magisterarbeit unter der sachkundigen Leitung von Winfried Speitkamp im SFB „Erinnerungskulturen“, in der sich Hartmut Bergenthum ein relativ einfaches Design zur Beantwortung einer ebenso klaren wie wichtigen Frage ausgedacht hat. Ihn interessiert ein entscheidender Moment in der Geschichte der Weltgeschichtsschreibung – das späte Kaiserreich, als der weltpolitische Latecomer Deutschland auf Mittel und Begründungen sann, den „Platz an der Sonne“ zu erringen, von dem Expansionisten jeglicher Couleur träumten. Die damit verbundenen Globalisierungserfahrungen inspirierten zu intensiver Beschäftigung mit Weltpolitik und Weltgeschichte, zugleich war das die Phase einer weitgehenden und für viele andere Länder inspirierenden Professionalisierung, Verfachlichung und Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft. Als sich der Kanon und Diskurs des fachlich Zulässigen stabilisiert hatte, war die Welt- oder Universalgeschichte (nicht zuletzt im Zuge des sog. Lamprechtstreits, dessen zahlreiche Verästelungen noch der Aufhellung harren) weitgehend als unseriöse literarische Gattung aussortiert. Lehrstühle für Weltgeschichte sind seitdem nicht eingerichtet worden, und Weltgeschichte gilt bis heute vielen als Ding der Unmöglichkeit angesichts voranschreitender Spezialisierung.

In der Folge dieser Entscheidung wurden auch die außereuropäischen Geschichten an vielen Standorten abgebaut und die theoretischen Reflexionen und empirischen Analysen der jeweiligen Globalisierungserfahrungen der Soziologie und Ethnologie überlassen. Dort, wo an einzelnen Standorten diese Grundtendenz durch individuelles Agieren abgeschwächt wirkte, ist vielleicht die Anschlussfähigkeit heute an die internationalen world-history-Debatten leichter. An der grundsätzlichen Skepsis gegen Weltgeschichte im Fach ändert dies kaum etwas.

Bergenthum kann nun aufzeigen, daß Weltgeschichte im Moment des späten Wilhelminischen Kaiserreichs der weitgehenden Exklusion aus dem Fach zugleich ein hochpopuläres Genre war. Hierzu untersucht er nacheinander sechs sehr erfolgreiche Weltgeschichten (Annegarns Weltgeschichte, K. F. Beckers Weltgeschichte, Schlossers Weltgeschichte für das deutsche Volk, Oskar Jägers Weltgeschichte und die von Hans F. Helmholt und Julius von Pflugk-Harttung herausgegebenen Weltgeschichten), die er zunächst vorstellt, dann auf ihre Gliederung und Gesamtanlage, auf die leitenden Kategorien und auf die in ihnen vorherrschende Anordnung der behandelten Räume eingeht. Angesichts ihrer Verbreitung – die mehrbändigen Werke zierten viele bildungsbürgerliche Haushalte und zirkulieren noch heute antiquarisch zu relativ moderaten Preisen, was nicht nur auf die hohen Auflagen, sondern auch auf die gediegene Verarbeitung hinweist – widersprechen diese Weltgeschichten schon mit ihrer Existenz dem Diktum von der absoluten Vorherrschaft nationalistischer und methodisch auf Politikgeschichte verengter Geschichtsschreibung. In ihrer Vielfalt der Zugänge und kategorialen Ordnungen zeigen sie eher ein Land auf der Suche nach seinem Platz in der Welt als einen selbstgewissen Hegemon. Der Eurozentrismus herrschte wohl in der Deutung der Weltgeschichte vor, aber die Weltgeschichten selbst unterminierten ihn, indem sie außereuropäischen Entwicklungen breiten Raum geben und diese Erzählungen sich mit aktuellen Erfahrungen der globalen Interaktion zusammenfügten.

Am wichtigsten scheint mir jedoch, daß Bergenthum überhaupt durch die Zusammenschau die Idee von einer Konjunktur der Weltgeschichtsschreibung entfaltet, die nach einer vergleichenden Erweiterung um die Beschreibung eben solch quantitativer Verdichtungen und qualitativer Verschiebungen verlangt. Auf diesem Wege ließe sich eine Historiographiegeschichte konzipieren, die nicht allein an den Einzelwerken großer Männer entlang geschrieben ist. Ein globales Kontinuum der geschichtlichen Reflexion von Globalisierungserfahrungen mit unterschiedlichen Zentren und Konjunkturen käme dabei gut zum Vorschein statt einer teleologischen whig-history des jeweils letzten modischen Schreis in der world-history-Diskussion. Hartmut Bergenthum hat einen wichtigen Baustein für eine solche dezentrierte Historiographiegeschichte geliefert, und es bleibt zu hoffen, daß andere ihm folgen.

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Published on
28.01.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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