S. Fox: Transatlantic

Title
Transatlantic. Samuel Cunard, Isambard Brunel, and the Great Atlantic Steamships


Author(s)
Fox, Stephen
Published
Extent
493 S.
Price
$ 15.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Christian Holtorf, Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden

Eine Geschichte der Transatlantikdampfer des 19. Jahrhunderts muss nicht notwendig in Zusammenhang mit dem derzeitigen Interesse der Kulturwissenschaften an der sozialen Konstruktion des "Raums" gelesen werden. Sie kann sich vielmehr auch als technik- und seefahrtsgeschichtliche Untersuchung verstehen, die die Leistung der Schiffe, ihren Betrieb und die Menschen, die darauf arbeiten, in den Mittelpunkt stellt. Ein solches Buch hat der amerikanische Publizist Stephen Fox geschrieben 1. Er vermeidet den sozialromantischen Blick auf seefahrende Außenseiter genauso wie die Kritik von Nationalismus und Kolonialismus wie sie theoretisch ambitionierten Entwürfen der neu entstandenen "Atlantic History" im Rahmen einer Geschichte der Globalisierung oft zu eigen sind 2.

Doch nachdem heute das Meer nicht mehr als geschichtslos und der Gegenstand der Geschichte nicht nur als ausschließlich fester Boden gelten kann 3, könnte auch die Schilderung maritimer Alltagsgeschichte helfen, einige ideengeschichtliche Klassiker zum "Land und Meer"-Motiv 4 zu konkretisieren. Diese Ergänzungsaufgabe wird Fox durch die Vermittlung nüchterner Informationen mit begrenzter kulturgeschichtlicher Reichweite gerecht. Er gliedert die Geschichte des dampfbetriebenen transatlantischen Schiffsverkehrs in drei chronologische Abschnitte: die Zeit der Paketschiffe (1820 bis 1840), die Dominanz der Cunard Line (1840 bis 1870) und die Ära des Geschwindigkeitswettbewerbs mit den anderen Linien von Collins, Inman und White Star (1870 bis 1910).

Mit geübter Hand für die Dramaturgie erläutert Fox die technische Entwicklung von der Dampfmaschine über den Stahlrumpf zur Erfindung von Schraube und Torpedoantrieb. Er stellt die nationalen Konkurrenzen zwischen England, USA und Deutschland dar und schildert die Arbeit der Mannschaften und das stadtähnliche Leben der Passagiere an Bord. Doch die wichtigsten Teile der Studie bilden Biographien von Reedern, Ingenieuren und Schiffskapitänen, in deren Lebensberichten das "gesittete Abenteuer" (Thomas Mann) 5, erkennbar wird, das der Transport über den Ozean mit sich brachte. Obwohl die Überfahrt nie ungefährlich wurde, wandelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts der Atlantik von einer Barriere zum "Transitmeer" 6. Immer größere Schiffe überquerten den Ozean immer schneller und immer pünktlicher, so dass Mark Twain es irgendwann für sicherer erklärte, sich auf einem Cunard-Schiff zu befinden als an Land (S. 275).

Die erste Paketbootlinie gründete der amerikanische Textilimporteur Jeremiah Thompson, ein Immigrant aus dem englischen Yorkshire. Im Herbst 1817 gab er in New Yorks Tageszeitungen bekannt, dass er einen Linienverkehr nach Liverpool aufnehme und das ganze Jahr über einmal im Monat Güter und Passagiere transportieren könne. Das Besondere war nicht die Überquerung des Atlantik, die inzwischen vielfach erprobt und von einem von Thompsons Schiffen gerade in spektakulären 17 Tagen absolviert worden war, als vielmehr die versprochene Regelmäßigkeit. Die Segler waren so erfolgreich, dass sie bald durch Dampfschiffe ersetzt wurden, die von Wind und Wetter unabhängiger waren.

Das war die Chance von Samuel Cunard. Geboren 1787 in der Hafen- und Garnisonsstadt Halifax, der Hauptstadt der damaligen britischen Kolonie und heutigen kanadischen Provinz Nova Scotia, hatte Cunard schon in seiner Jugend mit Schiffshandel zu tun. Nachdem er im Posttransport entlang der nordamerikanischen Küste Erfahrungen gesammelt und im Teehandel ein Vermögen gemacht hatte, brachte Cunard es zum Ratsherrn, Bankdirektor und angesehenen Grundbesitzer. Er war 53 Jahre alt, als 1839 die größte Aufgabe seines Lebens vor ihm stand: der englische Plan, durch einen eigenen transatlantischen Postverkehr die amerikanische Seedominanz zu brechen.

Cunard gründete mit vier Schiffen den ersten transatlantischen Dampfschiff-Linienverkehr, die "British and North American Royal Mail Steam Packet Company", besser bekannt als "Cunard Line". Seine Dampfer wurden für ihre Zuverlässigkeit bekannt: sie waren zwar nicht immer die schnellsten, und weder besondere Kunstfertigkeit noch härtere Arbeit zeichneten sie aus, aber sie hatten ein von den Konkurrenten neidisch beschriebenes Glück: "unfair, unearned, uncanny" (S. 40) - das "Cunard luck". Während andere Dampfschiffe größer und schneller, angenehmer und luxuriöser zu "schwimmenden Palästen" ausgebaut wurden, pflegten Cunards altmodisch rustikale Liner ihr ganz besonderes Markenzeichen: ihre Passagiere kamen, wie Fox süffisant bemerkt, lebend an (S. 105). Denn in der Traditon mythischer Seefahrtsimaginationen läuft Fox immer dann zu größter Form auf, wenn es gilt, dramatische Untergangsgeschichten zu schildern.

Allein in den ersten 18 Jahren Linienverbindung sind acht Dampfer untergegangen: "Von vier derselben wurden alle Menschen gerettet, von einem gingen fast alle zu Grunde und von dreien hat man nie wieder Etwas gehört."7 Eisberge, Nebelbänke und Untiefen machten jede Fahrt zum Risiko: 1841 verschwand die "President" mit 110 Passagieren und Besatzungsmitgliedern. Unter mysteriösen Umständen kehrte 1854 die "City of Glagow" der Inman Line mit 480 Menschen nicht mehr zurück. Einige Monate später sank die "Arctic" der Collins Line nur 60 Meilen vor Neufundland, nachdem sie im Nebel mit einem kleinen französischen Dampfer kollidiert war: von 281 Passagieren überlebten 23, darunter keine einzige Frau und kein Kind. Von 153 Besatzungsmitgliedern retteten sich mit 61 dagegen sehr viel mehr.

Im März 1873 lief die "Atlantic" der White Star Line mit 33 in Kabinen gebuchten Passagieren und über 800 Emigranten im Ladungsraum mit voller Kraft auf einen Felsen. Die meisten Überlebenden waren junge, starke Männer und 94 von 146 Besatzungsmitgliedern. Alle Frauen starben, nur ein zwölfjähriger Junge konnte gerettet werden. Wie schon beim Untergang der "Arctic" geriet die viktorianische Welt ob des brutalen Überlebenskampfes an Bord ins Wanken: 583 Menschen waren ums Leben gekommen - das schlimmste Schiffsunglück des 19. Jahrhunderts.

Unvorstellbare Katastrophen hatten alle Schiffsgesellschaften zu verzeichnen - nur die Cunard Line verlor in 75 Jahren trotz einiger Havarien nicht ein einziges Menschenleben. Das Glück endete im Jahr 1915, als die "Lusitania", das als damals schnellstes Schiff der Welt nur vier Tage und 20 Stunden nach New York gebraucht hatte, mit 1257 Passagieren und 702 Mannschaftsangehörigen von einem deutschen U-Boot getroffen wurde und nicht nur 1201 Tote mit sich nahm, sondern auch die große Zeit der Transatlantikdampfer.

Auch Stephen Fox' Bericht endet hier wie mitten auf dem Meer. Kundig und informationsreich hat er durch die Decks und Maschinenräume der Schiffe geführt, aber es ist, als ob er bei der historischen Analyse der Quellen im Nebel stecken geblieben wäre. Ohne auf den Forschungstand einzugehen und weitgehend thesenfrei, nutzt er die Chance seines Themas nicht, die technische Geschichte des Atlantikverkehrs zur Mechanik der Meeresentdämonisierung auszubauen. Vielmehr bleibt seine Vorstellungswelt letztlich mythisch, wenn er am Ende seines Bandes die Reste der Mahagoni-Täfelung des größten je gebauten Dampfschiffs – der "Mauretania" der Cunard-Line – in einer Bar in Bristol wiedergefunden zu haben glaubt und vermutet: "Saturday night fever meets the ghost of Samuel Cunard." (S. 414). Hoffentlich nicht.

Anmerkungen:
1 Weitere Bücher von Stephen Fox: The Mirror Makers. A History of American Advertising and Its Creators, New York 1984; Blood and Power. Organized Crime in Twentieth-Century America, New York 1989; Big Leagues. Professional Baseball, Football, and Basketball in National Memory, New York 1994.
2 Die vor allem im angelsächsischen Raum entstandene "Atlantic History" setzt Schwerpunkte u.a. in den Themenbereichen Migration, Sklavenhandel, Kolonialgeschichte, Missionarismus und Piraterie (siehe die Bibliographie "Recent Work in Atlantic History" unter <http://www.fas.harvard.edu/~atlantic/atlanbib.html>). Vgl.: Haus der Kulturen der Welt in Zusammenarbeit mit Tina Campt und Paul Gilroy (Hgg.), Der Black Atlantic, Berlin: Haus der Kulturen der Welt 2004. Vgl. auch Klein, Bernhard; Mackenthun, Gesa, Einleitung: Das Meer als kulturelle Kontaktzone, in: dies. (Hgg.), Das Meer als kulturelle Kontaktzone. Räume, Reisende, Repräsentationen, Konstanz 2003, S. 1-16, hier S. 5.
3 Zur Vorstellung von Geschichtslosigkeit: Demandt, Alexander, Geschichtslosigkeit, in: ders., Zeit und Unzeit. Geschichtsphilosophische Essays, Köln 2002, S. 190-212, bes. S. 202f.. Zum historischen Verhältnis von Land und Meer: Klein/Mackenthun (wie Anm. 2), S. 1-16. Populärer und ereignisgeschichtlich orientiert: Afflerbach, Holger, Das entfesselte Meer. Die Geschichte des Atlantik, München 2002. Vgl. dazu auch die sehr sachkundige Rezension von Horst Pietschmann in: H-Soz-u-Kult, 25.6.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-203>.
4 Blumenberg, Hans, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M., 4. Auflage 1993. Foucault, Michel, Das Wasser und der Wahnsinn, in: Defert, Daniel; Ewald, Francios (Hgg.): Michel Foucault. Schriften in vier Bänden (Dits et Ecrits), Bd. 1: 1954-1969, Frankfurt a. M. 2001, S. 365-70. Schmitt, Carl, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Köln 1981 (erste Auflage, Leipzig 1942).
5 Thomas Mann vor seiner ersten Atlantiküberquerung im Jahr 1934, in: ders., Meerfahrt mit Don Quijote, Frankfurt a. M. 2002, S. 7.
6 Afflerbach (wie Anm. 3).
7 Ausdehnung der Trans-Atlantischen Dampfschifffahrt, in: Petermann's Geographische Mittheilungen 2 (1856), S. 296.

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17.06.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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