P. Gilroy: After Empire

Title
After Empire. Melancholia or Convivial Culture


Author(s)
Gilroy, Paul
Published
London 2004: Routledge
Extent
200 S.
Price
£14.99
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Benno Gammerl, Berliner Kolleg für Vergleichende Geschichte Europas

Paul Gilroy plädiert in „After Empire“ mit Verve dafür, am multikulturellen Projekt im Zeichen eines neuen Humanismus festzuhalten und es nicht zugunsten neoimperialistischer und rassistischer Tendenzen aufzugeben. „After Empire“ richtet sich einerseits mit erfrischender Polemik gegen Niall Fergusons Versuch, die Geschichte des Kolonialismus zu revidieren und das imperiale Projekt affirmativ zu beschreiben; außerdem wendet sich Gilroy entschieden gegen Linda Colleys Bemühungen, die Verantwortung der Briten für das vom Empire verschuldete Leiden zu relativieren.1 Andererseits schreibt er gegen die Errichtung eines neuen US-amerikanischen Imperiums an, sowie gegen alle Varianten von Identitätspolitik, die auf die Etablierung und Fixierung kategorialer Grenzen zwischen Gruppen von Menschen zielen.

Gegen diese Tendenzen entwickelt Paul Gilroy seinen Begriff eines „new humanism“. Im Unterschied zu älteren, mit dem Imperialismus verknüpften humanistischen Modellen denkt Gilroy das verbindend Menschliche konsequent von der Erfahrung der Unterdrückung und des Leidens her und stellt sich damit explizit in eine existentialistische und implizit auch in eine christliche Tradition. Sowohl dem herkömmlichen Humanismus als auch dem postmodernen Antihumanismus wirft Gilroy vor, sich niemals ernsthaft mit dem Problem des Rassismus auseinandergesetzt zu haben. Auf der Basis eines minoritären Humanismus, meint Gilroy, könnte sich dagegen die Utopie einer multikulturellen Demokratie jenseits von Diskriminierungen und Hierarchien verwirklichen lassen.

Der erste Weg in diese Richtung führt, nach Gilroy, über eine detaillierte historische Auseinandersetzung mit Imperialismus und Rassismus. Erst die Aufarbeitung des damit verbundenen Leidens und die Annahme der daraus resultierenden Schuld eröffnet Möglichkeiten für eine andere Zukunft. Die Verleugnung der Schattenseiten und die wehmütige Erinnerung führen in die Sackgasse der postkolonialen Melancholie. Gilroys Alternative besteht in der „conviviality“, der fröhlichen Gastfreiheit, die Jugendliche aller Hautfarben in den postkolonialen Metropolen auf allen Ebenen der populären Kultur bereits praktizieren. Die Aufnahme und Verstärkung dieser Ansätze bildet den zweiten Weg in eine bessere Zukunft.

In der Einleitung stellt Gilroy kurz Termini, Thesen und Themen vor. Danach geht er in vier Kapiteln auf einer allgemeinen – „the planet“ – und einer lokalen – „albion“ – Ebene vor, wobei er beide Sphären sowohl auf ihre historische als auch auf ihre aktuelle Problematik hin befragt.

Im ersten Kapitel „Race and the Right to Be Human“ wendet sich Gilroy unter der Prämisse, dass die Kategorie ‘Rasse’ ein Ergebnis rassistischer Diskurse und nicht deren Grundlage darstellt, der historischen Betrachtung der verschiedenen Rassismen zu. Der „racial nomos” bildet für ihn „a legal, governmental, and spatial order“ (S. 42). Dieses spezifisch moderne Ordnungsmodell entstand im Wechselspiel metropolitaner und peripherer Entwicklungen. So wurden die räumliche Segregation, die Säkularisierung des Körpers und die Verknüpfung von Terror und Gesetz aus der kolonialen Situation in die imperialen Metropolen transferiert. Gilroy nennt dies „transmodernity“. Er konzentriert sich auf die dialektische Produktion eines kosmopolitischen Bewusstseins der Unterdrückten und auf die psychoanalytische Erklärung rassistischer Muster bei W.E.B. DuBois und Frantz Fanon. Einerseits baut Gilroy Teile dieser Theorien in seine eigene Argumentation ein. Andererseits zeigt er anhand der Arbeiten von DuBois und Fanon, worauf es bei einer historischen Analyse von Rassismen ankommt: Unter welchen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen entstehen rassistische Kategorien; und unter welchen werden sie irrelevant?

Im zweiten Kapitel „Cosmopolitanism Contested“ analysiert Gilroy die aktuelle Situation unter den Bedingungen des Informationskrieges gegen den Terror. Er vergleicht die zeitgenössische „civilizing mission“ – weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und rechtsstaatlicher Strukturen – mit älteren imperialistischen Legitimationsstrategien und kommt zu dem Ergebnis, dass die Rhetoriken Joseph Chamberlains und Tony Blairs trotz der 100 Jahre, die dazwischen liegen, markante Ähnlichkeiten aufweisen. Dieser pseudo-kosmopolitische Zivilisationismus zieht eine undurchlässige Grenze zwischen ‚uns’ und ‚den anderen’. Die Alternative, die Gilroy anbietet, beruht hingegen auf Skepsis und Zweifel statt auf Souveränität und Autonomie, auf unabgeschlossenen Identitäten und auf der Entdeckung des Fremden im Eigenen. Als Beispiele für eine entsprechende Praxis führt Gilroy Montesquieus „Persische Briefe“ und den britisch-jüdisch-schwarzen TV-Komiker Ali G. an, die beide an der Destabilisierung der eigenen Identität arbeiten. Darauf kann, so Gilroy, eine planetarische Solidarität gründen.

Im dritten Kapitel „Has It Come to This?“ widmet sich Gilroy den Problemen der britischen Identität. Die Schuld des Imperialismus und die Trauer um das verloren gegangene Weltreich interpretiert Gilroy mit Hilfe einer Sozialpsychologie Mitscherlichscher Prägung als Trauma, das die Briten verdrängen. Anstatt es aufzuarbeiten, flüchten sie in einen übersteigerten Narzissmus, in das künstliche Paradies einer reinen, homogenen Identität und in eine Neuauflage des Imperialismus. Das eigene Problem wird auf ‚Andersartige’ und Immigranten projiziert und äußert sich als Xenophobie und als Leugnung der real existierenden Multikultur in den Großstädten. Gilroy betont die Rolle, die dabei insbesondere die Erinnerung an den Sieg von 1945 spielt, und exemplifiziert diesen populären, nationalistisch-rassistischen Diskurs anhand von Fußball-Fangesängen („two world wars and one world cup“). Gleichzeitig verweist er auf ein Alternativmodell britischer Identität – realitätsnah, bescheiden, demokratisch, von unten – bei George Orwell und Mike Skinner, dem Sänger der Londoner Band The Streets.

Im abschließenden vierten Kapitel „The Negative Dialectics of Conviviality“ beschreibt Gilroy die Verunsicherung durch Globalisierungsprozesse und die neoliberale Demontage des Sozialstaats als eigentliches Problem und interpretiert die Sehnsucht nach nationaler Homogenität als Reaktion darauf. Zusammen mit den Abwehrmechanismen im Gefolge von 9/11 führt sie zu einer Verstärkung des zeitgenössischen differentialistischen und kulturellen Rassismus. Diese These belegt Gilroy anhand einer Analyse der medialen Repräsentation der weißen Taliban-Terroristen. Daneben kritisiert Gilroy auch Entwicklungen auf seiten der Minderheiten, die ebenfalls auf eine Verfestigung wechselseitig exklusiver Identitäten zielen. Stattdessen betont er die negativ dialektische Unabschließbarkeit und Unvollständigkeit jeder Identität und verweist auf die Möglichkeit, die Identitätskrise der britischen Mittelschicht mittels Humor zu bewältigen - wie beispielsweise in der britischen TV-Serie „The Office“. Diese humorvollen Praktiken und historische Trauerarbeit könnten, so Gilroy, den Boden für eine europäische Utopie multikultureller Demokratie bereiten, die sich bewusst abgrenzt von „U.S. models that are identified with an inevitable future of racial conflict“ (S. 157).

In „After Empire“ verbindet Paul Gilroy seine fundamentale Kritik der gegenwärtigen Zustände mit dem Versuch, Alternativen schmackhaft zu machen. Man kann das als unbegründeten Optimismus brandmarken oder als längst überfälligen Versuch, eine breitere Öffentlichkeit zu überzeugen, loben. Zwar wirkt sein Konzept des „new humanism“ fast naiv und zwar bleiben wichtige Begriffe wie Souveränität und relevante Entwicklungen wie die Individualisierung unterbelichtet, aber dennoch hebt Gilroy, ganz abgesehen von seinen glänzenden und lesenswerten Analysen popkultureller Phänomene, mit diesem Buch die eingeschlafene Multikulturalismus-Debatte auf eine neue Ebene und liefert mit dem Konzept der „conviviality“ reichhaltig Stoff für eine Diskussion, die dringend geführt werden muss.

Anmerkung:
1 Colley, Linda, Captives. The Story of Britain’s Pursuit of Empire and How Its Soldiers and Civilians Were Held Captive by the Dream of Global Supremacy, 1600-1850, New York 2002; Ferguson, Niall, Empire. The Rise and Demise of the British World Order and the Lessons for Global Power, New York 2002.

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18.05.2005
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