J.C. Behrends, A.v. Klimo, P. G. Poutrus (Hg.): Antiamerikanismus im 20.

Cover
Title
Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu Ost- und Westeuropa


Editor(s)
Behrends, Jan C.; von Klimo, Arpad; Poutrus, Patrice G.
Series
Politik und Gesellschaftsgeschichte, Band 68
Published
Extent
368 S.
Price
€ 36,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Anselm Doering-Manteuffel, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Selten konnte man die Rückwirkungen eines politischen Klimawechsels auf die akademische Urteilsbildung so unmittelbar verfolgen wie in den Debatten über „Amerika“ und „Amerikanisierung“ während der letzten 10 bis 15 Jahre. Im transatlantischen Beziehungsgeflecht zwischen den USA und Westeuropa zeigten sich seit 1991 Risse, weil es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts keine gemeinsame Abgrenzung gegen ein fremdes Gegenüber mehr gab. Seit „der Osten“ weg war, zerfiel „der Westen“. 2003 polemisierte Donald Rumsfeld gegen das „alte Europa“, womit das Westeuropa des atlantischen Bündnisses bis 1989/90 gemeint war, und umschmeichelte jene europäischen Staaten als eigentliches oder neues Europa, die in der Anbahnung des Irakkriegs den Schulterschluß mit der Bush-Administration suchten. Die Beiträge dieses anregenden, aufschlußreichen Bandes hätten um 1995 ohne Schwierigkeit unter dem Titel „Ambivalenzen von Amerikanismus und Amerikanisierung“ veröffentlicht werden können, 2005 heißt es nun „Antiamerikanismus“. Thema des Buchs ist das immer aufs neue spannungsreiche Verhältnis zwischen Europäern und Amerikanern. Die Gewichte verschieben sich seit den 1990er Jahren recht schnell. Das 20. Jahrhundert ist vorbei. Die Amerikabezüge der Europäer in der ersten Jahrhunderthälfte und der Umgang von Europäern und Amerikanern seit 1945 werden neu überdacht. Der Band leistet dazu einen Beitrag, durchaus cum ira et studio.

Einleitend skizzieren die Herausgeber das Programm, dann Konrad Jarausch mit einem substantiellen, nachdenklichen Beitrag über den „Antiamerikanismus als Projektion“. Dieser habe nicht viel mit Amerika zu tun, aber sehr viel mit den eigenen Problemen der Europäer. (S. 48) So sollte man den Band auch lesen.

In drei Hauptkapiteln geht es um den Antiamerikanismus in der Zwischenkriegszeit (Markus Urban; David Feest u. Gábor T. Rittersporn; Árpád von Klimó u. Gyula Virág), um Antiamerikanismus und Sowjetisierung (Wolfgang Mueller; Patrice G. Poutrus; Jan C. Behrends; Thomas Lindenberger) sowie um Antiamerikanismus und Amerikanisierung (Vanessa Conze; Marcus M. Payk; Philipp Gassert; Richard Kuisel; David W. Ellwood). Einen Ausblick gibt Andrei S. Markovits mit einem Essay über Antiamerikanismus und Antisemitismus.

In den Beiträgen zur Zwischenkriegszeit beschreibt M. Urban eindrücklich, dass zumal bei den Nationalsozialisten Antiamerikanismus vielfach von Leuten vertreten wurde, welche die USA gar nicht kannten. Es ging ihnen weniger um die konkrete Anschauung, auf die sich ein Adolf Halfeld immerhin noch bezog, sondern abstrakt und voller Vorurteil um die spezifische Modernität „Amerikas“ nach dem Ersten Weltkrieg, der sie die volksgemeinschaftlich-antiliberale Modernität entgegenstellten. Die amerikanische Produktionsdynamik, Integrationsdynamik in der Einwanderergesellschaft, Konsumptionsdynamik, Transformationsdynamik waren das eigentlich Herausfordernde. Ihre Urteile bauten die Europäer in die je unterschiedlichen nationalkulturellen Amerikabilder der zwanziger und dreißiger Jahre ein. Deshalb unterschied sich Rußland (Feest/Rittersporn) deutlich von Ungarn, wo der Antiamerikanismus kaum eine Rolle spielte. Die ungarischen Feindbilder galten den Deutschen und Russen, so daß die USA positiv gesehen wurden (v. Klimó, Virág).

Für die Zeit nach 1945 ist nun zu unterscheiden zwischen den europäischen Ländern im sowjetischen und denen im amerikanischen Einflußbereich. Auf die Tradition der nationalkulturellen Antiamerikanismen der Zwischenkriegszeit wirkten jetzt die machtpolitischen und ideologischen Feindbilder „des Ostens“ resp. „des Westens“ ein. Vorhandene kulturelle Stereotype wurden im östlichen oder westlichen Sinn umgeformt, aber im Kern veränderten sie sich nicht.

Die kommunistische Presse Österreichs vermittelte ein steriles Propagandabild, das sich später in der Vietnamkritik der Neuen Linken wiederfand und die amerikanische Politik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzte. Zur Entnazifizierung Österreichs konnte das nichts beitragen (W. Mueller). P. Poutrus zeigt in seinem Beitrag „Bomben auf Elbflorenz“ über die antiamerikanische Propaganda speziell in Dresden und insgesamt in der DDR, wie weit hier ein spezifisch deutscher Antiamerikanismus wirksam blieb, der zum einen – wie in Österreich – „jegliche Differenz zwischen den Folgen der nationalsozialistischen Diktatur und der amerikanischen Außenpolitik während und nach dem Zweiten Weltkrieg“ einebnete und zum andern nach der Wende durch ein Buch wie Jörg Friedrichs „Der Brand“ zum Zwecke deutscher Selbstbespiegelung als Opfer des alliierten Bombenkriegs breitenwirksam reaktiviert wurde. Poutrus weist mit vollem Recht darauf hin, dass dieses Buch und insgesamt die neue Opferliteratur bis hin zu Günter Grass („Im Krebsgang“) „wie das Gewitterleuchten vor dem Sturm eines gesellschaftlich anerkannten Geschichtsrevisionismus“ wirke (S. 157 f.), der die antiwestlichen und antiliberalen Potentiale der Vergangenheitsverarbeitung heute, an der Wende zum 21. Jahrhundert, wieder hoffähig mache. In dieser Tendenz deutet sich an, dass sich die öffentliche Meinung in Deutschland von der ideellen Westlichkeit der alten Bundesrepublik zunehmend entfernt. Die Kritik von A. Markovits im Schlussessay an Gerhard Schröder, der 2002 die erste europäische Wahlkampagne geführt habe, „in der eine regierende Partei ihre Wiederwahl durch antiamerikanische Töne sicherte“ (S. 339), und an Jürgen Habermas (S. 347 f.) bestätigt diesen Eindruck. Das wird noch durch die Beobachtungen von J. C. Behrends unterstrichen, wonach es in Polen keine nationalkulturelle Tradition wie in Deutschland gab und deshalb der stalinistische Antiamerikanismus dort ein Fremdkörper blieb (S. 184). In der DDR hingegen griff das antiamerikanische Filmschaffen der DEFA Stereotype auf (Militarismus, Kapitalismus, Konsumismus), mit denen es nahtlos am völkischen Deutschtum anknüpfte und dieses als Alternative zum bösen Modernismus der Amerikaner beschwor. Thomas Lindenberger beschreibt das ganz unpolemisch, aber drastisch.

Das Kapitel über Antiamerikanismus und Amerikanisierung wendet sich dem europäischen Westen im Kalten Krieg zu. V. Conze behandelt die abendländische Bewegung der fünfziger Jahre, in der sich Katholizismus, Antiliberalismus, Antimodernismus und völkisches Denken von bayerisch-böhmischer Spielart verbanden. Das war gewiß keine Mischung, die „den Amerikanern“ zugetan sein konnte, und so verwundert es nicht, dass der Westen den „Abendländern“ allenfalls das kleinere Übel im Angesicht des Kommunismus bedeutete. M. Payk bestätigt anhand einzelner Publizisten aus dem „Tat“-Kreis, die in „Christ und Welt“, der „Zeit“ und anderen Organen die Weltbilder der „Konservativen Revolution“ aus den zwanziger Jahren in die Fünfziger hinübertrugen und dann, ab 1960, allmählich in den Schatten gerieten, in wie starkem Maß die kulturelle Aversion gegen „Amerika“, gegen „den Westen“, von der Feindschaft gegen den angloatlantischen Liberalismus getragen war. Ph. Gassert arbeitet in seinem Beitrag über die deutsche Neue Linke nachdrücklich heraus, dass in allen Phasen des 20. Jahrhunderts „Antiamerikanismus als Antiliberalismus zu definieren“ sei. Deshalb konnte sich der Antiamerikanismus der Neuen Linken durchaus auch im Schulterschluss „mit Amerika“, mit der dortigen New Left, vollziehen. „Es gilt eben, die Vorstellung einer amerikanisch geprägten, liberalen Moderne als einer unter mehreren ideologischen Formationen des 20. Jahrhunderts zu unterscheiden von einem weiteren Modernisierungsbegriff in der Nachfolge Max Webers, der in der Tendenz regimeunabhängig auf bestimmte ‚moderne’ Techniken und soziale Praktiken abzielte.“ (S. 252) Gassert hat damit den Grundsachverhalt des Amerikanismus- und Antiamerikanismus-Diskurses seit 1920 benannt, der zumindest in Deutschland bis weit in die Zeit nach 1945 hineinreichte.

R. Kuisel und D. Ellwood zeigen die Parallelen am französischen und italienischen Beispiel, wobei Kuisels nachdenklicher Beitrag sehr deutlich die einleitenden Argumente von Jarausch bestätigt, dass der europäische Antiamerikanismus vor allem die Projektionsfläche eigener Probleme mit dem Wandel der modernen Industriegesellschaft sei. Viele Aspekte der französischen Kritik an den USA seien nachvollziehbar, sagt Kuisel. „Was jedoch unfair ist, ist die Weigerung, die Diversität Amerikas anzuerkennen.“ (S. 285)

A. Markovits verknüpft schließlich den europäischen Antiamerikanismus mit dem Antisemitismus. „Amerika und die Juden wurden als Synonyme der Moderne gesehen: geld- und profitgierig, urban, kosmopolitisch, individualistisch, mobil, wurzellos, Gegner traditioneller Werte.“ (S. 328) Der so verstandene Antisemitismus wird dann fast deckungsgleich auf Israel bezogen. Das tiefreichende europäische Spannungsfeld von jüdischer Kultur, jüdischer Religion, Orthodoxie und Zionismus bleibt damit vollständig außer Betracht. Noch stärker als bei Kuisel ist hier ein hoch engagierter, emotionaler Beitrag entstanden, aber anders als Kuisel ersetzt Markovits die historische Analyse durch moralisches Argument. Antiamerikanismus und Antisemitismus in dieser Weise zusammenzuspannen, läuft schließlich darauf hinaus, Kritik an den USA als antisemitisch zu bezeichnen. Doch kann damit nur gemeint sein, dass Kritik an Israel zugleich als Ausdruck von Antiamerikanismus aufzufassen sei.

Das europäisch-amerikanische Verhältnis ruft immer aufs Neue starke Emotionen hervor, und wir befinden uns gegenwärtig in eine solchen Phase. Je näher die Beiträge des Bandes aus der Geschichte an die Gegenwart heranreichen, desto stärker wird das Bemühen um rationale historische Analyse überformt von emotionalen Argumenten. So berechtigt vieles ist, was amerikanische Kritiker den Intellektuellen in Europa vorwerfen, so nachdenklich stimmt es, dass auf beiden Seiten Gesinnungshistorie um sich greift. Damit geht das genuin Westliche verloren, das Europäer und Amerikaner seit dem 18. Jahrhundert teilen – Ratio als Kernelement im liberalen Diskurs der euroatlantischen Moderne.

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17.03.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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