Ziai, Aram: Zwischen Global Governance und Post-Development

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Title
Zwischen Global Governance und Post-Development. Entwicklungspolitik aus diskursanalytischer Perspektive


Author(s)
Ziai, Aram
Series
einsprüche 17
Published
Extent
172 S.
Price
€ 14,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Adèle Garnier, Universität Leipzig, Zentrum für Höhere Studien/ Graduiertenkolleg "Bruchzonen der Globalisierung" Email:

Seit etwa zwei Jahrzehnten wird die vom französischen Philosophen Michel Foucault eingeleitete Methode der Diskursanalyse in der Untersuchung der Entwicklungstheorien und der Entwicklungspolitik – mehr oder weniger tief greifend – angewendet. Die Diskursanalyse wurde im Rahmen der Post-Development-Ansätze in der Kritik der Modernisierungstheorie 1 und der Good Governance 2, sowie ein paar Jahre später auch von Kritiker/innen der Vertreter/innen dieser Post-Development-Ansätze 3 angewendet.

Der Politikwissenschafter Aram Ziai, Lehrbeauftragter an den Universitäten Aachen, Kassel und Magdeburg, reflektiert und bereichert in deutscher Sprache diese Debatten. Sein Buch, das aus eigenen, größtenteils schon veröffentlichten und leicht überarbeiteten Aufsätzen besteht, liefert durch die Anwendung der Diskursanalyse am Entwicklungsdiskurs auch eine gut lesbare Einführung in die methodischen Grundsätze der Diskursanalyse.

Sich stützend auf zahlreiche Texte von Michel Foucault erläutert Ziai (vor allem in Kap. 1 und 3) die Grundbegriffe der diskursanalytischen Methode (Formationsregel, Dispositiv), die Foucaults Konzeption der strukturellen Verbindung zwischen Diskurs und Machtsausübung mit einbeziehen: "’Wahrheit’ und ‚Wissen’ [die im Diskurs propagiert werden] sind demnach einerseits an sie produzierende und stützende Machtssysteme, andererseits an von ihnen ausgehende und sie reproduzierende Machtwirkungen gebunden" (S. 12). Diese theoretische Fundierung ist in der Debatte um die Diskursanalyse der Entwicklungspolitik keine Selbstverständlichkeit. Ziais Untersuchung fokussiert sich dann vor allem auf drei Themen. Zum einen werden Kontinuität und Unterschiede zwischen dem Kolonial- und dem Entwicklungsdiskurs bis in die 1980er-Jahre nachgezeichnet (Kap. 2 und 3). Zum zweiten werden entwicklungspolitische Konzepte der 1990er-Jahre, vor allem die „good governance“, die „global governance“ und ihre Anwendung durch die Weltbank, sowie im Rahmen des deutschen rot-grünen Entwicklungsprojekts der globalen Strukturpolitik diskursanalytisch durchforstet (Kap. 6, 7, 10 und 11). Die Untersuchung der Post-Development-Theorien bildet die dritte Achse der Diskursanalyse Ziais (Kap. 1, 8 und 9).

Ziai postuliert eine grundlegende Ähnlichkeit der Diskursstruktur des Kolonialdiskurses einerseits und des Entwicklungsdiskurses andererseits. Beide Diskurse sind nach Ziai eurozentrisch und bergen ein Gewaltpotenzial in sich. Die Welt wird in einen überlegenen und in einen unterlegenen Teil dividiert. Gegensätzliche Subjektidentitäten werden konstruiert, wobei die Verschiedenartigkeit des „Anderen“ das heißt der Eingeborenen und später der Unterentwickelten nur partiell anerkannt wird, da dieser „Andere“ am Ende eines linearen Prozesses wie der „Eigene“ werden soll. Allerdings unterscheidet sich der Maßstab beider Diskurse: im Kolonialdiskurs gilt der weiße Mann als Maßstab, im Entwicklungsdiskurs die „entwickelte“ Industriegesellschaft, an erster Stelle die USA. Nach Ziai wird der Rassismus des Kolonialdiskurses durch den Zweiten Weltkrieg und später die Dekolonisierung diskreditiert. Als exemplarisch für die Verschiebung der Diskursordnung wird die Amts-Antrittsrede des amerikanischen Präsidenten Truman 1949 mehrfach zitiert. Die Ordnung des Entwicklungsdiskurses gelte nicht nur für die Modernisierungstheorie, sondern auch für die Dependenztheorie, die sich von der Vorstellung eines linearen und universellen Entwicklungsprozesses nicht verabschiedet hat. Der Entwicklungsdiskurs wird im Rahmen des Entwicklungsdispositivs propagiert; er gilt nur als legitim, wenn er von Experten verbreitet wird.

In einer zweiten Achse zeigt Ziai wie sich der Entwicklungsdiskurs anlässlich der Entwicklungskrise der 1980er-Jahre verschoben hat, indem die Begriffe der "good governance", der "global governance" und in Deutschland der "globalen Strukturpolitik" angewendet werden. Durch die Einbeziehung neuer Elemente entstehen Spannungsverhältnisse im Diskurs. Der global-governance-Diskurs ist von der Spannung zwischen einer ethischen Fundierung der Politik (eine globale Politik ist im Interesse der Menschheit) und einer effizienzorientierten Vision des Staates gekennzeichnet. Beide governance-Begriffe sowie der rot-grüne Begriff der globalen Strukturpolitik postulieren außerdem die Konfliktlosigkeit der Politik bzw. die Interessenidentität aller Beteiligten: die Armutsbekämpfung sei im Interesse der globalen Wirtschaftsförderung, und umgekehrt. Dies wird auch im Weltbankdiskurs der Armutsbekämpfung nachgezeichnet. In ihrer konsensgeprägten Politikvorstellung unterscheiden sich die governance-Begriffe grundlegend vom Foucaultschen Begriff der Gouvernementalität, der von der Auseinandersetzung zwischen ungleichen Interessen ausgeht. In seiner Untersuchung der governance-Begriffe sowie deren institutionellen Anwendung stützt sich Ziai am deutlichsten auf Foucaults Vorstellung einer engen Verbindung zwischen Macht und Wissen.

Die dritte Achse von Ziais Buch bildet die diskursanalytische Kritik der Post-Development-Theorien. Anstelle einer generellen Kritik an diesen Konzepten unterscheidet Ziai zwischen zwei „rivalisierende[n] Diskurse[n]“ (S. 107) des Post-Development: zwischen dem skeptischen und dem neo-populistischen Diskurs. Letzterer, vertreten unter anderem durch Alvares 5, zeugt von Antimodernismus und Überbewertung der Tradition. Der skeptische Post-Development-Diskurs beispielsweise, von Escobar 6 propagiert, plädiert so Ziai, für ein Projekt der radikalen Demokratie nach dem postmodernistischen Ansatz von Laclau und Mouffe und birgt ein emanzipatorisches Potenzial in sich. Ziais eigene Analyse könnte auch dieser Strömung zugeordnet werden.

Aram Ziai liefert in seinem Buch ein theoretisch fundiertes und breites Panorama der Anwendung der Diskursanalyse am Entwicklungsbegriff bzw. am Entwicklungsdispositiv. Die Reichweite seines eigenen Beitrags zur Diskussion leidet allerdings unter der Struktur des Buches, das als eigene Aufsatzsammlung viele Wiederholungen enthält und dessen argumentative Struktur sehr zaghaft ist (weshalb hier auf die lineare Beschreibung der Kapitelabfolge verzichtet wurde). Einige Themen werden durch die Aufsatzform nur schemenhaft angeschnitten, so die Strukturähnlichkeit des Entwicklungs- und des Migrationsdiskurses im Bezug auf ihr Gewaltpotenzial (vgl. Kap. 5). Durch diese Form ist auch die Wissenschaftlichkeit der Kapitel von unterschiedlicher Qualität, so dass das Buch wie ein Hybrid aus wissenschaftlicher Analyse und engagiertem politischem Manifest für einen emanzipatorischen Entwicklungsdiskurs wirkt.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ferguson, James, The Anti-Politics Machine. "Development", Depolitizazion and Bureaucratic Power in Lesotho, Minneapolis 1990; Moore, David B.; Schmitz, Gerald J. (Hg), Debating Development Discourse. Institutional and Popular Perspectives, Houndmills 1995.
2 Vgl. Abrahamsen, Rita, Disciplining Democracy. Development Discourse and Good Governance in Africa, London 2000.
3 Vgl. Brigg, Morgan, Post-Development, Foucault and the Colonisation Metahor, in: Third World Quarterly 23(2002)3, S.421-436; Nanda, Mira, Who Needs Post-Development? Discourses of Difference, Green Revolution and Agrarian Populism in India, in: Journal of Developing Societies 15(1999)1, S. 5-31.
[4] Alvares, Claude, Science, Development and Violence. The Revolt against Modernity, Dehli 1992.
5 Escobar, Arturo, Encountering Development. The Making and Unmaking of the Third World, Princeton 1995, vgl. auch Ferguson (wie Anm. 1).
6 Laclau, Ernesto; Mouffe, Chantal, Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics, London 1985.

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15.09.2006
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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