A. Hillebrand: Danzig und die Kaufmannschaft großbritannischer Nation

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Title
Danzig und die Kaufmannschaft großbritannischer Nation. Rahmenbedingungen, Formen und Medien eines englischen Kulturtransfers im Ostseeraum des 18. Jahrhunderts


Author(s)
Hillebrand, Almut
Published
Frankfurt am Main 2009: Peter Lang/Frankfurt am Main
Extent
378 S.
Price
€ 56,50
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Peter Oliver Loew, Deutsches Polen-Institut Darmstadt

Die Hafen- und Hansestadt Danzig war fast während der gesamten Frühen Neuzeit Drehscheibe nicht nur für Waren, sondern auch für Nachrichten und Neuigkeiten aller Art. Als bedeutendster Umschlagplatz für den polnischen Export und Import war sie bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine der wichtigsten Vermittlerinnen in die Adelsrepublik hinein und aus der Adelsrepublik heraus. Bislang hat sich die Forschung insbesondere auf die Rolle der Stadt als Medium des Transfers konzentriert, wobei gerne quantitative Quellen wie die Sundzollregister und die Danziger Pfahlbücher herangezogen wurden. Almut Hillebrand nimmt sich in ihrer an der Universität Greifswald bei Michael North entstandenen Dissertation nun der Stadt selbst als Brennpunkt des Kulturtransfers an: zeitlich begrenzt auf das 18. Jahrhundert, ganz genau zwischen 1706 und 1806, und thematisch fokussiert auf die Beziehungen zwischen Danzig und Großbritannien, das sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts an die erste Stelle der Danziger Handelspartner schob. Sie interessiert, Matthias Middell folgend, vor allem „die Frage nach den Mittlern und Motiven der Aneignung bzw. der Auseinandersetzung mit dem Fremden, die Frage nach dem Wie und Warum“ (S. 55), und beabsichtigt nichts weniger als „eine theoretische Weiterentwicklung und Revision des Kulturtransferkonzeptes“ (S. 62). Besonderes Augenmerk lenkt sie auf die „Begegnungsfelder“ des Kulturtransfers, die sie einzeln, aber auch in ihrer Verzahnung darstellt. Als Quellen dienen der Autorin in erster Linie umfangreiche Bestände des Staatsarchivs Danzig (unter anderem Pfahlbücher, Kirchenbücher und Ratsrezesse) sowie gedruckte Quellen wie das örtliche Intelligenzblatt und andere periodische Schriften.

Die klar gegliederte Arbeit widmet sich zunächst den Grundlagen, indem sie ausführlich das Schrifttum zu den Beziehungen zwischen Danzig und Großbritannien diskutiert, die theoretischen Grundlagen darstellt und beziehungsgeschichtliche Aspekte Revue passieren lässt. Erläutert werden auch die zeitlichen Zäsuren – 1706, da in diesem Jahr ein beiderseitiger Handelsvertrag geschlossen wurde, und 1806, als mit der Besetzung der Stadt durch Napoleon dieser Vertrag endgültig seine Bedeutung verlor.

In einem ersten Hauptkapitel geht es um „primäre Begegnungsfelder“ als „potentielle Ausgangsfelder eines unmittelbaren und unbewussten Kulturtransfers“. Auf rund 70 Seiten wird zunächst en détail das Zustandekommen des Handelsvertrags von 1706 (mit späteren Nachverhandlungen) geschildert, der in Danzig nichts weniger als die „Meistbegünstigungsklausel“ (S. 119) für die Kaufleute „großbritannischer Nation“ einführte. Der Vertrag verbesserte die Marktzugangsbedingungen für die Engländer und ist deshalb, so Hillebrand, als „Kulturtransfer in […] wirtschaftsinnovative[m] Sinne“ (S. 152) zu werten. Anschließend dreht sich die Darstellung auf weiteren gut 70 Seiten um „Handel als Voraussetzung und Rahmenbedingung von Kulturtransfer“. Sie ist handelsgeschichtlich angelegt und beschreibt Umfang sowie Art des Warenaustauschs zwischen Danzig und England. Dabei gelingt es der Autorin durch Heranziehung verschiedener Quellen, den von der Forschung bislang vernachlässigten, für den beiderseitigen Handel aber sehr wichtigen Posten der „Krämerei“ in den Hafenbüchern herauszuarbeiten, unter dem vor allem Manufakturwaren zu verstehen sind (Eisen- und Stahlwaren wie Uhrketten, Schuhschnallen und Messer, zudem Stoffe sowie Haushalts- und Luxusgegenstände wie Spiegel, Tapeten, Fayencen, Spieluhren usw.). Sie machten im 18. Jahrhundert rund die Hälfte des Imports aus England nach Danzig aus.

In einem Unterabschnitt geht Hillebrand auf die familiären Netzwerke in Danzig ein, die aufgrund von Herkunft aus England (bzw. Schottland) oder durch persönliche Beziehungen besondere Bedeutung für den Englandhandel hatten. Sie konstatiert eine „funktionale Integration“ der nicht besonders zahlreichen, aber gut situierten englischen Kolonie in die Stadtbürgergesellschaft und zeigt auf, wo sich ihrer Meinung nach Anzeichen von „inszenierter Britishness“ finden lassen (zum Beispiel bei der Zugehörigkeit von Personen zur englischen Kirchengemeinde, die bereits in der Enkelgeneration in Danzig lebten). Die Präsenz englischer Kaufmannsfamilien sei eine „entscheidende Voraussetzung für einen englischen Kulturtransfer“ (S. 201) gewesen, eine Feststellung, die zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Vielleicht hätte ein Blick über den Zaun, etwa in die polnische Adelsrepublik, mehr darüber verraten, ob Kulturtransfer tatsächlich und unabdinglich auf diese persönliche Komponente angewiesen war. Am Beispiel der seinerzeit ebenfalls beliebten Chinoiserien zeigt sich ja, dass die Chinamode keineswegs die Anwesenheit leibhaftiger Chinesen voraussetzte. Unzweifelhaft ist, dass die Präsenz von Briten den Kulturtransfer erleichterte, wenn sie auch gelegentlich Probleme schuf. Die Geschichte der gescheiterten transnationalen Familienverbindung eines schottischen Residenten mit einem Danziger Patriziergeschlecht, das die Kinder der jung verstorbenen Mutter partout nicht ihrem nach Großbritannien gezogenen Vater überlassen wollte, erhellt mentale Verwerfungen auch innerhalb der Danziger Bürgerschaft (S. 218-222).

Bis zu diesem Punkt widmet sich die Arbeit eigentlich nur den Grundlagen von Kulturtransfer – mit der Worten der Autorin den „primären Begegnungsfeldern“. Im zweiten Hauptteil folgen „mediale Begegnungsfelder als Ausgangspunkte für mittelbaren und bewussten Kulturtransfer“. Hillebrand schildert hier zunächst die Tätigkeit eines in Danzig lebenden reformierten Geistlichen als Übersetzer englischer Texte für lokale Zeitungen, durch die verstärkt Informationen über England in die lokale bürgerliche Leseöffentlichkeit vermittelt wurden. Ob Samuel Wilhelm Turner, Nachfahre schottischer Zuwanderer, aber tatsächlich ein „prägendes Charakteristikum“ (S. 307) für Danzig gewesen ist, sei dahingestellt. Erst ein Vergleich mit anderen Kulturtransferinteraktionen – etwa mit den Niederlanden oder Frankreich – würde eine differenziertere Antwort erlauben. Wenn Hillebrand zum Schluss drei „Danziger Lebensentwürfe“ analysiert, anhand derer sie „bewussten Kulturtransfer“ erkennbar machen möchte, stellt sich die Frage, wie repräsentativ das sein kann. Sicherlich, der analysierte autobiographische Roman von Johann Daniel Falk ist aussagekräftig, die Schriften des Kaufmanns Jacob Kabrun belegen dessen umfangreiche Kenntnis englischer wirtschaftspolitischer Vorstellungen. Auch der farbige autobiographische Text Friedrich Hoenes, eines „anglomanischen Selfmademans“, liefert interessante Einblicke in den Zusammenhang von „Englandorientierung“ (S. 348) und geschäftlichem Aufstieg, aber eben alles nur aus der Zeit um 1800. Ob sie „nur vor dem Hintergrund eines über Jahrzehnte währenden lokalen Kulturtransfers verständlich werden“ (S. 355), darf in Zweifel gezogen werden.

Almut Hillebrand hat interessantes Quellenmaterial zum Sprechen gebracht und wichtige Einzelerkenntnisse über die Beziehungen zwischen England und Danzig geliefert. 1 Auf dem Weg zu einer Kulturtransferforschung ist sie aber meiner Meinung nach auf halbem Weg steckengeblieben. Wir erfahren zwar vieles über Handelspolitik oder Englandmode, was in diesem Umfang bislang für Danzig noch nicht bekannt war, doch eine wahrhaft „relationale“ Geschichte bleibt die Autorin schuldig. Dazu hätte es weniger detailverliebter Analysen bedurft, sondern in sehr viel stärkerem Maße des Vergleichs: des Vergleichs mit anderen „Herkunftsgebieten“ von Kulturtransfer oder des Vergleichs mit anderen „Zielgebieten“ – neben Danzig hätte man beispielsweise noch stärker Elbing berücksichtigen können, auf das die Autorin nur am Rande eingeht. Angeboten hätte sich aber natürlich auch jede beliebige andere größere Ostseestadt. Wünschenswert wäre zudem eine Inbezugsetzung zum polnischen Hinterland (seiner eigenen Anglomanie, seiner Nachfrage nach englischen/britischen Produkten), das in dieser Arbeit, so wichtig es für den Danziger Handel doch war, ganz merkwürdig blass bleibt. Blass bleiben schließlich auch die materiellen Gegenstände des Kulturtransfers selbst. Hier hätte beispielsweise die Auswertung von Nachlassinventaren wertvolle Informationen liefern können. Und schließlich hätte ein Blick in die andere Richtung – nach Großbritannien –, also die Berücksichtigung von Elementen der „histoire croisée“, ebenfalls Einblicke in ein komplexes Beziehungsgeflecht erlaubt.

Trotz wertvoller und facettenreicher Einblicke in die Danziger Geschichte des 18. Jahrhunderts bleibt diese Arbeit ein methodisch zwar ambitionierter, insgesamt aber nur bedingt überzeugender Beitrag zu einer Geschichte des Kulturtransfers im Ostseeraum und belegt, wie schwer es ist, dieses methodische Konzept in einer umfangreichen Studie zu operationalisieren. Nachdenklich schließlich wird man, wenn im letzten Satz des Buches vom „Geschäftssinn der britischen Kulturträger“ die Rede ist: Sollte es sich nur um einen sprachlichen Lapsus handeln, oder hat die Autorin, wenn sie von einer „tragenden Kultur“ ausgeht (die eine unterlegene, nicht tragfähige Aufnahmekultur voraussetzt), die koloniale Brille vielleicht gar nicht konsequent abgesetzt?

Anmerkung:
1 Allerdings bleiben zahlreiche Quellen unberücksichtigt, etwa Daniel Chodowiecki, Die Reise von Berlin nach Danzig. Das Tagebuch. Berlin 1994.

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10.08.2010
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