Sansibar und São Tomé, Mauritius und Mayotte, Annobón und Anjouan: Was haben so unterschiedliche Inseln historisch miteinander gemein? Mehr, als die Geschichtswissenschaft bislang erkannt hat, meinen Toyin Falola, Joseph Parrott und Danielle Porter Sanchez. Über das Systematisieren von Gemeinsamkeiten hinaus verfolgen sie in ihrer Zusammenstellung von Untersuchungen zur Geschichte von Inseln vor der West- und Ostküste Afrikas zwei forschungsprogrammatische Ziele. Erstens suchen sie die Geschichtsforschung zu Afrika im Anschluss an Studien zur maritimen Geschichte und die interdisziplinären Island Studies aus einer Verengung herauszuführen, die Marcus Rediker einmal als „Terrazentrismus“1 beschrieben hat: der oft impliziten Annahme, dass sich der wesentliche Teil der Geschichte auf dem kontinentalen Festland ereignete und marine und insulare Räume demgegenüber bloß Peripherien bildeten. Zweitens streben sie an, die bislang meist im Zusammenhang der historischen Welten des Atlantischen und Indischen Ozeans beforschten Inseln stärker in ihren Verflechtungen mit dem afrikanischen Kontinent und mithin als Räume der afrikanischen Geschichte zu konturieren.
Nicht ganz konsequent erscheint im Lichte dieser Agenda, dass sich Falola, Parrott und Porter Sanchez für ein an Ozeanen orientiertes Strukturprinzip entschieden haben – das Buch unterteilen sie in die Hauptkapitel „Atlantic Ocean Islands“ und „Indian Ocean Islands“ – anstatt etwa für eine kategorial systematisierende Gliederung. Im Teil zu Afrikas atlantischen Inseln (diskutiert werden allein solche am Äquator und nördlich davon) zeigt zunächst Germán Santana Pérez, dass die Kanaren seit ihrer Kolonisierung durch Kastilien im 15. Jahrhundert die Funktion eines Portals zwischen Afrika, Europa und den Amerikas einnehmen. Während sich die Verflechtungen mit Kontinentalafrika beständig wandelten, nie jedoch abrissen, wurde über die politischen Geschicke der Inseln stets in Europa entschieden.
Gerhard Seibert skizziert die Wirtschaftsgeschichte von São Tomé und Príncipe, den ersten Inseln in den Tropen, die von europäischen Kolonialmächten zu Plantageninseln zugerichtet wurden. Aufstieg und Niedergang der Zuckerausfuhr im 16. Jahrhundert und der Kakaoausfuhr im 19. und 20. Jahrhundert – jeweils gestützt auf die unfreie Arbeit von Afrikanern und Afrikanerinnen vom Festland – offenbaren die Vulnerabilität exportorientierter Inselökonomien mit geringem Diversifizierungsgrad. Als Gegenbeispiel, wenn man es so lesen will, stellt Joshua Bernard Forrest die Geschichte von Canhabaque (das als Teil des Bissagos-Archipels vor der Küste Guinea-Bissaus liegt) fast schwärmerisch als eine Erfolgsgeschichte von Adaptabilität und Resilienz dar. Auf der Basis einer weitgehend autarken Subsistenzökonomie und der robusten Abwehr äußerer Einflussnahme gelang es der Inselbevölkerung über Jahrhunderte, den Handel im Golf von Guinea zum eigenen Vorteil zu nutzen, ohne ihre Selbstbestimmung aufgeben zu müssen.
Bioko, heute ein Teil von Äquatorialguinea, bildete das Zentrum der spanischen Kolonialherrschaft im Golf von Guinea. Die wachsende politische und ökonomische Bedeutung der Insel erfuhr die dort lebende Bubi-Bevölkerung indes als zunehmende Marginalisierung, so Enrique N. Okenve, insbesondere infolge der starken Zuwanderung. Nach der Vereinigung mit dem Festlandgebiet Rio Muni im Zuge der Dekolonisation verschlechterte sich die Situation der Bubi ab 1968 unter dem Nguema-Regime weiter. Zu den international am wenigsten beachteten Opfern der Diktatur in Äquatorialguinea zählt die Bevölkerung von Annobón. Seit 1988 nutzen britische und US-amerikanische Konzerne die Insel mit Zustimmung der Festlandregierung als Nuklearmüllager. Am Werk des von Annobón exilierten Schriftstellers Juan Tomás Ávila diskutiert Michael Ugarte die Frage: „Can the island subaltern speak?“ (S. 167) Durchaus, lautet seine Antwort, man müsse ihr nur zuhören.
Carla D. Martin erörtert in einer länderübergreifenden Debattenanalyse, warum das kapverdische Kreol nach der 1975 erlangten Unabhängigkeit nie zur offiziellen Sprache der Kapverden avanciert ist. Den Hauptgrund erkennt sie in dem auch auf den Inseln hartnäckig weitergegebenen Vorurteil, dass Kreol gegenüber seiner Ausgangssprache Portugiesisch defizitär sei. Auch würde eine Aufwertung des Kreols, so eine verbreitete Sorge, das afrikanische gegenüber dem europäischen Erbe der Kapverden bekräftigen und dadurch die (Migrations-)Chancen kommender Generationen schmälern. Im längsten Beitrag des Bandes analysiert Ashley Jackson die militärstrategische Bedeutung von Insel- wie auch Festlandhäfen an der West- und Ostküste Afrikas im Zweiten Weltkrieg. Damit fügt sich der Text nicht schlüssig in das Atlantikkapitel ein, und eine konsequentere Redaktion hätte die Passagen zu kontinentalen Häfen gekürzt. Dem Aufsatz selbst ist das freilich nicht anzulasten, zumal Ashley überzeugend zeigt, wie afrikanischen Inseln als Ausfuhrportale, zur Kontrolle von Schiffsverkehrsrouten und als Stützpunkte militärischer und geheimdienstlicher Operationen eine wichtige Funktion für die Kriegführung der Alliierten zukam.
Den Teil zu Afrikas Inseln im Indischen Ozean eröffnet Edward A. Alpers mit dem Vorschlag, diese nach ihrer Nähe zu Kontinentalafrika historisch zu kategorisieren: Küstennahe „offshore islands“ wie Mombasa weisen historisch enge und vielgestaltige Verflechtungen mit dem kontinentalen Festland auf, etwa als Herrschaftszentren, Ein- und Ausfuhrportale oder Brücken von Migrationsbewegungen. Küstenfernere „foreland islands“ wie Mauritius banden Festlandgebiete insbesondere im Zusammenhang des Sklavenhandels in transozeanische Austauschnetze ein. „Distant-water islands“ wie die Malediven sind geographisch kein Teil Afrikas und historisch nur lose mit dem Kontinent verbunden, zeugen aber mit vielfältigen Spuren von der afrikanischen Präsenz in der Welt des Indischen Ozeans. Für Alpers‘ Ansinnen ließe sich das Plädoyer Richard B. Allens ins Feld führen, die Maskarenen stärker als integrales Element des transozeanischen Handels mit afrikanischen Sklaven und Sklavinnen im 18. und 19. Jahrhundert zu begreifen. Iain Walker aber weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die Verflechtungen der Komoren mit Kontinentalafrika trotz relativer geographischer Nähe über Jahrhunderte vergleichsweise lose blieben. Handelspartner und Verbündete suchten und fanden komorische Akteure zuvorderst auf den Schiffen, die den Archipel bis zur Eröffnung des Sueskanals 1869 auf der Route zwischen Europa und dem indischen Subkontinent intensiv frequentierten.
In Sansibar erkennt William Bissell ein Beispiel für eine Sonderform von Insularität, die „Stadtinsel“, und zeigt, wie der Rhythmus der Monsunwinde die urbane Inselgesellschaft einer epochenübergreifenden Spannung zwischen Offenheit und Abgeschlossenheit unterwarf. Ebenfalls am Fall des urbanen Sansibars spürt Jeremy Prestholdt den Eigenheiten insularer Konsumkultur nach. Aus fernen Weltregionen bezogene Kleidung diente Sansibaris als Marker von Status und Aufstiegsambitionen. Auch Sklaven und Sklavinnen, überwiegend vom ostafrikanischen Festland auf die Insel verschleppt, sollten die Position und das Prestige ihrer Besitzer repräsentieren – gestalteten die ihnen zugewiesene Rolle aber eigensinnig mit.
Das Erbe von Sklaverei und Abolition in Indian Ocean Africa ist auf Madagaskar bis heute implizit präsent, wie Denis Regnier und Dominique Somda darstellen. Nicht zuletzt manifestiert es sich in einer fortdauernden Diskriminierung der Nachkommen von Sklavinnen und Sklaven kontinentalafrikanischer Herkunft. Erst in den 1990er-Jahren begann im Zuge des „Slave Route“-Projekts der UNESCO eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit, doch sklavereibezogene Gedenkorte gibt es auf der Insel nach wie vor kaum. Im den Band abschließenden Aufsatz diskutiert Michael Lambek auf der Grundlage langjähriger Feldstudien auf der Komoreninsel Mayotte, wie der 2011 erfolgte Statuswandel der Insel von einem collectivité départementale hin zu einem département Frankreichs die auf der Insel verbreitete Reisekultur verändert hat. Demnach nutzten viele mahorische Männer und Frauen die neu gewonnenen Mobilitätsoptionen zur überwiegend temporären Migration nach La Réunion und Frankreich und verfolgten damit lebensstrategische Ziele, die sich häufig auf die Zeit nach ihrer Rückkehr richteten.
In der Gesamtschau überwiegen als Kriterien der Typisierung und Systematisierung von Insularität die wandelbaren Funktionen, die Inseln in maritimen Netzwerken zukamen beziehungsweise strategisch zugedacht wurden: als Portale und Drehscheiben, als Brücken und Laboratorien, als Zentren und Marinestützpunkte. Dabei verschränken viele Beiträge das Kriterium der Funktion mit geographischen, ökologischen oder humangeographischen Merkmalen. Die so erzeugten Einsichten in die Vielfalt und Wandelbarkeit historischer Inseltypen in Afrika bilden das größte Verdienst des Bandes.
Einige Inseltypen bleiben indes unberücksichtigt – zu denken wäre an Gefängnis- und Sträflingsinseln wie Robben Island, Guanoinseln wie Ichaboe oder Binnenseeinseln wie Ukerewe –, während der Band Sansibar und den Komoren jeweils gleich zwei Aufsätze einräumt. In manchen Beiträgen geht das Fokussieren auf Funktionen mit einer Vernachlässigung des Handlungsvermögens insularer Akteure einher. Auch entwirft das Gros der Texte überblicksartige Längsschnittperspektiven und stützt sich dabei stärker auf die vorliegende Forschungsliteratur denn auf eigene Quellenerhebungen.
Leider abstrahieren nur wenige Beiträge – eine positive Ausnahme bildet der von Walker – von ihrem Fallgegenstand zu den theoretisch-konzeptionellen Debatten der Island Studies. Diese oszillieren zwischen insularischer und archipelagischer Orientierung – der Essentialisierung und der Relationierung beziehungsweise Dekonstruktion von Insularität – und bedienen sich dabei unterschiedlicher raumtheoretischer Zugänge.2 Eine stärkere Rückbindung an diese Ebene hätte den Band in einen Dialog mit dem Fachdiskurs um Konzepte, Vergleichspotenziale und Differenzierungserfordernisse inselbezogener Forschungen treten lassen, der so leider weitgehend ausbleibt.
Hinsichtlich der Afrikanität der infrage stehenden Inseln bezeugen mal Sprache und Identifikation, mal Migration und Handel, mal Politik und Religion die historischen Verbindungen mit dem kontinentalafrikanischen Festland. Bezüge solcher Art und ein bedeutendes afrikanisches Erbe weisen indes auch die im Band nicht berücksichtigten Inseln der Karibik oder etwa die brasilianische Ilha Grande auf. Letzten Endes entscheidend scheint also das Kriterium der geographischen Nähe zu sein, womit der Band eine essentialistische Auffassung von afrikanischer Insularität zu erkennen gibt. Damit fällt er nicht nur hinter das Reflexionsniveau der Island Studies zurück, sondern auch hinter das einer raumsensiblen Geschichtsforschung, die unter anderem mit dem Black Atlantic (Paul Gilroy) oder dem tropischen und subtropischen Plantagengürtel (Dirk Hoerder) längst produktive Alternativen zum Denken von Weltregionen als räumlichen Containern hervorgebracht hat. Im Übrigen ist das Buch zu teuer.
Anmerkungen:
1 Marcus Rediker, Gesetzlose des Atlantiks. Piraten und rebellische Seeleute in der frühen Neuzeit, Wien 2017, S. 14f.
2 Siehe für jüngere deutschsprachige Forschungen Reinhard von Bendemann / Annette Gerstenberg / Nikolas Jaspert / Sebastian Kolditz (Hrsg.), Konstruktionen mediterraner Insularitäten, München 2016; Daniel Graziadei, Insel(n) im Archipel. Zur Verwendung einer Raumfigur in den zeitgenössischen anglo-, franko- und hispanophonen Literaturen der Karibik. München 2017; Jan-Martin Zollitsch, Guam als Archipel? Einführung in die Island Studies, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 32–33 (2018), S. 41–46.