R. D. Launius u.a. (Hrsg.): Globalizing Polar Science

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Title
Globalizing Polar Science. Reconsidering the International Polar and Geophysical Years


Editor(s)
Launius, Roger D.; Fleming, James Rodger; DeVorkin, David H.
Series
Palgrave Studies in the History of Science and Technology
Published
Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan
Extent
386 S.
Price
£ 19.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Pascal Schillings, a.r.t.e.s. Forschungsschule, Universität zu Köln

Die Wissenschaftsgeschichte hat sich in den letzten Jahren dem Phänomen transnationaler wissenschaftlicher Verflechtungen vor allem mit Bezug auf individuelle Experten und ihre Aktionsfelder genähert.1 Demgegenüber stehen Ansätze, die die Entstehung transnational organisierter Großprojekte als ein Wesensmerkmal der sogenannten Wissensgesellschaft ausmachen, deren Vorläufer bereits im 18. und 19. Jahrhundert gesehen werden könnten.2 Die Lücke zwischen diesen beiden Strängen versucht der vorliegende Band zu schließen, der sich mit den Internationalen Polarjahren (IPY) 1882-83 und 1932-33 sowie dem Internationalen Geophysikalischen Jahr (IGY) 1957-58 beschäftigt. Die Betonung liegt dabei deutlich auf letzterem.3

In ihrer Einleitung entwerfen die Herausgeber das Bild der sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auf globaler Ebene zunehmend etablierenden Geowissenschaften, die zugleich in transnationale Wissenschaftsorganisationen und nationale Interessen eingebunden gewesen seien. Sie eröffnen dazu vor allem drei Verflechtungsebenen: Die erste betrifft eher technikhistorisch informierte Fragestellungen, die sich um die Wechselwirkung technischer Innovationen und wissenschaftlicher Aktivitäten gruppieren. Augenfälligstes Beispiel in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Entwicklung der ersten sowjetischen Erdsatelliten während des IGY 1957-58. Die zweite betrifft die Verflechtung individueller und institutioneller Ebenen. Zuletzt weisen die Herausgeber auf die enge Verbindung wissenschaftlicher, nationaler, wirtschaftlicher und militärischer Elemente innerhalb der Aktivitäten der IPY/IGY hin: Diese hätten nicht nur zur globalen Verbreitung wissenschaftlicher Praktiken beigetragen, sondern auch Nationalismen und Imperialismen Vorschub geleistet. Die Aktivitäten der IPY/IGY seien damit auch Ausfluss der politischen Realität gewesen.

Der Beantwortung der Frage, wie sich das Globale der im Titel aufscheinenden Polarwissenschaften definiere, widmet sich Marc Rothenberg als Teil eines ersten, eher konzeptionellen Teils. Rothenberg extrahiert drei mögliche Lesarten. So könne die Globalisierung der polaren Wissenschaft als Transformation von Wissenschaft von lokalen zu internationalen Aktivitäten verstanden werden, im Sinne einer Einigung über gemeinsame Standards und Kooperation. Zweitens deute der Titel auf die Globalität der Wissensobjekte von, beispielsweise, Meteorologie und Erdmagnetismus. Drittens könne die Globalisierung als Expansion europäisch-amerikanischer Wissenschaftsvorstellungen interpretiert werden. Dass sich mit Blick auf den restlichen Band eher die zweite und dritte Interpretation anbieten, ist mit dem angezeigten Blick auf die Verflechtung von Wissenschaft und Machtstrukturen nicht verwunderlich. Dazu bemerkt Michael Aaron Dennis in einem weiteren Beitrag dieses Abschnitts, dass die Globalisierung von Wissenschaften und die damit einhergehende Mobilität von Wissen erst durch Akte der Standardisierung und Disziplinierung möglich werde. Dies beträfe Maßeinheiten, aber auch Instrumente und wissenschaftliche Praktiken.

Vier nationale Fallstudien in einem zweiten Teil des Bandes verweisen auf die Bedeutung der nationalen Analyseebene in der Internationalisierung von Wissenschaft, aber auch auf die möglichen Begrenztheiten dieser Konzepte. Am Beispiel Japans wird in William Stevensons Beitrag deutlich, dass einfache Kategorisierungen zu kurz griffen. So wurde eines der Projekte, die Japan als Reaktion auf den Aufruf des ersten IPY aufnahm, von dem deutschen Geologen Edmund Naumann geleitet, und wenn die gesammelten Ergebnisse auch im Rahmen des IPY letztlich nicht weitergegeben wurden, so seien sie doch in den Folgejahren im Rahmen Internationaler Kongresse vorgestellt worden.4 Während für Japan die Beteiligung am IGY ein nationales Prestigeobjekt bedeutete, das gleichzeitig die Reintegration in internationale Wissenschaftsnetzwerke angezeigt habe, bedeutete das Ereignis für China, wie Zuoyue Wang und Jiuchen Zhang zeigen, einen Rückzug von dieser Bühne. Nachdem Taiwan, ermutigt vom amerikanischen State Department, seine Teilnahme am IGY verkündet habe, habe China, das zuvor seine Mitwirkung vom Fernbleiben Taiwans abhängig gemacht hatte, seine Projekte lediglich im nationalen Rahmen abgewickelt. Entgegen einer Lesart des IGY als Erfolgsgeschichte der internationalen Kooperation im Kalten Krieg deutet dieses Beispiel also auf dessen Grenzen.

Hinter dem dritten Abschnitt mit dem leicht irreführenden Titel „Networked Personalities and Programs“ verbergen sich vier akteurszentriert-biographisch angelegte Aufsätze zu zentralen Figuren der internationalen Geowissenschaften. Während Cornelia Lüdecke in einem informativen Beitrag die Rolle Georg von Neumayers im ersten IPY schildert, befassen sich die anderen Aufsätze mit den führenden amerikanischen Persönlichkeiten des IGY. Sie belegen die Verstrickungen wissenschaftlicher und politischer Motive in der Planungsphase des IGY anhand von Sydney Chapman, dem Präsidenten des Comité Spéciale d l’Année Géophysique Internationale, das die Aktivitäten während des IGY organisierte, und Lloyd Berkner, dessen Vize. Während ersterer den apolitischen Charakter der internationalen Wissenschaftskooperation hervorhob, charakterisiert Allan Needell letzteren als Mittler zwischen Sicherheitspolitik und Wissenschaft. Dieser habe beispielsweise die wissenschaftliche Kooperation in der Antarktis als Möglichkeit gesehen, den sowjetischen Einfluss dort zu begrenzen und das Satellitenprogramm des IGY befördert, weil er sich daraus Informationen über den sowjetischen Stand der Forschung erhoffte.

Entgegen Dennis’ These der Standardisierung globaler Wissenschaftsunternehmungen, argumentiert Teasel Muir-Harmony anhand des Satellitentrackingprogramms des IGY eher für Aushandlungsprozesse denn strikt durchgesetzte Standardisierungen. Am Beispiel von Observatorien in Indien und Japan zeigt sie, dass sich trotz identischer Instrumente und Anweisungen lokale Praktiken entwickelten, die reichhaltige Ergebnisse produzierten. Weiter vertieft der vierte Teil des Bandes die Verflechtungen von politischen Interessen und wissenschaftlichem Engagement im IGY. Die internationalen Forschungsbemühungen in der Antarktis während des IGY kulminierten der populären Lesart nach im ein Jahr später unterzeichneten Antarktisvertrag, der den Südkontinent zum friedlichen Ort der Wissenschaft machte und alle territorialen Ansprüche in der Schwebe ließ. Adrian Howkins deckt hinter dieser Lesart liegende geopolitische und ökonomische Erwägungen auf. Erst die breite Antarktisforschung des IGY habe gezeigt, dass die Antarktis wirtschaftlich unrentabel sei, woraufhin die USA und Großbritannien sich gegen Souveränitätsansprüche wandten und stattdessen die Abwendung des Kalten Kriegs von der Antarktis bei gleichzeitiger Beschränkung des Zugangs zum Südpol als politische Lösung favorisierten und durchsetzten.

Das Ziel des Bandes, so schreiben die Herausgeber, sei es die prägenden Kräfte zu verstehen, die die modernen ‚Earth Sciences‘ hervorgebracht hätten. Dies beschränkt die ansonsten nicht zu bewältigende Aufgabe, eine Geschichte drei sehr unterschiedlicher internationaler Kooperationsunternehmungen zu schreiben, führt allerdings auch zu einer starken Betonung des IGY 1957-58 und seiner Akteure. Dabei wird der Anschein einer Erfolgsgeschichte einer sich internationalisierenden Wissenschaft im Kalten Krieg durch das Aufzeigen asymmetrischer Konstellationen in den Wissenschaftspraktiken, vor allem aber durch die geopolitischen Erwägungen, die die wissenschaftliche Kooperation begleiteten, gebrochen. Hierfür bietet der Band eine Reihe interessanter Beispiele. In einem für die US-amerikanische Seite des IGY sehr informativen Band wäre es wünschenswert gewesen, zumindest in einem Beitrag die sowjetische Perspektive einzubeziehen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa zuletzt Martin Kohlrausch / Katrin Steffen / Stefan Wiederkehr (Hrsg.), Expert Cultures in Central Eastern Europe. The Internationalization of Knowledge and the Transformation of Nation States since World War I, Warschau 2010.
2 Vgl. z.B. den Aufsatz von Marc Rothenburg im vorliegenden Band.
3 Zur Geschichte der Internationalen Polarjahre vgl. zuletzt: Susan Barr / Cornelia Lüdecke (Hrsg.), The History of the International Polar Years (IPYs), Berlin 2010.
4 Allerdings verlegt der Autor die Vorstellung der Ergebnisse unter anderem in den dritten Internationalen Geographenkongress, der 1885 in Berlin stattgefunden habe. Letzterer fand allerdings 1881 in Venedig statt, erst der siebte war 1899 in Berlin.

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04.11.2011
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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