Jeremy Blacks beide Bände zur Militärgeschichte zum späteren 14. und 15. sowie zum 17. Jahrhundert zeugen vom Ziel, die euro-zentrische Perspektive endlich zu verlassen. Klar, kompakt und mit wenig Umschweifen versammelt er jeweils ein gutes Jahrhundert militärischer Weltgeschichte auf 200 Textseiten (bei War in the World buchstäblich). Unmissverständlich bezeugen seine Titel die Darstellungsabsicht:
War in the World: Bisher waren es auch europäische und (nord)amerikanische Universitätsgelehrte weitgehend gewohnt, die Weltkarte von Europa aus zu denken; die westliche Halbinsel Eurasiens erschien so meist unhinterfragt als „Zentrum“ und „globale“ Entwicklungen fokussierten sich auf die euro-atlantische Perspektive. Entsprechend erschien eine Herrschaft des „Westens“ seit den europäischen Entdeckungen teleologisch vorangelegt. Es ist Blacks Anliegen diese verengte Perspektive zu überwinden.
Beyond the Military Revolution: Die diesbezügliche, von Michael Roberts 1956 zuerst vorgestellte These ist gerade für die englischsprachige Militärgeschichte zur leitenden Erzählung über frühneuzeitliche Modernisierung Europas geworden. Diese ermöglichte es dann, so namentlich Geoffrey Parker, eine technologisch induzierte militärische Überlegenheit des europäischen „Westens“ über den Rest der Welt zur Geltung zu bringen.1
Im Detail sind dabei die eigentlichen Schlüsselfaktoren sowie die wirklich entscheidenden Umbruchphasen umstritten geblieben.2 Black hält dagegen: Erstens verlief der militärische Wandel eher als eine fortlaufende Adaption, denn als „revolutionary change“. Zweitens bestand auch innerhalb der Regionen große militärische Diversität fort. Drittens fanden die Ergebnisse der europäischen „Military revolution” außerhalb des christlichen Europa nur begrenzte Anwendung. Und viertens kann die Dynamik anderer Mächte in der Welt nicht allein als „Military revolution” nach westlicher Art erklärt werden (War, S. 217f.).
Black gliedert seine Bücher handbuchartig nach gleichem Schema: War in the World gibt in vier Kapiteln einen panoptischen Rundblick: Zwei Drittel der Darstellung widmet er dem ereignisgeschichtlichen Abriss von „Conflict, 1450–1500“, „Conflict, 1535–1575“, „Conflict, 1575–1600“, „Conflict, 1600–1683“. Danach folgen mit „Naval Capability and Warfare“, „The Expansion of the West, 1450–1600“ und „Warfare, Social Contexts, and State Development“ drei thematisch ausgerichtete Teile. Die chronologischen Kapitel gliedern sich ihrerseits nach Regionen, was die Rundschau oft sehr kleinteilig gestaltet. Die thematischen Kapitel zur europäischen Überlegenheit zur See, zu Staatsbildung, Rüstung und militärischer Professionalisierung überzeugen: Das mag vor allem daran liegen, dass Black hier letztlich doch wieder einen Europa-zentrierten Ansatz gewählt hat. Zudem stellt sich die Frage nach der Zäsurenbildung im chronologischen Teil. Folgt diese nicht selbst schon Europa-zentrischen Gewohnheiten? Zudem sind Begriffe wie „Staat“, „Krieg“ und „Militär“ letztlich für diesen breiten Übergang zwischen „Mittelalter“ und „Früher Neuzeit“ (auch dies natürlich europäische Begriffe) eigentlich zu hinterfragen.
Auch Beyond the Military Revolution unterteilt sich in chronologische und thematische Kapitel: Nach einem Kurzabriss über den „Sixteenth-Century Background” folgen „Conflict, 1590–1615“, „Conflict, 1615–1650“, „Conflict, 1650–1683“. Auf das dazwischen gesetzte Kapitel „The Expansion of Europe” folgen „Conflict, 1683–1707“, „Naval Capability and Warfare” sowie „Warfare, Social Contexts and State Development“. Auch hier stellt sich die doppelte Frage nach der angemessenen Terminologie, einmal hinsichtlich des zeitlichen, dann hinsichtlich des „europäischen“ Horizonts von Autor und Lesern. Sollte man statt „Staatsbildung“ (state development) nicht weniger „teleologisch-westlich“ von Herrschaftsverdichtung sprechen? Auch hier sind die Kapitel zur europäischen maritimen und Expansionsgeschichte die dichtesten, einsichtsreichen und überzeugenden. Dieser Eindruck ist indessen auch dem tatsächlichen Europa-spezifischen Zusammenhang von Technologie, Wirtschaftsstruktur und Wissen (so Buchdruck und Kartographie) geschuldet. Aber auch im (nördlichen und westlichen) Europa des 17. Jahrhunderts waren diese späteren Überlegenheitsfaktoren keine Selbstläufer. Es ist ein Verdienst Blacks, die Nichtlinearität dieser Prozesse eindrücklich aufzuzeigen. Auch in Beyond wirken die chronologischen Kapitel kleinteilig, bieten aber ein umfassendes Panorama über parallele und oft miteinander verbundene Entwicklungen. Die umfassenden Teilkapitel zu Europa, dem Osmanischen Reich oder den Auseinandersetzungen am Rande Chinas überzeugen auch hier. Andererseits (und wie in War) zieht die faktenorientierte Darstellung den Leser in ein Geflecht von Namen von Akteuren, Orten und Ereignissen. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Hintergründe reißt der Autor an, ohne sie ganz auszuführen. Die thematische Zusammenfassung nach Regionen wäre von Vorteil gewesen.
Black hält sich nicht mit methodischen Erörterungen auf. Er beschreibt Ereignisse. Dabei vermittelt er wichtige Einsichten: So erteilt er der westlich-modernen Vorstellung vom „konventionellen“ oder „regulären“ Krieg als Norm eine klare Absage. Insbesondere in Frontier-Zonen – zwischen „Europa“ und „Asien“, durch das Mittelmeer hindurch, oder zwischen den zentralasiatischen Reichen und China, dem Mogulreich oder Persien – bestanden Zonen verdünnter Herrschaft, in denen die Konflikte nicht allein durch reguläre Kräfte ausgetragen wurden. Gleichzeitig existierten auch innere Grenzzonen in den genannten Reichen. Auch hier war der „Staat“ kaum ausgeprägt, bestand eine Gemengelage zwischen Krieg, Bürgerkrieg, Rebellion und Banditismus (War, S. 186, 197f., 210–212). Anders als nach dem klassischen militärgeschichtlichen Narrativ existierte sowohl im „Westen” als auch im „Osten” ein breites Kontinuum zwischen „kleinem Krieg“ und großen Schlachten (Beyond, S. 99f.). Genau deswegen ist Black zuzustimmen, wenn er in der bisherigen Geschichtsschreibung die Kleinkriegsphänomene vermisst: „As yet, there has been no systematic study of ‚little war‘, although it was one in which distinctions between the regular forces of the state engaged in such fighting and irregulars were often far from clear.“ (War, S. 2). Der technisch induzierte Narrativ der „Military Revolution“ legte es nahe, nicht-westliche Kulturen einer gedanklichen „primitivisation” zu unterziehen – auch das ein überzeugender Kritikpunkt Blacks an der eurozentrischen Perspektive (War, S. 193, 217; Beyond, S. 44). Hinter ihr steckt eine Annahme von westlicher Modernität, die so auch nicht im vermeintlichen Zentrum europäischer Zivilisation bestand: Denn „sub-state violence“ existierte auch im Frankreich Ludwigs XIV.
Blacks Blick fürs Kleine betont die Diversität. Das hat Vorteile, wenn es darum geht unterschiedliche strategische Kulturen aufzuzeigen. Nun wäre auch deren Untersuchung im globalen Vergleich ein lohnendes Thema. Allerdings bedürfte es dazu der methodischen Herleitung von Begriffen; der Erörterung von Vergleichsebenen – und solcher, die sich verbieten. All das leistet Blacks „matter of fact“-orientierte Vorgehensweise nicht. Zudem verführt die Vermittlung paralleler historischer Fakten den Autor zu zahlreichen Querverweisen, Exkursen und Wiederholungen. Vieles ist zu allgemein, um falsch zu sein: Verrat wurde kulturübergreifend als Kriegslist geübt; kaum überraschend. Logistik war bedeutsam, wie überall: „Resources were a key factor in South Asia, as elsewhere.“ (Beyond, S. 152) Rebellionen fanden statt, genauso wie ihre Unterdrückung: „The Ottomans were more sucessful against their rebels than the Spaniards proved to be in suppressing the Dutch Revolt, but the context was very different“ (Beyond, S. 38); aber welcher Kontext war so unterschiedlich?
Mancherorts sind Blacks Einschübe gut gelungen: so bei der Diskussion von „[imperial] overreach and military ambitions“ (Beyond, S. 39–43); oder beim Vergleich des japanischen Kriegsherren Hideyoshi mit seinem böhmischen Kollegen Wallenstein (S. 64). Auch andere Parallelisierungen machen Sinn: so zwischen dem Habsburgerkaiser Karl V. und seinem osmanischen Antagonisten Suleyman I. Allerdings unterstreicht Blacks Verzicht auf ein Leitnarrativ, dass Parallelen hier als unterschiedliche Linien anzusprechen sind; als solche, die in dieselbe Richtung weisen, sich aber nicht berühren. Schließlich sind Analogien auch deswegen eine riskante Angelegenheit, weil sie oft nur herangezogen werden, um die jeweilige These des Autoren zu stützen (Beyond, S. 70).
Dem fortschrittsoptimistischen Ansatz der Whig history, welche die westliche Dominanz des späten 19. Jahrhunderts bereits in der „Military Revolution“ prädeterminiert war, erteilt Black eine klare Absage (Beyond, S. 108f., 122, 124). Dazu gehört auch die Idee vom „Westfälischen System“ als Grundlage des internationalen Staatensystems (Beyond, S. 70). Dass Black die bisherige Staatszentriertheit der Geschichtsschreibung hinterfragt, ermöglicht es, der Vielfalt der internen Akteure Rechnung zu tragen. (Beyond, S. 170–172). So treten Verflechtungen zu Tage: etwa das chinesische Mandschu-Reich als synthetisches Reich zweier Kulturen (Beyond, S. 54); oder gegenseitige Durchdringung als Folge eben nur begrenzten europäischen Expansion. Gegenüber den technologischen verdienen die kulturellen Dimensionen von Militär und Konflikt Beachtung (Beyond, S. 199). In der Tat: die Militärgeschichte sollte sich zu einer Kulturgeschichte der Gewalt erweitern – wenn nicht schon geschehen!
Black ist es gelungen, die relative Tragfähigkeit ökonomisch-technologischer Großtheorien darzulegen. Doch geht die Absage an das Narrativ der „Military Revolution“ zu Lasten des Überblicks. Eine globale – und also allgemeine – Beschreibung kann aber ohne Allgemeinaussagen kaum auskommen, wenn ihr Anliegen mehr sein soll als die Sammlung lose verbundener Fakten. Solche aber präsentiert die Tour de force Blacks in großer Zahl. Somit liegen Verdienst und Begrenztheit beider Bücher eng beieinander. Sie verweisen auf die grundlegende methodische Schwierigkeit, ein allgemeines Bild unter Verweis auf jeweils Spezifisches zu zeichnen. Narration ist der Preis für Übersicht. Ironischerweise folgen die überzeugendsten Kapitel daher durchaus einer „europäischen“ Darstellungsperspektive. Der Fokus auf die Totale präsentiert letztlich Wimmelbilder; einerseits. Andererseits bietet Blacks Panorama über die militärische Weltgeschichte vom späten 15. bis Anfang des 18. Jahrhunderts eine umfassende Übersicht über komplexe Ereignisse mit vielen wichtigen Einblicken.
Anmerkungen:
1 Geoffrey Parker, The Military Revolution: Military Innovation and the Rise of the West, 1500–1800, zuerst Cambridge 1988.
2 Clifford J. Rogers (Hrsg.), The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, Oxford 1995.