Knapp einhundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs mehren sich derzeit Publikationen, die sich verschiedensten Facetten der Weltkriegs- und Zwischenkriegszeit widmen. In diesen Kontext ist auch „The Great War and Veterans’ Internationalism“, herausgegeben von Julia Eichenberg und John Paul Newman, einzuordnen, wenngleich die versammelten Beiträge eine genuin neue Perspektive auf die Zwischenkriegszeit entwickeln. Der Erste Weltkrieg schuf zweifelsohne in ganz Europa und darüber hinaus eine neue soziale Gruppe, die sich neben gemeinsamen Lagemerkmalen und materiellen Problemen ebenso durch die Gemeinsamkeit konstruierter Kriegserinnerungen und Identitäten auszeichnete: die der Veteranen. Wie die Autoren richtig anmerken, erfreut sich die Geschichte der ehemaligen Kriegsteilnehmer und ihrer Bedeutung für die Zeit nach 1918 auf nationaler Ebene in der Historiographie neuerdings eines regen Interesses.1 Der vorliegende Sammelband will dieses erneute Forschungsinteresse um eine alternative Sicht auf die Zwischenkriegszeit bereichern, indem er diese nicht als Intermezzo zwischen zwei Weltkriegen oder Zeitalter andauernder nationaler Antagonismen, sondern als Phase verstärkter internationaler Kooperation interpretiert. Anhand des ‚International veterans’ movement‘ wollen die Autoren zeigen, dass nicht alle Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg destruktiv waren und zwangläufig in einen neuen Konflikt mündeten. Vielmehr will der Band die positiven und konstruktiven Entwicklungen hin zu Kooperation und Aussöhnung, forciert durch transnational agierende Veteranenverbände, erhellen.
„One of the most important legacies of the war was the creation of a mass, transnational cohort of men bound by the fact that they had all served as soldiers during the war.” (Julia Eichenberg / John Paul Newman, S. 2) Die Autoren bemängeln im Zuge dieses Befundes zu Recht, dass Veteranen beziehungsweise ihre internationale Kooperation bis dato mehrheitlich für das rechte Milieu untersucht worden ist und das Bild einer homogenen Bewegung vorherrsche. Demgegenüber stellt der Band exemplarisch die beiden größten internationalen Veteranenorganisationen der Zwischenkriegszeit, die Fédération Interalliée des Anciens Combattants (FIDAC) und die Conférence Internationale des Associations de Mutilés et Anciens Combattants (CIAMAC). Beide Organisationen wurden von der International Labour Organisation und dem Völkerbund unterstützt und verschrieben sich programmatisch der Wahrung materieller Interessen ihrer Mitglieder und in moralischer Hinsicht dem Engagement gegen einen neuen Krieg. Der Ansatz des Internationalismus unter Veteranenverbänden lässt hierbei einige bekannte Themen und Aspekte der Forschung, die gleichzeitig als Leitthemen fungieren, in einem neuen Licht erscheinen. Beispielsweise die These der Brutalisierung der Soldaten und ihrer vermeintlichen Gewaltbereitschaft nach 1918, die generationellen und sozialen Einflüsse der Veteranen auf Gesellschaften, die Kultur des Sieges und der Niederlage sowie nicht zuletzt die allgegenwärtige Versorgungsproblematik (Wohlfahrt, Pensionen, Invalidität). Die Leitfragen des Bandes können in diesem Zusammenhang folgendermaßen formuliert werden: In welchem Maße und mit welchen Motiven engagierten sich die nationalen Veteranenverbände der ausgesuchten Länder in den beiden internationalen Organisationen FIDAC und CIAMAC? Wie gestalteten sich die Verflechtungen zwischen nationalen und internationalen Veteranenverbänden und welche Befunde können aus diesen Beziehungen für eine transnationale Verflechtungsgeschichte abgeleitet werden?
Vor dem Hintergrund dieser Forschungsagenda versammelt der Band Autoren, die auf Grund ihrer bisherigen Publikationen durchaus zu den einschlägigen Experten auf dem Gebiet der Veteranenforschung zählen und ihre Fallstudien vier Teilen zuordnen: ‚Cultures of Victory‘, ‚Aspirational Allies‘, ‚The Revisionist Challenge‘ und ‚The International Dimension‘. Die insgesamt zehn Beiträge beschäftigen sich zwar mit unterschiedlichsten Fragestellungen und Ländern, beleuchten jedoch alle die Interaktionen zwischen Veteranen, ihren nationalen Verbänden und internationalen Organisationen und zeigen so, mit letztlich durchaus divergierenden Befunden, die viralen Verflechtungen einer internationalen Veteranenbewegung auf. Einen biographischen Ansatz präsentiert Alain Prost, der anhand des Generalsekretärs des französischen Veteranenverbandes Union Française, René Cassin, die Bedeutung einer Schlüsselfigur untersucht, die zwischen nationaler und internationaler Verbandsebene vermittelte und als Initiator der CIAMAC die Diskussion um die Rechte von Kriegsopfern auf die transnationale Ebene hob.
Niall Barr hingegen untersucht am Beispiel der ‚British Legion‘ die Wirkungsmacht kriegsimmanenter Narrative nach 1918. Der britische Fall illustriert einerseits den Versuch, über die „Schützengrabengemeinschaft“ eine enge Bindung zwischen den Veteranen der FIDAC zu konstruieren, um einen weiteren Kriegs zu verhindern. Andererseits zeugt er ebenso vom Scheitern dieses Konzeptes im Rahmen der Münchener Konferenz. Stephen R. Ortiz wiederum stellt für den US-amerikanischen Fall das in internationalen Veteranenkreisen heftig umstrittene Konzept des „muscular or ‚militant‘ pacifism“ vor, sprich der Praxis, die militärische Bereitschaft der Abrüstung vorzuziehen, um auf diese Weise den Frieden zu sichern. Ebenso interessant gestalten sich jene Untersuchungen zu den Ländern, die ihre nationale Souveränität erst mit dem Untergang der großen Monarchien Mittel- und Osteuropas erlangten. Sei es durch Adaption von Formen, Symbolen und Bräuchen anderer Nationen oder der Mitgliedschaft in internationalen Verbänden: Eine Erinnerungskultur als Folge des Ersten Weltkrieges existierte auch in diesen noch jungen Nationen (hier Polen, Jugoslawien und die Tschechoslowakei) und diente ihnen zur Selbstinszenierung als Alliierter, obwohl ihre Soldaten für alle Konfliktparteien ins Feld gezogen waren. Die Zwischenkriegszeit war für diese Länder und ihre Veteranen geprägt von der Suche nach einer nationalen Identität. Darüber hinaus dienten Organisationen wie die FIDAC und die CIAMAC jenen Nationen als Bühne, auf welcher sie durch eine betont internationale Rhetorik nationale Antagonismen überwinden und ein kooperatives Nebeneinander, wie im Falle deutscher und tschechischer Kriegsinvalidenverbände, institutionalisieren konnten (Beiträge von Julia Eichenberg, John Paul Newman und Natali Stegmann).
Ferner untersucht der Band die Integration der Kriegsverlierer in die internationale Veteranenbewegung. William Mulligan untersucht beispielhaft für das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold das Wechselspiel von verfassungsstützender Politik auf der innenpolitischen und Versöhnung und Internationalismus auf der außenpolitischen Ebene. Er stellt in diesem Kontext fest, dass sich auch die Kriegsverlierer der internationalen Veteranenbewegung nicht verschlossen und sogar so etwas wie eine „culture of peace“ entwickelten. Martina Salvantes Beitrag wiederum beleuchte das Verhältnis von FIDAC, Veteranen und aufkommendem Faschismus in Italien. Hierbei muss von einem zwiespältigen Verhältnis der italienischen Veteranen gegenüber FIDAC und CIAMAC gesprochen werden, dass von einem ständigen Lavieren zwischen innen- und außenpolitischer Dimension, zwischen der politischen Berechnung Mussolinis und der internationalen Veteranengemeinschaft, geprägt war. Der Sammelband wirft abschließend einen allgemeineren Blick auf den veteraneninitiierten Internationalismus von FIDAC und CIAMAC in der Zwischenkriegszeit. Thomas Richard Davies etwa verortet die beiden internationalen Veteranenorganisationen als Teil einer sich zusehends in den 1920er-Jahren etablierenden „transnational civil society“. Die Internationale Abrüstungsbestrebungen und Kampagnen des Völkerbundes gegen einen weiteren Krieg mobilisierten nicht nur die Zivilgesellschaften in Europa und Nordamerika, sondern stimulierten auch das Engagement der europäischen Veteranen, vertreten die CIAMAC und FIDAC. Und John Horne konstatiert, dass im gemeinsamen Gedenken der Veteranen (z.B. in Verdun) und durch die Etablierung transnationaler Organisationen die Grenzen zwischen Sieg/Sieger und Niederlage/Besiegtem zusehends verwischten. Die bittere Fußnote des Beitrages wie auch des gesamten Bandes ist jedoch die Tatsache, dass auch der Internationalismus der Veteranen, wenngleich es bemerkenswert ist, dass eine solche Kooperation aller Kriegsparteien nach der ‚Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‘ überhaupt möglich war, letztlich vor dem wiederaufkeimenden Militarismus und Radikalismus kapitulieren musste.
Kritisch anzumerken bleibt, dass die Autoren an mancher Stelle etwas zu bemüht sind zu betonen, dass sich nicht alle heimkehrenden Soldaten des Ersten Weltkrieges radikalen Bewegungen anschlossen. Ohne Zweifel ist dem Befund zuzustimmen, dass die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges viele Veteranen dazu bewegten, sich pazifistischen beziehungsweise Friedensbewegungen anzuschließen; im Umkehrschluss hat die Forschung jedoch auch bereits gezeigt, dass die Demobilisierung und Reintegration der ehemaligen Soldaten in den gesellschaftlichen Alltag nach 1918 durchaus erfolgreich verlief.2 Zudem wird das Motiv des Pazifismus zuweilen etwas überstrapaziert und es ist fraglich, ob den untersuchten Verbänden, die wie das deutsche Reichsbanner häufig auch paramilitärisch organisiert waren, in jedweder Hinsicht eine „culture of peace“ zu attestieren ist. Bei der bereits angesprochenen Vielfalt der vorgestellten Themen, wäre ferner ein abschließendes Kapitel wünschenswert gewesen, das die vorherigen Ergebnisse bilanziert, die in der Einleitung formulierten argumentativen Hauptstränge nochmals aufgreift und einen allgemeinen Ausblick auf weitere Forschungsfelder formuliert.
Diese kleineren Kritikpunkte sollen jedoch nicht den positiven Gesamteindruck des Sammelbandes und die Qualität seiner einzelnen Beiträge schmälern. Der vorliegende Band ist in seiner Konzeption und Umsetzung neu und besonders lesenswert, da es ihm zum Einen gelingt, die Hauptprobleme und -interessen von Veteranen in ihren jeweiligen post-bellizistischen Gesellschaften nach dem Ende des Ersten Weltkriegs klar zu charakterisieren und zum Anderen jene nationalen Grenzen gleichzeitig zu transzendieren. Die genuine Leistung von "The Great War and Veterans’ Internationalism" ist vor allem, dass die für die Weltkriegsforschung häufig formulierte Forderung der Überwindung starrer Analysekategorien wie Sieg und Niederlage oder geographisch verwandten Regionen umgesetzt wird und dass die Forschungsergebnisse konsequent an eine transnationale Ebene zurückgebunden werden.
Anmerkungen:
1 Wie zuletzt bei Benjamin Ziemann, Contested Commemorations. Republican War Veterans and Weimar Political Culture, Cambridge 2013.
2 So etwa Richard Bessel, Germany after the First World War, Oxford 1995.