Es ist eine schon fast überstrapazierte Feststellung, dass die deutsch-japanischen Beziehungen stets freundschaftlich gewesen seien und bis 1945 einen besonders intensiven Charakter gehabt hätten. In ihrer ausführlichen Einleitung meinen die Herausgeber auf Basis einer für den Rezensenten unklaren Datenerhebung feststellen zu können, nur eine Minderheit der auf diese Beziehungen konzentrierten Spezialisten lehne den (scheinbaren) Konsens eines maßgeblichen Zusammenwirkens beider Nationen ab. Deren Argumentation stütze sich hauptsächlich auf diplomatische Bruchstellen, wie der Drei-Mächte-Intervention 1896, dem Kriegseintritt Japans auf Seiten der Gegner der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg und der folgenden gewaltsamen Übernahme des deutschen Pachtgebiets um Qingdao 1914 sowie schließlich im Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt 1939, der die antikommunistische Kooperation beider Staaten ad absurdum geführt habe (S. 1). Es ist wohltuend, dass die Auswahl der Beiträge diesen wohl nur schwer quantifizierbaren Wettstreit disparater Interpretationen innerhalb der Forschungen zu den deutsch-japanischen Beziehungen zulässt.
Der erste der drei chronologisch angeordneten Abschnitte der Publikation befasst sich mit der widersprüchlichen Partnerschaft Deutschlands und Japans in der Zeit der Modernisierung. Gleich eingangs wendet sich Toru Takenaka dem zu, was er interessant als Mythos eines für die japanische Seite in der Meiji-Zeit (1868–1912) „vertrauten Deutschlands“ identifiziert (S. 20, 30), dessen Wirkungsmacht, zumindest in der außerakademischen Welt, bis in die Gegenwart anhalte. In der Bewertung aber unbeachtet blieben dabei negative Aspekte: (1) Die diplomatischen Reibungen im zwischenstaatlichen Kontakt mit ihrem auch individuellen Frustrationspotential für japanische Meinungsführer. (2) Die beschränkte soziale Reichweite des deutschen Einflusses in die japanische Öffentlichkeit hinein aufgrund einer begrenzten Zahl anwesender Deutscher in Meiji-Japan. (3) Die Tatsache, dass als Mittel des Transfers deutscher Einflüsse vornehmlich die englische Sprache gebraucht und dadurch partiell das anglophone Interesse an Deutschland, etwa im Bereich der Musik oder Philosophie, gespiegelt wurde.
Gegenstand des quellengesättigten Beitrages von Sven Saaler ist Karl von Eisendecher, Mitglied der preußischen Ostasienexpedition (1859–1861) und zwischen 1875 und 1882 deutscher Chefdiplomat in Japan. Saaler untersucht das Wirken eines Diplomaten, der bereit war, sich anders als andere Vertreter dieser üblicherweise hochformalisierten Zunft auf eine interkulturelle Begegnung einzulassen. Im Kontext der Japan bindenden „Ungleichen Verträge“ erscheint Eisendecher als letztlich erfolgloser Unterstützer des japanischen Anliegens einer zügigen Vertragsrevision, nachdem dieser selbst 1879 dienstbedingt entsprechende Vertragsbestimmungen durchzusetzen hatte.
Der Begegnung des Philosophen Hermann Graf Keyserling mit Japan 1911, wie sie sich in seinem 1919 veröffentlichten „Reisetagebuch eines Philosophen“ artikuliert, geht Joanne Miyang Cho nach. In gleicher Weise, in der er die Industrialisierung Europas kritisierte, lehnte der konservative Philosoph jene Japans ab. Im interkulturellen Transfer aus China und Indien als den Ländern, denen er sich in seiner Publikation außerdem zuwendet, habe sich Japan für Keyserling als Land der Imitation, wenn auch einer begnadeten, allerdings ohne Innovationfähigkeit erwiesen. Cho folgt hier Keyserling nicht, indem sie erfrischend darauf hinweist, dass eine gute Imitation letztlich Innovation erforderlich mache (S. 66).
Lee M. Roberts Anspruch ist es, der deutschen Sicht auf die Modernisierung der japanischen Literatur und Sprache als einer der theoretischen Grundannahmen im Nationenbildungsprozess (nach Hobsbawm, S. 71) zwischen 1900 und 1945 nachzugehen. Mit dem Sieg im Russisch-Japanischen Krieg rückte diese, zeitgenössisch als erfolgreiche Distanzierung von der veralteten chinesischen Kultur verstandene Modernisierung in ihrer Verbindung mit einem europaähnlichen Nationalismus in den Mittelpunkt deutschsprachiger Publikationen zu Japan, die von Übersetzungen japanischer Autoren flankiert wurden. Diese ließen Japan als „uniquely Occidentalized nation of the Orient that equaled Western powers“ (S. 72) erscheinen. Bedauerlich ist, dass Roberts seine Untersuchung nicht, wie der Titel seines Beitrages verspricht, bis 1945 fortführt. Die letzte von ihm ausgewertete Publikation unter Aussparung dezidiert nationalsozialistischer Veröffentlichungen stammt aus dem Jahr 1936.
Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Publikation stehen Deutschland und Japan als transnationale Partner zwischen den Weltkriegen. Sarah Wagner geht in ihrer sportgeschichtlichen Untersuchung den Fragen nach, wie japanische Kampfsportarten, besonders das Jiu Jitsu, in Deutschland zwischen 1905 und 1933 empfangen, vereinnahmt und verändert wurden (S. 91). Nicht die Fremdheit des Sports, sondern vielmehr dessen mutmaßliche Ähnlichkeit mit deutschen Sporttraditionen, hier etwa dem Freiringen, hätten nach dem Russisch-Japanischen Krieg deren Adaption gefördert.
Der Aufsatz von Hans K. Rode, der nach dessen Ableben von Christian W. Spang vollendet wurde, behandelt eine biographische Studie des Ehepaares Anna und Siegfried Berliner als Brückenbauer zwischen den Kulturen: im Zeitraum von 1913 bis 1925 in Japan als akademische Lehrer sowie bei der Errichtung des Kriegsgefangenenlagers Bando, danach in Deutschland als Funktionsträger in der von ihnen gebildeten Repräsentanz der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG) in Leipzig bis zur Emigration des jüdischen Ehepaares in die USA. Christian W. Spang beschreibt anschließend souverän die Mechanismen einer „vorauseilende(n) Selbstgleichschaltung“ (S. 135) der OAG und ihrer asiatischen Dependancen in Shanghai, Batavia und Manchukuo in der Nazi-Zeit. Einher ging mit deren freiwilliger Eingliederung in das System nationalsozialistischer Auslandsorganisationen die Wahrnehmung der OAG als schlichtem Außenposten der Nazi-Propaganda durch japanische Institutionen.
Thomas Pekar stellt das japanische Mutterland als „Exilland“ jüdischer Flüchtlinge vor und beschreibt eine Zweiteilung der japanischen Flüchtlingspolitik mit dem Jahr 1941 bzw. dem Angriff auf Pearl Harbor als deren Wendepunkt. Er bewertet diese Politik als zutiefst ambivalent und grundsätzlich pragmatisch (S. 155). Dieser Pragmatismus erlaubte von 1938 bis 1941 die Aufnahme einer großen Zahl jüdischer Flüchtlinge, während das Jahr 1941 mit wachsendem nationalsozialistischem Druck und der Etablierung des SS-Standartenführers Josef Meisinger als Polizeiattaché an der deutschen Botschaft das Ende der Sicherheit für jüdische Flüchtlinge markierte.
Der dritte Teil der Publikation hat die Affinität der Paria-Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema. In einem Vergleich der Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokyo kommt David M. Crowe zu dem Schluss, dass, wenn auch der Prozess in Nürnberg als „most important international criminal trial in history“ (S. 166) zu gelten habe, sein japanisches Pendant besonders durch das Versäumnis, den japanischen Kaiser anzuklagen, die Vorlage dafür geliefert habe, starke Kritik bis hin zum Vorwurf der „Siegerjustiz“ auf sich zu ziehen.
Franziska Seraphim behandelt ebenfalls vergleichend den jeweiligen Umgang mit deutschen und japanischen Kriegsverbrechern zwischen 1945 und 1958 unter Berücksichtigung einer strafrechtlichen Konzeption und unterschiedlichen Interessen der Alliierten sowie Deutschlands und Japans. Sie stellt fest, dass die alliierten Maßnahmen hinsichtlich Begnadigung, Bewährung und Entlassung, weitgehend unter US-amerikanischer Führung, für Japan und Deutschland bis zu ihrer Beendigung 1958 koordiniert wurden (S. 187). Unterschiede diagnostiziert sie nach dem Ende der Besatzung für die Leitung der Gefängnisse von Landsberg, die von deutscher Seite abgelehnt wurde, während die japanische Seite das Gefängnis Sugamo führte, sowie in der in Deutschland ausgeprägteren Bereitschaft, proaktiv an der juristischen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit mitzuwirken.
Rolf-Harald Wippich behandelt die Wiederaufnahme der westdeutsch-japanischen Beziehungen nach dem Weltkrieg. Die Konzentration der Bundesrepublik auf den letztlich erfolgreichen westeuropäischen Ausgleich, zu diesem Zeitpunkt noch geringe Wirtschaftsinteressen gegenüber Japan, der Kalte Krieg und die japanische Isolation im ostasiatischen Raum bei gleichzeitiger Bindung an die USA boten in den 1950er Jahren nur wenig Anlass für eine schnelle Konzeption einer deutschen Japanpolitik, wenngleich die Beziehungen konfliktfrei waren.
Volker Stanzel, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik in China und Japan, untersucht das bisher noch nicht stark entwickelte Forschungsfeld der japanischen Beziehungen zur DDR1, deren Charakter systembedingt stark durch den Kalten Krieg und die Hallstein-Doktrin geprägt war. In den 1950er- und 1960er- Jahren habe die DDR-Propaganda ein außerordentlich schlechtes Bild von Japan als einem Land wiedererstarkenden Militarismus‘ gezeichnet. Bis 1973 beschränkten sich die politischen Kontakte der DDR zu Japan auf die Kommunistische und Sozialistische Partei. Ungeachtet der Aufnahme diplomatischer Beziehungen danach, seien die politischen Gespräche nicht ertragreich gewesen. Der tatsächliche Motor der Beziehungen waren die Wirtschaftsinteressen, die sich aber auch nicht wunschgemäß entwickelten. Allenfalls auf dem Gebiet der klassischen Kultur konnte die DDR punkten, was aber, so Stanzel, zu dem Eindruck einer homogenen deutschen Kultur im Zusammenspiel mit der Bundesrepublik führte und somit den wirklichen politischen Selbständigkeitsinteressen der DDR zuwiderlaufen musste.
Abschließend betrachten Birgit Maier-Katkin und Lee M. Roberts die deutsch-japanische Literatur Yoko Tawadas. Vorstellungen des Andersseins, der Fremdheit und der Transnationalität beherrschten die Texte der Kleist-Preisträgerin 2016, die sowohl in deutscher wie japanischer Sprache schreibe.
Zu rezensieren war eine Aufsatzsammlung, die aufgrund ihres hohen Preises weniger Verbreitung finden dürfte, als sie verdiente. Ob nun jeder Beitrag in Gänze dem Rahmen der „transnational encounters“ gerecht wird, mag dahingestellt bleiben. Unzweifelhaft werden jedoch Forschungen vorgestellt, die das Blickfeld der deutsch-japanischen Beziehungen erweitern. Ein besonderes Verdienst dieses Bandes liegt in der Analyse der deutsch-japanischen Beziehungen über das Jahr 1945 hinaus, das, wenn auch nicht ausschließlich, in vergleichbar hervorragenden Publikationen2 oft den Untersuchungszeitraum konzeptionell abschließt.
Anmerkungen:
1 Beachtenswert: Christian Heideck, Zwischen Ost-West-Handel und Opposition. Die Japanpolitik der DDR 1952–1973. München 2014.
2 Exemplarisch: Christian W. Spang / Rolf-Harald Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations, 1895–1945. War, Diplomacy, and Public Opinion, London 2006.