Cover
Titel
Kennedy in Berlin. Politik, Kultur und Emotionen im Kalten Krieg


Autor(en)
Daum, Andreas W.
Erschienen
Paderborn 2003: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Manfred Berg, Historisches Seminar der Universität Heidelberg

Allen, die am 26. Juni 1963 den Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in West-Berlin miterlebten, ist dieses Ereignis unvergesslich geblieben. Der Schwiegervater des Rezensenten erzählt bis heute voller Enthusiasmus davon, wie er als junger Student die Fahrzeugkolonne mit dem Präsidenten, dem deutschen Bundeskanzler und dem Berliner Regierenden Bürgermeister den ganzen Tag lang durch die Stadt begleitete. Er fügt allerdings stets hinzu, damals habe er zum ersten Mal in seinem Leben intuitiv die Massenpsychologie des Nationalsozialismus begriffen. In der Tat evozierte der Deutschlandbesuch Kennedys bei vielen zeitgenössischen Beobachtern unbehagliche Erinnerungen an die Massenmobilisierung während der nicht einmal zwei Jahrzehnte zurückliegenden Führerdiktatur. Journalisten sprachen von „Ekstase“, „Hysterie“ und „Massenrausch“ (S. 17), und Kennedy selbst erschrak vor der Vorstellung, wie leicht er die Menschenmenge, die seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus mit frenetischem Jubel folgte, dazu hätte veranlassen können, einfach die Mauer zu stürmen und einzureißen (S. 21).

Auch in Andreas Daums Studie bildet die Diskreditierung politischer Masseninszenierungen durch den Nationalsozialismus einen unvermeidlichen historischen Bezug, aber der Autor, der seit 2003 an der State University of New York in Buffalo Neuere Geschichte lehrt, verweigert sich konsequent einer Verengung der Perspektive auf diesen Interpretationsrahmen. Zum einen betont er, dass symbolische und emotionale Massenpartizipation seit der Französischen Revolution zur politischen Kultur der europäischen Nationalstaaten gehörte und zwar gleichermaßen in Diktaturen wie in Demokratien. Zum anderen arbeitet er überzeugend heraus, dass sich die Massenmobilisierung anlässlich des Kennedy-Besuchs qualitativ erheblich von den martialisch-konformistischen Aufmärschen der Nazis wie auch der DDR unterschied. Nicht nur vermieden die „Regisseure“ des Besuchs ganz bewusst alles, was an die Inszenierungen des Nationalsozialismus oder der Systemkonkurrenz im Ostteil der Stadt hätte erinnern können und unterließen beispielsweise exzessive Beflaggung. Noch wichtiger war aber, dass sich immer wieder der „Eigensinn“ der jubelnden Masse spontan Raum verschaffte und somit das Bild einer staatlich orchestrierten Mobilisierung gar nicht erst entstehen konnte. Diese teilweise anarchische Dimension mache, so Andreas Daum, den Kennedy-Besuch „zum größten politischen Happening der deutschen Nachkriegsgeschichte vor dem Mauerfall“ (S. 146). Darin spiegele sich eher ein Stück Verwestlichung und Amerikanisierung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft als ein Rückfall in die Praktiken des Nationalsozialismus oder gar eine Imitation der DDR (S. 192).

„Kennedy in Berlin“ versteht sich als Studie über die Inszenierung von Politik, die eine um die Kategorie der Performanz bereicherte kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Erweiterung der traditionellen politischen Ereignisgeschichte anstrebt. Die „Theatralität“ der Politik, so die Prämisse des Autors, sei „keine nachträgliche Erfindung des Historikers“, sondern eine universale Dimension politischen und sozialen Handelns (S. 11), und er strukturiert sein Buch denn auch konsequent entlang der Aufführung eines Theaterstückes. Allerdings bestimmten keinesfalls allein die politischen Interessen der „Drehbuchautoren“ auf deutscher wie amerikanischer Seite das Stück, obwohl das Buch ihnen durchaus die gebührende Aufmerksamkeit widmet. Mit Kennedys Deutschland- und Berlinbesuch vom 23. bis zum 26. Juni 1963, so die Kernthese, stand nichts weniger auf dem historischen Spielplan als die „transnationale Vergemeinschaftung“ der Westdeutschen und der West-Berliner mit dem „Westen“, die sich auf das Charisma des jungen, dynamischen und attraktiven US-Präsidenten stützte (S. 20f.). Dieser Besuch, der allein in West-Berlin weit über eine Million begeisterter Menschen auf die Straßen brachte, war eines der „aufsehenerregendsten Ereignisse der Nachkriegsgeschichte“ und „markiert einen Höhepunkt der deutsch-amerikanischen Beziehungen“ (S. 7). Gestützt auf die analytischen Kategorien der politischen Soziologie Max Webers sowie auf das methodische Instrumentarium der neuen Kulturgeschichte macht sich Daum daran, „das Ereignis und seine historische Bedeutung erstmals auf einer breiten Quellenbasis zu untersuchen und die Faszination des Geschehens neu zu entdecken“ (S. 7).

Dies ist ein ambitioniertes und durchaus riskantes Erkenntnisprogramm, denn die Konzentration auf ein zentrales Ereignis birgt stets die Gefahr, dass die Darstellung im Deskriptiven verbleibt und die in der Einleitung formulierten theoretischen Postulate uneingelöst bleiben. „Kennedy in Berlin“ entgeht dieser Gefahr auf beeindruckende Weise. Andreas Daum bietet über weite Strecken seines Buches eine zugleich fesselnde und souverän interpretierende „dichte Beschreibung“, die den Details seiner Geschichte eine oft überraschende Bedeutung abgewinnt, ohne sich in ihnen zu verlieren. Selbst Kennedys berühmtem Ausspruch „Ich bin ein Berliner“ und dem „zählebigen Kalauer“, der Präsident habe sich unfreiwillig als Pfannkuchen bezeichnet, fügt er einige neue und interessante Aspekte hinzu (S. 130-138). Der kulturgeschichtliche Blick auf die Inszenierung und Visualisierung von Politik legt das kulturelle und emotionale Fundament der deutsch-amerikanischen Beziehungen in dieser Phase des Kalten Krieges frei, ohne indes die konkreten Inhalte und Interessenbezüge zu vernachlässigen. Dies gilt sowohl für die unmittelbar beteiligten Akteure wie Kennedy, Konrad Adenauer und Willy Brandt als auch für die Netzwerke der Eliten, die aktiv an der massenwirksamen Konstruktion der „westlichen Wertegemeinschaft“ arbeiteten.

Zweifellos kann man über einige Wertungen und Interpretationen diskutieren. Dass sich Kennedys Besuch „im Rückblick wie eine Mikrogeschichte der transatlantischen Beziehungen und des Kalten Krieges“ (S. 189) lese, erscheint mir nicht wirklich überzeugend. Im Grunde beruht die Faszination des Ereignisses ja darauf, dass es einen einzigartigen und unwiederholbaren Höhepunkt deutsch-amerikanischer Vergemeinschaftung darstellte, der, wie Andreas Daum in seiner Nachgeschichte deutlich macht, nach Kennedys Ermordung alsbald der Veralltäglichung und Ernüchterung Platz machte. Durch den Kennedy-Besuch wurde Berlin endgültig zum transatlantischen Erinnerungsort, aber alle späteren Versuche einer rituellen Neuinszenierung, einschließlich der zwanghaften Suche nach stets neuen Berlin-Floskeln, wirkten immer etwas peinlich. Gerade transnationale politische Gemeinschaften, so warnt Andreas Daum abschließend, dürften nicht mit dauernder Harmonie verwechselt werden. Andererseits blieben erfolgreiche symbolische Politik und grenzüberschreitende Netzwerke auch weiterhin unverzichtbare Elemente zwischenstaatlicher Beziehungen (S. 196f.). Angesichts der deutsch-amerikanischen Entfremdung seit dem Ende des Kalten Krieges stellt sich die Frage, woher beide Staaten und Gesellschaften zukünftig den Stoff und das Personal für neue Inszenierungen ihrer politischen Gemeinschaft beziehen werden.

„Kennedy in Berlin“ ist ein wegweisender Beitrag zur Kulturgeschichte der internationalen Politik. Die Studie beruht auf zahlreichen Archivalien, audiovisuellen Quellen und Interviews und reflektiert sowohl in ihren theoretischen und methodischen Überlegungen wie bei der empirischen Analyse der deutsch-amerikanischen Beziehungen im Kalten Krieg den neuesten Forschungs- und Diskussionsstand. Das Buch ist großzügig illustriert und zudem ein echtes Lesevergnügen. Andreas Daum schreibt elegant und präzise, und in den narrativen Kapiteln versteht er es, seinen Lesern die einzigartige Atmosphäre des 26. Juni 1963 durch kurze, im Präsens gehaltene Sätze nahe zu bringen. Nicht nur Historiker und Kulturwissenschaftler, sondern auch alle zeitgeschichtlich Interessierten und besonders die Zeitzeugen werden „Kennedy in Berlin“ mit großem Gewinn lesen. Selbstverständlich habe ich das Buch meinem Schwiegervater geschenkt.

Redaktion
Veröffentlicht am
16.07.2005
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension