Wie ist Weltgeschichtsschreibung möglich? Wie können Historiker angemessen auf Bedingungen der Globalisierung reagieren, die nicht nur immer stärker die Kenntnis anderer Kulturen erfordern, sondern auch die Fähigkeit, weltweite Verflechtungen erfassen und angemessen beschreiben zu können?
Hatte Weltgeschichtsschreibung traditionell dazu gedient, den Anspruch auf Europas kulturelle Überlegenheit und seine zentrale Stellung in der Welt zu untermauern, so wird ihr Ziel jetzt geradezu darin gesehen, diesen Eurozentrismus zu überwinden – nicht nur durch eine Integration der Geschichte der außereuropäischen Welt, sondern auch durch die Erarbeitung einer transkulturellen Perspektive, die sich gleichermaßen den westlichen und nicht-westlichen historiografischen Traditionen verdankt (S. 10).
In dem vorliegenden Band, der aus einer Konferenz des Deutschen Historischen Instituts London im Jahre 2000 erwachsen ist, versuchen Benedikt Stuchtey und Eckhardt Fuchs die Überlegungen zu diesem Thema durch einen zweifachen Zugang voranzubringen. Im ersten Teil, „Mapping the Subject“, suchen die Autoren nach Themen, die es erlauben, eine künftige Weltgeschichtsschreibung zu strukturieren. Entgegen der oft propagierten Forderung nach der Abkehr von den „grand narratives“, die konsequent zuende gedacht dazu führen müsse, „[that] history would become an incoherent collection of infinite unrelated and unrelatable micro-narratives“ (S. 48), weist Jerry H. Bentley darauf hin, dass drei Entwicklungen die menschliche Erfahrung weltweit geprägt hätten: der Zuwachs der Bevölkerung, der technologische Fortschritt und die Zunahme der Interaktion zwischen unterschiedlichen Gesellschaften. Gemeinsam stellen sie für ihn den Referenzrahmen dar, der die lokale und globale Geschichte zusammenhält und eine gegenseitige Befruchtung der Perspektiven erlaubt. Patrick Karl O’Brien schließt sich hieran mit Überlegungen zu einer globalen Wirtschaftsgeschichte an – sicherlich der Bereich der Weltgeschichtsschreibung, der gegenwärtig am weitesten entwickelt ist. Im zweiten Teil des Bandes, „Rethinking and Writing World History“, wird versucht, in einem Überblick über die Traditionen der Weltgeschichtsschreibung in verschiedenen Kulturen Klarheit darüber zu gewinnen, wie denn die geforderte transkulturelle Perspektive aussehen könne. Dabei gelingt es in den meisten Fällen, die Essentialisierung der untersuchten historiografischen Traditionen zu vermeiden – die Weltgeschichte der Weltgeschichtsschreibung wird damit sehr schön als Verflechtungsgeschichte deutlich gemacht (vor allem von Michael Bentley zu den ‚Singularities of British Weltgeschichte’ und Benedikt Stuchtey zur deutschen Historiografie des britischen Empire).
Doch zeigen diese Artikel zugleich, dass die Erarbeitung einer globalen Perspektive auf die Weltgeschichte weitaus schwieriger werden dürfte, als es in der ersten Euphorie erscheinen mochte. Arif Dirlik weist in seinem Beitrag sehr dezidiert darauf hin, dass „world history […] is inevitably about ‚world making’“ (S. 92). Welches Ziel verfolgen, und wessen Agenda unterstützen Historiker daher, wenn sie Weltgeschichte schreiben? Ist das neue Interesse an der Weltgeschichte nicht nur ein Produkt der Globalisierung, sondern auch die Ideologie, mit der diese sich rechtfertigt, ist Geschichte „to be rewritten to bear witness to the triumph of globalisation“ (S. 95)? In die gleiche Richtung geht der Beitrag von Vinay Lal, der nicht nur die bisherigen Formen der Weltgeschichtsschreibung, sondern das historische Bewusstsein selber, das ihr notwendig zugrunde liegt, als untrennbar mit der westlichen Kultur verbunden nachzuweisen sucht. Nicht ein Einbringen der eigenen Traditionen, sondern die Betonung der radikalen Inkommensurabilität (S. 289) ist für ihn der Weg, sich der Globalisierung zu entziehen und dem mit ihr verbundenen Zwang „to enter the stream of world history whose teleological centre is the EuroAmerican world“ (ebd.).
Hatten wir eben noch mit Edward Said gelernt, dass es ein Zeichen des westlichen Imperialismus sei, nicht-europäische Gesellschaften als das vollkommen Andere zu konstruieren, sie zur Geschichtslosigkeit zu verdammen und ihnen den Platz in der Weltgeschichte zu verweigern, so ist offenbar auch das Gegenteil nicht politisch korrekt – Rudyard Kipling und die neueste Generation postmoderner Kritiker scheinen sich über einem gemeinsamen „East is East and West is West“ die Hand zu reichen. Doch vielleicht wäre es auch gut, sich daran zu erinnern, dass weltweite Verflechtung nicht nur McDonald’s in Indien bedeutet, sondern auch eine große Anzahl indischer Sozialwissenschaftler an europäischen und amerikanischen Universitäten. Ungleich der Prophezeiung von Kipling sind sich Westen und Osten längst begegnet; die Frage ist, wie die Weltgeschichtsschreibung dieser Begegnung Rechnung zu tragen vermag.
Die Lösung mag wohl kaum in einer harmonischen Aufhebung der verschiedenen historiografischen Traditionen in einem gemeinsamen „grand narrative“ liegen; zu deutlich zeigen die Einzeluntersuchungen, dass die entsprechenden Weltgeschichtsschreibungen entweder nur schwach ausgebildet waren oder nicht nur in Europa dazu dienten, das eigene Land als einzigartig und den eigenen Weg als den einzig möglichen darzustellen, wie ja auch der Ethnozentrismus keineswegs eine europäische Ausnahmeerscheinung ist. Wie schwer sich gerade die Länder Ostasiens darin taten, den eigenen Staat als Teil und nicht als Zentrum der Weltgeschichte zu sehen, zeigen die Aufsätze von Ricardo K.S. Mak zu China und Julia Adeney Thomas sowie Sebastian Conrad zu Japan. So faszinierend daher auch die Geschichte der Geschichte ist, als Baustein für die anvisierte, noch zu schreibende Weltgeschichte taugt sie wohl nur begrenzt.