M. Stolleis u.a. (Hgg.): East Asian & European Perspectives

Cover
Titel
East Asian and European Perspectives on International Law.


Herausgeber
Stolleis, Michael; Yanagihara, Masaharu
Reihe
Studien zur Geschichte des Völkerrechts, 7
Erschienen
Baden Baden 2004: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Helmut Görlich, Juristenfakultät, Universität Leipzig

Der Band enthält eine Reihe von Vorträgen, die auf einem internationalen Symposion in Frankfurt am Main unter Mitwirkung des dortigen Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte und der Rechtsfakultät der Kyushu Universität (Fukuoka) im September 2000 zu dem Generalthema „Die Rezeption des modernen europäischen Völkerrechts in Ostasien“ gehalten worden sind. Die Herausgeber kennen sich offenbar auch aufgrund eines längeren Forschungsaufenthalts von M. Yanagihara am Frankfurter Institut. Allgemeine Auffassung zum Generalthema ist, dass Rezeption und Akzeptanz des Völkerrechts im Falle Japans gelungen sind, während sie, was China und Korea angeht, scheiterten. Das wirft sogleich die Frage der Universalität auf, spiegelt aber auch den Umstand, dass es durchaus auch andere, unterschiedliche Interpretationen des Völkerrechts gab, so dass von einem deutschen oder einem englischen Völkerrecht hätte gesprochen werden können.

Auch möge man, meint das Vorwort, unterscheiden zwischen universalem, allgemeinem und partikularem Völkerrecht. Ebenso lasse sich ein Begriff der zivilisierten Menschheit im Unterschied zu barbarischen oder halb-barbarischen Gemeinschaften und bloßen Wilden ausmachen. Hinzu komme die Differenz zwischen einem souveränen Staat, einem halbwegs souveränen Staat und einem Vasallen- oder unter Protektorat stehenden Staat oder diejenige zwischen einer terra nullius, einer Eroberung oder einer Unterwerfung und einer Zession – alles taugliche Instrumente, die Kolonialisierung anderer als westlicher Territorien voranzutreiben, unter deren Anwendung ohne irgendeine Zustimmung der Betroffenen. Die Autoren werden im übrigen weder im Vorwort, noch im Wege des Inhalts-, noch eines anderen Verzeichnisses vorgestellt, so dass nur der Name und Danksagungen in der ersten Fußnote Mutmaßungen ermöglichen, von Ausnahmen abgesehen. Sämtliche Beiträge sind in englischer Sprache verfasst.

Der erste Beitrag ist offensichtlich von japanischer Seite vorgelegt und befasst sich mit der erwähnten japanischen „Akzeptanz“ des europäischen Völkerrechts. Kinji Akashi legt dar (S. 1-22), wie einerseits japanische Gelehrte dieses Völkerrecht aufnahmen und andererseits Japan dennoch zugleich den ungleichen – d.h. wohl aufgezwungenen – Verträgen entgegentrat und insgesamt einen stärkeren internationalen Status erreichen konnte. Der folgende Beitrag von Hui-gi Sim aus Korea schildert die anfängliche heftige innere Auseinandersetzung um die Rezeption westlichen Rechts in Korea im späten 19. Jahrhundert (S. 23-40).

Die beiden folgenden Beiträge, von Ingo J. Hueck (S. 41-56) und Mathias Schmoeckel (S. 57-127, dieses ein Beitrag, der nicht vorgetragen, aber des Abdrucks für wert befunden wurde) befassen sich mit Gegenständen des pragmatischen, positivistischen und hegelischen Neuanfangs des Völkerrechts im Europa des 19. Jahrhunderts. Hueck tut dies einerseits am Beispiel von August Wilhelm Heffter (1796-1880) als Völkerrechtler, und zwar einerseits generell nach 1815. Andererseits entfaltet Schmoeckel exemplarisch und einzigartig an dem deutsch-jüdischen späteren Völker-, zunächst aber Straf- und Strafprozessrechtler Lassa Oppenheim (1858-1919) stories of success einer Gelehrtenlaufbahn. Oppenheim schrieb nach Aufgabe seines strafrechtlichen Lehrstuhls in Basel und Übersiedlung nach London, in Großbritannien naturalisiert und an der London School of Economics and Political Science tätig sein berühmtes englisch-sprachiges Lehrbuch des Völkerrechts, das ihn in Cambridge etablierte (seine umfassende Bibliographie S. 128-133). Es prägte das angelsächsische Völkerrecht Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei nimmt dieser letzte Beitrag von Schmoeckel sehr viel mehr Raum als andere ein und würdigt Lassa Oppenheim dahingehend, ihn Grotius und Vattel gleichzustellen.

Darauf folgt der Beitrag von Benedict Kingsbury (S. 138-178), wohl europäischer Völkerrechtler an der New York University in New York, N.Y., U.S.A., zur weiteren Auseinandersetzung mit Lassa Oppenheim, insbesondere seinem Positivismus als einer Form normativer Politik im Gleichgewicht der Mächte. Auch hier zeigt sich, in welchem Maße Lassa Oppenheim zu würdigen bleibt. Dem schließt sich an ein Beitrag von Masaharu Yanagihara (S. 179-202), also einem der Herausgeber, zur Entwicklung des Begriffs des nicht-diskriminierenden Krieges in Japan. Darüber hinaus ist dies ein Beitrag, der zeigt, dass dieser Begriff des Krieges in Japan aufgegriffen und fortgebildet wurde, ohne irgend an Carl Schmitt anzuknüpfen, der teils unbekannt teils unverständlich blieb.

Dann folgt der andere Herausgeber – Michael Stolleis – (S. 203-214) mit dem Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts in Deutschland in den Jahren 1933 bis 1945, was an seine Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, dritter Band 1999, anknüpft und die Regimetreue einer deutschen Zunft zeigt. Daran schließt Antony Carty, wohl aus Neuseeland, an mit Ausführungen (S. 215-242) in einem Beitrag zu Staat und Nation in der Tradition des Völkerrechts als einer Geschichte der deutsch-französischen Gegensätze und ihrem denkbaren Hintergrund in spanischen spätmittelalterlichen Traditionen. Dieser Beitrag zeigt zugleich, wie völkische Begrifflichkeiten im Recht auch schon seit Herder vor- und nachwirken können. Am Ende steht schließlich ein Beitrag von Albrecht Cordes (S. 243-252) zur Geschichte der deutschen Hanse, ihrer Rechtsnatur und dem mit ihr verbundenen politischen, rechtlichen und historischen Diskurs, der zeigt, wie eine Organisation nach ihrem Untergang als Vorwand der Rechtfertigung ganz anderer Ziele dienen und so mißbraucht in Parolen, Gedanken und Programmen verfälscht fortleben kann.

Am Ende fehlt leider eine Auswertung der Tagung insgesamt, was auch mit der asiatischen Zurückhaltung, ihren Maßstäben der Höflichkeit und des Stils zu tun haben mag. Auffällt indes, dass anerkannte Autoren zur interkulturellen Rezeption und Fragen der Universalität des Rechts wie etwa Yasuaki Onuma von der Tokyo University, Graduate School of Law and Politics, an diesem Band nicht mitgewirkt haben.

In einer Zeit der Diskussion um Globalisierung und Dekolonisierung sind Bemühungen, wie sie diese Vortragsreihe wiedergibt, sehr zu begrüßen. Sie haben es schwer, weil sie zwischen Rechtsgeschichte und Völkerrecht, Politikwissenschaft und Historie angesiedelt, also sozusagen vaterlandslose Gesellen in der Forschung sind, und dies umsomehr, als es zugleich um die Literaturgeschichte des Völkerrechts geht, die eigentlich nur Juristen schreiben können, die einen tieferen Fundus wissenschaftlicher Bildung und Belesenheit besitzen, ganz abgesehen von den weiteren Schwierigkeiten, die mit interkulturellen Rechtsrezeptionen einhergehen und die Aufarbeitung letzterer sich zum Gegenstand machen. Und nicht zuletzt enthält der Band Ergänzungen zur Geschichte des Völkerrechts in Deutschland und eine – soweit ich sehe erstmalige – Würdigung eines deutsch-britischen Völkerrechtlers jüdischer Herkunft, den auch Michael Stolleis in seiner Geschichte des öffentlichen Rechts im einschlägigen Kapitel übersehen durfte, da er als Völkerrechtler diesseits des Kanals und in der Schweiz auch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nicht deutlich in Erscheinung getreten war. Dennoch war Lassa Oppenheim ein rechtssystematisch und methodisch von der hiesigen Wissenschaft geprägter Mann. Diese Heimkehr von Oppenheim, nun in die Geschichte der Wissenschaft seines Geburtslandes, rechtfertigt allein schon die Anstrengung dieser Veröffentlichung.

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Veröffentlicht am
29.10.2004
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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