W. Schwarz: Die Beziehungen der DDR und der ČSSR

Cover
Titel
Brüderlich entzweit. Die Beziehungen der DDR und der ČSSR 1961-1968


Autor(en)
Schwarz, Wolfgang
Reihe
Collegium Carolinum 97
Erschienen
München 2004: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Beate Ihme-Tuchel, Freie Universität Berlin

Nachdem die Außenpolitik sozialistischer Staaten bis in die jüngste Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt worden ist, hat sich der Forschungsstand auf diesem Gebiet inzwischen verbessert.1 Wolfgang Schwarz hat hierzu mit seiner auf einer Fülle ostdeutscher und tschechoslowakischer Archivalien basierenden Studie, die Ende der 1990er-Jahre an der Universität Regensburg als Dissertation angenommen wurde, beträchtlich beigetragen. Ihm ging es nicht um den Endpunkt der Krise in den Beziehungen sozialistischer Staaten, die Militärintervention der Warschauer-Vertragsstaaten in der Tschechoslowakei im August 1968, sondern um deren Inkubationszeit, die er akribisch aus den ostdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen seit 1961 herausarbeitet. Schwarz hat es vorgezogen, in Abwandlung der sozialistischen Propaganda-Formel, wonach es sich bei der DDR und der Tschechoslowakei um “brüderlich vereinte” Länder handelte, deren Beziehungen in den 1960er-Jahren als „brüderlich entzweite“ zu charakterisieren (S. 323).2

Die chronologisch aufgebaute und flüssig formulierte Arbeit umfasst vier Hauptkapitel: Während die Jahre 1961/62 noch als weitgehend konfliktfreie Zeit mit einer insgesamt intakten “Kampfgemeinschaft” gelten können (Kapitel II), brach in der den Schwerpunkt der Arbeit bildenden Phase zwischen 1963 und 1965 eine umfassende Krise in den bilateralen Beziehungen aus, deren Höhepunkt 1965 erreicht war (Kapitel III). In dieser zweiten Phase identifiziert Schwarz sehr überzeugend die Wurzeln der am 21. August 1968 in der militärischen Niederschlagung des “Prager Frühlings” eskalierenden Krise (S. 209). Kapitel IV befasst sich mit der Endphase der Novotny-Ära 1966/67, als in den Beziehungen eine gewisse “Ruhe vor dem Sturm” eingekehrt war (S. 286), Kapitel V mit den Folgen des “Prager Frühlings” für die Beziehungen beider Länder.

Thematisch konzentriert sich die Arbeit vor allem auf drei Bereiche: auf die außenpolitische Zusammenarbeit beider Länder und die Meinungsverschiedenheiten, die sich seit etwa 1964 aus der zunehmend unterschiedlichen Einschätzung der “aggressiven” Absichten der Bundesrepublik gegenüber den sozialistischen Ländern und hier insbesondere gegenüber der DDR ergaben, auf die ideologisch-kulturellen Differenzen, die Schwarz sehr überzeugend als Hauptgrund für die Verschlechterung der Parteibeziehungen seit 1963 wertet und schließlich auf die ebenfalls recht komplizierten wirtschaftlichen Beziehungen.

Die Untersuchung setzt mit dem Mauerbau ein, der die DDR aus der Sicht ihrer Verbündeten zu einem “normalen” sozialistischen Land machte. Dagegen hatte die SED-Führung auch noch nach dem 13. August 1961 mit einer besonderen Unterstützung des gesamten “sozialistischen Lagers” für ihren Staat gerechnet. Letztlich wurde sie damals von der ökonomischen Hilfsbereitschaft auch ihres tschechoslowakischen Verbündeten enttäuscht. Dennoch sollten trotz weiterer Differenzen, wie des in den Augen der SED-Führung verfrüht erklärten “Sieges des Sozialismus” in der Tschechoslowakei im Jahr 1960, die Beziehungen 1961/62 insgesamt noch konfliktfrei verlaufen. Gleichwohl plagten die DDR-Führung schon seit 1962 Zweifel an der deutschlandpolitischen Zuverlässigkeit ihres Prager Verbündeten, was deshalb so prekär war, weil beider Außen- und Sicherheitspolitik sich bis dahin in erster Linie gegenüber der Bundesrepublik definiert hatte (S. 321).

Schon 1963 sollte eine ernsthafte Krise die Beziehungen überschatten, die zurückzuführen war auf erste Liberalisierungstendenzen in der Tschechoslowakei, die insbesondere den Kulturbereich sowie die Aufarbeitung der stalinistischen Schauprozesse der 1950er-Jahre betrafen. Bekanntlich bildete in diesem Zusammenhang die Liblicer Konferenz über Franz Kafka vom Mai 1963, von Schwarz als „Auftakt für die Krise der Parteibeziehungen“ identifiziert, eine wichtige Zäsur (S. 317, 322). Wie bereits 1956 gegenüber den “nationalkommunistischen” Bestrebungen in Ungarn und vor allem in Polen beobachtete die SED-Führung seit 1963 auch das tschechoslowakische Abweichen vom gemeinsamen dogmatischen Kurs in der Kulturpolitik als in höchstem Maße alarmierend sowohl für den Bestand der DDR als auch des gesamten “sozialistischen Lagers”. 1964/65 ging sie, was in den Beziehungen zwischen sozialistischen Staaten völlig unüblich war, in die Offensive, indem sie ihre Kritik der “zu liberalen” tschechoslowakischen Kulturpolitik öffentlich machte.

Zugleich zeigten sich unterschiedliche Einschätzungen der von einer angeblich “aggressiven” Bundesrepublik ausgehenden Gefahren für die sozialistischen Staaten: Während die Tschechoslowakei seit Mitte der 1960er-Jahre vor allem aus wirtschaftlichen Gründen dem starren ostdeutschen Kurs gegenüber der Bundesrepublik und West-Berlin immer zögerlicher folgte, mithin auf die bundesdeutschen Avancen teilweise einzugehen bereit war, blieb die Außenpolitik der DDR durch die beiden Pole der “Ostabhängigkeit” einerseits und der “Westabgrenzung” andererseits begrenzt. 3 Es gab ostdeutsche Maximalforderungen an eine Normalisierung der Beziehungen zur Bundesrepublik (Anerkennung der europäischen Grenzen, der Existenz zweier deutscher Staaten sowie der Ungültigkeit des Münchener Abkommens von Anfang an, Aufgabe der Hallstein-Doktrin und Verzicht auf die Verfügungsgewalt über Atomwaffen), doch in Prag verband man mit der Bildung der Großen Koalition 1966 gewisse Hoffnungen auf eine neue, “realistischere” bundesdeutsche Außenpolitik (S. 321). In diesem Zusammenhang verweist Schwarz mehrmals auf die “zurückhaltende Informationspolitik” der SED über ihre deutschlandpolitischen Pläne gegenüber der tschechoslowakischen “Bruderpartei” sowie ihre - in der Literatur vielfach thematisierten - penetranten Belehrungsversuche der übrigen kommunistischen Parteien: “Die Versuche Ulbrichts und anderer führender Repräsentanten der DDR, sich als die Verteidiger eines reinen Marxismus-Leninismus und als oberste Entscheidungsinstanz in der Deutschlandpolitik aufzuspielen, machten in manchen Fällen auch vor der Sowjetunion nicht halt.” (S. 36, 241ff., 321)

Schwarz zeichnet eindrücklich nach, wie innerhalb der kurzen Zeitspanne zwischen 1961 und 1968 die einst monolithische “Kampfgemeinschaft” zweier sozialistischer Partei- und Staatsführungen zerfiel. Wer sich umfassend über die Vorgeschichte des “Prager Frühlings” in den ostdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen informieren möchte, ist hier an der richtigen Adresse. Hervorzuheben ist neben der guten Lesbarkeit auch noch Schwarz‘ angenehme Zurückhaltung im Urteil. So entgeht er in dieser differenziert analysierenden Studie den Tücken eines retrospektiven Determinismus, der Gefahr also, die Geschichte der ostdeutsch-tschechoslowakischen Beziehungen in den 1960er-Jahren als eine reine Untergangsgeschichte zu zeichnen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Bibliografie zur Außenpolitik der DDR, in: Scholtyseck, Joachim, Die Außenpolitik der DDR (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 69), München 2003, S. 150-160.
2 Diesen Titel trug ein DDR-Standardwerk zu den bilateralen Beziehungen: Köpstein, Horst, Brüderlich vereint DDR-CSSR, Berlin (Ost) 1967.
3 Wentker, Hermann, Die Außenpolitik der DDR, in: Neue Politische Literatur 46,3 (2001), S. 398-411, hier S. 398.

Redaktion
Veröffentlicht am
10.08.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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