„The Empire strikes back.” Mit dieser inzwischen ein wenig abgedroschenen Phrase wurde in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Immigration ehemaliger Untertanen Ihrer Majestät aus dem Commonwealth nach Großbritannien griffig auf den Punkt gebracht. Unter diesem Schlagwort firmiert die Auseinandersetzung von Autoren aus dekolonisierten Gebieten mit der (post-)imperialen Vergangenheit ihrer Heimat – ein von vielfältigen moralisch-politischen Ambivalenzen gekennzeichneter Prozess, der in der Verleihung des Literaturnobelpreises an V. S. Naipaul 2001 vielleicht seinen vorläufigen Höhepunkte erreichte. Wollte man nun die Kette der Wortspiele fortsetzen, dann könnte man die Renaissance der (End of) Empire-Forschung unter dem Schibboleth „The Empire bites back“ fassen. Denn zum einen werden die Nachfahren der früheren Kolonisierer spätestens seit dem 11. September 2001 frontal mit den unrühmlichen Hinterlassenschaften nicht nur einer bisweilen verbrecherischen imperialen Ära konfrontiert, sondern auch von den langfristigen Konsequenzen einer überstürzten Dekolonisation heimgesucht. Zum anderen führen vor allem britische Historiker seit einigen Jahre eine mitunter verbissene Debatte über den Rückkoppelungseffekt des Britischen Empire auf die britische Gesellschaft. Bernard Porter hat nun mit einem fulminanten Beitrag die Diskussion von neuem belebt. Sein Fazit über das Empire und die Briten lautet apodiktisch: „It did not need them, and they did not need it.“ (S. 164).
Porter stützt seinen Befund auf die Untersuchung der lange von der Forschung stiefmütterlich behandelten innerbritischen Dimension imperialen Ausgreifens von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit vor 1918 liegt. Als roter Faden dient ihm die Frage, ob eine imperiale Nation notwendigerweise eine imperiale Gesellschaft hervorbringen musste. Dabei bekennt sich Porter unumwunden zu einem sozialgeschichtlichen Ansatz, der im Faktor Klasse das entscheidende Differenzkriterium aller lebensweltlichen Ausprägungen hoher Politik sieht.
Bereits die Frühphase des britischen Engagements in Übersee, das ins 16. Jahrhundert zurückreicht, wurde von einem später noch zentralen Merkmal charakterisiert: es resultierte nicht aus der Initiative der political nation in London, sondern nahm seinen Ausgang von den selten lauteren Partikularinteressen einiger weniger. Deshalb standen in der Folgezeit, so Porter, imperiale Exzesse in der Regel mit einem Mangel und nicht etwa mit einem Überschuss an imperialer Kontrolle in Verbindung. Vor den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts machten öffentliche Instanzen auch keine Anstalten, die weitere Bevölkerung in die imperialen Projekte einzubeziehen. Die britische Oberschicht beherrschte das Empire, zumal in Indien, nach denselben Prinzipien wie die Unter- und Mittelschichten daheim. Von den Auswanderern, die in Siedlungskolonien wie Kanada oder Australien eine neue Heimat fanden, gingen ebenfalls keine positiven Impulse zugunsten eines imperialen Bewusstseins im Mutterland aus, da die Emigration meist nackter Not gehorchte und sich auch später nicht zu einem imperialen Hochgefühl veredeln ließ. Drei weitere Faktoren trugen vor 1880 dazu bei, das britische Empire diskursiv zu marginalisieren. Erstens verzichteten britische Schulbücher und die meisten Qualitätsblätter auf panegyrische Berichte über das Empire, präsentierten es sogar eher als ökonomische oder moralische Bürde für das Mutterland. Obendrein wurde der Begriff „Empire“ zu sehr mit den Machenschaften Napoleons assoziiert, als dass er im viktorianischen Großbritannien zum Signum einer großen Gemeinschaftsaufgabe avancieren konnte. Zweitens dominierte zu jener Zeit die Ansicht, dass alle Völker früher oder später den Pfad des irreversiblen Fortschritts beschreiten würden, weshalb Überlegenheitsphantasien, die dem Empire womöglich eine gewisse Breitenwirkung verschafft hätten, kaum Platz griffen. Dieser „culturism“ (S. 79) postuliert zwar einen europäischen Entwicklungsvorsprung, ohne diesen jedoch essentialistisch zu zementieren und damit anderen Ethnien die Kompetenz, diese zivilisatorische Kluft zu schließen, rundweg abzusprechen. Drittens verhinderte die in Großbritanniens hegemoniale Freihandelsdoktrin eine Kontaminierung der politischen Ökonomie mit imperialem Gedankengut. Imperialismus galt ihr ebenso wie patriotischer Überschwang vielmehr als Hindernis auf dem Weg zu einer globalen Wohlstandssphäre. Bis ins liberale Lager hinein unterlag der Nationalismus zudem einem profunden Radikalismusverdacht und wurde daher nicht zugunsten einer imperialen Stimmung angefacht.
Diese änderte sich nach 1880. Als sich in der Phase des Hochimperialismus immer weitere Landstriche auf den sprichwörtlichen britischen Weltkarten rot färbten und sich der Burenkrieg (1899-1902) als ein Medienereignis großen Stils entpuppte, schaffte es das Empire häufiger auf die Titelseiten der britische Presse. Die Schulbücher betonten nun die fundamentalen Unterschiede zwischen Europäern und Kolonisierten, die music halls spielten unentwegt jingoistische Gassenhauer, und der jährlich zelebrierte Empire Day diente als Jour fixe des imperialen Bewusstseins. Doch Porter verweist auf die in seinen Augen unübersehbaren Kontrapunkte selbst in dieser Zeit. So stand die sich um 1900 parlamentarisch organisierende Arbeiterbewegung dem Imperialismus bestenfalls indifferent gegenüber, zumal das Militär, das in Indien und Jamaika Aufstände im Blut erstickte, in Großbritannien Streikende in Schach hielt. Porter geht im Übrigen scharf mit jenen Historikern ins Gericht, die Arbeiter als vermeintlich unbeschriebenes Blatt zu widerstandslosen Rezipienten imperialer Propaganda deklarieren.
Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Britische Empire seine größte Ausdehnung erreichte und der imperiale Handel Großbritannien recht wirksam gegen die Schockwellen der Weltwirtschaftskrise abschirmte, unternahmen die politisch Verantwortlichen in London keine nennenswerten Anstrengungen, um die überseeischen Besitzungen zu einer Herzensangelegenheit der Briten zu machen. Vielmehr kam nun der Terminus „Commonwealth“ verstärkt in Gebrauch, wurde sogleich der Völkerbundsidee assimiliert und mithin entimperialisiert. Ohnehin fordert Porter in klarer Abgrenzung von dem Konzept John MacKenzies einen differenzierteren Umgang mit dem Begriff Imperialismus. Während MacKenzie, dem die Erforschung des quasi inwendigen Imperialismus wesentliche Anregungen verdankt, ein ideological cluster mit den Komponenten Militarismus, Monarchismus, Heldenkult, wissenschaftlicher Rassismus usf. als Ausweis imperialistischer Gesinnung in allen Gesellschaftsschichten betrachtet, empfiehlt Porter eine deutlicher auf das Empire im engeren Sinne gerichtete Analyse von Stimmen und Stimmungen.
In einem Punkt zumindest entdeckt Porter gleichwohl einen Zusammenhang zwischen imperialer und metropolitaner Sphäre. In dem Maße nämlich, wie der imperiale Flügel der Konservativen Partei mit seinen paternalistischen Ordnungsmodellen zusammenschmolz, vermochte der monetaristische Stoßtrupp der Konsensverächter seinen Siegeszug anzutreten. Allerdings wirkt es vor diesem Hintergrund befremdlich, wenn Porter ausgerechnet Margaret Thatcher als Bewunderin des Empire apostrophiert, denn der unsentimentale Konservatismus Thatcher’scher Observanz hatte wenig übrig für jegliche Form der Empire-Nostalgie. In ihren Memoiren beklagte die streitbare Premierministerin daher auch den imperial overstretch nach 1918, da das Empire nun „mehr kostete, als es zur Steigerung des britischen Wohlstands beitrug.“ 1 Plausibel erscheint indes Porters Bewertung des Falkland- und des ersten Irakkriegs als Reflex eines Habitus, der durch den Schutz Unschuldiger das seit dem Zweiten Weltkrieg hochstilisierte moralische Prae der britischen Außenpolitik verbürge. In diesem Selbstbild und nicht etwa in postimperialer Melancholie wurzelten letztlich auch die britische Europaabstinenz und der ätzende „[t]abloid and hooligan chauvinism“ (S. 302).
Porters Studie überzeugt durch Materialreichtum und methodische Transparenz. Das schnörkellose Urteil, dass ein „Minimum an Apathie“ seitens der Bevölkerungsmehrheit (S. 307) genügt habe, um dem Britischen Empire Lebensatem einzuhauchen, erscheint zwar aus dem Blickwinkel gängiger Feuilletonvignetten gegen jegliche Intuition gefällt. Doch die von Porter angeführten Argumente lassen sich nur schwer widerlegen. Der politische Alltag Großbritanniens – Institutionen wie Konventionen – wurde von Entwicklungen des Empire kaum je erschüttert, geschweige denn nachhaltig geprägt. Dies zeigte sich besonders eindrucksvoll im Prozess der Dekolonisation, den Porter allerdings nur kursorisch behandelt.
Anmerkung:
1 Thatcher, Margaret, The Downing Street Years, London 1993, S. 5.