Der umfangreiche Sammelband erwuchs aus einer internationalen Konferenz, die vom 4. - 7. Oktober 2001 im Wissenschaftszentrum der Universität Bayreuth, Schloss Thurnau, stattfand. Im Vorwort erfährt der Leser, dass die Vortragsmanuskripte sorgfältig überarbeitet und dass - wie üblich - weitere wichtige Artikel von Nichtteilnehmern aufgenommen wurden, etwa Adrian Hastings (Leeds, gest. 2001) grundlegende zusammenfassende Rezension der 1967 bis 1999 erschienenen „African Christian Studies“ im „Journal of Religion in Africa“ (30/2000) oder Nehemia Levtzions ( Jerusalem, gest. Frühjahr 2001) Artikel über europäische Forschungen zu Islam in Afrika . Schade ist, dass - wie wohl auch üblich - die Publikation erst drei Jahre nach der Tagung erschien.
Die Einleitung von Frieder Ludwig (St. Paul, USA) und Afe Adogame (Bayreuth/Edinburgh) zeigt tendenziell die hauptsächlichen Zugänge zum Komplex Religion in Afrika auf: Eurozentrismus, Essentialismus, Orientalismus als Alterität (Edward Said) lassen sich exemplarisch aufweisen und sollen in postkolonialer Sicht aufgelöst und durch Überlegungen zu Globalisierung und Vermischungen infrage gestellt werden, wobei dem britischen Anthropologen Edward E. Evans-Prichard (1902-1972) eine Schlüsselrolle bei der Betrachtung der „traditionellen“ afrikanischen Religion zukommt, da er schon in den 1930er-Jahren am Beispiel der religiösen Rituale der Zande im Sudan die europäischen Einflüsse aufzeigte, die sich sowohl in aktiven Beeinflussungen als auch in der Konstruktion von Alteritäten nachweisen lassen. Evans-Prichard konnte schnell Einfluss auf Afrikaner gewinnen, etwa auf den ugandischen Wissenschaftler und Dichter Okot p’Bitek (1931-1982), worüber Henk J. van Rinsum (Utrecht) berichtet. Okot stellte eine „Hellenisierung“ der afrikanischen Religionen durch europäische Missionare fest, das heißt die Konstruktion eines afrikanischen Olymps.
Die weitere Reihenfolge der Vorträge und Texte lässt keine konsequente inhaltliche Zuordnung in Themenblöcke erkennen. Dem verdienstvollen Artikel von Adam Jones (Leipzig) über die Bedeutung von Missionsarchiven für Forschungen zu afrikanischen Religionen folgen: der schon erwähnte Forschungsbericht von Levtzion, der - über seinen Titel hinausgehend - das Verhältnis von Christentum und Islam in Afrika problematisiert und das Referat von Mahmud Haggag (Kairo) zu deutschen Koranübersetzungen und ihrer Rezeption in Nordafrika. Hierzu passend: Roman Loimeiers (Bayreuth) polemischer Text über deutschsprachige Orient-Literatur, der - glänzend formuliert - die deutsche Teilnahme am Orientalismus dokumentiert. Robert Debusman (Bayreuth) und Frieder Ludwig untersuchten europäische Reiseberichte des 16. bis 18. Jahrhunderts im Hinblick auf religiöse und medizinische Berichterstattung über Afrika. Eine umfassende Bestandsaufnahme der niederländischen Beschreibungen afrikanischer Religionen seit Beginn des 16. Jahrhunderts legt Jan G. Platvoet vor. Er lässt Händler, Missionare und Wissenschaftler zu Wort kommen.
Mehrere Texte setzen sich mit europäischen Aufklärern und deren Beschäftigung mit Afrika auseinander. Jean-Godefroy Bidima (Paris) rechnet mit der französischen Aufklärung ab, speziell mit Abbé Grégoire, Condorcet, Charles de Brosses und Olympe de Gouges. Sie schufen die Alteritäten der Afrikaner zu den Europäern, mit den Konsequenzen Sklaverei, Rassismus, Fetischismus. In die gleiche Reihe werden die deutschen Aufklärer Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder von Wolbert Smidt (Hamburg) und Werner Ustorf (Birmingham) gestellt. Musa Gaiya (Jos, Nigeria) unterzieht das Bild des britischen Philanthropen Thomas Fowell Buxton, der in den Lexikon-Artikel als Bekämpfer der Sklaverei gefeiert wird, einer Revision, indem sie die Verknüpfung von sozialreformerischen Ideen und Mission darlegt.
Als Beitrag zur Entstehung der Religionswissenschaft versteht Ulrich Berner (Bayreuth) seine Untersuchung zu Max Müller und James George Frazer. Dabei wird insbesondere Müllers gläubige christliche Wissenschaft gegen Frazers Kritik der christlichen Religion gestellt. Eine theoretische Positionierung der Disziplin Religionssoziologie versucht Elisio Macamo (Bayreuth) am Beispiel der afrikanischen Religionen.
Mit Diedrich Westermann als Sammler afrikanischer Sprachen und als Religionswissenschaftler, der seinen Fokus auf kulturellen Wandel legte, beschäftigt sich Holger Stoecker (Berlin). Kultureller Wandel bedeutet bei Westermann die Auflösung afrikanischer Kulturen zu Gunsten der europäischen Kultur. Damit sind wir im 20. Jahrhunderts angekommen. Hierhin gehört auch der Begründer des Internationalen Missionary Council (IMC) Joseph Handsworth Oldham, der, in Indien geboren, seit 1920 von London aus die britische Kolonialmission koordinierte. Keith Clements beschreibt ihn als Paternalisten und „Friend of Africa“. Jacob K. Olupona (Davis, Kalifornien) vergleicht die Yoruba-Forschungen Leo Frobenius’ mit denen von Ulli Beier, wobei er am Beispiel der afrikanischen Trommel die vergleichende Eurozentrik von Frobenius herausstellt, während Beier nach seiner Meinung unter performativer Einbeziehung der Yoruba-Musiker „eloquently sounds the drum of Africa for us all to hear and dance to“.
Biografische Notizen von W. John Young (Mid-Glamorgan, Großbritanien), Andrew F. Walls (Edinburgh), Christopher Steed (Uppsala), Kevin Ward (Leeds), Abdulkader Tayob (Nijmegen) beschäftigen sich mit dem Religionswissenschaftlern Edwin W. Smith, Geoffrey Parrinder und Bengt Sundkler, mit den Protagonisten der Anglican Church Missionary Society (CMS) Max Warren und John V. Taylor sowie mit dem Islamisten John Spencer Trimingham. Till Förster (Basel) vergleicht die Ritualbeschreibungen von Evans-Prichard und Victor Turner und sieht eine Entwicklung, die von Rationalität zu Kreativität fortschreitet.
Forschungsberichte über Institutionen betreffen die Universitäten Aberdeen und Edinburgh (James L. Cox, Edinburgh), Uppsala Studies on Religions of Africa (David Westerlund, Uppsala), Africa Research Centre, University of Leuven (René Dewisch, Leuven). Zwei europäische Länderberichte befassen sich mit Griechenland (Athanasios N. Papathanasiou, Athen) und der ehemaligen DDR (Ulrich van der Heyden, Berlin).
Abschließend: Andrea Schultze (Berlin) stellt Missionsforschung, die zurzeit boomt, in ihrer Interdisziplinarität dar. Klaus Hock (Rostock) konstatiert die Verknüpfung von Migrationsstudien mit Studien zu afrikanischen Religionen, Umar Danfulani (Jos, Nigeria) und Afe Adogame (Bayreuth, Edinburgh) berichten über europäische Forschungen zu westafrikanischen Religionen, während Grace Wamue (Nairobi) die ostafrikanische Perspektive aufzeigt.
Der imposante Sammelband fasst aktuelle Überlegungen zum Thema europäische Religionsgeschichtsschreibung im Bezug auf Afrika zusammen. Das Bild auf dem Bucheinband, die „Negerköpfe“ von Peter Paul Rubens (ca. 1620), regt zum Nachdenken an, denn es zeigt noch keine rassistische Stereotypik, sondern originelle Differenzierung. Die Wort-Beiträge zeichnen sich durchgehend durch hohe Qualität aus, wobei die afrikanischen Autoren ihren europäischen Kollegen nicht nachstehen und häufig neue Perspektiven einbringen.
Zu beklagen sind allerdings einige formale Mängel: Der Anhang enthält ein notwendigerweise zufälliges und lückenhaftes weltweites Institutionen-Verzeichnis zur Afrikaforschung mit E-Mail-Adressen. Die Autorenliste ist fehlerhaft. So stimmen in mehreren Fällen die Vornamen nicht mit denen im Hauptteil überein, Robert Debusmann (so im Text) erfährt folgende Schreibweisen: Debudsman und als E-Mail-Anschrift: robert.debusman. Keith Clemens dagegen kommt in der Liste überhaupt nicht vor. Der gemischte Sach-, Personen- und Länder-Index strotzt von banalen Eintragungen, die zu unübersichtlichen Häufungen der Nachweise führen. Es ist schade, dass heutzutage selbst so solide Verlage wie Harrassowitz in Wiesbaden kaum noch lektorieren.