Cover
Titel
A Turn to Empire. The Rise of Imperial Liberalism in Britain and France


Autor(en)
Pitts, Jennifer
Erschienen
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
$39.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benedikt Stuchtey, German Historical Institute, London

Die Kernfrage dieses interessanten Buches von Jennifer Pitts, die in Princeton Politische Wissenschaft lehrt, ist für die Geschichte des Liberalismus von großer Bedeutung, wenngleich man nicht sagen kann, sie sei gänzlich unerforscht. Pitts untersucht das Spannungsverhältnis, das sich bei liberalen Denkern vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bezüglich ihrer Einstellung zur kolonialen Expansion Europas zeigt. Vor der Jahrhundertwende, so lautet ihr Argument, hätten Adam Smith, Jeremy Bentham und Edmund Burke aus politischen, ökonomischen und auch moralischen Gründen Kritik am Kolonialismus geübt, nur wenige Jahrzehnte später aber hätten sich James und John Stuart Mill sowie Tocqueville als Verfechter des imperialen Projekts hervorgetan. Auch Hegel und sogar Marx ließen sich bis zu einem gewissen Maße als dessen Verteidiger interpretieren. Dieser "Turn to Empire" in der Achsenzeit des europäischen, weltpolitischen Denkens der Liberalen ist insofern bemerkenswert, weil sich die späteren Generationen in den Grundzügen ihrer politischen und gesellschaftlichen Ansichten auf ihre Vorgänger gestützt hätten, es mithin Traditionen liberalen Denkens gegeben hätte, die bei den genannten Personen auch in aktives politischen Handeln umgesetzt wurden. Einem der zentralen Themen aber, das die europäische mit der außereuropäischen Geschichte vernetzte und das im Kolonialismus bzw. Imperialismus bestand, sei seinerzeit wie von der modernen Forschung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Für Pitts stellt sich demnach die Frage, wie einerseits philosophische und politische, kulturelle und moralische Grundüberzeugungen des Liberalismus wie zum Beispiel hinsichtlich der Menschenrechte, Freiheit des Einzelnen, repräsentative Regierung und Rechtsstaatlichkeit tradiert und weitergedacht werden konnten, sich andererseits aber ein massiver Bruch in der Bewertung der Kolonialpolitik verzeichnen ließ. Auch wenn Burke, so Pitts, im strengen Sinne nicht als Liberaler bezeichnet werden sollte, sei er ein Universalist gewesen, dem es daran gelegen hätte, festzustellen, dass für alle Menschen gleichermaßen die fundamentalen moralischen Prinzipien zu gelten hätten. Welche geistigen Dispositionen lagen entsprechend der Skepsis gegenüber der kolonialen Expansion zugrunde, wenn sie von so großen Liberalen des 19. Jahrhunderts wie John Stuart Mill nicht länger geteilt wurden? Hat der westeuropäische Liberalismus seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Verrat in eigener Sache begangen, indem er zwar im europäischen Kontext Respekt für menschliche Gleichheit, universale Freiheit und Pluralismus predigte, aber die mit Sklaverei verbundene, menschenverachtende Kolonialpolitik des Westens nicht länger anprangerte, sondern im Gegenteil entweder die Augen verschloss oder gar ihr Positives abgewann?

Für den britischen und französischen kolonialgeschichtlichen Hintergrund lässt sich Pitts zufolge gut mit dem Begriff der Zivilisierungsmission arbeiten, der mission civilisatrice oder civilizing mission, der die Erringung, Verteidigung und sodann Verbreitung des Fortschritts als triumphalen Weg der globalen Erfassung der Welt durch den Westen begriff. Toleranz im Sinne von Akzeptanz der kulturellen Unterschiede wurde wenig argumentativer Raum gegeben, dagegen die vermeintliche zivilisatorische Überlegenheit des Westens als Rechtfertigung und Verpflichtung für seine koloniale Expansion verstanden und entsprechend maßgeblich als Argument für koloniale Gewalt benutzt. Die Entzauberung der Welt hatte mit ihrer kolonialen Verstaatlichung begonnen. Die koloniale Expansion stellte dem ungeachtet in den Augen der Liberalen einen Stabilitätsfaktor für die Demokratien Westeuropas dar.

Jennifer Pitts verfolgt in ihrer flüssig geschriebenen und perspektivenreichen Studie diese Entwicklung des politischen und ökonomischen Liberalismus von Adam Smith und Edmund Burke über Jeremy Bentham und die Mills bis schließlich zu Tocqueville, für den die Algerienfrage die entscheidende Auseinandersetzung des post-napoleonischen Frankreichs mit seiner kolonialen Erschließung der Welt bedeutete. Freilich kehrte der späte Tocqueville zu den kolonialkritischen Vorstellungen, wie sie schon bei Benjamin Constant zu finden sind, zurück und warnte vor der Arroganz der Kolonialherrschaft, die zu unberechenbaren sozialen und politischen Konflikten im "Mutterland" wie in der "Peripherie" führen könnte. Pitts sieht in dieser Perspektive den geistigen Kreis wieder geschlossen. Denn gänzlich blind für die Gefahren illiberalen politischen Handelns sei das liberale Denken auch dann nicht gewesen, als der Motor der europäischen imperialen Expansion im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu stoppen war.

Redaktion
Veröffentlicht am
12.12.2005
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