W. Schwanitz (Hg.): Germany and the Middle East 1871-1945

Cover
Titel
Germany and the Middle East 1871-1945.


Herausgeber
Schwanitz, Wolfgang G.
Erschienen
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Klaus Jaschinski, Berlin

Anfang Oktober 2001 hielt die German Studies Association zum 25. Jahrestag eine wissenschaftliche Konferenz ab, wobei ein Arbeitskreis speziell der Thematik „Germany and the Middle East, 1919-1943“ gewidmet war. Die vorliegende Abhandlung greift darauf zurück und stellt einzelne Beiträge vor mit der Maßgabe, „neue Forschungsergebnisse des historischen Mosaiks an Beziehungen zwischen Nordamerika, Nah- und Mittelost und Europa“ zu präsentieren. „Die Beiträge decken verschiedene Schwerpunkte und Zeitabschnitte im Zeitraum von 1871-1945 ab und tragen so zu einer neuen Interpretation des Gesamtbildes bei.“ (S. IX)

Enthalten sind acht Beiträge von sieben Autoren, die speziell unter Nutzung neu erschlossener Primärquellen verschiedene Ereignisse und Vorgänge in den Beziehungen Deutschlands zum Vorderen Orient Revue passieren lassen und u.a. die Gültigkeit früherer Einschätzungen hinterfragen. Besonderes Augenmerk gilt dabei deutschen Akteuren (Diplomaten, Militärs und Orientalisten), die diesen Ereignissen und Vorgängen durch ihr Wirken meist noch einen recht persönlichen Stempel aufzudrücken vermochten. Neben berühmt-berüchtigten Akteuren wie Werner von Hentig und Oskar von Niedermayer, die die deutsche Afghanistan-Expedition während des Ersten Weltkrieges anführten, Fritz Grobba, der u.a. maßgeblich an der Umsetzung von Hitlers „heroischer Geste“ gegenüber dem Irak im Mai 1941 mitwirkte, und Franz von Papen, der während des Zweiten Weltkrieges als deutscher Botschafter in der Türkei agierte, werden u.a. auch Ernst Herzfeld und Eckhard Unger, die sich als Archäologen bzw. Alt-Orientalisten einen achtbaren Namen machten, ins Blickfeld gerückt.

Das erste Kaptitel bietet eine Periodisierung der Beziehungsgeschichte Deutschlands zum Vorderen Orient im genannten Zeitraum und stellt die einzelnen Abschnitte angefangen mit den „Orient-Gründerjahren“ in ihren Grundzügen und Hauptmerkmalen näher vor. Betrachtungen zur deutschen Afghanistan-Expedition 1915-1916 schließen sich an, die ungeachtet neuer Erkenntnisse, u.a. über damaliges Wissen der britischen Aufklärung und entsprechende Gegenmaßnahmen, über weite Strecken der altbekannten Heldensaga folgen, an deren Ende man nur allzu gern ein deutsches Pendant zum ach so „erfolgreichen“ Lawrence von Arabien gezaubert bekommt. Dass man deutscherseits in Anbetracht der Kriegslage in Kabul nicht mit Versprechungen geizen würde, lag auf der Hand. Aus dieser afghanischen Momentaufnahme zu folgern, dass „die Deutschen auf der Seite der Zukunft waren - auf der Seite von Antikolonialismus und Selbstbestimmung, nicht nur für Afghanistan, sondern auch für Persien, Indien und sogar Russisch-Turkistan“ (S. 61), scheint allerdings ziemlich weit gegriffen, zumal Werner von Hentig und Oskar von Niedermayer nur als Mittler auf diesem Schauplatz agierten und über die Einlösung der von ihnen offerierten Versprechen letztlich anderenorts entschieden wurde. In Berlin jedenfalls war man in dieser Phase auf einen Siegfrieden mit den Entente-Mächten aus und wollte keineswegs auf Gedeih und Verderb deren Kolonialimperien zerstören.

Nach einem längeren Exkurs in die Zeit der Nachkriegskrise, als Teile der deutschen Militärführung gemeinsam mit hartgesottenen Jungtürken sich mit den Bolschewiki zu arrangieren suchten, um sie zur Umsetzung ihrer kriegsbedingt modifizierten Orient-Pläne einzuspannen, wird sich einer Schlüsselfigur deutscher Orient-Politik, Fritz Grobba, zugewandt und sein Wirken genauer beleuchtet. Obwohl kein Mitglied der NSDAP, war er dem nationalsozialistischen Regime bei dessen Orient-Ambitionen zweifellos eifrig zu Diensten gewesen, auch wenn ihm hier und da Auswüchse der nationalsozialistischen Herrschaft Unbehagen bereitet haben mochten und persönliche Querelen mit höheren NS-Chargen nicht ausblieben. Beachtung verdient ein in Verbindung damit erschlossenes Dokument aus amerikanischem Archivbestand aus der Nachkriegszeit (MS # P-207) über die „Deutsche Ausnutzung arabischer nationalistischer Bewegungen im zweiten Weltkrieg“, das von den Generälen Felmy und Warlimont aus dem kleinen erlauchten Kreis der deutschen Mittelmeerkriegsstrategen für amerikanische Stellen verfasst worden war, und zu dem auch Fritz Grobba unmittelbar nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft 1955 einige Bemerkungen (82 Seiten) beizusteuern hatte. Neben Fachwissen reflektiert es schließlich gleichsam Erbärmlichkeit, zeigt es doch, wie rasch diesen „Experten“ ihr „Patriotismus“ nach dem Kriegsende abhanden kam; offenbar „für ein paar Dollar mehr“ und Streicheleinheiten vom Sieger.

Die nachfolgenden Beiträge behandeln die Entwicklung der Beziehungen Deutschlands zu Saudi-Arabien von 1924 bis 1939, beleuchten den Werdegang der deutschen Alt-Orientalistik nebst Agieren ihrer Vertreter vor Ort unter besonderer Berücksichtigung der Verknüpfung alt-orientalischer Forschung mit politischen und wirtschaftlichen Interessen vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg und nehmen das Wirken von Franz von Papen als Mittler und Drahtzieher deutscher Orient-Politik auf seinem Posten als deutscher Botschafter in der Türkei während des zweiten Weltkrieges genauer unter die Lupe.

Im letzten Beitrag wird schließlich eine Thematik aufgegriffen und kenntlich gemacht, die bislang nahezu völlig ausgeblendet blieb: das Schicksal muslimischer Gefangener in deutschen Konzentrationslagern. Schätzungen zufolge waren es über 1500 Personen. Die Mehrheit stammte aus Nordafrika (Algerien, Marokko, Tunesien) und war über Frankreich zumeist unter dem Vorwurf, der Résistance angehört bzw. ihr geholfen zu haben, oder als „vertragsbrüchige“ Fremdarbeiter in Konzentrationslager verschleppt worden, vor allem nach Buchenwald und Dachau.

Mögen hier und da auch manche Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen durch den zuweilen eng angelegten nah- und mittelöstlichen Blickwinkel etwas überzogen anmuten und zum Ein- und Widerspruch anregen, so bietet die vorliegende Abhandlung alles in allem doch viel Wissenswertes auf neu erschlossener Primärquellenbasis, das zur Kenntnis genommen zu werden verdient und weitere Denkanstöße zu vertiefender Forschung auf diesem Gebiet zu geben vermag.

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Veröffentlicht am
04.08.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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