B. Barth u.a. (Hgg.): Zivilisierungsmissionen

Cover
Titel
Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert


Herausgeber
Barth, Boris; Osterhammel, Jürgen
Reihe
Historische Kulturwissenschaft 6
Erschienen
Konstanz 2005: UVK Verlag
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Birthe Kundrus, Hamburger Institut für Sozialforschung, Hamburg

In seiner Morphologie von Imperien hat Herfried Münkler der imperialen Mission einen bedeutenden Stellenwert zugeschrieben: ob China, ob Rom, ob Napoleon oder die heutigen USA, nicht nur als Legitimation expansiver Vorhaben, auch als geglaubter Wert war die Überzeugung, das Recht und die Pflicht zu haben, in die Lebensumstände anderer Nationen, Völker oder Staaten „hebend“ einzugreifen, diese auf den gleichen, höheren Zivilisationsstand wie das eigene Reich zu bringen, ein wesentliches Movens. Welche theoretischen Grundlagen diese Koppelung von politischer Machtentfaltung und Machterhaltung an die ethische Idee einer „guten Intervention“ hatte, welche Erscheinungsformen sie annehmen konnte und welche Folgen ihre Realisierung seit der Aufklärung aufwies, sind Hauptfragen des vorliegenden Bandes. Grundlage war eine Konferenz des Konstanzer SFB „Norm und Symbol“ zu „Varieties of the Civilizing Mission. World Order, Empire, and Legitimacy in the Modern Era“ im Jahre 2003.

Neben der Überzeugung von der eigenen Überlegenheit rückt der Konstanzer Historiker Jürgen Osterhammel als zweite wichtige Charakteristik die „Erwartung einer gewissen Rezeptivität auf Seiten der zu Zivilisierenden“ (S. 365). Dass diese Hoffnung nur allzu häufig trog, ist Gegenstand der meisten Beiträge. Gut gemeint ist halt nur selten auch gut gehandelt. Es ist gerade diese Spannung zwischen Borniertheit und Universalismus, Sendungsbewusstsein und krassem Herrschaftswahn, teleologischer Geschichtsbetrachtung und Entwicklungsnegation, Behauptung kultureller Überlegenheit und realem Unvermögen, Assimilationswahn und Assimilationsangst, die die Thematik so anregend und die Beiträge so lesenswert macht. Offenbar erfüllten diese Missionen verschiedene Funktionen: Sie dienten der Selbstvergewisserung und -verständigung ebenso wie der ideologischen Bindung der Eliten an das imperiale Projekt, der Herrschaftslegitimation gegenüber den Unterworfenen wie der Konstruktion von Alterität. Sie verändern nicht nur die Lebenswelten der „Objekte“ dieser Mission, sondern auch die der ausübenden Akteure. Mit dem britischen Empire, Russland, Frankreich, Japan, Deutschland und den USA werden wichtige Imperialmächte der letzten drei Jahrhunderte untersucht. Einige der sechzehn Texte seien im Folgenden kurz vorgestellt.

Wie die französische Aufklärung als Triebfeder der Zivilisierungsmission im Napoleonischen Reich fungierte, analysiert sehr eindringlich Michael Broers. Zu dieser Zeit sei die Notwendigkeit definiert worden, das „dunkle“ Europa aufzuhellen im Sinne einer „an Zwang grenzenden“ (S. 92) Akkulturation. Antiklerikalismus und Arroganz hätten sich in dem Bemühen getroffen, eine friedliche Gesellschaft zu kreieren mit einer „guten Regierung“ an der Spitze. Geglaubt worden sei – Gobineau lag noch in weiter Ferne – an die verändernde Wirkung der Erziehung, auch einer autoritären.

Dass christliche Missionsgesellschaften als integraler, aber auch eigensinniger Bestandteil der imperialen „civilizing mission“ Großbritanniens zu sehen sind, betont Andrew Porter. Beleg dafür, dass sie nicht selten versucht hätten, die außereuropäischen Gesellschaften vor einschneidenden Veränderungen der Sozialstruktur, des Normen- und Wertegefüges zu schützen, sind die Klagen der Kolonialverwaltungen, übrigens nicht allein im britischen Empire, gerade die Missionen, die doch eine der Speerspitzen sein müssten, würden sich allzu oft als „Abtrünnige“ auf die Seite der Kolonialuntertanen schlagen.

Missionen in Siedlergesellschaften legten aber in der Regel eine der Kolonialadministration geneigtere Haltung an den Tag. Boris Barth erklärt diese größere Nähe mit der Abhängigkeit der Missionare von den Siedlern und Pflanzern, durch die ein erheblicher Druck auf religiöse Grundsätze der Egalität ausgeübt worden sei. Sein Text widmet sich im Kern der Frage, wie sich das Konzept der Rasse auf die Zivilisierungsmission auswirkte. Anhand von Virginia, Südwestafrika und den Burenrepubliken zeigt er, wie in Siedlungskolonien die Idee, dass zumindest potentiell der unterlegene Partner sich hinaufarbeiten, -bilden oder -rechten lassen könne, durch das scharfe Differenzaxiom des Rassismus zunichte gemacht wurde. Die Fähigkeit zum Fortschritt, wenn auch immer verbunden mit der Anerkennung und Unterwerfung unter die zivilisierende Macht, sei den „faulen Negern“ abgesprochen worden.

Die Interaktion der Kategorien „Rasse“ und „Klasse“ rückt Harald Fischer-Tiné in den Blickpunkt. „Poor Whites“ gefährdeten in den Augen der britischen Elite in Indien den weißen Superioritätsanspruch und delegitimierten die Grundlage der Zivilisierungsmission, nämlich die zivilisatorische Differenz von Weißen und Nichtweißen. So seien sie wie im Inselreich auch Objekt einer „internen Zivilisierungsmission“ geworden – mit teilweise sogar den gleichen Akteuren hier wie dort, etwa der Salvation Army. Anders als in Großbritannien aber sollten die disziplinierenden und wegschließenden Maßnahmen wie die Überführung in Arbeitshäuser diese Gruppen möglichst unauffällig ereilen. Mit ihrem „Verschwinden“ sollten die Trennlinie zwischen Kolonialherren und Kolonisierten und damit der Herrschaftsanspruch gewahrt bleiben. Weißsein habe mithin permanente Performanz erfordert. Fischer-Tiné zieht aus seinem Fallbeispiel den Schluss, dass „zivilisierende Missionen nur Glaubwürdigkeit beanspruchen können, solange sie Visionen bleiben. Bereits der bloße Versuch, sie in die Tat umzusetzen, führt sie ad absurdum“(S. 199). Schließlich macht Fischer-Tiné auf die Resistenz der marginalisierten Briten aufmerksam und erinnert einmal mehr an die heterogene Rezeption und die Handlungskompetenz der „Zivilisierungsobjekte“.

Auch Andreas Eckert betont die Aneignung von derartigen Missionen durch die „Missionierten“. Sein Fallbeispiel ist die Bürokratisierung im kolonialen Westafrika. Selbst gut ausgebildeten Afrikanern hätten die französischen Machthaber, die ja die Mission civilisatrice in besondere Maß auf ihre Fahnen geschrieben hatten, nur begrenzt Verwaltungskarrieren eröffnet. Dennoch hätten Afrikaner die behördlichen Konzepte der „diex de la brousse“, der Könige des Busches, „in eine Richtung zu steuern [vermocht], die ihnen nützlich erschien“ (S. 283). Dazu habe einmal mehr und nicht zuletzt die eigene Alphabetisierung und das Erlernen der französischen Sprache gehört. Diese sei auch genutzt worden, um Erzählungen gelehrter, aber illiterater Afrikaner zu überliefern.

Einen weniger subversiven, aber dennoch die Bedeutung des Herrschaftsinstruments „Sprache“ für den Prozess der Kolonisation nochmals unterstreichenden Fall schildert Almut Steinbach, neben Corinne A. Pernet, einzige Autorin in dem Band. Ihr Gegenstand ist die Verbreitung des Englischen im 19. Jahrhundert in Ceylon und Malaysia. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von der Kolonialregierung noch aktiv betrieben, hätten sich die Briten im letzten Drittel zunehmend aus der Verbreitung zurückgezogen. Dieser Verzicht habe im Wesentlichen mit der heftig umstrittenen Frage zu tun gehabt, ob eine allzu undifferenzierte Ausbreitung des Englischen den Briten eher nützen oder schaden würde – eingedenk der mit der Aneignung verbundenen Aufwertung der Kolonisierten. Den Ceylonesen und Malaien jedenfalls und insbesondere den einheimischen Eliten schien das große Prestige, das vom Englischen ausging, klar vor Augen zu stehen. Sie „anglisierten“ sich offenkundig weiterhin, in einer Art „Selbstmissionierung“.

Mit dem Scheitern einer auch als Zivilisierungsversuch angetretenen Intervention beschäftigt sich Marc Frey, nämlich mit der Entwicklungspolitik der USA in Südostasien zwischen 1945 und 1961. Lokale Verhältnisse weitgehend ignorierend oder verkennend, sich auf alte Eliten stützend, die alles übernahmen, solange es nur ihren Interessen entsprach, und einem Selbstbild verhaftet, das Korrekturen weitgehend ausschloss, hätte diese Politik kaum „Erfolge“ aufzuweisen gehabt. Gestartet seien die USA, die Ausbreitung des Kommunismus in dieser Region einzudämmen und die Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft zu plausibilisieren. Tatsächlich aber seien die Gesellschaften der Region als „vormodern abqualifiziert, die Menschen als schwach bezeichnet“ (S. 357) und einem rassistischen Paternalismus unterworfen worden. Zudem habe sich der Nebel des Kommunismusverdachts über alles und jeden gelegt. Freys Resümee: „Letztlich operierte die amerikanische zivilisierende Mission im Rahmen eines nicht auflösbaren Paradoxes. Die Unterstützung von ‚modernen‘ Nationalismus und Antikolonialismus sowie die Forderung nach Modernisierung ‚zurückgebliebener’ Nationen verlangten ein Plädoyer für demokratischen Wandel und soziale Transformation. Antikommunismus und die Vorstellung einer ‚freien Welt‘ ließen dagegen die Anerkennung eines gesellschaftlichen Status quo notwendig erscheinen, der durch autoritäre Regime und durch eine von den Vereinigten Staaten finanzierte Armee gewährleistet wurde.“ (S. 361)

Jürgen Osterhammels eigener Beitrag steht am Schluss und bietet nicht nur eine hervorragende umfassende Einführung in die Problematik, eine luzide Synthetisierung der Dimensionen von Zivilisierungsmissionen, die in den vorangegangenen Beiträgen entwickelt wurden. Vielmehr steckt er auch das Feld für zukünftige Forschungen ab – und pariert dadurch mühelos Einwände gegen mögliche Verengungen des Bandes. Koloniale Zivilisierungsmissionen in die außereuropäische Welt seien, so Osterhammel, nicht von Entwicklungen innerhalb Europas zu trennen.

Wahrnehmungen zivilisatorischer Differenz, die die Europäer machten, hätten sich zunächst oft auf die eigenen Nachbarn bezogen. Im Hinblick auf nichteuropäische Zivilisierungsmissionen sei zumindest überlegenswert, China genauer in den Fokus zu nehmen. Bezüglich vormoderner Zivilisierungsmissionen sei die Abwägung komplizierter. Denn das Konzept bedurfte doch eines – im europäischen Fall – der Aufklärung folgenden transformativen Kulturverständnisses sowie aktiver Eliten, die den Willen und den Einfluss zur Umsetzung mitbrachten, ganz zu schweigen von dem strukturellen Unterbau eines bürokratisch geregelten Staatsapparates. Ebenso lägen die Grenzen von Zivilisierungsmissionen auf der Hand, am offensichtlichsten in den Fällen, wo sich die Rollen umkehrten und der Zivilisator sich der vorgeblich unterlegenen Kultur assimilierte.

Wahrscheinlich entscheidender für die Geschichte dieser „erziehenden Vormundschaftlichkeit“ seien zwei andere, gegensätzliche Entwicklungen gewesen: einerseits die Idee des Egalitarismus, die die insinuierte Differenz nivellierte, indem sie Gleichheit und Ebenbürtigkeit postulierte, andererseits der Rassismus, der eben diese Differenz als unüberbrückbar ausgab. Gleichwohl würden Zivilisierungsmissionen auch heute fortbestehen, wenngleich in neuem Gewand. Sie trügen nunmehr, unterstützt von der Staatengemeinschaft z.B. in Form der UN, oft den Charakter eines akuten Krisenmanagements. Diese Problematik erfordert allerdings einen neuen Sammelband, der so urteilssicher und perspektivenreich sein möge wie der vorliegende.

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Veröffentlicht am
02.06.2006
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