Unter der Schirmherrschaft beider Staatspräsidenten, Jacques Chirac und Horst Köhler, steht eine Kunstausstellung, die das Ziel hat, zur Intensivierung der deutsch-französischen Freundschaft beizutragen. Zur Kenntnis der Kunstbeziehungen beider Länder beizutragen, das ist in der Tat der Wunsch, der von Pierre Rosenberg formuliert wird: von ihm angeregt und getragen ist das hier besprochene Unternehmen ein echter Meilenstein in der Erforschung der Kunstbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland.
Vor 23 Jahren hatte Rosenberg, ehemaliger Direktor und Präsident des Louvre-Museums, die wichtige Ausstellung La peinture française du XVIIe siècle dans les collections américaines in Paris, New York, Chicago organisiert.1 Ziel war es, dem französischen Publikum Meisterwerke französischer Künstler wie Nicolas Poussin, Claude Lorrain oder Georges de La Tour zugänglich zu machen, die in amerikanischen öffentlichen Sammlungen aufbewahrt waren, und gleichzeitig anhand der besten Werke der großen Meister und der neuesten Erkenntnisse der Forschung eine neue Geschichte der französischen Kunst zu schreiben. Sein lang gehegter Wunsch, mit den deutschen Sammlungen eine ähnliche Ausstellung zu veranstalten, wurde dank der fruchtbaren Zusammenarbeit mit Dr. Wenzel Jacob (Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik, Bonn) und dessen Mitarbeitern ermöglicht. Im Vordergrund stand diesmal jedoch ein viel ambitionierteres Projekt, und zwar die systematische Zusammenstellung eines Verzeichnisses aller französischen Bilder des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich heute in deutschen öffentlichen Sammlungen befinden und die vom 17. Jahrhundert bis heute angekauft wurden.
In enger Zusammenarbeit mit den deutschen Museen und Sammlungen haben Pierre Rosenberg und sein Assistent David Mandrella ein Dutzend Reisen unternommen, um Museen und Magazine zu durchsuchen, bekannte Meisterwerke aufzunehmen, neue Bilder zu identifizieren und falsch zugeschriebene Werke ihren tatsächlichen Schöpfern wiederzugeben. Es ist klar, dass ein solch riesiges Unternehmen Einschränkungen erfahren musste. So haben Rosenberg und Mandrella entschieden, keine französischen Künstler aufzunehmen, die zwar als Botschafter des „goût français“ in Deutschland gearbeitet haben, deren Werke jedoch nicht aus Frankreich importiert wurden. Es fehlen daher in diesem Verzeichnis wichtige Namen wie Antoine Pesne, preußischer Hofmaler und Direktor der Berliner Mahler- und Bildhauerkunstakademie, oder Charles-Amédée Van Loo, ebenfalls Hofmaler von Friedrich II., während andere, die auch in Deutschland gelebt haben wie Joseph Vivien oder Louis de Sylvestre, aufgenommen wurden, weil ihre Werke in Frankreich entstanden sind. Trotz dieser fragwürdigen und doch wohl notwendigen Entscheidungen, wird dieses Verzeichnis, das von der Kunsthalle Bonn publiziert wird und zur Ausstellungseröffnung in München erscheinen soll, ein wertvolles Arbeitsinstrument für die kunstwissenschaftliche Forschung sein. In der Tat wird die Erschließung der deutschen Sammlungen einiges neu beleuchten, da Deutschland in der Forschung über französische Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts oft nicht berücksichtigt wurde. So sind einige Werke französischer Meister nicht in catalogues raisonnés aufgenommen worden, weil sie sich in deutschen Sammlungen befinden, die nicht in Betracht gezogen wurden. Es handelt sich also tatsächlich sowohl um einen weiteren Schritt in der wechselseitigen Kenntnis, als auch um einen grundlegenden Beitrag zur Geschichte der französischen Kunst unter verschiedenen Aspekten, dem der Sammlungsgeschichte, der Geschmacksgeschichte und der französischen Kunst selber.
So muss man die in Paris, München und Bonn gezeigte Ausstellung als Pendant und Ergänzung zum wissenschaftlichen Unternehmen verstehen, als sein politisches, an die große Öffentlichkeit gerichtetes Manifest, die bildhafte Aktualisierung eines mühsamen Archivierungsprozesses und endlich als Erfüllung des Wunschtraums von Pierre Rosenberg. Dieser hat sich bewusst für eine „nicht historische“ Ausstellung entschieden, sondern für einen lustvollen Rundgang durch die schönsten Werke französischer Meister aus deutschen Sammlungen. Wie 1982 lag ihm eine Ausstellung am Herzen, die die Geschichte der französischen Kunst anhand weniger bekannter, wegen ihrer hohen Qualität ausgesuchter Meisterwerke neu auslegen sollte.
Obwohl die Publikumszahlen im Grand Palais zwar befriedigend, jedoch nicht mit den Kassenschlagern der letzten Jahren (Picasso und Matisse, 2002; Gauguin Tahiti – l’atelier des tropiques, 2003-2004) zu vergleichen waren, ist die allgemeine Kritik recht positiv ausgefallen. Während sich einige Zeitschriften wie L’Oeil mit der Abbildung einiger Highlights begnügten, brachte die modische Pariser Zeitschrift Zurban einen begeisterten Beitrag von Adrien Goetz. Bewundernd und dennoch ironisch wurde die Ausstellung von Philippe Dagen in Le Monde besprochen, der ihren angeblich chauvinistisch anmutenden Charakter nicht unkommentiert lassen wollte: in der Tat würde die Ausstellung im Grand Palais wieder einmal versuchen, den Glanz und die unwiderstehliche Ausstrahlung der französischen Kunst zu bezeugen, womit natürlich deren Überlegenheit erneut bewiesen würde. Von einer solchen Absicht kann objektiv gewiss nicht gesprochen werden, auch wenn sich vielleicht nachvollziehen lässt, dass beim Betrachter ein derartiger Eindruck entstehen kann. Die Realisierung der Ausstellung muss im engen Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Aufstellung des Verzeichnisses verstanden werden. Dass bewusst auf eine Sammlungs- oder Geschmacksgeschichte als Gliederung für die Ausstellung verzichtet wurde, ist dennoch bedauerlich, doch hätte es noch einige Monate Arbeit mehr bedeutet, das von Rosenberg und Mandrella gesammelte Material zu bearbeiten. Der Entschluss, die Bilder in einer eloquenten Selbstdarstellung zu präsentieren – auf ausgiebige Informationstafeln wurde verzichtet –, soll eine Geschichte der französischen Kunst aus deutscher Perspektive liefern, die natürlich Akzente anders setzt und neue Perspektiven eröffnet. Das Fehlen einiger Meisterwerke, die im Ausstellungskonzept vorgesehen waren, doch aus konservatorischen Gründen nicht ausgeliehen werden konnten – wie die wichtigen Watteau-Bilder aus dem Berliner Schloss Charlottenburg – drängt dem Gesamtbild zusätzliche Verzerrungen auf. So konnte der Pariser Besucher die Ausstellung einerseits als eine wunderbare Reise durch das französische 17. und 18. Jahrhundert, andererseits aber als eine wegen des Mangels an Informationen eher frustrierende Vorstellung erleben, da man kaum erfahren konnte wie, wann, wo die Bilder nach Deutschland gekommen sind und wie sie dort aufgenommen wurden, was das für die deutschen und französischen Künstler bedeutet hat, und inwieweit zeitgenössisches Tagesgeschehen oder ideengeschichtlicher Hintergrund das alles erklären kann.
Unverzichtbares Supplement ist also der Ausstellungskatalog, der einen Einblick in diese historischen Zusammenhänge bietet. Er besteht aus einem wissenschaftlichen Essay-Teil, einem chronologisch und thematisch gegliederten Abbildungsteil und einem alphabetisch geordneten Werkverzeichnis. In diesem findet man ausführliche Informationen zu den ausgestellten Werken und bekommt eine vorzügliche Vorstellung von dem zu erscheinenden Verzeichnis. Die ausgezeichneten Notizen, die hauptsächlich von Pierre Rosenberg und David Mandrella stammen, zeugen von der Gelehrsamkeit der Autoren, die den neuesten Stand der Forschung einarbeiten, Provenienzen sichern und ausführliches Bildmaterial liefern, um den Kontext des Schaffensprozesses zu rekonstruieren. Der Abbildungsteil soll durch Gliederung und kurze Einführungen zu den neunzehn Abteilungen die Entwicklung der französischen Kunst im 17. und 18. Jahrhundert nachvollziehbar machen. Dem Essayteil werden eine kurze historische Einleitung in die Situation Deutschlands im 17. und 18. Jahrhundert von Jean Meyer (Sorbonne, Paris) – in der deutschen Fassung ist es eine Einleitung in die Geschichte Frankreichs von J. P. Poussou (Sorbonne, Paris) – und eine methodologische Erklärung von Pierre Rosenberg, der die Entstehung und Ausführung des Ausstellungs- und Verzeichnis-Projektes schildert, vorangestellt. Hier werden noch einmal alle Probleme angesprochen, denen ein solches Unterfangen zwangsläufig begegnen muss: Pierre Rosenberg ist sich durchaus der Schwierigkeit bewusst, allein mit der Qualität der Bilder zu argumentieren, doch erklärt er alle Beweggründe, die ihn dazu veranlasst haben, eine Geschichte der französischen Kunst anhand der in Deutschland aufbewahrten Bilder zu präsentieren. Auch wenn viele der Argumente nicht unbedingt überzeugen, muss man zugeben, dass sich die methodologischen und wissenschaftlichen Probleme, die bei Rezeptions-, Transfer-, Sammlungs- und Geschmacks-Geschichte auftreten, nie vollkommen befriedigend lösen lassen. Deshalb ist der erste Teil des Katalogs auch so erfreulich, weil er zeigt, wie mit dem Material umgegangen werden muss und was noch alles zu erarbeiten ist.
Die Forschungsperspektiven, die Rosenbergs Unternehmen freilegt, und die die gesamte kunstwissenschaftliche Problematik umfasst, werden in elf Essays glänzend thematisiert: die kunstkritische und kunsttheoretische Auseinandersetzung mit französischer Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutschland (Thomas Gaehtgens, Henry Keazor), Kunstmarkt und Kunsthandel zwischen Frankreich und Deutschland (Burton Fredericksen), Museums- und Galeriengeschichte in gegenseitiger Anregung (Bénédicte Savoy, Helge Siefert, Virginie Spenlé), Sammler und Sammlungen französischer Kunst in Deutschland (Patrick Michel, Alexander von Solodkoff, Christoph Martin Vogtherr), Diplomatie und politische Beziehungen (Jochen Luckhardt), sowie die Frage nach dem Bezug zum Pariser Modell (Harald Marx). Während manche Autoren ihre Darstellung minutiös anhand der Transkription zeitgenössischer Dokumente aufbauen, verzichten andere auf historische Stringenz, um frei zu assoziieren. Ungenau wird jedoch kaum argumentiert, und zwischen diesen beiden Extremen stellen die meisten Autoren ihre Überlegungen überzeugend vor. Man kann in diesen Aufsätzen auch viele verschiedene Arbeitsmethoden und Überlegungen beobachten, die den Reichtum an neuen Erkenntnissen erahnen lassen, der aus den aufgearbeiteten Materialien resultieren wird.
Man muss also für das Jahr 2005 festhalten, dass mit dem Unternehmen Pierre Rosenbergs und David Mandrellas ein wichtiger Meilenstein für die deutsch-französische Kunstforschung gelegt wurde: die systematische Inventarisierung aller auffindbaren und identifizierbaren französischen Werke, die sich in deutschen öffentlichen Sammlungen befinden, deren Provenienz zu klären und Autorenschaft zu sichern, das alles ist eine großartige Leistung. Sichtbar gemacht für das Publikum wurde diese durch die in Paris, München und Bonn gezeigte Ausstellung: in ihr sollte sich der Besucher, so Rosenberg, „eine ziemlich vollständige Vorstellung der französischen Kunst dieser Zeit“ machen können. Dieser Ansatz mag problematisch erscheinen, da er zwangsläufig mit seinen Einschränkungen und perspektivischen Verschiebungen unbefriedigend bleibt, aber der Katalog, der die Ausstellungen in Frankreich und Deutschland in kaum unterschiedlicher Form begleitet, holt weit aus. Die Aufsätze zeugen von den verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus der Materialsammlung ergeben können. Der Abbildungsteil bietet in seiner kommentierten Gliederung den Ansatz für eine Revision der Geschichtsschreibung der französischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Das Werkverzeichnis endlich zeugt von der Gründlichkeit der besten französischen kunsthistorischen Tradition.
Resultat einer seit einigen Jahren immer weiter ausgearbeiteten Fragestellung zu den deutsch-französischen Kunstbeziehungen (von denen auch die Publikationen des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris zeugen), gibt das Unternehmen Rosenbergs und Mandrellas selbst Anlass zu neuen Veranstaltungen und Publikationen. So organisierte nicht nur der Grand Palais eine Vortragsreihe (Pierre Rosenberg, Philippe Sollers, Thomas Gaehtgens, Hermann Mildenberger) zur Begleitung der Ausstellung, sondern auch die Ecole du Louvre wurde durch diese Ausstellung angeregt, am 6. und 7. Juni 2005 ein Tagung über die deutsch-französischen Kunstbeziehungen im 18. Jahrhundert unter dem Titel „Regards croisés“ zu veranstalten.2 Wer sich wie Pierre Rosenberg wünscht, dass auch Kultur- und Kunstgeschichte die Annäherung Frankreichs und Deutschlands vertiefe, wird anerkennen, dass er dafür einen wichtigen Beitrag geleistet hat.
1 La peinture française du XVIIe siècle dans les collections américaines / France in the Golden Age. Seventeenth-Century French Painting in American Collections, Paris, Galeries Nationales du Grand Palais; New York, The Metropolitan Museum; Chicago, The Art Institute, 1982.
2 „Art français et art allemand au XVIIIe siècle. Regards croisés“. XXe Rencontres de l’Ecole du Louvre, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forum für Kunstgeschichte.