Das deutsche Kaiserreich war um 1900 weltweit der größte Produzent von Bildpostkarten und hinterließ ein umfangreiches Archiv an Bildern, das auch koloniale Motive umfasst. Postkarten stellten im Alltag ein billiges, leicht herstellbares und überall präsentes Massenmedium dar. Die Wirkungsweise und Funktion dieser Bildpostkarten, sind in der historischen Kolonialismusforschung bisher wenig beachtet worden. Die Ausstellung „BILDER VERKEHREN. POSTKARTEN IN DER VISUELLEN KULTUR DES DEUTSCHEN KOLONIALISMUS“ vom Institut für Migrations- und Rassismusforschung – [ i ] [ mi ] [ r ] präsentierte vom 19. April bis 5. Juni 2005 im Hamburger Kunsthaus einige Hundert Bildpostkarten aus der Zeit zwischen 1880 und 1940.1 Eine Ausstellung zu konzipieren, die zum großen Teil rassistische Bilder präsentiert und dabei versucht herauszufinden, welche Interdependenzen von sex, race, class und gender durch das Medium Postkarte nicht nur hergestellt, sondern auch vorweggenommen oder quasi „hinterher-produziert“ worden sind, erfordert eine strenge Konzeptualisierung und Kontextualisierung. Dies ist dem Ausstellungsteam – Felix Axster, Heike Hartmann, Astrid Kusser und Susann Lewerenz – hervorragend gelungen. Ein umfangreiches Rahmenprogramm verortete die Ausstellung im politischen Diskurs: Führungen, Vorträge und ein Filmabend präsentierte gegenwärtige Positionen von Schwarzen Deutschen und neuere Ansätze der Rassismustheorie.
Die AusstellungsmacherInnen von ´Bilder verkehren´ schauten sich das visuelle Archiv des deutschen Kolonialismus aus einer ganz spezifischen Perspektive an. Sie fragten nach den Wechselwirkungen der Postkarten-Bilder mit den historischen Realitäten, fragten nach dem Verhältnis von Rassismus und seiner visuellen Repräsentation wie auch nach Störmomenten und Widerstandspraktiken diverser AkteurInnen jener Zeit. Präzise und systematisch wurden die Kartenmotive gegen den Strich gelesen, das Nichtabgebildete gesehen und das Nichtgesehene gedeutet; es wurde sozusagen „zwischen den Karten gelesen“, deren unterschiedliche Motive faszinierenderweise zum Teil miteinander zu kommunizieren, aufeinander zu antworten, sich gegenseitig aufeinander zu beziehen schienen.
Damit bebilderte und analysierte die Ausstellung auf eigene Weise die Geschichte(n) des deutschen Kolonialismus. Wenn BesucherInnen nicht viel über das koloniale Begehren „HIER UND DORT EIN JUNGES DEUTSCHLAND ZU GRÜNDEN“ (R. Wagner, 1848) wussten, dann erfuhren sie anhand der Postkarten, der Hängung, der Ordnung und der Beschriftung von ´Bilder verkehren´ viel über das deutsche Kolonialprojekt, seinen Wechselwirkungen mit den Metropolen, seine rassistische Ideologie und die Herstellung, Infragestellung und Formung derselben. Die Ausstellung widmet sich der Dialektik der Kolonialverhältnisse – die sich auch in der Bildsprache der Karten wieder findet – indem sie die Ausstellung zweiteilt: Kolonisierung als Topos auf der einen und Migration auf der anderen Seite.
Der Aspekt der Migration wird gerade in der Kolonialgeschichtsschreibung oft als Effekt an ihren geschichtlichen Rand sortiert und es ist umso bemerkenswerter, dass durch die Konzeption dieser Ausstellung die Migrationsbewegungen aus den Kolonien nach Deutschland, der Alltag der so genannten KolonialmigrantInnen in den Metropolen, aber auch die afro-amerikanische Präsenz im damaligen Europa (zum Beispiel durch das Phänomen Cake Walk) selbstverständlich als Teil der kolonialen, als Teil der deutschen Geschichte verstanden werden. Eine Postkarte von 1920, auf der zu lesen ist „BIGUINE – DEUTSCHLANDS ERSTE NEGERBAR“ oder andere Werbe- und Visitenkarten Schwarzer Deutscher oder MigrantInnen, die oftmals im Schausteller- oder Gaststättengewerbe, in der Film- oder Musikbranche tätig waren und den Bedarf nach „Exotik“ gleichzeitig bedienten und nutzten, geben Zeugnis von einem Schwarzen Alltag in Deutschland, in dem auch Widerstand und Selbstorganisation ihren Platz hatten, wie die Karte vom „INTERNATIONALEN KOMITEE DER NEGERARBEITER“ (Gründung 1920) oder die Postkarte mit AMBROSO DE SONZA, Gründer des Afrikanischen Hilfsvereins (1918-1920), und andere mehr beweisen.
Die Gefahr durch diese Gliederung die Geschichte erneut zweizuteilen, in ein Hier (der Migration) und ein Dort (des Kolonialismus), umgehen die Ausstellungsmacherinnen durch ein Verweben der unterschiedlichen Geschichten. Migration und Migrationsprozesse gehören von Beginn an zum kolonialistischen Projekt, was (zynischerweise) durch die Karten zu den so genannten „Völkerschauen“, die im ersten Teil gezeigt werden, deutlich wird. Die Gliederung, wie sie hier vorgeschlagen wurde, wird nur als vorübergehende markiert und eine Postkarte, die vielfach vergrößert als optischer Mittelpunkt der Ausstellung den Musiker Emil Klare zeigte, wurde zum Verbindungsglied zwischen den beiden Segmenten. Klare, Mitglied einer Rendsburger Blaskapelle, ist in selbstbewusster Pose mit seinem Instrument auf einer Postkarte mit der Unterschrift „EMIL KLARE, MITGLIED DER KRUSE’SCHEN KAPELLE, RENDSBURG“ zu sehen. Kontextualisiert wird dieser Mittelpunkt von den AusstellungsmacherInnen von der Frage „Wer war Emil Klare?“. Bislang weiß man nur, was die Karte von selbst preisgibt. Ein afro-deutscher Musiker, der sich als Mitglied einer provinziellen Blaskapelle präsentiert. In den Archiven ist nichts über ihn zu finden. Anfragen bei lokalen Geschichtsvereinen und Zeitzeugen hatten nur ungläubiges Kopfschütteln zum Ergebnis: Es könne nicht sein, dass Klare in Rendsburg gelebt habe. Auf Initiative eines Besuchers der Ausstellung wurde im Mai 2005 in den Rendsburger Nachrichten ein Artikel veröffentlicht, um mehr über die Herkunft von Klare, seine Existenz und Lebensgeschichte zu erfahren. Nun meldete sich jemand, der sich an Erzählungen seines Großvaters erinnerte, dieser habe mit „einem Schwarzen“ in der Kapelle gespielt.
In der Präsentation arbeitete die Ausstellung mit einer eigenen Ästhetik der Formen und Muster, der Verzerrung und Verdoppelung, sie holte offensichtliche Sichtbarkeiten und verborgene Unsichtbarkeiten hervor und führte sie den BetrachterInnen vor die Augen. Sie belegt die Alltäglichkeit des kolonialen Projektes in der visuellen Kultur des Kaiserreichs und weit darüber hinaus. Gleichsam kann man – und dies wird Inhalt weiterer Forschungsvorhaben rund um das Postkartenprojekt werden 2 – sehen, wie widersprüchlich dieses visuelle Feld strukturiert war. Dieses spannungsgeladene Verhältnis, die feine Linie zwischen „Sehen und Gesehen werden“, ist wunderbar auf einzelnen Karten erkennbar: Im Abschnitt „Blicke einüben“ sind auf Postkarten des Hamburger Tierparks Hagenbeck, in dem so genannten „Völkerschauen“ stattfanden, nicht nur die Menschen zu sehen, die dort ausgestellt wurden, sondern auch ZoobesucherInnen und die Absperrung, hinter der sie stehen. Man sieht also auf der Karte, wie gesehen wird, wie der Blick quasi gemacht, geübt wird, was es bedeutet, den Blick zu formen, zu ordnen und als Weißen Blick zu universalisieren. Man beobachtet als BetrachterIn der Karte nicht nur die BeobachterInnen, die Beobachteten fallen gleichsam aus dem Rahmen, da sie direkt in das Bild schauen und den Blick zurück üben.
Andere Postkarten zeigen deutsche, Weiße Matrosen, die fast unbekleidete Schwarze und durch Baströcke als „Wilde“ gekennzeichnete Frauen und Mädchen in ihren Armen halten. Sie sind mit Bildunterschriften wie „ANDERE STÄDTCHEN – ANDERE MÄDCHEN“ oder „UNSERE MARINE. – UND WENN EIN MÄDCHEN MIR GEFÄLLT, DANN HILFT KEIN WIDERSTREBEN“ untertitelt. Sexualität zieht sich als Dispositiv durch die Geschichte des Rassismus und dies ist auch in den unterschiedlichen Kapiteln der Ausstellung zu verfolgen. Anscheinend gezielt wurden Karten produziert, welche sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen als Ergebnis des kolonialen Kontakts, der Eroberungskriege und der Migration thematisierten – und dessen juristische Antwort z.B. das Mischehenverbot darstellte. Es wird deutlich, dass es eine Produktion von Bildern benötigte, die sowohl auf die sexualisierte Gewalt, auf sexuelle Projektionen und Phantasien als auch auf das Vorhandensein von Liebesbeziehungen und Begehrensstrukturen einging. Sie spiegelten diese und verarbeiteten bzw. integrierten sie kulturell mit Hilfe rassistischer Witze und Motive. So etablierte sich beispielsweise der „Hosenneger“ als Karikatur des gebildeten, bürgerlichen Schwarzen Mannes und gab ihn gleichzeitig der absoluten Lächerlichkeit preis. Zugleich dienten diese Bilder dazu, Frauen, welche Liebesbeziehungen mit Schwarzen Männern eingingen, als geschmack- und kulturlos zu denunzieren. Die Karten erfüllten damit einen doppelten Zweck.
Das Ausstellungsteam entschied sich dafür postkartengroße Duplikate anfertigen zu lassen und sie ungerahmt zu zeigen. Einige ausgewählte Originale wurden in einem zweiten Raum in Vitrinen gezeigt und waren damit räumlich wie auch haptisch von den übrigen Reproduktionen getrennt. Sie bekamen dadurch die besondere Bedeutung des „Originals“. Im Gästebuch fand sich neben vielen begeisterten Stimmen auch eine leise Kritik: Zu „overdesigned“ sei die Ausstellung. Ein Kommentar, dem auch ich in gewisser Weise zustimmen würde. Die hermetische Ausstellungsarchitektur, der große Respekt vor dem Material, schützt es vielleicht letztendlich zu sehr, macht es mitunter schwächer, glättet es durch Ästhetisierung und zäumt es ein. Aber vielleicht ist dies auch ein Abbild des aktuellen Forschungsstands und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassismen. Auch die Rückseiten der Karten blieben den BesucherInnen weit gehend verborgen, einige wurden ihnen in eigens eingerichteten Hörstationen zugänglich gemacht. Durch die wörtlich zu verstehende einseitige Reproduktion droht die Gefahr, die BetrachterInnen vergessen zu lassen, dass es sich eben nicht um Bilder, sondern um das zweiseitige Medium Postkarte handelt: Jemand schickt einen Gruß, eine Visitenkarte, eine Werbebotschaft, von einem Ort an den anderen. Er oder sie wählt nicht die Briefform, sondern verbindet seinen quasi öffentlichen Gruß mit einem Motiv und verleiht der Nachricht damit eine zusätzliche Ebene der Bedeutung. Wie die Ausstellung beweist, waren rassistische Motive durchaus beliebt und wurden viel benutzt. Was für ein Archiv an Alltagsrassismus, an Selbstbehauptung, an Wissen über die Separations- und Integrationspraktiken, Handlungsperspektiven verbirgt sich auf den Rückseiten? Welche AkteurInnen stehen hinter der Zirkulation dieser Motive? Kann man nur eine Seite des beidseitig beschriebenen Blattes lesen – und sie gleichwohl verstehen?
Kolonialismus erweist sich in ‚Bilder verkehren’ weder als homogenes Konzept noch als einseitiges Herrschaftsverhältnis. Die BesucherInnen bekommen einen Eindruck des breiten Spektrums der AkteurInnen, die sich auf den Karten zeigen und erkennen lassen, die neue Geschichten, Spuren und Perspektiven andeuten, erzählen und markieren. Im Anschluss ist nun sehr zu wünschen, dass weitere Räumlichkeiten und/oder Institutionen Interesse signalisieren, diese Ausstellung auch bald in anderen Städten zu realisieren.
1 Das Ausstellungsteam arbeitete mit einer Hamburger Privatsammlung (www.postcard-museum.com) und der Sammlung des Altonaer Museums – Norddeutsches Landesmuseum.
2 Siehe dazu das Forschungsprojekt von Felix Axter und Astrid Kusser im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Medien und kulturelle Kommunikation (SFB/FK427) an der Universität Köln.