B. Lauterbach: Beatles, Sportclubs, Landschaftsparks

Title
Beatles, Sportclubs, Landschaftsparks. Britisch-deutscher Kulturtransfer


Author(s)
Lauterbach, Burkhart
Published
Extent
Price
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Anne Friederike Mueller, Athen

„Beatles, Sportclubs, Landschaftsparks“ ist der erste Band einer vom Autor herausgegebenen Buchreihe, die verspricht, sich mit dem alltäglichen Aspekt von internationalem Kulturtransfer zu beschäftigen. Nach seinen bekannten Arbeiten zur Alltagskultur der Angestellten wendet sich Burkhart Lauterbach, Professor für Volkskunde an der Universität Würzburg, dem – im weitesten Sinne – britischen Einfluss auf die deutsche Alltagskultur in der Gegenwart und den letzten drei Jahrhunderten zu.

Der Autor beginnt mit einem imaginären Streifzug durch München, der die Leser/innen durch den Olympiapark, den Englischen Garten, diverse Vereine und Herrenausstattergeschäfte führt. Weiterhin werden in dieser Einstimmung bestimmte Sportarten (Reiten und Tennis), die Musik der Beatles und Getränke wie Tee, Whisky und Gin erwähnt, die zum Alltagsleben in München und in anderen deutschen Städten gehören. Damit sind die Themen der zehn Kapitel des Buches weitgehend angesprochen.

Lauterbach will sich nicht mit beidseitigem transnationalem Transfer beschäftigen, sondern ausschließlich mit dem Prozess und dem Ergebnis des Transfers britischer (Alltags-)Kultur nach Deutschland (S.14). Im Gegensatz zu Ian Burumas „Voltaire’s coconuts, or Anglomania in Europe“ (London, Weidenfeld & Nicolson, 1999, deutsche Übersetzung 2002) hat Lauterbach den Anspruch, die Auswirkungen dieses Transfers auf die Bevölkerungsmehrheit, nicht nur auf intellektuelle oder andere Eliten, zu untersuchen.

Aber schon im ersten Kapitel („Gartenkunst: Soziale Ordnung oder Schönheit?“) reißt die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf. Lauterbach zeichnet nach, wie der „englische“ Landschaftspark seit dem 18. Jahrhundert von Landschaftsarchitekten in anderen Ländern nachgeahmt wird. Ein prominentes Beispiel ist Münchens Englischer Garten. Die Initiative für dessen Anlage geht „von oben“ aus; die erklärte Absicht ist es allerdings, einen „Volkspark“ zu schaffen. 1793 wird er für alle Bevölkerungsschichten eröffnet. Leider sehen wir nicht die Bevölkerung im Park, ihre Reaktionen auf ihn, die Nutzungen des Parks im Wandel der Zeit, kurz: wir sehen nicht wirklich den Englischen Garten in der Münchner oder der deutschen Alltagskultur. Lauterbach zitiert lediglich die Tatsache, dass zwei Jahre nach der Eröffnung (1795) ein Volksfest abgehalten wurde, als einen Anhaltspunkt für die positive Annahme des Parks.

Im Rest des Kapitels springen wir von 1795 nach 1972, vom Englischen Garten zum Münchner Olympiapark. Lauterbach interpretiert diesen als eine moderne Version des englischen Landschaftsparks, ohne uns wirklich erkennen zu lassen, auf welche Art hier ein Kulturtransfer stattfand. Bezog sich der Landschaftsarchitekt ausdrücklich auf die britische Tradition? Wurde der Park vielleicht in den Medien als „englisch“ oder „britisch“ bezeichnet? Oder besteht die Ähnlichkeit nur implizit im Auge des Betrachters, hier des Autors?

Das folgende Kapitel behandelt den Siedlungsbau. Das Konzept der Gartenstadt entstand gegen Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien und wurde kurz darauf nach Deutschland transferiert. Beispiele sind u.a. die Gartenstadt Pullach bei München und Nürnberg-Werderau. Lauterbach deckt einen interessanten Unterschied zwischen der britischen und deutschen Variante der Gartenstadt auf, nämlich eine Tendenz zur „Gartenvorstadt“ in Deutschland. Aber auch dieses Kapitel schließt weder Befragungen oder Beobachtungen der Einwohner ein noch persönliche historische Dokumente, die die eigentliche, alltägliche Wohnerfahrung in der Gartenstadt illustrieren könnten. Stattdessen bleibt der Autor zunächst einer ideengeschichtlichen Darstellung verhaftet, berücksichtigt dann die Architektur der Häuser und einige Sozialdaten über die ersten Bewohner. Wir erfahren viel über die Absichten der Planer, die Programme, Ziele, „Funktionen“ der Gartenstadt, ohne dass diese konsequent mit der historischen oder gegenwärtigen Wirklichkeit kontrastiert werden. Der „praktische Umgang“ mit dem Leben in der Gartenstadt bleibt eine recht offene Frage gegen Ende des Kapitels (S.44).

Das dritte Kapitel behandelt Tourismus seit dem 18. Jahrhundert auf einer hauptsächlich institutionellen Ebene. Die britische Firma Thomas Cook wird mit deutschen Reiseveranstaltern verglichen. Mit dem deutschen Reiseführer Baedeker findet einmal ein Transfer in die andere Richtung statt. Gerade in diesem Kapitel hätten persönliche Reiseerlebnisse und Reiseberichte herangezogen werden können. Unklar bleibt, was wirklich auf britischen Einfluss zurückzuführen ist in der Geschichte und Gegenwart des deutschen Tourismus. Welche deutschen Touristengruppen wurden wann und in welchem Umfang von britischen Praktiken inspiriert? Wo und unter welchen Umständen begegneten sich britische und deutsche Touristen? Was ließe sich über den Alltag des modernen Massentourismus sagen, in dem sich britische und deutsche „Billigtouristen“ auf den gleichen Stränden wieder finden, und wo zumindest auf britischer Seite stereotypische Witze über die deutschen Hotelnachbarn zirkulieren?

Das Kapitel über Erziehung kommt zu dem Schluss, dass das britische Public School-System in Deutschland kaum Nachahmer fand. Dagegen sind Enid Blyton-Romane über das Leben im Internat bei jungen deutschsprachigen Leser/innen beliebt. Nur die Tatsache des Kaufs der Bücher, nicht inhaltliche Reaktionen der Leserschaft auf die Lektüre selbst werden berücksichtigt (es wäre z.B. vielleicht möglich gewesen, sich bei einer kleinen repräsentativen Gruppe zu erkundigen, ob und wie sich ihr Bild von Großbritannien nach der Lektüre verändert hätte). Dagegen leistet der Autor Textanalyse und betrachtet das Vorgehen der Übersetzer/innen ins Deutsche (vieles Britische wie z.B. Ortsnamen wird eingedeutscht). Mit einer Betrachtung des Publikumserfolgs der Harry-Potter-Buchserie und –filme hätte man eine interessante modernere Parallele herstellen können.

Ein weiteres Kapitel untersucht britisch-deutschen Kulturtransfer im Bereich des Sports. Das Wort „Sport“ ist selbst britischen Ursprungs; es wurde 1828 ins Deutsche übernommen. Einige moderne Sportarten wie Pferderennen und Fußball sind auf britischen Einfluss zurückzuführen, wie Lauterbach auch anhand der Vorarbeiten anderer Sporthistoriker aufzeigt.

Was das Thema „Geselligkeit“ angeht (6. Kapitel), ist sich der Autor am wenigsten sicher, wie der britische Einfluss eingeschätzt werden soll. Weder das deutsche Vereinswesen noch die seit dem 19. Jahrhundert en masse zirkulierenden Wochenzeitschriften lassen sich eindeutig auf britische Vorbilder zurückführen.

Die zwei folgenden Kapitel behandeln britisch-deutschen Kulturtransfer im Bereich des Konsums. Teetrinken ist eine alltagskulturelle Praxis, die viele Deutsche – auch und vielleicht vor allem die Mehrheit, die nie nach Großbritannien gereist ist – mit „England“ verbinden. Lauterbach referiert ausführlich eine Studie über die Verbreitung von Steingut und das damit assoziierte Teetrinken in Ostfriesland/ Nordoldenburg. Hier drängt sich eine allgemeine Frage auf: Würde eine regional differenzierte Studie britischen Einflusses in deutscher Alltagskultur nicht aufschlussreichere Ergebnisse zu Tage bringen? Alltägliche Anglophilie mag z.B. in Hamburg offensichtlicher sein als in München, die Einflüsse besser ersichtlich und die persönlichen Kontakte zahlreicher. Lauterbach kommt zu dem allgemeinen Schluss, dass im Gegensatz zu Großbritannien Teetrinker/innen in Deutschland in der Minderheit sind. Übrigens zeigen Marktforschungen in den letzten Jahren, dass der Teekonsum auch in Großbritannien fällt – das, was man stereotypisch für „englisch“ hält, ist auch dem Wandel der Zeit unterworfen.

Kulturtransfer im Bereich der Mode diskutiert Lauterbach vor allem anhand des Beispiels der Barbour-Jacken, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Schottland produziert und von dort exportiert werden. Hier macht sich der Autor Gedanken über die Art des Kulturtransfers: Er vermutet, dass am Anfang interpersonelle Begegnungen eine Rolle spielten bei dem Bekanntwerden und der Verbreitung der Jacken, während sie später von Massenmedien vermarktet werden (S. 143).

Im 9. Kapitel („Kommunikation: Heraus mit welcher Sprache?“) kritisiert Lauterbach auf S. 152 etymologische Lexika, da sie nicht genau angeben, wie der Kulturtransfer im Fall einzelner Worte stattfand. Man fragt sich, ob dies Aufgabe und Anspruch solcher Lexika ist, und in welchem Umfang Lauterbachs eigene - hauptsächlich an Transfer interessierte - Studie den genauen Transferprozessen in allen Fällen, nicht nur im Beispiel der Sprache, nachgeht. Ab spätestens 1945 kam der Transfer englischer Worte ins Deutsche eher aus USA denn aus Großbritannien (S. 156), viele dieser jüngeren Neologismen werden dennoch in diesem Kapitel untersucht.

Das letzte Kapitel behandelt zeitgenössische britische Musik, vor allem die Beatles. Der Autor stellt hier u.a. Berichte über die Reaktionen von deutschen Fans vor, während diese selbst wieder nicht zu Wort kommen.

„Beatles, Sportclubs, Landschaftspark“ leistet einen umfangreichen und anregenden Überblick zu den Aspekten deutscher Alltagskultur, die von Großbritannien aus beeinflusst sind oder sein könnten. Das Ergebnis von Lauterbachs Frage nach diesen Aspekten ist allerdings öfter eine Aufzählung als eine argumentative und interpretierende Studie. Die Studie ist mehr den (transferierten) Dingen verhaftet als den Menschen, die sie benutzen. Eher als eine ausgereifte, abgeschlossene Analyse bietet das Buch ein Programm für zukünftige Forschungen mit einer ausführlichen und kritischen Literaturübersicht und vielen anregenden Ideen. Zusätzliche allgemeine Fragen, die sich an dieses Material stellen ließen, wären solche nach den innerdeutschen Unterschieden in der Rezeption britischer Alltagskultur (viele Beispiele stammen aus dem Münchner Raum, der schon wegen der großen räumlichen Entfernung von der britischen Grenze nicht unbedingt als repräsentativ gelten kann), nach den genauen Wegen und nach der Chronologie des Transfers – gab es in dem betrachteten Zeitraum Epochen, die „britischer“ waren als andere, und inwiefern haben z.B. US-amerikanische Einflüsse nach 1945 britische verdrängt?

Leider fand wenig britisch-deutscher Transfer in einer anderen Instanz der Alltagskultur statt, die man hätte diskutieren können, nämlich dem akademischen Schreibstil. 809 Fußnoten verteilen sich auf 190 Seiten Text und erschweren zum Teil die Lektüre. Dies ist ärgerlich, wenn es so unnötig ist wie z.B. auf S.59: Fußnote 228 belegt dort, dass die erste britische Eisenbahnstrecke zwischen Liverpool und Manchester gebaut wurde, Fußnote 229 gibt kurz darauf im gleichen Satz eine bibliographische Referenz für die Tatsache an, dass 1835 die erste Eisenbahn in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb genommen wurde. Solche doch recht bekannten historischen Daten müssen in einer kulturgeschichtlichen Studie nicht belegt werden. Auch sonst wird der Text an einigen Stellen belastet durch manche langatmigen Definitionen, die mehr auf den Punkt gebracht werden könnten, und das lange Referieren der Bücher anderer Forscher/innen, wie z.B. Alain Corbins (zugegebenerweise exzellente) Studie über „Das Abendland und die Entdeckung der Küste“ auf mehr als zwei Seiten (S. 55ff).

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20.05.2005
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