Geschichte(n) über Räume und Zeiten. Translokale Perspektiven auf globale RaumZeiten

Geschichte(n) über Räume und Zeiten. Translokale Perspektiven auf globale RaumZeiten

Organizer
Dr. Sebastian Dorsch/ Prof. Dr. Iris Schröder
Venue
Forschungszentrum Gotha
Location
Gotha
Country
Germany
From - Until
26.04.2018 - 27.04.2018
By
Nikolas Ender

Seit geraumer Zeit diskutieren viele Historikerinnen und Historiker über geeignete räumliche Bezüge sowie, seit Kurzem, auch wieder vermehrt über zeitliche Referenzen historischen Arbeitens. Sowohl für Vertreterinnen und Vertreter der weltregional als auch der globalgeschichtlich ausgerichteten Historiographie, also der Area und der Global History, gehen diese Fragen an das grundsätzliche Verständnis eines Faches, das sich primär der Nationalgeschichte verpflichtet fühlte und das nun selbst eine „Globalisierung“ erlebt. Diese Fragen richten sich ebenso an Europa-, National- und Landeshistorikerinnen und -historiker, zumal sie die Struktur des Faches betreffen: Doch inwieweit begründen lokale, regionale, nationale und globale Perspektiven auf Geschichte heute überhaupt noch unterschiedliche Teildisziplinen? Wie beeinflussen Zeiten und Zeitvorstellungen dabei historisches Arbeiten und Selbstverständnis? Und was meint in diesem Zusammenhang bzw. was ist überhaupt Globalgeschichte?

Der geplante Workshop führt damit eine auf der letzten AAG-Tagung in Bayreuth („Geschichte(n) der Zukunft: Außereuropäische Herausforderungen“, Oktober 2015) angestoßene und in einem Diskussionsforum auf H-Soz-Kult 2017 fortgesetzte Debatte weiter. Hierfür fokussiert er translokale und raum-zeitlich-dynamische Perspektiven.

Der Begriff der Translokalität geht auf Diskussionen am Zentrum Moderner Orient/ZMO aus den 2000er Jahren zurück und will einen Beitrag dazu leisten, wie wir Geschichtsschreibung in einer nicht mehr primär national, sondern global verstandenen Welt betreiben. Forschungspraktisch gingen die Initiatorinnen und Initiatoren von außereuropäischen Süd-Süd-Beziehungen aus und untersuchten „die Interaktion und Verbindung zwischen Orten, Institutionen, Akteuren und Konzepten über reale und gedachte Grenzen hinweg“ . Translokalität geht also – kurz gefasst – von einem immer wieder neu zu (re-)produzierenden Raum des Lokalen aus, in dem das Alltägliche ge- und erlebt wird und der gleichzeitig ständig transzendiert/überschritten wird. Er bietet damit einerseits die Möglichkeit, aus konkret-lokalen Perspektiven Beziehungen und Verschränkungen zwischen dem Lokalen und dem jenseits des Lokalen, dem „Globalen“ in den Blick zu bekommen – mitsamt den damit verbundenen Machtbeziehungen. Für die Betrachtung der Raum-Macht-Verhältnisse ist die Annahme der engen Verschränkung von Akteuren und ihren translokalen (Um-)Welten ebenso zentral wie die zugehörigen Lokalisierungs-, Einrichtungs- und Aneignungspraktiken.

Gleichzeitig bietet der Ansatz der Translokalität unserer Ansicht nach ein hohes Reflexionspotential für die Forschung zur raum-zeitlichen Konstitution menschlicher Gesellschaften und damit für die oben aufgeworfenen Frage nach geeigneten räumlichen und zeitlichen Bezügen historischen Arbeitens – ein Potential, auf das dieser Workshop abzielt. „Raum“ ist zwar seit einigen Jahren zu einer zentralen Analysekategorie kulturwissenschaftlichen Arbeitens geworden. Gleichwohl scheinen in der Geschichtswissenschaft zumindest auf einer konzeptionellen Ebene Raumkonzepte im Vordergrund zu stehen, die mit de Certeau lesbar sind und die stabile Grenzen aufweisen, seien es Stadt-, Landes- oder nationale Grenzen, seien es Grenzen zwischen Europa und „Außereuropa“ oder zwischen anderen definierbaren Weltregionen. Auch wenn diese Grenzen wie beispielsweise in der transnationalen oder transregionalen Geschichtsschreibung als überwindbar gelten, werden die durch sie definierten Räume (Nationalstaaten bzw. Regionen) zunächst vorausgesetzt. Auch die wieder erstarkte (historische) Debatte zum Komplex „Zeit“ setzt sich intensiv mit dem Verhältnis und den (Nicht-) Abgrenzbarkeiten verschiedener „Zeitschichten“ (Koselleck) auseinander. So führte Achim Landwehr, den wir für den Abendvortrag gewinnen konnten, den Begriff der „Chronoferenz“ ein, also „die Idee, dass eine Gegenwart die Möglichkeit hat, sich auf vielfältige Weise auf abwesende Zeiten zu beziehen.“

Mit der Verbindung translokaler und raum-zeitlich-dynamischer Perspektiven sollen die skizzierten Debatten reflektiert und zusammengeführt werden. Translokalität geht (in unserer Lesart) von einem raum-zeitlichen Konzept des Lokalen bzw. des Lokalisierens aus. Es versteht sich nicht per se als stabil, sondern mit Lefebvre als immer wieder (re-)produzierte RaumZeit, als die alltäglich ge- und erlebte raum-zeitliche Umwelt – also als eine RaumZeit, mit der die Akteure wie im de Certeau’schen Parcours in einem dynamischen (und machtvollen) Wechselverhältnis stehen. Indem Zeit als Teil einer RaumZeit gedacht wird, gerät einerseits das Dynamische (wie auch Stillstellungen/Institutionalisierungen) in den Blick, andererseits Verortungs- und Aneignungspraktiken bezüglich einer dezidiert raum-zeitlich verstandenen Umwelt mit ihren Raum- und Zeitschichten.

Die Erfurter RaumZeit-Gruppe (ERZ) sowie das Forschungszentrum Gotha haben sich für methodische Diskussionen dieser Art in den letzten Jahren einen Namen gemacht und bieten sich in besonderer Weise als Kooperationspartner und Gastgeber an.

Gäste sind herzlich willkommen! Wegen knapper Platzkapazitäten bitte anmelden unter: sebastian.dorsch@uni-erfurt.de

Programm

Donnerstag, 26. April 2018
15.00 - ca. 17.30 Uhr
Führung durch die Perthes-Sammlung mit thematischer Einführung „Translokales Kartographieren der Welt“ (Sven Ballenthin/Petra Weigel, Gotha & Sebastian Dorsch, Erfurt/Gotha)

18.00 Uhr
Öffentlicher Abendvortrag (Herzog-Ernst-Kabinett, Schloß Friedenstein Gotha)

Achim Landwehr (Düsseldorf): Geraume Zeiten

Freitag, 27. April 2018 (Seminarraum des Forschungszentrums Gotha)
09.00 - 09.30 Uhr
Begrüßung und Einführung
Iris Schröder (Erfurt/Gotha), Sebastian Dorsch (Erfurt/Gotha) & Achim von Oppen (Bayreuth)

09.30 - 11.00 Uhr
Sektion 1:
Translokalitäten: Relationalitäten und Narrative
Moderation: Achim von Oppen (Bayreuth)

Angelika Epple (Bielefeld): Im Vergleichen lesen wir die Raum/Zeit. Komparative Raum-/Zeitkonstruktionen um 1800

Martin Ott (Bayreuth): Strukturwandel als translokales RaumZeit-Narrativ der Deindustrialisierung Oberfrankens

11.30 - 13.00 Uhr
Sektion 2:
Globale Geschichte translokal
Moderation: Anke Ortlepp (Köln)

Iris Schröder (Erfurt/Gotha): Time-Space-Relations. Kartographie und die Mikrogeschichte des Globalen

Margit Pernau (Berlin): Globale Geschichtliche Grundbegriffe (3G) und die Potentiale des Translokalen

14.30 - 16.15 Uhr
Sektion 3:
Translokale Kolonialgeschichten
Moderation: Christian Methfessel (Erfurt)

Zwischenruf Alf Lüdtke (Erfurt/Berlin): Warteräume - Wartezeiten

Benjamin Steiner (Frankfurt): Relationalitäten des Empire.
Translokale Beziehungen im französischen Kolonialraum am Beispiel der Antillen und des Senegals im 17. und 18. Jahrhundert

Eva Bischoff (Trier): Auf der Suche nach dem „Great Elm Tree“: Siedlerkolonialismus und Konzepte von RaumZeit im kolonialen Australien

16.45 - 17.30 Uhr
Sektion 4: Geschichtsdidaktische Überlegungen zu Translokalitäten
Moderation: Mara Albrecht (Erfurt)

Philipp Bernhard & Susanne Popp (Augsburg): Translokalität als Herausforderung für welt- und globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht

ab 17.30 Uhr
Abschlusssektion
Moderation: Sebastian Dorsch (Erfurt/Gotha)

Interdisziplinäre Kommentare

Michi Knecht (Bremen)

Achim Landwehr (Düsseldorf)

Alf Lüdtke (Erfurt/Berlin)

Abschlussdiskussion

Contact (announcement)

Sebastian Dorsch

Nordhäuser Straße 63
99089 Erfurt

sebastian.dorsch@uni-erfurt.de

https://www.uni-erfurt.de/philosophische-fakultaet/raumzeit-forschung/
Editors Information
Published on
13.04.2018
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German
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