Der Zweite Weltkrieg als Globaler Konflikt

Der Zweite Weltkrieg als Globaler Konflikt

Organizer(s)
Deutsches Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges; Professur für Neuere Geschichte unter Berücksichtigung Westeuropas, Helmut-Schmidt-Universität
Location
Hamburg
Country
Germany
From - Until
09.10.2009 - 10.10.2009
Conf. Website
By
Andreas Hilger, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg

Bis in die jüngste Zeit hinein dominieren in der öffentlichen Erinnerung wie in der Historiographie nationalgeschichtlich geprägte Auseinandersetzungen mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Die wenigen grenzüberschreitenden Gesamtzugriffe konzentrieren sich auf traditionelle Fragestellungen und stellen somit militärische, strategische respektive diplomatische Aspekte in den Vordergrund. Der diesjährige Workshop des Deutschen Komitees für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges setzte sich zum Ziel, die nationalen und disziplinären Perspektiven aufzubrechen. Zu diesem Zweck nahm die Tagung Schlüsselbegriffe aktueller Debatten um die Geschichte der Globalisierung und der Globalgeschichte auf.

Zur Einführung wies BERND WEGNER (Hamburg) auf die Chancen eines globalen Verständnisses des Weltkriegs hin. Erst die Offenheit für neue Forschungsaspekte, fremde Blickwinkel und interkulturelle sowie internationale Vergleiche ließen Interdependenzen und regionale Um- bzw. Überformungen des grenzüberschreitenden Kriegsgeschehens erkennen. Dass die Weltkriegsforschung – nicht nur in Deutschland – hier einigen Nachholbedarf hat, zeigt sich beispielhaft an der recht zurückhaltenden Rezeption jüngerer Arbeiten zur so genannten Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg.1 Dass eine bloß räumliche Ausweitung der Forschungen nicht ausreicht, um die eigenständige Qualität regionaler Adaptionen oder komplexer Verflechtungen zu analysieren, darauf verweisen Debatten im Umfeld einer Ausstellung zum selben Thema, die im September 2009 in Berlin gezeigt wurde, so Wegner.2

In der Sektion „Erfahrungen“ unterstrich der anregende Vortrag von PETRA BUCHHOLZ (Berlin) über die schriftliche Vergangenheitsbewältigung japanischer Soldaten die Notwendigkeit, japanische Selbstaussagen im angemessenen kulturellen und politischen Kontext zu deuten. Ehemalige Kriegsteilnehmer nutzten bereits in den 1950er-Jahren das traditionelle Genre der Autobiographie, um in für deutsche Zuhörer ungewohnter Offenheit auch über eigene Verbrechen zu berichten. Die Memoiren erfüllten individuelle sowie gesellschaftliche Funktionen. Sie sollten den Zeitgenossen zur Mahnung und zugleich als Entschuldigung gegenüber den Opfern dienen. Das öffentliche Bekenntnis war auch möglich, weil den Tätern durch die ab 1952 zuständige japanische Justiz keine Strafverfolgung drohte. Berichte über Verbrechen an japanischen Mitsoldaten sowie der Komplex der Vergewaltigungen blieben indes tabuisiert, so dass Sühne und Mahnung und damit die Aufarbeitung der Vergangenheit mit autobiographischen Mitteln unvollständig blieben.

Die Erfahrungswelten voltaischer Soldaten entziehen sich ebenfalls simplen Deutungen. Ihr Erleben von Soldatentum und Krieg blieb in der Erfahrung des Kolonialismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert eingebettet. Ihr Militärdienst war somit nicht nur von militärischen Unterstellungsverhältnissen, sondern auch von der kolonialen Einbindung geprägt. Der von BRIGITTE REINWALD (Hannover) zum Eingang ihres Vortrags präsentierte Filmausschnitt aus „Indigènes“ (von Rachid Bouchareb) über algerische Soldaten beschrieb prägnant diese multiplen Einbettungen. Dabei erfuhr die koloniale Unterordnung afrikanischer Soldaten im Krieg eine dynamische Wandlung. Armee und Kampfeinsatz wurden zum „Lernfeld“ der afrikanischen Soldaten. Sie entwickelten hier grundsätzliche Forderungen nach Teilhabe und Gleichheit. Dieses Selbstbewusstsein führte nur bei einer Minderheit zum aktiven Engagement in der Unabhängigkeitsbewegung. Viele Veteranen blieben der Loyalität zur Armee verhaftet, obwohl diese nach gängiger Interpretation die Armee der Metropole war. Eine ähnlich komplexe Verortung durchzog den Alltag der Veteranen, die privilegierte Erfahrungen zum persönlichen Statusgewinn nutzen, sich zugleich aber nur schwer in die örtlichen traditionellen Bindungssysteme integrieren konnten. Mit diesen Befunden plädierte Reinwald eindringlich dafür, spezifische politische oder gesellschaftliche Kräfteverhältnisse nicht voreilig in über- oder transregionalen Erklärungsmustern aufgehen zu lassen.

Die Problematik einer differenzierten regionalen Adaption globaler Entwicklungen stand auch im Mittelpunkt der dritten Sektion. Die Vorträge von JAN KUHLMANN (Köln) und DANIEL SCHÜMMER (Hamburg) widmeten sich den Reaktionen politisch bzw. national bewusster Gesellschaftsgruppen auf die (vorübergehende) Schwächung ihrer Kolonial- oder Mandatsherren. Jan Kuhlmann referierte im Wesentlichen die Aktivitäten des bengalischen Nationalisten Subhas Chandra Bose. Der ehemalige Präsident des Indischen Nationalkongress schlug im Krieg den radikalen Weg der Annäherung an Hitler-Deutschland und Japan ein. Aus Sicht indischer Nationalisten erschien die brüchige Kooperation, so Kuhlmann, nicht als Kollaboration Boses mit Hitler, sondern als Kollaboration Hitlers mit Bose. Auch wenn Boses Politik weder die Strategie der indischen Mehrheit noch die der Führung der indischen Nationalbewegung war, nimmt Boses Armee doch einen prominenten Platz in der Geschichte der indischen Unabhängigkeitsbewegung nach 1945 ein. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wird auch in Indien offenkundig entlang nationaler Interpretationsmuster und Bedürfnisse definiert.

Die Orientierung von Bewertungen historischer Prozesse an aktuellen Entwicklungen tritt im Nahen Osten bekanntermaßen noch schärfer zutage. Von daher ist es besonders wichtig, die Argumentationsmuster und Motivationen historischer Akteure von tagespolitischen Instrumentalisierungen zu trennen. Daniel Schümmer konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die arabischen Positionen in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs. Bis 1942 konnten oder mussten arabische Nationalisten mit einer deutschen Eroberung Palästinas kalkulieren. Aufgrund ihrer anti-britischen Einstellung werteten die arabischen Vertreter den deutschen Vormarsch grundsätzlich positiv. Sie zeigten sich aber hinsichtlich der Zukunft der jüdischen Bevölkerung in einem dann vermeintlich befreiten Palästina uneins. Wirtschaftliche Erwägungen und positive Erfahrungen eines „multikulturellen“ Zusammenlebens im Vorkriegsalltag führten dazu, dass gemäßigte arabische Kreise Existenz und Siedlungsrechte alteingesessener Juden in Palästina akzeptierten. Sie fürchteten indes die jüdische Immigration nach Palästina und näherten sich bis 1942 den unversöhnlichen radikalen Kräften innerhalb des arabischen Lagers an. Die künstliche Abkoppelung der Palästinapolitik von Krieg und Holocaust musste scheitern, mit verheerenden Folgen für die Nachkriegsentwicklungen.

Indien und Palästina waren Beispiele für diffizile Anpassungsstrategien, die Gesellschaften unter überkommener Fremdherrschaft im aktuellen Geschehen des Weltkriegs vornehmen mussten. Dagegen konfrontierte die japanische Eroberung von Malaya und Singapur die einheimische Bevölkerung mit einer abrupt neuen Qualität externer Macht- und Gestaltungsansprüche. TAKUMA MELBER (Mainz) zufolge sprach die japanische Okkupationsmacht den rund 2,4 Millionen Überseechinesen in Malaya - im Gegensatz zu den rund 2,3 Millionen indigenen Malayen – von vornherein jede Kooperationsfähigkeit mit der neuen Macht ab. Nach dem Fall Singapurs führte die 25. japanische Armee eine detailliert geplante, so genannte „Säuberungsaktion“ durch. Sie erfasste bis März 1942 die ganze Halbinsel. Chinesischen Schätzungen zufolge fielen ihr bis zu 50.000 Menschen zum Opfer. Melber erklärte die Massaker sowie folgende Zwangskontributionen und Verfolgungen mit einer Mischung von japanischen Sicherheitserwägungen, früheren Erfahrungen mit chinesischen Partisanen und dem klaren Rassismus der japanischen Armeeführung. Die harschen Maßnahmen der Besatzer führten auf Dauer zu einer Verstärkung des chinesischen Widerstands im Land, der sich kaum auf malayische Hilfe stützen konnte. Die japanische Besatzungspolitik mündete nicht in eine weitere Eskalation der Vernichtung. Vor diesem Hintergrund regte Melber den Vergleich japanischer und deutscher Besatzungspolitik an. Hierbei scheint gerade die Erfahrungsebene von Besatzern und Opfern große Möglichkeiten zu eröffnen. Sie bedarf, das ein Fazit auch dieser Vortragsrunde, einer genauen Kontextualisierung, um nicht im luftleeren Raum zu schweben.

Diese Chancen eines grenzüberschreitenden Vergleichs globaler Phänomene demonstrierten die Referentinnen der Sektion „Gesellschaften“. BEATE FIESELER (Düsseldorf), MICHAELA HAMPF (Berlin) und NICOLE KRAMER (München) diskutierten für die Sowjetunion, die USA und für Deutschland genderspezifische Aspekte einer Gesellschaft im Kriege. In der UdSSR waren 1941 bis 1945 bis zu einer Million Frauen in verschiedenen militärischen Funktionen aktiv. Weibliche Angehörige der Partisanenverbände sind in dieser Zahl noch gar nicht erfasst; sie demonstrierten ihrerseits die enorme Bereitschaft vor allem der jüngeren Frauengeneration auch zum Kampfeinsatz. Die militärische Führung war auf den Kampfwillen sowjetischer Frauen nicht vorbereitet, zumal sich die Partei seit Mitte der 1930er-Jahre im Zuge der konservativen Familienpolitik kritisch gegenüber Rollen sprengenden Verhaltensweisen verhielt. Angesichts des Kriegsverlaufs und der hohen Verluste agierte die Rote Armee in der „Frauenfrage“ letztlich pragmatisch, ohne die Frauen als gleichwertige oder legitime Soldatinnen zu akzeptieren. Unterhalb der Militärführung und jenseits parteipolitischer Erwägungen schlugen traditionelle Rollenbilder auf den Kriegsalltag durch. Soldatinnen wurden im Krieg als „Töchterchen“ und „Schwesterchen“ bezeichnet, im Nachhinein als „Huren“ diffamiert und bei der Brautwahl auch von ihren ehemaligen Kameraden gemieden. Der gelebte männliche Konservatismus wurde nach 1945 durch die offizielle Politik und Propaganda noch verstärkt. Diese zeichneten ein bevölkerungspolitisch erwünschtes Frauenbild der fürsorglichen Mutter, das autonomer Stärke und Unabhängigkeit keinen Platz ließ. Es war daher nur konsequent, dass die Geschichte sowjetischer Soldatinnen bis zum Ende der UdSSR ungeschrieben blieb. Sie muss heute mühselig vor allem auf der Basis autobiographischer Schriften und Erzählungen rekonstruiert werden.

In den USA herrschte eine ähnliche Spannung zwischen traditionellen Geschlechtergrenzen und individuellen Bestrebungen unter den Bedingungen des Kriegs. Da die USA im Vergleich zur UdSSR weitaus weniger exponiert und bedroht waren, waren diese Widersprüche in der Kriegspraxis noch deutlicher erkennbar. Politiker und öffentliche – männliche - Meinungsführer sahen die grundsätzliche Aufgabe des Women’s Army Auxiliary Corps bzw. des Women’s Army Corps (ab 1943) darin, Männer für den eigentlichen Kampfeinsatz frei zu machen. Der Dienst an der Waffe blieb eine exklusiv männliche Sphäre. Die genderpolitische Aufladung dieser strikten Trennung lässt sich an der öffentlichen Empörung ablesen, die schon Bilder von Frauen, die nur mit unbrauchbaren, alten Ersatzwaffen gezeigt wurden, in der amerikanischen Öffentlichkeit auslösen konnten. Hampf argumentierte, dass das Corps auch im Alltag darauf abzielte, die traditionellen Geschlechterrollen über den Krieg hinweg zu retten. Es war, zugespitzt ausgedrückt, als „Internat für mittelständische weiße Töchter“ angelegt. Dass positive britische Erfahrungen mit dem aktiven Einsatz von Frauen in gemischten Flugabwehrbatterien von amerikanischen Beobachtern zwar aufmerksam registriert, nicht aber zum Vorbild genommen wurden, lag keineswegs nur an der militärisch privilegierten Situation der USA, sondern auch an der strikt konservativen Denkhaltung gesellschaftlicher und politischer Führungskräfte.

Das Beharrungsvermögen konservativ-traditioneller Gesellschaftsbilder wurde im Fall der Geschlechterbeziehungen im Nationalsozialismus ideologisch verstärkt. In Deutschland wurden Frauen zwar in das Gesamtunternehmen der Kriegsvorbereitung integriert. Ihre Aufgabe war indes der Selbstschutz in der Heimat, und ihr Einsatz ließ sich über die Stilisierung vermeintlicher „Aufopferungs-Tugenden“ in das Idealbild deutscher Fraulichkeit integrieren. Die Frauen selbst differenzierten in der individuellen Umsetzung diese politisch-ideologischen Vorgaben aus. Amerikanische Befragungen nach 1945 (die Strategic Bombing Survey) ermittelten drei Eigeninterpretationen weiblicher Luftschutz-Aktivitäten. Die „Kämpferin“ lebte quasi die nationalsozialistische Propaganda und blickte mit gewissem Stolz auf ihren Beitrag zur Verteidigung zurück. „Abweichlerinnen“, in der Regel Angehörige der älteren Generation über 60 Jahre, zeigten sich unbeeindruckt von dem offiziellen Bild. Die Gruppe der von Kramer so genannten „Kameradinnen“ nahm eine mittlere Position ein und deutete ihre Tätigkeit als Beitrag zum Schutz der Familie und des näheren sozialen Umfelds. Als Gesamtorganisation spielte der Luftschutz eine wichtige Rolle an der Heimatfront, die die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges zu spüren bekam und zu bewältigen hatte. Die Realität von Kriegs- und Nachkriegszeit brachte jeweils eine Mitwirkung von Frauen, die über das ideologische und traditionelle Rollenverständnis der Gesellschaften hinausging. Die emanzipatorischen Folgen des Einsatzes mussten in allen Gesellschaften erst noch ausgehandelt werden.

Aktuelle Debatten über grenzüberschreitende Prozesse übersehen mitunter traditionelle Sphären von Internationalität bzw. Transnationalität. Hierzu gehören Fragen der Diplomatie und des Völkerrechts, die zum Abschluss der Tagung behandelt wurden. BERND MARTIN (Freiburg) resümierte die wesentlichen Schwächen der „hollow Alliance“ der Achsenmächte, wobei er sich mit guten Gründen vor allem auf die deutsch-japanischen Beziehungen konzentrierte. Deren insgesamt unterentwickelte Bündnisfähigkeit schrieb Martin den geographischen Realitäten, den unterschiedlichen Politiksystemen der Mächte sowie dem Rassefaktor zu. Martin zufolge blieben die Kriegsschauplätze faktisch getrennt, Chancen auf gemeinsame politische Aktionen etwa gegenüber Indien oder auf militärische Kooperationen vor dem Spätsommer 1942 blieben ungenutzt. Wirtschaftsbeziehungen zwischen den zwei „Habenichtsen“ konnten das Verhältnis kaum festigen, und das jeweilige Überlegenheitsgefühl unterminierte die Verbindung zusätzlich. Martin erkannte vor allem Gemeinsamkeiten im Negativen, die ein wirklich global wirkendes Bündnis verhinderten. Im Anschluss an diesen bündnispolitischen Gesamtaufriss verdeutlichte RÜDIGER OVERMANS (Freiburg) in seiner Detailstudie die Grenzen, die der globale Krieg der Durchsetzung internationaler Rechtsvorstellungen zog. Die Kriegsgegner Hitler und Stalin legten aus unterschiedlichen Gründen keinen Wert auf die reziproke Anwendung völkerrechtlicher Standards in der Kriegsgefangenenfrage. Im Kontext des Workshops erscheint es bedeutsam, dass supranationale oder inter-alliierte Vermittlungsbemühungen nicht nur in Berlin, sondern auch in Moskau ohne Erfolg blieben. Die Schutzmächte, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) oder das Schwedische Rote Kreuz scheiterten mit ihren Ansätzen, international anerkannten humanitären Grundgedanken an der Ostfront zumindest ansatzweise bindende Geltung zu verschaffen. Die USA fürchteten, dass die Behandlung gefangener Rotarmisten im Dritten Reich sich negativ auf das Schicksal amerikanischer Kriegsgefangener auswirken könnte, konnten aber mit ihren Mitteln ebenso wenig eine Verbesserung der Kriegsgefangenensituation erreichen. Es waren interessanterweise nationale Initiativen in beiden Hauptstädten, die Einzelaspekte des internationalen Rechts aufgriffen (begrenzter Austausch von Namenslisten).

Die Belastbarkeit globaler Bündnisse oder übernationaler Rechtsvorschriften erwies sich im globalen Konflikt als recht prekär und wenig dauerhaft. Doch auch der Versuch, sich dem globalen Konflikt weitgehend zu entziehen, war nur in wenigen Fällen von anhaltendem Erfolg gekrönt. Argentinien versuchte im Zweiten Weltkrieg, seine Neutralität von 1914/18 zu wiederholen. HOLGER MEDING (Köln) zeichnete ein breites Panorama gesellschaftlicher und politischer Einstellungen, die durchaus quer zum Gesamtgeschehen verlaufen konnten. Die Gesellschaft zeigte sich etwa vom Einsatz und Ende des deutschen Panzerschiffs Admiral Graf Spee vor Lateinamerika (Dezember 1939) beeindruckt, aber auch von den amerikanischen Bemühungen um eine pro-westliche Stimmung der öffentlichen Meinung. Die Regierung reagierte empfindlich auf den seit 1940 ständig wachsenden Druck der USA, die Buenos Aires zur Aufgabe der Neutralität bringen wollten. Argentinien konnte seine neutrale Stellung zum Handel mit Deutschland nutzen. Es nahm zugleich die Gelegenheit wahr, argentinische Juden im deutschen Machtbereich zu schützen. Als die britischen Geheimdienste Ende 1943 argentinische Anfragen an Berlin hinsichtlich Nachkriegskooperation und Waffenlieferungen aufdeckten, zwang London den lateinamerikanischen Staat zum Abbruch der Beziehungen zu Deutschland. Als letztes Land erklärte Argentinien Deutschland 1945 den Krieg, um nicht von der neuen Weltorganisation ausgeschlossen zu bleiben. Doch noch im Juli und im August 1945 suchten deutsche U-Boote in Argentinien Zuflucht. Diese Ereignisse verweisen auf den nachhaltigen Eindruck, den Argentiniens Neutralität auf deutsche Beobachter machte, die Motivation und Begründung der argentinischen Haltung wohl auf ihre Weise deuteten.

Im Fazit diente der Workshop als Einstieg in eine erweiterte Globalgeschichte des Zweiten Weltkriegs, der Themen und Zugänge benennen und vorstellen konnte. Der Verlauf der Tagung zeigte, dass sich die entsprechenden Forschungsfragen und -wege gewinnbringend auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs anwenden lassen. Zugleich führten Vorträge und deren Diskussion vor Augen, dass die Operationalisierung multiperspektivischer, übergreifender Zugriffe auf die Jahre 1939 bis 1945 eine Herausforderung darstellt, die – wieder einmal – ohne intensive interdisziplinäre Anstrengungen kaum zu meistern ist.

Konferenzübersicht:

I Einführung

Bernd Wegner, Der Zweite Weltkrieg als globaler Konflikt: Perspektiven der Forschung

II Erfahrungen

Petra Buchholz, Die Verarbeitung der Tätererfahrung in den Selbstzeugnissen japanischer Soldaten

Brigitte Reinwald, Kriegspassagen und koloniale Brechungen: Erfahrungsperspektiven westafrikanischer Soldaten der französischen Armee

III Verflechtungen

Takuma Melber, Zwangskollaboration und Widerstand: Überseechinesen in Malaya und Singapur unter japanischer Besatzung

Jan Kuhlmann, India’s golden opportunity? Weltkrieg und Freiheitskampf in Indien
Daniel Schümmer, Palästinensische Gesellschaften und der Zweite Weltkrieg im Nahen Osten

IV Gesellschaften

Beate Fieseler, Frauen in der Roten Armee: Emanzipation, Integration, Instrumentalisierung

Michaela M. Hampf, “Where women's hands and hearts fit naturally”: Geschlecht, Sexualität und Kampfverwendungen im Women’s Army Corps

Nicole Kramer, „Kämpferinnen“ und „Kameradinnen“: Leitbild und Selbstverständnis deutscher Frauen im Luftschutz

V Diplomatie und Militär

Bernd Martin, Japan - Deutschland - Italien. Globale politische und strategische Planungen der Achsenmächte

Rüdiger Overmans, Nationale deutsche und internationale Kontroversen um die Einhaltung des Kriegsvölkerrechts im "Ostfeldzug"

Holger Meding, Umstrittene Neutralität. Argentinien und der Zweite Weltkrieg, 1939–1945

Anmerkungen:
1 Recherche International e.V. (Hrsg.), „Unsere Opfer zählen nicht“. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2005.
2 „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, Ausstellung vom 1.-20.9.2009, Uferhallen, mit Zusatzveranstaltung zum Begleitprogramm am 18.9.2009, „Nazikollaborateure aus der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten. Am Beispiel des Nahen Ostens“, vgl. <http://www.africavenir.com/index.php?id=34&L=2;L=2> (26.10.2009); ferner den Themenschwerpunkt „Nazikollaborateure in der Dritten Welt“ in Informationszentrum 3. Welt, iz3w 312 (Mai/Juni 2009), S. 18-40.


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05.11.2009
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