„Zeichen der Zeit“. Der Katakombenpakt - das „geheime“ Vermächtnis des II. Vatikanischen Konzils

„Zeichen der Zeit“. Der Katakombenpakt - das „geheime“ Vermächtnis des II. Vatikanischen Konzils

Organizer(s)
Università Urbaniana, Roma; Institut für Theologie und Politik, Münster
Location
Rom
Country
Italy
From - Until
11.11.2015 - 17.11.2015
Conf. Website
By
Norbert Fabian, Duisburg/ Bochum

Vor 50 Jahren, am Ende des II. Vatikanischen Reformkonzils der katholischen Weltkirche unterzeichneten 40 vor allem lateinamerikanische Bischöfe um Dom Helder Camara in Rom in der frühchristlichen Domitilla-Katakombe einen Pakt. Die Bischöfe wollten ein einfaches Leben führen und die katholische Kirche sollte eine „Kirche der Armen“ werden und sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen.1 Insgesamt wurde der Pakt, der 1965 ein ursprüngliches Reformanliegen des Papstes und Kirchenhistorikers Johannes XXIII. und der Mehrheit des Konzils nochmals hervorhob, dann von etwa 500 teilnehmenden Bischöfen unterstützt. - The-ologinnen und Theologen, Historiker und Zeitzeugen sowie weitere Interessierte versuchten bei einer interdisziplinär angelegten Tagung in Rom vom 11.-17.11.2015 gemeinsam, histori-sche Hintergründe aufzuzeigen und nach möglichen Konsequenzen für die heutige Weltge-sellschaft zu fragen. Träger waren die römische Universität Urbaniana, das Institut für Theo-logie und Politik (ITP) sowie Fachbereiche deutscher Universitäten.2

Der italienische Historiker Alberto Melloni und der Schweizer Theologe Urs Eigenmann ana-lysierten den Kontext des Katakombenpakts und Konzilsdokumente sowie weitere zeitgenös-sische Texte als Quellen.3 Beide verwiesen vor allem auf die mutige, zukunftsweisende und reformorientierte Rede des Papstes Johannes XXIII. zur Eröffnung des Konzils 1962, in der er eine „Kirche der Armen“ gefordert habe. Zudem habe sich die katholische Kirche an die mo-derne Welt anzupassen („aggiornamento“) und sich deren Herausforderungen zu stellen. Zu-erst seien die „Zeichen der Zeit“ empirisch zu erforschen und erst dann „im Lichte des Evan-geliums“ auszulegen. Erstmals in der Geschichte der ökumenischen Konzilien sei es nicht um Verurteilungen, sondern vor allem um eine neue Praxis der Kirche gegangen. Konservativ-traditionell orientierte Textvorlagen für das Konzil, die Angehörige der römische Kurie vorab erarbeitet hatten, wurden von der Mehrheit der Konzilsbischöfe zurückgewiesen. Eigenmann deutete die Konzilsbeschlüsse dann insgesamt im Sinne eines sich durchsetzenden reformori-entierten Mainstreams. Auch der als Zeitzeuge anwesende italienische Konzilsbischof Luigi Bettazzi berichtete jedoch, dass Papst Paul VI., der dem während des Konzils verstorbenen Johannes XXIII. 1963 nachfolgte, in den Abschlussfassungen der Konzilsdokumente Konzes-sionen an eine konservative Minderheit von etwa 500 Bischöfen machte.4 So wollte er eine möglichst breite Zustimmung zu den Beschlüssen erreichen, was auch gelang. In der Folge-zeit unter den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. habe die Kurie und die konserva-tive Minderheit der Bischöfe, die Zugeständnisse jedoch genutzt, um Reformanliegen der zuvor eindeutigen Mehrheit des Konzils teils wieder rückgängig zu machen - wie in der Dis-kussion angemerkt wurde.

Der deutsche Theologe Norbert Arntz, der den vielfach in Vergessenheit geratenen Text des Katakombenpaktes und die Namen der Unterstützer aus Archiven neu erschlossen und indes-sen international bekannt gemacht hat, verwies auf dessen Wirkungsgeschichte in Lateiname-rika. Die Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellin 1968 und Puebla 1979 hätten die Konzilsbeschlüsse für Lateinamerika nicht nur kontextualisiert, sondern zugleich konsequent weiterentwickelt.5 - Der brasilianische Theologe und Religionswissenschaftler Alberto da Silva Moreira sprach in einem der Workshops die koloniale Vergangenheit Latein-amerikas an, die als ‚longue durée’ die dortige Kirche ganz erheblich mit geprägt habe. So seien Bischöfe von spanischen und portugiesischen Königen ernannt und bezahlt worden und die Kirche sei vielerorts eine Stütze ‚extraktiver’‚ kolonialer und postkolonialer Institutionen gewesen.6 Zum meist gewaltlosen Sturz und zur Überwindung von bis dahin auch im Zei-chen des Kalten Krieges vorherrschenden Militärdiktaturen in Lateinamerika hätten dann ver-stärkt aufkommende Basisgemeinden und die Befreiungstheologie im Zusammenwirken mit Gewerkschaften und demokratischen Parteien beigetragen. Dies betonte beim internationalen Symposion und Studientag an der Universität Urbaniana auch der teilnehmende brasilianische Botschafter beim Vatikan, Denis Fontes de Sousa Pinto. Er wies jedoch zugleich auf die Not-wendigkeit hin, dringliche soziale Probleme im nunmehr erreichten demokratischen Rahmen weiterhin anzugehen.

Zuvor aber sahen sich Mitglieder von christlichen Basisgemeinden und Befreiungstheologen einem zumindest regional verbreiteten rechtsradikalem Terror von Militärregimes und Todes-schwadronen ausgesetzt. Der Befreiungstheologe Jon Sobrino aus El Salvador erinnerte zu-gleich als Zeitzeuge nochmals an die Ermordung des Jesuitenpaters und Landpfarrers Rutilio Grande 1977, die dazu beitrug, dass sich der zuvor eher konservative Erzbischof Oscar Rome-ro entschieden auf die Seite der Armen und des Volkes stellte. Als Romero dann in Predigten zur Gewaltlosigkeit aufrief, die Verfolgung und Folter von Campesinos, Arbeitern und Ge-werkschaftern anprangerte und Angehörige der Armee dazu aufforderte, die „eigenen Brüder“ nicht mehr zu töten und solche Befehle zu verweigern, wurde er 1980 während eines Gottes-dienstes selbst ermordet. US-Gerichte haben indessen mit aufgedeckt, dass dieser Mord von dem ‚Ziehvater’ der rechtsradikalen Todesschwadronen Roberto D’Aubuisson in Auftrag gegeben und bezahlt wurde. Durch Militärangehörige ermordet wurden 1989 zudem acht Kol-legen und Mitarbeiterinnen von Sobrino an der Universidad Centroamericana (UCA) in San Salvador.7

Aktuell stellten Alberto Melloni und Bischof Erwin Kräutler aus dem Amazonasgebiet her-aus, dass der aus Argentinien stammende Papst Franziskus mit seinen apostolischen Schrei-ben Evangelii gaudium (2013) und Laudato si’ (2015) zugleich über den Katakombenpakt von 1965 hinausgehe.8 Die Theologin Giselle Gomez argumentierte, dass aus einem „rerea-ding“ unserer eigenen Geschichte eine Motivation erwachsen könnte, unseren eigenen Pakt für die Gegenwart zu schreiben. Der Religionssoziologe Luca Pandolfi von der Universität Urbaniana schlug vor, die Diskussion verstärkt ökumenisch mit weiteren Kirchen und in der Gesellschaft zu führen.

Anmerkungen:
1 Zum Text und Kontext des Paktes und zur neueren Diskussion u.a. X. Pikaza / J. A. da Silva (eds.), The Pact of the Catacombs. The Mission of the Poor in the Church. Estella, Na-varra 2015 (weitere Ausgaben in Spanisch, Portugiesisch und Italienisch).
2 Beachte auch ‚Erinnerung an das „geheime“ Vermächtnis des Zweiten Vatikanischen Konzils’, in: L’Osservatore Romano, 13.11.2015, S. 3 (Wochenausgabe in deutscher Spra-che); T. Seiterich, Kraft aus der Katakombe, in: Publik-Forum, Nr. 23/4.12.2015, S. 34f.
3 Beachte die Konzilsdokumente, u.a. in K. Rahner / H. Vorgrimler, Kleines Konzilskom-pendium, Freiburg 1966ff.
4 Zudem O. H. Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnis-se - Nachgeschichte, Würzburg 2001 (2. Aufl.), u.a. S. 361ff; H. Küng, Erkämpfte Freiheit. Erinnerungen, München 2015 (4. Aufl.), S. 539ff; L. Bettazzi, Die Kirche der Armen vom Konzil bis zu Papst Franziskus, Würzburg 2015, S. 13ff, 38ff; zudem ders., Das Zweite Vati-kanum, Würzburg 2012; A. da Silva Moreira / M. Ramminger u.a. (Hrsg.), Der unterbrochene Frühling. Das Projekt des II. Vatikanums in der Sackgasse, Münster 2006.
5 Vgl. N. Arntz, Der Katakombenpakt. Für eine dienende und arme Kirche, Kevelar 2015, S. 88ff (mit einer kommentierten deutschen Übersetzung des Paktes, S. 77ff); N. Greinacher, Die Kirche der Armen. Zur Theologie der Befreiung, München 1980, S. 79ff; H. J. Prien (Hrsg.), Lateinamerika. Gesellschaft, Kirche, Theologie, Göttingen 1981. - Im II. Vatikanum wie im Katakombenpakt lässt sich im Sinne von K. Rahner und J.B. Metz auch der “Anfang eines Anfangs“ sehen (vgl. J. B. Metz, Das Konzil - „Der Anfang eines Anfangs“?, in: K. Richter (Hrsg.), Das Konzil war erst der Anfang, Mainz 1991, S. 11-24). Metz spricht zudem von einem Aufbruch in eine polyzentrische Weltkirche.
6 Beachte u.a. E. Dussel, Die Geschichte der Kirche in Lateinamerika, Mainz 1988; A. da Silva Moreira, „Doch die Armen werden das Land besitzen“ (Ps 37, 11). Eine theologische Lektüre der Landkonflikte in Brasilien, Mettingen 1990, S. 73ff. - Zur Unterscheidung zwi-schen extraktiven, entwicklungshemmenden und inklusiven Institutionen zudem D. Acemoglu / J.A. Robinson, Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Ar-mut, Frankfurt am Main 2013 (zur Geschichte Amerikas u.a. S. 27ff).
7 Vortrag von J. Sobrino an der Università Urbania am 14.11.2015, Il significato des Patto delle Catacombe per la chiesa oggi; Predigt am 16.11. in der Domitilla-Katakombe, Rom; zudem O. A. Romero / J. Sobrino, Die notwendige Revolution, München 1982; O. A. Rome-ro, Für die Armen ermordet, Freiburg 1982, S. 201ff, 211; Christliche Initiative Romero, RomeroZeitung, März 2005; M. Maier, Oscar Romero. Prophet einer Kirche der Armen, Freiburg 2015, u.a. S. 85ff.
8 Mehr journalistisch zu Hintergründen beachte auch den Vatikankenner M. Politi, Franzis-kus unter Wölfen. Der Papst und seine Feinde. Freiburg 2014.

Besprochene Sektionen und Workshops
Internationales Symposium und Studientag der Universität Urbaniana mit der Kommission „Justitia et pax“ zum Katakombenpakt
Das II. Vatikanische Konzil und die Kirche der Armen
Der Katakombenpakt, die Befreiungstheologie und die Kirche der Armen - auf dem Hinter-grund der Geschichte Lateinamerikas
Vom Katakombenpakt zum „Franziskusprojekt“

Contact (announcement)

Lic. Norbert Fabian,
Duisburg/ Institut für soziale Bewegungen, Ruhruniversität Bochum
Email: nobfabian@t-online.de


Editors Information
Published on
06.02.2016
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Regional Classification
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English, German, Italian, Spanish
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