Re-Reading the Habsburg Monarchy. New Approaches between Empire, State, and the Global

Re-Reading the Habsburg Monarchy. New Approaches between Empire, State, und the Global

Organizer(s)
Peter Becker / Julia Bavouzet, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien
ZIP
1010
Location
Wien
Country
Austria
Took place
In Attendance
From - Until
01.12.2022 - 03.12.2022
By
Daniel Gunz, Institut für Geschichte, Universität Wien

Bereits zum 15. Mal veranstaltete das Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien seine Jahrestagung. Die Organisator:innen ermöglichten durch die Schwerpunkte empire, state und global einen breiten thematischen Zugang zur Imperienforschung der Habsburgermonarchie. Dadurch war es möglich, ein äußerst illustres und internationales Feld an Vortragenden nach Wien zu locken.

Sowohl PIETER JUDSON (Florenz) als auch ULRIKE VON HIRSCHHAUSEN (Rostock) plädierten in ihren Keynotes dafür, erweiterte Perspektiven in der Erforschung der Habsburgermonarchie einzunehmen. Wiederholt forderte Judson, sich intensiver den historischen Akteur:innen und Netzwerken zuzuwenden, um eine bessere Vorstellung über die Habsburgermonarchie als empire zu erhalten. Anhand wirtschaftlicher Vernetzungen exemplifizierte er, dass Akteur:innen in internationalen Netzwerken agierten. Es müsse über die Grenzen der Monarchie hinausgedacht werden, um ihre Verflechtungen mit anderen Reichen bzw. Imperien zu verstehen. Die Bedeutung zur Erforschung einzelner Regionen betonten beide Keynotes. Von Hirschhausen argumentierte anhand des Beispiels Galiziens dahingehend, das gängige Verständnis von Zentrum und Peripherie aufzubrechen. Als vom Zentrum Wien weit entfernt gelegene Randregion rückte Galizien im Ersten Weltkrieg durch seine Frontabschnitte blitzartig in den Fokus. Die Dichotomie Zentrum und Peripherie sei jedenfalls situationsabhängig zu betrachten und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Randregionen führe zu einem neuen Verständnis des Zentrums.

Mit Räumen – auch außerhalb der Habsburger Monarchie – beschäftigten sich die ersten drei Vorträge. Im Vergleich mit dem Russischen Zarenreich (BENJAMIN SCHENK, Basel) und dem Osmanischen Reich (YAVUZ KÖSE, Wien) hat sich unter anderem gezeigt, wie wichtig territorialer Besitz und die Kartographie für das Selbstverständnis eines empires war. Schenk betonte die Bedeutung der ein Sechstel der Weltkarte ausfüllenden Größe Russlands für die kollektive Identität und das Machtverständnis der Bevölkerung des Zarenreichs. Die Habsburgermonarchie sei einem ähnlichen Argumentationsmuster gefolgt, habe sich aber stets mit dem europäischen Kontinent verglichen und nicht der Welt. Im Gegensatz dazu betonte Köse für das Osmanische Reich und die spätere Republik Türkei, dass Karten in Schulbüchern oftmals die größte Ausdehnung des Reiches zeigten, um die Bedeutung der eigenen Kultur auf den ehemaligen Einflussraum zu unterstreichen. Territoriale Größe wurde folglich mit Macht gleichgesetzt.

Kritisch hinterfragte TOMASZ HEN-KONARSKI (Warschau) den Begriff empire und dessen uneindeutige Übersetzung in unterschiedliche Sprachen. In der Habsburgermonarchie, so Hen-Konarski, sei durch einheitliche Gesetzgebungen zumindest versucht worden, einen unitären Rechtsstaat zu installieren. Gleichzeitig betonte er am Beispiel Galiziens die Eigenheiten einzelner Region und plädierte für die vermehrte Auseinandersetzung mit historischen Akteur:innen.

PHILIPP THER (Wien) suchte entlang biographischer Ausschnitte der Leben Joseph Haydns und Ludwig van Beethovens Anzeichen für „das Imperiale“ im Werk der beiden Komponisten. Er führte im Falle Haydns Beispiele kollektiven Mäzenatentums an, das adlige Reichseliten für ihr eigenes Prestige unternahmen. In Beethovens Oeuvre gab Ther Hinweise für nationalistisch-einigende Textpassagen. Diese, so das Argument, hätten die Bevölkerung auf ein de facto politisch bedeutungsloses bzw. nicht existentes Deutsches Reich während der Revolutionskriege bzw. Napoleonischen Kriege einschwören sollen.

Beim Vergleich der beiden Galerien für moderne Kunst in Prag und Wien vor dem Ersten Weltkrieg betonte MATTHEW RAMPLEY (Brünn) deren Ausrichtung am zeitgenössisch nationalistischen Diskurs. Trotz Forderungen für eine supranationale Staatsgalerie moderner Kunst und dass der Modernismus als grenzübergreifende Strömung verstanden wurde, hätten beide vorgestellten Institutionen eine an nationaler Zugehörigkeit orientierte Ausstellungspolitik verfolgt.

Die nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen literarischen Werke der Autor:innen Peyami Safa und Halide Edib würden die Verschränkung des imperialen Erbes des Osmanischen Reiches und einer neuen, als westlich bzw. modern verstandenen türkisch-nationalstaatlichen Identität zeichnen, was JOHANNA CHOVANIEC (Wien) in ihrem Vortrag unterstrich. Das Osmanische Reich als empire verstanden, habe als Bezugspunkt Sicherheit in einem sich schnell wandelnden Umfeld geboten.

Zwei Beiträge des Panels Wirtschaft, setzten sich mit ökonomischen Aspekten auseinander, wohingegen der dritte die Möglichkeit nutzte, erste Ergebnisse eines neuen Forschungsprojekts zu präsentieren. Grenzen konnten im Sinne eines politisch-ökonomischen Protektionismus als „Sicherung“ lokaler Produzenten dienen, wie KLEMENS KAPS (Linz) veranschaulichte. Um die galizische Ölförderung vor dem Aufkauf durch amerikanische Industrielle zu schützen, intervenierten polnisch-galizische Politiker erfolgreich im Reichsrath der österreichischen Reichshälfte. Es standen bei einzelnen Akteuren jedoch nationalistische Motive hinter diesem Interesse. Eine wirtschaftliche Grundlage für einen erhofften polnischen Nationalstaat sollte gesichert werden.

Die wirtschaftliche Arbeitsteilung bzw. gegenseitige Abhängigkeit der Kronländer (Industrie- vs. Agrarregionen bzw. Rohstofflieferanten) sei ein wichtiger Faktor für den Zusammenhalt der Habsburgermonarchie gewesen, so ANDREA KOMLOSY (Wien). Am Beispiel Ungarns betonte sie, dass nach dem Ausgleich von 1867 das Land eine Art eigenes Imperium innerhalb der Doppelmonarchie gewesen sei; die ökonomische Abhängigkeit von Cisleithanien – obwohl umgekehrt eine Abhängigkeit ungarischer Agrarprodukte bestand – aber nicht mit dem politischen Selbstverständnis Transleithaniens übereingestimmt hätte.

Mit der Souveränität des Herrschers beschäftigte sich ALISON FRANK-JOHNSON (Cabridge MA) am Beispiel der durch Kaiser Franz Joseph I. bestätigten Todesurteile. Diese Praxis verdeutlicht das Machtverständnis des Monarchen, sich über Empfehlungen von Juristen hinweg setzen zu können, andererseits bekam er auch Einblicke in das Leben seiner Untertanen. Die Beschreibungen der Vorfälle konfrontierten den Kaiser mit Regionen, Religionen, Armut und allen denkbaren Aspekten und Abgründen menschlicher Existenzen.

Anhand des Lebens von Emmy Freundlich und Gertrud Lovasy, zwei in der Habsburgermonarchie sozialisierte, nach deren Ende international tätige Ökonominnen zeigte GLENDA SLUGA (Florenz) die Marginalisierung von Wissenschaftler:innen im Imperiumkonzept. Die Vortragende plädierte für die Erforschung von Akteurinnen, um ein besseres Verständnis für die Monarchie – auch aus der Retrospektive – und deren globale Verknüpfungen zu erhalten.

Dem empire näherte sich JANA OSTERKAMP (München) aus der Perspektive des Habsburger Föderalismus. Dieser sei ein gelebter und innovativer Föderalismus gewesen, so Osterkamp. Für Kronländer bedeutete das beispielsweise Souveränität im Bildungs- oder Gesundheitsbereich. Um das gesamte Reich zu verstehen, müssten sich Historiker:innen somit vermehrt regionalen Gegebenheiten annehmen. Dadurch könne die Dichotomie zwischen Nationalstaat und empire als analytische Kategorien durchbrochen werden.

ANNA ROSS (Warwick) hielt einerseits fest, dass internationale Organisationen der Zwischenkriegszeit ehemalige Repräsentationsbauten untergegangener Imperien als Verwaltungsgebäude aus Repräsentationsgründen präferierten. Andererseits zeigte sie am Beispiel der internationalen Zone Tangers in Marokko, wie ehemalige Mitarbeiter:innen des österreichisch-ungarischen Konsulats von anderen Mächten der Zwischenkriegszeit umworben worden sind. Ihre durch die Habsburgermonarchie gewonnen Erfahrungen seien auch für andere Staaten von hohem Wert gewesen.

NATASHA WHEATLEY (Princeton) betonte, dass viele der im Laufe des ganzen 20. Jahrhunderts entstandenen Staaten sich auf historische Rechte beriefen, um ihre neugewonnen Souveränität zu legitimieren. Die Auseinandersetzung mit Imperien wie der Habsburgermonarchie und ihren Regionen würde daher für das Verständnis der Staatswerdung im Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts große Erkenntnisgewinne versprechen.

DOMINIQUE REILL (Miami) unternahm einen Streifzug durch die Jugend des späteren Bürgermeisters von New York City, Fiorello LaGuardia. In den USA geboren, verbrachte dieser einige Jahre seiner Jugend in Österreich-Ungarn. LaGuardia habe dank seiner habsburger-imperialistischen Sozialisierung verstanden, so Reill, als Vertreter der republikanischen Partei die Bevölkerung der ebenfalls multiethnischen, demokratisch geprägten Großstadt für sich zu gewinnen.

Für die Habsburgermonarchie ergänzte WOLFGANG GÖDERLE (Graz) die enge Verknüpfung zwischen staatlicher Kartographie und Zensus. So haben beispielweise Karten, die ethnische Mehrheitsverhältnisse abbildeten, eine eigene Realität dargestellt. Sie erfassten zwar nicht die tatsächliche ethnische Pluralität der Bevölkerung, bildeten aber die Grundlage politischer Auseinandersetzungen, territorialer Führungs- bzw. nach dem Ersten Weltkrieg auch Besitzansprüche durch Nationalstaaten.

Auf die in die Ausarbeitung der mährischen Ausgleichsgesetze (1905) involvierten Politiker und deren Interessen legte ROBERT LUFT (München) seinen Fokus. Mährens zentrale Lage, seine ökonomische und steuerliche Bedeutung für die Monarchie hätte die Einführung eines gerechteren, den Nationalitäten eher entsprechenden Wahlsystems und Proporzes ermöglicht. Der zunehmenden politischen „Gerechtigkeit“ zum Trotz hätte die deutschsprachige Führungselite, die in Mähren eine klare Minderheit darstellte, ihre Macht nur teilweise abgegeben.

Auf die rassistisch-kolonialen Bestrebungen des Gründers der Paneuropa-Bewegung, Richard Coudenhove-Kalergi nahm LUCILE DREIDEMY (Wien) Bezug. Nicht nur dass er die Überlegenheit einer „europäischen Rasse“ postulierte, forderte Coudenhove-Kalergi beim Zusammenschluss der europäischen Staaten die Ausbeutung bestehender Kolonien zum Nutzen des utopischen Staatenbundes. Paneuropa könne dabei auch als Projekt imperialer Führungsansprüche Österreichs verstanden werden: Wien war als Zentrum des neuen empires angedacht.

Die österreichische Siedlerbewegung der 1920er- und 1930er-Jahre diente TARA ZHARA (Chicago) als Beispiel für anti-globale Strömungen der Zwischenkriegszeit. Das eigene Landesinnere sollte urbar gemacht werden, forderten Politiker:innen, um die nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie verlorenen Rohstoff- und Lebensmittelquellen zu ersetzen. Nationalstaatliche Autarkie sei aus anti-globalistischer Sicht nach dem Ersten Weltkrieg und dem vermeintlichen Scheitern internationaler Zusammenarbeit die einzige Möglichkeit gewesen, als Staat zu bestehen.

Minderheitenrechte standen im Zentrum des Beitrags von JULIA BAVOUZET (Wien). Anhand des Beispiels Ungarns, dessen Abkommen nach dem Ersten Weltkrieg und Vereinbarungen des Völkerbundes zeigte die Vortragende, dass das ungarisch-politische Interesse vor allem den ungarischen Minoritäten anderer Staaten galt, die ethnischen Minderheiten im eigenen Hoheitsgebiet jedoch systematisch vernachlässigt und unterdrückt worden seien.

Abschließend kann festgehalten werden, dass zahlreiche Vortragende mit der Forderung der Keynotes nach einer vermehrten Akteurs- bzw. Regionalperspektive übereinstimmten. Viele von ihnen beschäftigten sich mit Akteur:innen und zeigten deren internationale Verflechtungen auf. Exemplarisch wurde auf Galizien oder Mähren als Regionen Bezug genommen. Hier ist sicherlich noch großer Spielraum für weitere Forschungsprojekte. Zumindest ist aber das Bewusstsein um die Bedeutung dieser Herangehensweise vorhanden, um neue Erkenntnisse zur Imperienforschung beizutragen. Mit Blick auf die Multilingualität der Habsburgermonarchie ist dieses Unterfangen jedoch nur möglich, wenn es zu einer intensiven, grenzübergreifenden Zusammenarbeit von Historiker:innen und dadurch zur Erschließung regionaler Forschungsergebnisse der Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie kommt. Dadurch wäre es möglich, über eine Vielzahl einzelner Fallbeispiele ein größeres Bild der Donaumonarchie zu zeichnen. Die Tagung zeigt, dass die Beschäftigung mit den durch die Habsburger regierten Ländern, egal ob diese nun wegen ihrer nicht vorhandenen Kolonien als Imperium anerkannt werden oder nicht, ertragreiche Ansätze und Ergebnisse zur Erforschung zahlreicher anderer Imperien beitragen kann.

Konferenzübersicht:

1. Keynote

Pieter Judson (Florenz): Our Histories, Our Politics: the Unavoidable Importance of the Habsburg Empire

2. Keynote

Ulrike von Hirschhausen (Rostock): Die Habsburgermonarchie global. Neue Wege? Neue Antworten?

Panel 1: Räume

Benjamin Schenk (Basel): "Der sechste Teil der Erde". Territoriale Größe und imperiale Identität im Russländischen Reich

Yavuz Köse (Wien): Die wohlbehüteten Ländereien des Sultans. Territoriale Schrumpfung und imperiale Größe im späten Osmanischen Reich

Tomasz Hen-Konarski (Warschau): Galicia: a non-imperial periphery?

Panel 2: Kultur

Philipp Ther (Wien): Haydn, Mozart, Beethoven und das Habsburgerreich als musikalisches Imperium

Matthew Rampley (Brünn): The Artworld and the late Habsburg Public Sphere: the Galleries of Modern Art Prague and Vienna

Johanna Chovanec (Wien): Images of Empire in early republican Turkey

Panel 3: Wirtschaft

Klemens Kaps (Linz): Spatial inequalities, cultural-national emancipation and the political shifts of the Habsburg Empire: Considerations with focus on Galicia in the long 19th century

Andrea Komlosy (Wien): Habsburg Monarchy: Economic imbalances as factors of imperial cohesion

Alison Frank Johnson (Cambridge MA): Robbers, Bandits, Mothers, Wives: The Carceral Economy of Murder and Mercy

Panel 4: Governance

Glenda Sluga (Florenz): What difference does adding women and economics make?

Jana Osterkamp (München): Imperial federalism. Projecting 'Multi-level governance' to Habsburg history

Anna Ross (Warwick): Governing international zones, 1919-56

Natasha Wheatley (Princeton): What Is a State? Asking for the Habsburg Empire

Panel 5: Politik

Dominique Reill (Miami): How Habsburg Ethnic Politicking Refined America’s Melting Pot

Robert Luft (München): Aushandlungsprozesse regionaler Akteure im Imperium: das Beispiel des Mährischen Ausgleichs von 1905

Wolfgang Göderle (Graz): Imaginaires of the Habsburg Monarchy. Spaces and Negotiations of Statehood and Imperial Rule in Central Europe in the 19th century

Panel 6: Afterlives

Lucile Dreidemy (Wien): For peace and colonies – Paneurope and imperialism by integration in post-Habsburg Austria

Tara Zahra (Chicago): Austria’s Global and Anti-Global Afterlife

Julia Bavouzet (Wien): Minority protection in Habsburg successor states: an imperial legacy?

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Published on
22.03.2023
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English, German
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