Fäßler legt ein knappes Studienbuch vor, das mit einem Register, einer gegliederten Auswahlbibliographie einschließlich Internetzugängen, Stichworten, Infoboxen, Abbildungen und Tabellen, Graphiken und einem Abkürzungsverzeichnis sowie sieben zusammenfassenden Thesen überlegt in den Bereich einführt. Er teilt den Text in einen chronologischen und einen systematischen Teil und skizziert in letzterem auch Einzelentwicklungen wie die Geschichte der Transport- und Kommunikationssysteme. Im chronologischen Teil periodisiert er präglobal (bis 1500), protoglobal (bis 1840) sowie drei Globalisierungsphasen bis 1914, 1945/90 sowie heute. Er spricht von der „präglobalen Epoche“ (S. 52); der alte Vorschlag, der griechischen Wortbedeutung folgend Periode für den langen Zeitraum und Epoche für die Umbruchszeit zu benutzen, besäße mehr Eindeutigkeit.
Die erste Globalisierungsphase sieht der Autor gekennzeichnet durch fünf „Faktoren“ – Innovationen bei Produktion, Transport und Kommunikation, Einführung internationaler Rechts-, Währungs- und Technologie-Standards, Existenz eines Hegemons, dem die Durchsetzung der internationalen Vereinbarungen gelang, Auftreten von global players der zweiten Generation und Vorherrschen einer wirtschaftspolitischen Leitidee, nämlich des Liberalismus. Unter der zweiten Generation von global players versteht er multinationale Unternehmen wie General Electric oder Siemens, zu denen internationale Organisationen (govermental wie non-governmental) hinzutreten – von der Anti-Slavery-Society 1823 über das Internationale Rote Kreuz 1863 bis zur Fédération Internationale de Football-Association 1904. 1914-1945 sieht er vor allem als Phase der Desintegration – der Hegemon fehlt, der Goldstandard und damit ein internationales Weltwährungssystem wird aufgegeben, der Liberalismus verliert Anhänger, bedeutende Staaten fehlen bei den Versuchen, globale Organisationen zu schaffen, es kommt zu nationalstaatlichen Neuordnungen, die Weltgesellschaft lehnt sogar den Internationalismus ab und die globalen Migrationströme werden eingedämmt.
Kleine Einwände sollen notiert werden. Hat Karl Marx irgendwo postuliert, dass der Sozialismus krisenfrei verlaufen werde (S. 69)? Selbstverständlich ging er davon aus, dass die kapitalistischen Krisen verschwinden würden, aber hat er irgendwo ausgeführt, dass „das wahre Reich der Freiheit“1 keine Krisen kennen werde? Aus den wenigen Bemerkungen, die Marx über den Sozialismus gemacht hat, kann man das kaum ableiten. Dann zur Zitierweise: McNeills Buch Plagues and Peoples ist 1976 zuerst erschienen und es führt in die Irre, wenn man nur die Neuauflage von 1998 zitiert (Anm. 43). Wie Fäßler schätze ich die Bedeutung des Militärs für die europäische Expansion hoch ein und sowohl diese wie auch die Expansionen der Osmanen, Moguln etc. sind ohne die neuen Kanonen nicht denkbar, aber der Terminus „gunpowder-Empires“ wird in der Regel nur für die asiatischen Imperien der Frühen Neuzeit benutzt (anders als S. 63).2 Und zur Bibliographie – zu Wallerstein wäre ein Hinweis auf die Übersetzung ins Deutsche hilfreich gewesen3 (Wallersteins Englisch ist ja nicht gerade einfach zu verstehen), zu Eric Wolf dagegen auch das englische Original4, weil damit die Entstehungszeit deutlich wird.
Fäßler schließt mit einem Hinweis auf die wachsende Kritik an der „sozialen Spreizung“ und den „ökologischen Folgen unseres Wirtschaftens“ (S. 213). Er benennt damit, was als argumentierter Teil seines Buches über Globalisierung fehlt – die disruptiven und kontraproduktiven Folgen. So wird z.B. bei der Darstellung der „Zeit der Gegenläufe“ (1914-1945) nicht auf die Gründe und die Entstehung der jeweiligen „nationalen Aufwallungen“ (S. 105) eingegangen, weder mit einer Frage nach dem Zusammenhang von Globalisierung und Partikularisierung noch der nach den Funktionen globaler5 und innerer6 Peripherien für die Weltwirtschaft, gerade auch als Antworten auf die Weltwirtschaftskrise 1929. Die Gründe für diese nur in der „hegemonialen Vakanz“ zwischen den Weltkriegen, im Verlust des Weltwirtschaftssystems und anderen Schwächen der politischen und ideologischen Verfassung (Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus in der Weltgesellschaft, Nationalismus) zu suchen, erinnert etwas an die Geschichte von "Henne und Ei". Gibt es keine inneren Mechanismen des Kapitalismus, die zu Krisen führen können? Demnach haben wir gegenwärtig, z.B. entgegen Andre Gunder Franks frühen Hinweisen auf die entstehende Finanzkrise in den USA7, keine große Krise zu befürchten, weil der Hegemon feststeht und liberalismuskritische Ideologien in der Öffentlichkeit wenig Resonanz finden? Das ist ein bisschen umgekehrter Sowjetmarxismus und fällt hinter Versuche, Aufstiege und Krisen in den Interaktionen innerhalb eines Systems und im Kontext der kulturellen, ökonomischen, politischen und sozialen Teilsystemen zu erklären, meines Erachtens zurück.
Der Stil ist verständlich. Nur manchmal verliebt der Autor sich in eigene Bilder, so lässt er „Interaktionsbarrieren“ wie Flusstäler „erodieren“, wenn Seekabel oder neue Dampfer es ermöglichen, Ozeane schneller zu überqueren. Das führt unter Umständen zu schwer verständlichen Sätzen, wenn man z.B. „die Erosion naturräumlicher Barrieren nicht rückgängig machen“ kann (S. 64) – die Vorstellung, dass ein Ozean erodiert, überfrachtet das Bild. Auf S. 123 beschreibt er präzis politischen Gestaltungswillen als Grund für den Beginn der zweiten Globalisierungsphase, lässt dann aber doch wieder Interaktionsbarrieren erodieren. Ähnlich nicht zu Ende gedacht ist die Metapher (S. 126), nach 1945 „kühlte sich das weltpolitische Klima rasch ab“– auch hier weicht der Autor in eine scheinbare Naturhaftigkeit der Geschichte aus, obwohl die Entstehung des Kalten Kriegs damit ja sicher nicht erklärt ist.
Das Buch ist didaktisch in die oft geforderten kleinen Häppchen aufgeteilt, mit Tabellen und Grafiken aufgelockert und mit Merkfragen bzw. Lernkästchen für wiederholendes Lernen und Vorbereitung auf Prüfungen gut eingerichtet. Man kann es in der akademischen Lehre gut einsetzen, auch von einer kritischeren Position aus – die Studenten würden (vermutlich) selbst stärkere Infragestellungen etwa aus den attac-Publikationen einbringen und sind andererseits über das liberale Grundkonzept oft unzureichend informiert, was nicht nur zu Kenntnislücken, sondern auch zu vorschnellen Urteilen führen kann. Insgesamt bietet Fässlers Text also ein gutes Lernbuch für die Geschichte der Globalisierung.
Anmerkungen:
1 Zitiert nach Fetscher, Iring (Hrsg.), Der Marxismus, München 1967, S. 771f.
2 Vgl. kurz Rothermund, Dietmar, Das ‚Schiesspulverreich’ der Gromoguln und die europäischen Seemächte, in: Edelmayer, Friedrich; Feldbauer, Peter; Wakounig, Marija (Hrsg.), Globalgeschichte 1450- 1620, Wien 2002, S. 249-260.
3 Wallerstein, Immanuel, Das moderne Weltsystem Bd. I–III, Frankfurt 1986-2004.
4 Wolf, Eric, Europe and the People without History, Berkeley 1982.
5 Vgl. etwa Englert, Birgit; Grau, Ingeborg; Komlosy, Andrea (Hrsg.), Nord-Süd-Beziehungen. Kolonialismen und Ansätze zu ihrer Überwindung (= Gesellschaft – Entwicklung – Politik Bd. 6), Wien 2006.
6 Vgl. Beiträge in Nolte, Hans-Heinrich (Hrsg.), Innere Peripherien in Ost und West (= HMRG Beihefte 42), Stuttgart 2001; Hárs, Endre; Müller-Funk, Wolfgang; Reber, Ursula; Ruthner, Clemens (Hrsg.), Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (= Kultur–Herrschaft–Differenz Bd. 9), Tübingen 2006.
7 Frank, Andre Gunder, Orientierung im Weltsystem. Von der Neuen Welt zum Reich der Mitte, Wien 2005, S. 117-119.