S. Nishida: Wiederaufbau der japanischen Wirtschaft

Title
Der Wiederaufbau der japanischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Die amerikanische Japanpolitik und die ökonomischen Nachkriegsreformen in Japan 1942-1952


Author(s)
Nishida, Satoshi
Series
VSWG-Beihefte 193
Published
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Extent
474 S.
Price
€ 78,00
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Nils Meyer, Berlin

Die amerikanische Besatzungszeit in Japan (1945-52) ist in Japan und den USA ein gut erforschtes Terrain.1 Nun legt Nishida Satoshi eine voluminöse Studie über den wirtschaftlichen Wiederaufbau Japans in jener Zeit vor, um für den deutschen Sprachraum eine Forschungslücke (S. 38) zu schließen. Dafür bewegt sich Nishida zwischen zwei akademischen Welten, denn die Studie basiert auf einer Dissertation, die an der Universität Bielefeld eingereicht wurde. Und doch merkt man schon beim Lesen des ersten Satzes, dass man ein japanisches Werk vor sich hat, da Nishida die Dauer der amerikanischen Besatzung zeitlich gleich doppelt markiert: „rund sechs Jahre und acht Monate (vom 2. September 1945 bis zum 28. April 1952)“ (S. 15). Auch wenn eine zu starke Dichotomisierung als nicht zulässig erscheint: In der japanischen Geschichtsschreibung regiert die Chronologie stärker als in der deutschen, und das Quellenmaterial wird leicht zum Fetisch, mit all den Problemen des Positivismus und einer mangelnden Reflexion des eigenen Standpunkts. Der deutsche Leser sollte dies berücksichtigen, zumal durch Eigenheiten im Stil der Eindruck entsteht, es handele sich um eine aus dem Japanischen übersetzte Arbeit. Nishida geht jedoch in der Einleitung über diese ‚common sense history‘ hinaus und diskutiert mögliche theoretische Ansätze für seine Untersuchung (S. 22-34): die Theorie des institutionellen Wandels, die komparative institutionelle Analyse (CIA), Kulturtheorien (Lawrence Harrison, Francis Fukuyama) sowie Emmanuel Wallersteins Konzept des Weltsystems. Im Hauptkorpus werden die hier entwickelten Ideen aber nur selten aufgenommen, manchmal auch etwas unglücklich: Die Entstehung der ‚japanischen‘ kooperativen Arbeitsbeziehungen sind laut Nishida ein Produkt außerordentlicher Konflikte, die ihrerseits aber (unter Berufung auf Fukuyamas monokausale ‚Trust-Theorie`) schon immer von ‚Vertrauen‘ durchdrungen gewesen sein sollen (S. 328-29). Jenseits der theoretischen Reflektionen folgt der größte Teil der Studie der Chronologie und ist der Geschichte der zentralen Dokumente gewidmet.

Der Haupttext gliedert sich in vier große Teile. Kapitel 1 beschreibt die Zeit zwischen 1942 bis Ende 1945, als die Amerikaner mit den Planungen für die Zeit nach der japanischen Kapitulation beginnen. Nishida konzentriert sich hier auf die Entstehung der beiden grundlegenden Dokumente der Besatzungszeit: die „U.S. Initial Post-Surrender Policy Relating to Japan“ (SWNCC 150) und die „Basic Initial Post-Surrender Directive“ (SWNCC 52), die zusammen die Basis für die anfängliche Politik von SCAP (dem Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte) bildeten. Kapitel 2 befasst sich mit der ersten Phase der Wirtschaftspolitik von SCAP von 1945-1947, als von amerikanischer Seite versucht wurde, die industriellen Grundlagen der Kriegswirtschaft zu beseitigen und wirtschaftliche Strukturen zu schaffen, die eine erneute Politik militärischer Expansion unmöglich machen würden. Im Hinblick auf die Durchsetzung dieser Politikziele analysiert Nishida vier Bereiche: Reparationen, die Auflösung der Industrie-Konglomerate (zaibatsu), die Bodenreform und die Reform des Arbeitslebens. Kapitel 3 schildert die Phase der grundlegenden Wende (‚reverse course‘), die die amerikanische Besatzungs- und damit auch Wirtschaftspolitik in den Jahren 1947-1949 durchlief: Entmilitarisierung und Demokratisierung wurden als Ziele zugunsten einer Politik der Stabilisierung wirtschaftlicher Selbständigkeit und Stärke marginalisiert, wobei bei Nishida der Prozess der Abschwächung der Dekonzentrationspolitik und Anti-Monopolgesetzgebung den größten Raum einnimmt. Kapitel 4 schließlich behandelt die Marginalisierung von SCAP in Wirtschaftsfragen, bedingt durch das Wirken von Joseph M. Dodge, der von Präsident Truman beauftragt worden war, die Inflation und den defizitären Staatshaushalt in Japan zu beseitigen, ein Vorhaben, dass Dodge so radikal umsetzte, dass die wirtschaftliche Stabilität durch die nun einsetzende Deflation bedroht war. Allein der Korea-Krieg (1950-53) glich durch den Zufluss großer Kapitalmengen die negativen Effekte dieser Politik aus.

Nishidas Darstellung ist in allen Teilen umfassend und kann sich – wie oben angedeutet – doch nicht immer (besonders in den Kapiteln 2 und 3) von der Fixierung auf das Quellenmaterial lösen, so dass, um ein böses Wort von E. H. Carr zu zitieren, zuweilen der Eindruck von „cut-and-paste history“ entsteht. Dabei hätte eine stärkere theoretische Durchdringung z.B. eine Konzentration auf die strukturelle Konstellation der an der Formulierung der amerikanischen Politik beteiligten Institutionen (Heeresministerium, Außenministerium, SCAP, bestimmte US-Konzerne, die ‚Japan-Cliquen‘) bewirkt und ihr Kampf gegeneinander um die Durchsetzung bestimmter Politikinhalte die Darstellung bereichert. Kontroversen und Kämpfe sieht auch Nishida, doch geht er nie genauer auf sie ein. So gewinnt der Leser den Eindruck, ihm werde ein Klassiker der ‚Schwarzen Serie‘ des US-Kinos jener Jahre präsentiert, dessen Drehbuch aber nur aus dem Vorlesen von Vernehmungsprotokollen besteht. Da ist es kein Trost, dass der marxistische Historiker Jon Halliday 2 versichert, dass hinter diesen Auseinandersetzungen eine strukturelle Einheit der Politikansätze zur Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung bestanden habe und die Kämpfe in ihrer Relevanz nachrangig gewesen seien.

Wie ordnet sich Nishidas Arbeit in seinen Forschungszusammenhang ein? Untersuchungen zur Wirtschaftspolitik der US-Besatzer kreisen in der Regel um zwei zentrale Problematiken: 1. Wie effektiv war eine amerikanische Besatzungspolitik, die indirekt über den japanischen Regierungsapparat ausgeübt wurde und durch die erwähnten Machtkämpfe gekennzeichnet war? Forscher wie Chalmers Johnson 3 tendieren hier zu einem negativen Urteil, wenn sie die Kontinuität der bürokratischen Eliten unterstreichen, die zudem noch durch die Besatzungspolitik (ungewollt) einen Machtzuwachs verzeichneten. Nishida hingegen kommt zu einer entgegensetzten Einschätzung, wobei generell die Frage zu stellen ist, inwieweit bei der Beantwortung dieser Frage allein schon von der Wahl des Forschungsobjekts präjudizierende Wirkungen ausgehen. 2. Verkörpert die Besatzungszeit institutionsgeschichtlich wirklich einen Bruch, vor allem mit der Kriegszeit? Führende Wirtschaftshistoriker wie Nakamura Takafusa 4 betonen, dass viele der wirtschaftlichen Institutionen, die für das japanische Wirtschaftswunder ‚verantwortlich‘ waren, bereits in der Kriegszeit geschaffen wurden. Einige behandeln die Zeit von 1937 bis 1952 sogar als Einheit.5 Nishida betont hier sehr viel stärker den diskontinuierlichen Charakter der institutionellen Entwicklung, wobei anzumerken ist, dass bis auf wenige Ausnahmen 6 die meisten Historiker wie Nakamura ein energisches „Sowohl-als-auch“ vertreten, die divergenten Standpunkte also eher auf einer unterschiedlichen Gewichtung von Kontinuität und Wandel beruhen.

Noch eine Bemerkung: Eine solche Arbeit in einer Fremdsprache vorzulegen, ist zwar eine ungewöhnliche Leistung, aber die zahlreichen Druckfehler und der oftmals falsche Gebrauch von Tempus und Modus der Verben sind ein Mangel, der im krassen Gegensatz zu der Akribie, der Anstrengung und Ernsthaftigkeit des Autors steht. Was bleibt, ist die sicherlich umfassendste Darstellung der Wirtschaftspolitik der amerikanischen Besatzer in Japan, die in deutscher Sprache erhältlich ist, eine Bereicherung für alle Experten, die sich eingehend mit der Thematik befassen wollen.

Anmerkungen:
1 Folgende Bibliographien sind für einen Überblick der in englischer Sprache verfassten Literatur hilfreich:
Ward, Robert E.; Shulman, Frank J., The Occupation of Japan 1945-1952, Chicago 1974.
Dower, John W.; George, Timothy S., Japanese History from Ancient to Modern Times, Princeton 1995.
2 Halliday bietet eine der besten Einführungen in deutscher Sprache: Halliday, Jon, Japan unter amerikanischer Besatzung: „Zwischenspiel“ und Neuordnung, in: Ulrich Menzel (Hrsg.), Im Schatten des Siegers: Japan. Band 2: Staat und Gesellschaft. Frankfurt am Main 1989, S. 99-185.
3 Johnson, Chalmers, MITI and the Japanese Miracle, Stanford 1982.
4 Nakamura, Takafusa, Lectures on Modern Japanese Economic History 1926-1994, Tôkyô 1994, hier S. 123-128.
5 Miyamoto, Matao u. a., Nihon kei’eishi [Die Geschichte des japanischen Managements], Tôkyô 2007, hier S. 227-295.
6 So die Institutionengeschichtler: Okazaki, Tetsuji; Okuno, Masahiro (Hgg.), Gendai Nihon keizai shisutemu no genryû [Der Ursprung des japanischen Wirtschaftssystems der Gegenwart], Tôkyô 1993, hier S. 28.

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28.03.2008
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