Der von Peter C. Mancall herausgegebene schmale Band versammelt sechs Beiträge, die das Ergebnis der ersten Jahrestagung des USC-Huntington Early Modern Studies Institute an der University of Southern California im Jahre 2004 sind. Es handelt sich um eine erneute Publikation der Beiträge, die erstmals 2006 im Journal of Early Modern History veröffentlicht wurden. Die behandelten Texte decken das Spektrum vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ab. Die Klammer zwischen allen Beiträgen bildet zum einen die Frage nach der textlichen Verfasstheit der als Exempel ausgewählten Reiseberichte selbst, besonders im Hinblick auf die Frage der Konstruktion eines als authentisch anzusehenden Berichts, und zum anderen nach der jeweiligen spezifischen Rezeption derselben.
Der kurze einleitende Beitrag des Herausgebers Peter C. Mancall „What Fynes Moryson knew“ (S. 1-9) skizziert sehr knapp (S. 1-4) Morysons „Precepts for Travellers, which may instruct the unexperienced“ aus dessen 1617 veröffentlichtem Reisebericht. In diesen „Precepts“ stellt Moryson Regeln auf, wie richtig zu reisen wäre und wie ein glaubwürdiger Reisebericht abgefasst sein müsste. Er hebt hier besonders auf die Autopsie der beschriebenen Gegenstände ab. Anzumerken bleibt, dass Peter C. Mancall den Text gewissermaßen allein stehen lässt. Morysons „Precepts“ ordnen sich aber in den Kontext der so genannten „ars apodemica“ ein. Eine Reihe von grundlegenden Texten etwa von Hilarius Pyrcmair, Hieronymus Turler oder Theodor Zwinger waren im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts erschienen. Der Text Turlers erfuhr bereits 1575 eine englische Übersetzung nur ein Jahr nach der Erstveröffentlichung. Hinzu kommt noch das 1578 erschienene Werk William Bournes, das sich ebenfalls mit diesen Fragen beschäftigt. Es ist also unwahrscheinlich, dass Morysons Ausführungen allein auf eigenen Erfahrungen beruhten. Gleichfalls darf bezweifelt werden, dass allein der persönliche Augenschein dem Bericht eine entsprechende Glaubwürdigkeit sicherte. Vielmehr handelt es sich bei der besonderen Betonung nur zu berichten, was man auch gesehen habe, um ein rhetorisches Mittel eben um die Autorität des Textes zu steigern. Das muss aber nicht zwangsläufig mit der Verlässlichkeit der tatsächlichen oder vermeintlichen Beobachtungen korrespondieren.
Die beiden folgenden Texte von Mary C. Fuller und Nicholas Dew widmen sich den Reisesammlungen, einer sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelnden Gattung. Im Fokus der Ausführungen Mary C. Fullers (S. 11-38) stehen dabei die frühen englischen Beiträge Richard Edens und Richard Hakluyts. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der unterschiedlichen Behandlung von Reiseberichten durch die beiden Herausgeber. Nicholas Dew hingegen wendet sich mit den von Thévenot herausgegebenen „Relations de divers voyages curieux“, die zwischen 1663 und 1672 erschienen, einer anderen bekannten Reisesammlung zu. (S. 39-59)
Einen durchaus interessanten Beitrag liefert Anne Good zu der Veröffentlichung Peter Kolbs über seinen langjährigen Aufenthalt in der niederländischen Kapkolonie aus dem Jahre 1719. (61-94) Sie unternimmt zum einen den Versuch Kolbs Reisebericht in dessen biographischen und bildungsgeschichtlichen Hintergrund einzuordnen. Das ist, zumindest im Hinblick auf die Konstruktion des Berichts, eine durchaus sinnvolle Herangehensweise. Allerdings muss hier angemerkt werden, dass Kolbs systematische Vorgehensweise, die ausführliche Diskussion von Referenztexten und die dadurch erlangte Autorität des Textes nur am Rande behandelt wird. Hingegen wird die Bedeutung der Autopsie der beschriebenen Gegenstände betont, was aber nicht den Erfolg des Textes erklären kann. Zum anderen rekonstruiert Anne Good ausführlich die Wirkungsgeschichte anhand der Übersetzungen und Neuausgaben von Kolbs Buch.
Eine andere Perspektive nimmt Jonathan D. Sassi mit seinem Beitrag über die abolitionische Schrift Anthony Benezets aus dem Jahre 1771 ein. (S. 95-130) Er kann zeigen, wie Benezets geschickt vorhandene Berichte über Afrika, die die Perspektive der Befürworter des Sklavenhandels einnehmen, benutzt und deren Ausführungen in seine Argumentation einbaut.
Der abschließende Aufsatz Joan-Pau Rubiérs „Travel Writing and Humanistic Culture: A Blunted Impact“ (S. 131-168), setzt sich in einer allgemeinen Perspektive mit dem von John H. Elliott in die Diskussion gebrachten Ansatz des eher schwachen Einflusses der Nachrichten über die neuen Welten, besonders anhand der Americana, seit dem 16. Jahrhundert in Europa auseinander. Ihm geht es in seinen Ausführungen um den Einfluss der Reiseliteratur auf den Humanismus bzw. die humanistischen Gelehrten insgesamt und die Frage, ob hier ein Pfad zur Aufklärung führt. Joan-Pau Rubiérs versammelt in der Folge zahlreiche Beispiele aus der gelehrten Literatur des 16. bis 18. Jahrhunderts. Allerdings sind seine Ergebnis nicht wirklich neu. Das sich in der Entwicklung der Reiseliteratur im Verlauf der Frühen Neuzeit zahlreiche Veränderungen ergaben, sich unterschiedliche Berichtsformen ausdifferenzierten, dass sich gerade im späten 18. Jahrhundert eine Aufspaltung der Gattung in wissenschaftliche und eher unterhaltsame Berichte vollzog, ist lange bekannt. Ebenso verhält es sich im Hinblick auf die Autoren. Natürlich lässt sich hier eine Entwicklung unterstellen, die von den vorwissenschaftlichen Berichten des 16. Jahrhunderts zu den differenzierten wissenschaftlichen Abhandlungen des 18. oder auch des 19. Jahrhunderts führt. Dieser Blick verdeckt aber, dass es eben auch andere Traditionsstränge in der Reiseliteratur gibt, die parallel weiter bestehen.
Das verweist auf einen Umstand der in den Beiträgen kaum berücksichtigt wird (mit Ausnahme von Anne Good): Reiseberichte erfüllten immer mehrere Funktionen. Die Autoren waren in der Regel vor dem späteren 18. Jahrhundert keine Gelehrten und sie schrieben auch nicht in erster Linie für diese. Das belegt auch die überwiegende Verwendung der Volkssprachen für diese Gattung. Die primären Funktionen bestanden so nicht in der Bereitstellung von Informationen für die europäischen Gelehrten, vielmehr ging es um die Rechtfertigung der eigenen Reise, um die Mehrung der persönlichen Reputation oder um wirtschaftliche Aspekte. Reiseberichte lassen sich nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines gelehrten Diskurses analysieren. In diesem Fall bleiben die Ergebnisse hinsichtlich der Rezeption und der Verbreitung von Wissen über die außereuropäische Welt zwangsläufig unvollständig, so verhält es sich letztlich auch mit dem vorliegenden Band, der die durch den Titel suggerierte Erwartungshaltung nicht einlösen kann.