Der Sammelband ist das Ergebnis einer Konferenz aus dem Jahr 2000, deren Beiträge nach fünf Jahren schließlich das Licht der Welt erblickten. Diese halbe Dekade zu Beginn des 21. Jahrhunderts markiert einen Zeitraum, in dem zahlreiche Konferenzen abgehalten wurden, die Indien und China vor dem Hintergrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung mit jährlichen Zuwachsraten von bis zu 10 Prozent verglichen. Die Vergleiche erstreckten sich freilich nicht nur auf die ökonomische Entwicklung, sondern auch auf die kulturellen, sozialen und historischen Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede, einschließlich der Perspektiven, die sich daraus ergeben. Meist fanden die Tagungen in „westlichen“ Ländern statt,1 wohl um Handlungsoptionen für die heraufziehende Konkurrenz bereit zu stellen. Selten wurden, wie im vorliegenden Fall, solche Konferenzen in einem der beiden Länder abgehalten, nicht zuletzt, weil diese seit der eigenen Staatsformierung Ende der 1940er Jahre in einem politischen Spannungesverhältnis lebten. Zu diesem war in den 1990er Jahren nun auch eine ökonomische Konkurrenz getreten.
Wie an der Einleitung, vor allem aber am Tenor der Beiträge unschwer zu erkennen, soll nun aus explizit marxistischer, anti-imperialistischer Perspektive auf die freundschaftlichen, wenn nicht solidarischen Verhältnisse verwiesen werden, die gerade während der kolonialen und imperialen Beherrschung Indiens und Chinas durch westliche Kolonialmächte zum Tragen kamen. Geradezu euphorisch wird auf die Jahrtausende alten kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern abgehoben, gipfelnd in der Zusammenarbeit von Tagore und Xu Zhimho oder zwischen Jawaharlal Nehru und Sun Yatsen. Gleichwohl erhebt das Buch den Anspruch, eine „dispassionate and balanced examination of the India-China relationship in this period (der kolonialen Beherrschung, MM) in all its dimensions – one that takes into account how imperialism and colonialism affected these relations....“ zu liefern (S.3), was angesichts des zuvor propagierten gemeinsamen Abwehrkampfes der beiden unterdrückten Völker gegen die imperialistische Aggression, getragen unter anderem von den internationalen kommunistischen Bewegungen in beiden Ländern nach 1917 (S. 2), von vornherein etwas fragwürdig erscheint.
Der Sammelband ist in drei Rubriken eingeteilt. Die erste heißt „Trade and Economic Interactions“ und beinhaltet Beiträge zum Opiumhandel von Briten und Indern mit China, bzw. die Einrichtung Shanghais als internationaler Hafen nach der gewaltsamen Öffnung Chinas im ersten Opiumkrieg 1839-42. Die zweite Rubrik untersucht „Chinese in India, Indians in China“, so die chinesischen Siedler in Calcutta, oder die indische Gemeinschaft in China. Der vierte Abschitt titelt „Cultural Interaction“ mit einem revisionistischen Beitrag zu Tagores Besuch in China sowie zum Wendepunkt der Beziehungen beider Länder im 20. Jahrhundert, und der Rolle, die Tan Yun-shan dabei spielte. In der vierten Abteilung werden die „Links Between the National and Revolutionary Movements in India and China“ untersucht, angefangen mit der Rebellion in Indien 1857-59 und der Beteiligung indischer Soldaten an der Taiping Revolution 1854-65. Ein Beitrag beleuchtet das Verhältnis Mohandas K. (Mahatma) Gandhis zur chinesischen Gemeinschaft in Südafrika um die Wende zum 20. Jahrhundert, während je ein Artikel sich Jawaharlal Nehrus und Subhas Chandra Boses Kontakten zu China widmen. Die letzte Rubrik behandelt schließlich die „Emergence of a New Relationship“ zur Zeit der neuen Staatsgründungen.
Auffallend ist bei sämtlichen Beiträgen das Bemühen, die Wogen zu glätten, die durch das koloniale Erbe in Form von Grenzkonflikten im Himalaya zwischen beiden Staaten entstanden sind und zum Grenzkrieg 1962 führten, bei dem China das sogenannte „Aksai Chin“ im östlichen Kashmir annektierte. Zugleich erinnern die Beiträge an das Bemühen Jawaharlal Nehrus in den 1950er Jahren, Konflike mit China friedlich regeln zu wollen, wozu er eigens den Slogan „Hindi-Chini-Bhai-Bhai“ (Inder und Chinesen sind Brüder) ausgegeben hatte. Der gravierendste Mangel des Sammelbandes besteht indes in der Tatsache, dass kaum ein Beitrag wissenschaftlichen Standards entspricht, denn viele der Artikel fußen auf (zu) wenigen Beiträgen aus der Sekundärliteratur, kaum ein Beitrag besitzt Anmerkungen, und nur drei von insgesamt 13 Artikeln basieren auf Quellenarbeit. Obendrein überschreiten die Thesen oft die Grenzen zum Spekulativen wenn nicht gar zum Wunschdenken, was den Band insgesamt unseriös werden lässt.
Einige Beispiele seien herausgegriffen. Im ersten Beitrag zum Opiumhandel von Briten und Indern, der auf gerade einmal drei veralteten Artikeln aus der Sekundärliteratur basiert, wird behauptet, der Opiumhandel wäre der größte Posten im Außenhandel Großbritanniens während des gesamten 19. Jahrhunderts gewesen. Ein Blick in eine gewöhnliche Wirtschaftsgeschichte zu Britisch-Indien zeigt jedoch, dass dies mitnichten der Fall war, sondern Baumwolle und nach Opium schließlich der nun auch in Indien angebaute Tee ganz oben auf der Exportliste der Kronkolonie Britisch-Indien standen – und nicht des Britischen Empires. Nach einer unübersichtlichen Zahlen- und Datenparade von über 10 Seiten, die sämtlich aus der Sekundärliteratur übernommen wurde, kommt der zweite Beitrag zu dem Schluss, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Britisch-Indien der wichtigste Handelspartner Shanghais gewesen sei, was an sich nichts Neues ist, nun aber als ein Beleg für ein kordiales Verhältnis der beiden Länder in besagtem Jahrhundert gewertet wird.
Basiert der Beitrag zu den Chinesen in Calcutta auf Quellenmaterial, beruht das Gegenbeispiel zu den Indern in China, vom Herausgeber selbst verfasst, erneut auf veralteter Sekundärliteratur. Er kommt zu dem Schluss, der Exodus der wenigen Tausend Inder in China nach 1949 sei einzigartig in der Migrationsgeschichte von Indern gewesen, während diejenigen in anderen Kolonien des Britischen Empires wie Südafrika, der Karibik oder Malaya Aufnahme gefunden hätten. Dabei scheint er zu übersehen, dass aus Birma am Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als 2 Millionen Inder und Inderinnen das Land verließen und heute kaum noch Inder in Myanmar leben. Ebenso scheint dem Verfasser entgangen zu sein, dass 1972 die ultimative Aufforderung Idi Amins an die Asiaten, meist Inder, Uganda zu verlassen, in diesem wie in angrenzenden Ländern zu einem Exodus von 300.000 indischstämmigen Menschen führte.
Zu den besseren Beiträgen zählt derjenige zu Tagores Besuch in China 1923, der auf solider Quellenbasis versucht, das Bild vom Fiasko des Besuches zu korrigieren, indem auf damalige Versäumnisse, vor allem aber auf die Zeitumstände und das teilweise ungeschickte Verhalten Tagores hingewiesen wird, das ihm offensichtlich schon im Vorfeld die zweifelhafte Reputation eines Propheten und nicht des Poeten, als der er kommen wollte, eingebracht hatte. Grotesk ist indessen die Schlussfolgerung aus dem Beitrag zum Indischen Aufstand und zur Taiping Rebellion Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Aktionen von Indern und Chinesen gegen die Briten seien zwar nicht konzertiert gewesen, „[n]evertheless, resentment and hatred of British imperialism was a uniting factor as well as a spark that aroused spontaneous sympathy for his Chinese brethren in the heart of the Indian soldier“. Solch internationale Brüderlichkeit kann aus den wenigen zeitgenössischen Belegen, die angeführt werden, beileibe nicht herausgelesen werden.
Der Beitrag zu Gandhi und den chinesischen „Kulis“ in Südafrika (Transvaal) bietet wenig Neues, obgleich das behauptet wird. Überwiegend auf den Collected Works of Mahatma Gandhi basierend, wiederholt der Verfasser, Gandhi habe für einen begrenzten Moment, nämlich 1906 und 1907, bei seinen Kampagnen gegen die Asiaten-feindliche Gesetzgebung des Transvaal und in Natal mit den Chinesen zusammen gearbeitet, da sie gegen Inder wie Chinesen gerichtet war. Dies trifft zu. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass Gandhi weitere Kooperationen ablehnte, denn erstens waren Inder Untertanen der britischen Krone, Chinesen nicht, beide besaßen folglich einen anderen rechtlichen Status, und zweitens wollte Gandhi die Gemeinschaften nicht grundsätzlich vor den selben politischen Karren spannen, den es seiner Meinung auch nicht gab, da unterschiedliche Interessenlagen vorherrschten. Ein Blick in die Standardliteratur zum Thema hätte zu einer ausgewogeneren, damit aber nicht mehr so sehr auf Brüderlichkeit hinauslaufende Darstellung geführt.2
Nach der Lektüre des Bandes, sofern man als Leser gewillt ist, sich der anhaltenden Panegyrik zur chinesisch-indischen Freundschaft, Wohlwollen und Solidarität auszusetzen – als Rezensent muss man es wohl – kommt man zu dem lapidaren Schluss, dass bis auf zwei oder drei Ausnahmen kein Beitrag etwas Neues bringt, geschweige denn, dass auch nur einer von ihnen wirklich erkenntnisgewinnend ist. Zu empfehlen ist die Anschaffung daher für niemanden, zumal der Preis sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone unverhältnismäßig hoch, vor allem aber aufgrund des miserablen Inhalts nicht gerechtfertigt ist.
Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Toward the 20th Century in Asia. Comparative Perspectives on Politics, Economy and Society in China and India, Center for South Asian Studies, Duke University, Durham, NC, 19.-21. Mai 2005.
2 Robert A. Huttenback, Gandhi in South Africa. British Imperialism and the Indian Question, 1860-1914, New York 1971; Karen L. Harris, Gandhi, the Chinese and Passive Resistance, in: Judith M. Brown, Martin Prozeky (Hrsg.), Gandhi and South Africa. Principles and Politics. Pietermaritzburg 1996, S. 69-94.