Die Hizb Allah sei die Mehrheit, heißt es im grün-gelben Logo der Gottespartei, die sich dort zugleich "islamischer Widerstand im Libanon" nennt. Da ihre Aufzüge oft an solche der Nazis im Dritten Reich mit Heilsgruß, Kommandos und Jugendvereinen erinnern, fragt es sich, wie das Phänomenologische dieser knapp drei Jahrzehnte alten Bewegung zu sehen ist und was einst arabische Antworten auf den Nationalsozialismus beinhalteten. Es gab eine Lücke in der Literatur, die der Berliner Islamwissenschaftler Götz Nordbruch durch sein gediegenes Buch zum Einfluss der Nazis in Syrien und Libanon ausgefüllt hat.
Ein Problem des Themas liegt darin, dass beide Länder nach dem Ersten Weltkrieg unter die französische Mandatsverwaltung kamen und mit dem 1922 britischen Transjordanien mit Palästina Teile der osmanischen Wilayate (Groß-)Syriens gebildet haben. Die "Bilad ash-Sham" beherrschten noch viele Köpfe, so dass etwa der Einfluss des Großmuftis von Palästina - seine Araber nannten sich oft Südsyrer - natürlich war. Dessen Ausstrahlung in Syrien und Libanon kommt zu kurz. Obwohl Amin al-Husaini der Mann mit geheimen und öffentlichen Parteien wie Organisationen, Geld, Radius und der panislamischen Idee war, die durch die Nazis zum Großsyrien, zum neuen arabischen Großreich führen sollte.
Freilich lässt sich über die Bewertung des Angebotes der Kooperation streiten, das der Großmufti den deutschen Stellen Ende 1937 unterbreiten ließ. Nordbruch meint, es sei nicht realisiert worden. Kurzfristig gesehen, mag es stimmen. Jedoch langfristig ist viel verwirklicht worden: Amin al-Husaini hat den Nationalsozialismus propagiert, Räume des Mandats terrorisiert, Waffen erhalten, Juden boykottiert und mit allen Mitteln eine jüdische Heimstätte in Palästina bekämpft. So sehr sogar, dass er nach eigenen Worten direkt von Heinrich Himmler Mitte 1943 über "drei Millionen" 1 vernichtete Juden erfuhr und sich mithin zum Komplizen im Holocaust gemacht hat (diese Information fehlt hier).
Zurück zur Idenität. Libanesen hatten eine klar historisch-nationale Identität, indes sich diese bei den Palästinensern (Arabern, Juden u.a.), (Trans-)Jordaniern und (Nord-)Syrern zu entfalten begann (Syrer erheben noch immer Anspruch auf Libanon). Sollte solcherlei Verschiebung und Ausprägung der nationalen Identitäten bei Nachbarn beachtet werden? Der Autor hat das innere Werden in Syrien und Libanon in Reaktion auf das Dritte Reich sehr gut erhellt, sich bei anderen Nachbarn bedeckt gehalten, dafür aber irakische Wege eingebracht. Die Rolle des Kemalismus bleibt im Dunkeln. Es steht auch dahin, ob er bei Arabern mit ihrer Animosität gegen Türken attraktiv war. Zum einen kam Atatürk bei ihnen als Feind des Panislam an, da er Sultanat und Kalifat auflöste. Zum anderen zeigte er eine beachtliche neue Rolle des Militärs in solchen jungen Staaten aus alten Kulturen.
Wie Araber der beiden Länder auf Werden und Vergehen des Dritten Reichs reagierten, ist das Kernthema. Die gesamte arabische Jugend ist von Adolf Hitler begeistert, schrieb Kamil Muruwa an den Berliner Außenminister. Im Jahr nach dem Machtantritt der Nazis habe er als junger Redakteur des Blattes "An-Nida" in Beirut "Mein Kampf" in täglichen Beiträgen aus dem Englischen ins Arabische übersetzt und drucken lassen. Jetzt wolle er die Serie als Buch edieren. Hierzu fehlten ihm noch 600 Mark. Könne ihm die deutsche Regierung aushelfen? In dieser Art fängt Nordbruch den Zeitgeist ein. Er hat französische, deutsche, arabische und israelische Archive erkundet. So manche Wurzeln legt er dafür frei, dass der Hitler-Jugend gleiche Vereine aufkamen und wie die Baath-Partei von der NSDAP gelernt hat. Erstmals liegt ein Werk vor, das differenziert nationalsozialistische Einflüsse auf Syrer und Libanesen sowie deren Sicht auf die Nazi-Macht in Nahost auslotet.
Zur Baath-Partei zitiert Nordbruch Sami al-Jundis Werk (S. 119) zu knapp. Der Zahnarzt aus Syrien und spätere Premier zeigt 2, wie sich die Mitgründer 1940 über Demokratie, Nazismus und Kommunismus bildeten. Sie wollten die Partei der Wiedergeburt, Hizb al-Baath, gründen. Dazu al-Jundi: "Wir waren rassistische Bewunderer des Nazismus. Wir haben dessen Bücher und geistige Quellen gelesen, besonders Nietzsches 'Also sprach Zarathustra', Fichtes 'Reden an die deutsche Nation' und H.S. Chamberlains 'Grundlagen des 19. Jahrhunderts'... uns kam als ersten die Idee, 'Mein Kampf' zu übersetzen. Wer einst in Damaskus lebte, sah die Zuneigung des arabischen Volkes zum Nazismus." Bei Michil Aflaq fand er eine französische Kurzfassung von Alfred Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts". Al-Jundi belegt die nazistische Wirkung auf Leute, die dann in Syrien und Irak an der Macht problemlos auf das totalitäre Sowjetmodell überwechseln konnten.
Dass es frühzeitig Annäherungen im gegenseitigen Interesse gab, zeigt der erwähnte Fall. "Mein Kampf" kam 1934 vier Monate täglich heraus, und zwar "im frankophoben Blatt des deutschfreundlichen Sulh-Clans". Der Übersetzer Muruwa habe zwar ohne Erlaubnis des Münchner Eher-Verlags gewirkt, befand eine deutsche Stelle. Aber die Übersetzung sei gut. Wegen der Propaganda wäre eine Buchversion hilfreich. Man möge das Geld wie gewünscht zahlen (es war die zweite Übersetzung; die erste gab im Vorjahr der Bagdader Nazi-Anhänger Yunus as-Sabawi im judenfeindlichen Blatt "Al-Alam Al-Arabi" heraus).
Nordbruch ordnet dies als nationalistische Antwort auf den Nationalsozialismus ein. Wie Muruwa im Vorspann seiner Fortsetzung betonte, offenbare Hitlers Buch das Geheimnis, wie er über Millionen gebildeter Leute Macht erhielt, wie er vom Soldat zum Diktator, vom Freund zum härtesten Feind der Juden wurde. Unverkennbar sind hier die deutsch-arabischen Ähnlichkeiten in der Lage: beide Seiten verloren den Weltkrieg zuvor, waren über das Osmanenreich miteinander alliiert und nun durch das Diktat der Sieger frustriert. Deutsche zahlten schwer und büßten Teile ihres Landes wie auch ihrer Souveränität ein.
Auf der anderen Seite erhielten Araber nach 1918 auch nicht ihre volle Staatlichkeit wie für den Aufstand in der Wüste versprochen, sondern das Mandatsregime des Völkerbunds festigte die britische und französische Macht. Die arabischen Nationalisten sollten zudem eine jüdische Heimstätte in Palästina akzeptieren. Die Teilung der Heimat ging in Europa und Nahost von jenen Demokratien aus, denen Hitler in seiner "völkischen Diktatur" den Kampf ansagte. Dabei entwarf er das Bild der größeren Einheit Europas, was arabischen Aspirationen in der eigenen Region für ein Großarabisches Reich nahe kam. Und Hitler verkündete seine Gegnerschaft gegen ein jüdisches Nationalheim im britischen Palästina.
Wie Nordbruch erhellt, erwuchs auf diesem Nährboden die Kongruenz der Nazis auf den beiden Seiten, die in Franzosen, Briten und Juden ihre Feinde erblickten. Als Mitte 1940 noch Frankreich fiel, besetzten die Alliierten präventiv das französische Mandatsgebiet Syrien und Libanon, was Nationalisten und Nazis auf den Plan rief. Der Autor enthüllt deren Agentennetze. Jedoch erst durch die Niederlagen in Stalingrad, Nordafrika und in der Normandie verging die deutsche Option in Nahost im Verbund der Achsenmächte.
Aber es gab noch die Linken und Islamisten, die auf den Vorstoß der Nazis reagierten. Linke Aktivisten, so erhellt es der Autor, haben sogar Anfang April 1933 die deutsche Fahne vom Beiruter Konsulat abgerissen und Anti-Hitler-Slogans skandiert. Sowohl in Syrien als auch in Libanon entfaltete sich eine sichtbare kommunistische Bewegung, die freilich Stalins Kalkülen unterlag. Sie beteiligte sich 1939 am ersten syro-libanesischen Treffen gegen Faschismus in Beirut, das der Aktivist Raif Khuri einberufen hatte. Dann lähmte die Linke der Pakt zwischen Moskau und Berlin Mitte desselben Jahres. Es fragt sich, ob Kommunisten einst als nationale Spalter wirkten und wie Araber die totalitären Spielarten gesehen haben. Der Libanese Antun Saada mit seinem besonderen Einfluss in Syrien erklärte jedenfalls die Kollision zwischen totalitären und demokratischen Lagern.
Auch Islamisten antworteten den Nazis. In französischen Berichten, so Nordbruch (S. 121), sei ihre Ausländerfeindlichkeit und Deutschfreundlichkeit betont worden. Ja, das war die Zielrichtung der Berliner Islampolitik seit 1898, die auf einen primitiven, aber wirksamen Hass auf Ausländer im kolonialen Hinterland von Berliner Kriegsgegnern zielte. Zwar lag darin in einer sich globalisierenden Welt auch die größte Schranke. Doch fanden die Islamisten viel ursprünglicher als arabische Adepten unter den Nationalisten, Nazis, Demokraten und Kommunisten in der Religion ihren recht populären Rückhalt.
Bald traten Vermittler auf, die wie Amin al-Husaini Islam und Nationalsozialismus zu versöhnen suchten. Dies nutzten Deutsche im Konflikt um Palästina aus, um Araber von Zuschauern zu Beteiligten zu machen. Die islamistische Antwort führte zur Ideologie, in der neben dem religiösen der rassistische Hass auf Juden eine Hauptrolle spielt. Hierbei schließt sich der Kreis zur Hizb Allah im Libanon und zur Baath-Partei in Syrien, die sich doch stark aus dieser ideologischen Quelle speist. Nordbruchs Arbeit ermöglicht es nun, den Dreiklang von These, Antithese und Synthese damals und heute zu ergründen.
Anmerkungen:
1 Genaues Zitat siehe: Amin al-Husaini and the Holocaust, unter: http://www.trafoberlin.de/pdf-Neu/Amin%20al-Husaini%20and%20the%20Holocaust.pdf
2 Sami al-Jundi: Al-Ba'th. Bairut 1969, S. 27: Ausführliches Arabisch-Zitat, unter: http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/Schwanitz_neu/Liam%20Anderson%20Future%20of%20Iraq.pdf