Urban Vahsens an der Universität Köln entstandene Dissertation „Eurafrikanische Entwicklungskooperation“ fügt sich thematisch in eine ganze Reihe von Publikationen jüngeren Datums ein, die sich verschiedenen Politikfeldern der frühen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), insbesondere der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der Wettbewerbspolitik, widmen.1 Ganz zu Recht weist der Autor einleitend darauf hin, dass die Entwicklungspolitik der Gemeinschaft zwar ursprünglich nicht als zentraler Schauplatz europäischer Integration betrachtet wurde, zugleich aber in Brüssel rasch an Bedeutung gewann – eine Entwicklung, der die europäische Integrationsgeschichte bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Für seine Analyse der „Entwicklungspolitik der EWG in Afrika zwischen 1958 und 1975“ wählt Vahsen mit dem Fokus auf die Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich sowie der EWG-Kommission einen multiperspektivischen Zugang und möchte so „Parallelen und Unterschiede im jeweiligen Blick auf die Assoziierungspolitik“ (S. 53) herausarbeiten. Die Assoziierung soll zum einen unter dem „Empire-Konzept“ betrachtet werden, etwa wenn Intentionen der EWG-Kommission beleuchtet werden, ein „europäisches Informal Empire in Afrika“ aufzubauen, oder Frankreichs Vorgehen bei der Erhaltung eines solchen – à la française wohlgemerkt – analysiert wird (S. 41). Zum anderen möchte Vahsen die in der Forschung dominierende Auffassung einer zurückhaltenden deutschen Afrikapolitik überprüfen. Indem der Autor der Arbeit einen diskurstheoretischen Ansatz zu Grunde legt, möchte er außerdem eurozentrischen Fallstricken entgegenwirken. Dabei kommt es ihm auch auf die Handlungsspielräume der assoziierten Länder an, die, so Vahsen, den Entwicklungsdiskurs der EWG mit prägten (S. 47–49).
So begrüßenswert ein multiperspektivischer Zugang auch ist, so lässt die derart angelegte Studie doch eine klare Fragestellung vermissen und birgt zudem einige konzeptionelle Unschärfen: Während man für den unterschiedlich ausgewiesenen Untersuchungszeitraum in Titel und Einleitung noch davon ausgehen könnte, dass stillschweigend die "langen 1960er-Jahre" zu Grunde gelegt wurden, lässt sich der Gegensatz zwischen dem Fokus auf europäische Akteure und der Vermessung afrikanischer Handlungsspielräume ebenso wenig nachvollziehen wie die prononcierte Auseinandersetzung mit dem diskurstheoretischen Ansatzes, welcher lediglich wenige Unterkapitel in einer ansonsten diplomatiegeschichtlichen Darstellung leitet.
Die Studie ist in vier chronologisch geordnete Teile gegliedert: Anfangs wird die Frage der Assoziierung der überseeischen Gebiete im Rahmen der Verhandlungen über den EWG-Vertrag ausführlich beleuchtet; die Assoziierungspolitik zwischen 1958 und 1963 steht im Zentrum des zweiten Teils; anschließend werden die Abkommen von Yaoundé 1963 und 1969 einer näheren Analyse unterzogen, ehe ein Ausblick zu „neuen entwicklungspolitischen Initiativen in den 1970er Jahren“ gewährt wird, der allerdings nur vier Seiten umfasst. Ganz allgemein überrascht Vahsens Gewichtung im Hinblick auf die Forschungslage, da er knapp 300 Seiten auf die Frühphase zwischen 1958 und 1963 verwendet, die grosso modo als gut aufgearbeitet gilt,2 während über die bislang weitaus weniger im Forschungsfocus stehende Zeit danach insgesamt nur etwa 50 Seiten zu lesen sind. Kurzum hinterlässt die Gliederung einen ziemlich unausgewogenen Eindruck, auch weil der erste Teil ein Fazit aufführt, alle weiteren Teile jedoch nicht, und ein übergreifender Schluss gar gänzlich fehlt. Die vorweg präsentierten Zusammenfassungen in englischer und französischer Sprache dienen nur bedingt als Ersatz, da sie sich streckenweise wie Überblicksartikel zur EWG-Assoziierung lesen, und weniger als konzises Destillat einer Qualifikationsarbeit.
Nun ist nicht a priori zu kritisieren, dass Vahsen seinen Schwerpunkt in der grundsätzlich gut erforschten Frühphase setzt. Seine durchaus lesenswerten, da sehr solide gearbeiteten Darstellungen zu den Verhandlungsprozessen über den EWG-Vertrag 1956/57 und das erste Abkommen von Yaoundé 1961/63 warten allerdings kaum mit neuen Einsichten auf. Entsprechend wenig innovativ fallen denn auch die Thesen aus, etwa wenn die Assoziierung als „innovatives Unternehmen“ charakterisiert wird, „das die Beziehungen unter antikolonialistischen Vorzeichen neu interpretierte“ (S. 104). Ärgerlich ist die Wiederholung der in der Integrationshistoriographie weit verbreiteten Annahme, derzufolge Frankreich die Assoziierung als Zwischenschritt eines bewusst geplanten Dekolonisationsprozesses für das subsaharische Afrika betrachtete (S. 106), obwohl Kolonialhistoriker bereits seit den frühen 1980er-Jahren darauf hinweisen, dass Paris letztlich bis zur eigentlichen Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Territorien im Jahr 1960 über keine distinkte Dekolonisationsstrategie verfügte.3 Ebenso irreführend ist es, wenn die Produktions- und Diversifizierungshilfen des ersten Yaoundé-Abkommens als „considerable innovations“ bezeichnet werden (S. 34). Sicherlich wurde dieses Programm bei der Einigung auf die Konvention in Brüssel im Dezember 1962 als wegweisend gefeiert; dass es teilweise gravierende Folgen für die Volkswirtschaften der assoziierten Länder zeitigte, wird durch die unkritische Übernahme derartiger Quellenaussagen jedoch ausgeblendet – und reproduziert letztlich eurozentrische Sichtweisen.
Zwischen die beiden Verhandlungsblöcke 1956/57 und 1961/63 schiebt sich das Kapitel zur Assoziierungspolitik zwischen 1958 und 1963, und zweifellos liegen hier einige Schätze dieses Werkes vergraben: Erhellend ist etwa der Abschnitt zum französischen Vorstoß vom Juli 1959, Gelder des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) für das kriegsgeschüttelte Algerien zu beantragen, womit insbesondere die Bundesregierung brüskiert wurde, zumal die französische Regierung ihr gegenüber noch am Tag vor der Unterzeichnung des EWG-Vertrags eine diesbezügliche Verzichtserklärung abgegeben hatte. Am Ende setzte sich Frankreich gegenüber einer neutralen EWG-Kommission und einem wankelmütigen Adenauer durch, sodass der EEF im Frühling 1961 in Algerien aktiv wurde.
Ebenfalls aufschlussreich ist das Unterkapitel zum Entwicklungsdiskurs der EWG, in dem Vahsen die kolonialen und entwicklungsökonomischen Prämissen gemeinschaftlicher Entwicklungspolitik freilegt. Allerdings bringt er sich ein Stück weit um die Früchte seiner eigenen Arbeit, da er zum einen darauf verzichtet, seine Ergebnisse explizit mit der bislang einflussreichsten Deutung der EWG-Entwicklungspolitik als Fortsetzung französischer Kolonialpolitik im europäischen Gewand zu konfrontieren, und zum anderen die praktischen Konsequenzen dieses hybriden Entwicklungsansatzes in der eigentlichen Zusammenarbeit nicht beleuchtet.4
Weitere interessante Einblicke gewährt das Unterkapitel zur bereits im Herbst 1959 lancierten Initiative der EWG-Kommission, ausgehend von der Assoziierung die Entwicklungspolitik vollständig zu vergemeinschaften und damit dem Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten zu entziehen. Wenngleich diesem Vorstoß kein Erfolg beschieden war, so bestätigt sich darin nicht nur das Bild einer äußerst umtriebigen ersten EWG-Kommission, sondern ebenso Vahsens These vom raschen Bedeutungsgewinn, den dieses Politikfeld in wenigen Jahren erlebte.
Ungeachtet dieser und weiterer interessanter Details – etwa im Unterkapitel zur Assoziierung anglophoner afrikanischer Staaten oder in der Analyse des deutsch-französischen Bilateralismus in den 1960er-Jahren – bleibt das Buch ein mühsames Lesevergnügen: Neben dem fehlenden roten Faden irritieren auch zu viele formale Fehler – unterschiedliche Angaben zur Kapitelnummerierung in Einleitung und Inhaltsverzeichnis sind nur ein Beispiel (S. 53, 5–7). Dies ist umso bedauerlicher, als die Studie insgesamt gut geschrieben ist. Fazit: Als Synthese ist Vahsens „Entwicklungskooperation“ angesichts der unausgewogenen Gliederung und teils zweifelhafter Schlussfolgerungen nur bedingt tauglich, und dort, wo er neue Wege beschreitet, bleibt er leider eher thesenarm. Des multiperspektivischen Zugangs wegen eignet sich das Werk zumindest aber als Einstieg für eine ausführlichere Beschäftigung mit der Entwicklungspolitik der EWG.
Anmerkungen:
1 Zur GAP vgl. Klaus Kiran Patel, Europäisierung wider Willen. Die Bundesrepublik Deutschland in der Agrarintegration der EWG 1955–1973, München 2009; Ann-Christina L. Knudsen, Farmers on Welfare. The Making of Europe's Common Agricultural Policy, Ithaca 2009; zur Wettbewerbspolitik Sibylle Hambloch, Europäische Integration und Wettbewerbspolitik. Die Frühphase der EWG, Baden-Baden 2009; Frank Pitzer, Interessen im Wettbewerb. Grundlagen und frühe Entwicklung der europäischen Wettbewerbspolitik 1955–1966, Stuttgart 2009.
2 Vgl. u.a. Guia Migani, La France et l'Afrique sub-saharienne, 1957–1963. Histoire d'une décolonisation entre idéaux eurafricains et politique de puissance, Brüssel 2008; Marie-Thérèse Bitsch / Gérard Bossuat (Hrsg.), L'Europe unie et l'Afrique. De l'idée d'Eurafrique à la convention de Lomé I, Brüssel 2005; Thomas Moser, Europäische Integration, Dekolonisation, Eurafrika. Eine historische Analyse über Entstehungsbedingungen der Eurafrikanischen Gemeinschaft von der Weltwirtschaftskrise bis zum Jaunde-Vertrag, 1929–1963, Baden-Baden 2000.
3 Vgl. Henri Brunschwig, The Decolonization of French Black Africa, in: Prosser Gifford / William Roger Louis (Hrsg.), The Transfer of Power in Africa. Decolonization 1940-1960, New Haven 1982, S. 211-224; Tony Chafer, The End of Empire in French West Africa: France's Successful Decolonization?, Oxford 2002.
4 Vgl. zur bislang einflussreichsten Deutung Véronique Dimier, Bringing the Neo-Patrimonial State back to Europe. French Decolonization and the Making of European Development Aid Policy, in: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2008), S. 433–457.