W. J. Urban: More Than Science and Sputnik

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Title
More Than Science and Sputnik. The National Defense Education Act of 1958


Author(s)
Urban, Wayne J.
Published
Extent
247 S.
Price
$44.00 / € 34,03
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Torsten Loschke, Global and European Studies Institute, Universität Leipzig

Der erfolgreiche Flug des Satelliten „Sputnik“ im Herbst 1957 führte in der US-amerikanischen Öffentlichkeit zu erregten Debatten über einen dramatischen, möglicherweise uneinholbaren Vorsprung der Sowjetunion im technisch-militärischen Wettrennen. Als wesentliche Ursache für den Rückstand der USA wurden gravierende Mängel auf allen Ebenen des Bildungssystems ausgemacht, von baufälligen Schulen über die schlechte Qualität des naturwissenschaftlichen Unterrichts bis hin zu fehlenden Finanzhilfen für begabte Studierende. Obwohl die Geheimdienste keine derartige Lücke zwischen den USA und der UdSSR entdecken konnten, sah sich die Eisenhower-Regierung durch den öffentlichen Druck gezwungen zu handeln. Wichtigstes Ergebnis ihrer politischen Initiativen war der 1958 verabschiedete National Defense Education Act (NDEA) – ein Gesetz, das mit einem dicken Bündel bildungspolitischer Maßnahmen eine entschlossene Antwort auf die „Sputnik-Krise“ zu geben versprach. Der NDEA markierte einen Meilenstein in der Geschichte der USA, denn er stattete die Bundesregierung mit weit reichenden Kompetenzen im Bildungswesen aus, die im föderalen System der USA ohne Beispiel und politisch hoch umstritten waren. Mehr noch, das Gesetz stand am Anfang einer Reihe weiterer legislativer Vorhaben der 1960er-Jahre, die die Befugnisse der Bundesregierung im Bildungssektor noch stärker ausweiteten und auf Jahrzehnte hinaus festschrieben.

Bis in die Gegenwart stellt der NDEA in den USA einen Referenzpunkt für intensive bildungspolitische Debatten dar, er ist darüber hinaus auch vereinzelt zum Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen geworden. So zeichnete eine Arbeit von Barbara Barksdale Clowse detailliert die Diskussionen im Gefolge des „Sputnik-Schocks“ und den komplizierten Gesetzgebungsprozess nach, ohne jedoch die Implikationen des NDEA für Politik und Gesellschaft der USA zu diskutieren.1 Wayne Urbans Studie „More than Science and Sputnik“ beleuchtet nun weitere, wichtige Aspekte der Geschichte des NDEA, bietet allerdings – dies vorweg – keine völlig neue oder überraschende Interpretation der Materie an. Das Buch verweist bereits im Titel auf die beiden zentralen Thesen: Erstens sei der NDEA weniger ein hastig entworfenes Ergebnis der Sputnik-Hysterie gewesen, sondern vielmehr das Ergebnis jahrzehntelanger bildungspolitischer Initiativen. Zweitens hätten neben einer Förderung der Naturwissenschaften weitere bildungspolitische Themen und Debatten sowohl den Gesetzgebungsprozess als auch den NDEA selbst maßgeblich bestimmt. Eine Reduzierung des NDEA auf ein Instrument im wissenschaftlich-technischen Wettrüsten während des Kalten Krieges sei mithin nicht falsch, aber doch unvollständig. In Auseinandersetzung mit diesen Thesen untersucht der Autor – Bildungshistoriker an der University of Alabama – die Vorgeschichte, die eigentliche Entstehung und die Nachwirkung des NDEA und fokussiert dabei insbesondere die Rolle einiger maßgeblicher wissenschaftspolitischer Akteure. Eine Stärke des Buches ist dabei die extensive Nutzung archivalischer Quellen, vor allem von persönlichen Nachlässen sowie Akten staatlicher Behörden.

Der erste Teil des Bandes beschreibt zum einen die Förderer des NDEA im US-Kongress und zum andern die Rolle der Eisenhower-Regierung im Gesetzgebungsverfahren. Im Zentrum steht dabei zunächst das Wirken der beiden wichtigsten Unterstützer des NDEA, der aus Alabama stammenden, demokratischen Kongressabgeordneten Lister Hill und Carl Elliot. Der Autor beleuchtet ihre politischen Standpunkte und ihren jahrzehntelangen, meist vergeblichen Einsatz für eine wichtigere Rolle der Bundesregierung im Bildungsbereich. Erst die bildungspolitischen Konsequenzen der Babyboomer-Jahre und die aufgeheizte Diskussion über den Sputnik-Flug verschafften Hill und Elliot die realistische Möglichkeit ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Beide Politiker nutzen dabei geschickt eine Kalte-Kriegs-Rhetorik, um ein umfassendes Bildungsgesetz als sicherheitspolitisch motiviertes Notstandsgesetz zu bemänteln und letztlich erfolgreich durchzusetzen. Dabei half ihnen die Haltung der konservativen Eisenhower-Regierung, die zwar einer Kompetenzausweitung des Bundes im Bildungswesen skeptisch gegenüber stand, jedoch grundsätzlich kompromissbereit war. Während jedoch der Präsident die Maßnahmen des NDEA als zeitlich begrenzte Abhilfe akuter Probleme konzipiert hatte, setzte sich in der Praxis – so die überzeugende Argumentation des Autors – die von den liberalen Bildungspolitikern im Kongress intendierte, dauerhafte Rolle der Bundesregierung im Bildungssektor durch.

Der zweite Teil des Buches beleuchtet die Rolle von drei Interessengruppen im Entstehungs- und Ausgestaltungsprozess des NDEA: der Pädagogen und des mit ihnen eng verbundenen Office of Education (OE) – der zentralstaatlichen Bildungsbehörde – sowie der Naturwissenschaftler. Dabei beschreibt Urban zunächst einen paradoxen Prozess: Der Interessenverband der Pädagogen, die National Education Association (NEA), wurde trotz seines langen Engagements zugunsten eines größeren Einflusses der Bundesregierung im Bildungswesen und trotz seiner engen Verbindungen zum OE von der Verabschiedung des NDEA nahezu überrollt. Und obwohl das Gesetz einen großen Teil der Forderungen der NEA erfüllte, markierte es zugleich den Niedergang der (Schul)Pädagogen als Interessengruppe. Denn zahlreiche durch den NDEA geschaffene Förderprogramme betrafen vor allem den Bereich der höheren Bildung und Wissenschaft und schufen damit eine weiteres, langfristig bedeutsameres Klientel des OE. Während die Pädagogen an Einfluss verloren, durchlief das OE nach 1958 einen beispiellosen Professionalisierungs- und Expansionsprozess. Als Verwalter vieler neuer Förderprogramme blähte es sich innerhalb kurzer Zeit von einer randständigen Behörde zu einer kopfstarken Regierungsinstitution auf. Dass dabei auch ein ganz neues (gegenseitiges Abhängigkeits-)Verhältnis von Wissenschaft/Universitäten und Politik entstand, beschreibt Urban leider nur kurz am Beispiel der University of Alabama.

Nicht vollständig überzeugen können die Ausführungen des Autors zur Rolle der Naturwissenschaftler. Einerseits zeigt seine Studie eindrucksvoll, dass es sich beim NDEA gerade nicht ausschließlich oder etwa vorrangig um ein Gesetz zur Förderung der Naturwissenschaften handelte, sondern um ein umfassendes Bildungsgesetz. Andererseits schätzt er die Naturwissenschaftler zu Recht als Akteursgruppe ein, die seit dem Zweiten Weltkrieg hohes politisches Ansehen genoss und nun durch den NDEA zusätzlich profitierte. Urbans Antwort auf die Frage, warum aber neben den als strategisch relevant angesehenen Naturwissenschaften auch andere Disziplinen von den breit gefassten Paragraphen des Gesetzes explizit oder potentiell profitierten, bleibt diffus. Sein Hauptargument lautet, dass die Gesetzgeber wie auch die Vertreter der Naturwissenschaften die Vermittlung einer breiten Bildung befürworteten, da diese die unverzichtbare Grundlage jeder demokratischen Ordnung sei. Zu dünn belegt ist jedoch Urbans Behauptung, dies sei lediglich ein Beschwichtigungsmanöver gewesen, um Widerstand etwa aus Reihen der Geistes- und Sozialwissenschaften gegen den NDEA gar nicht erst aufkommen zu lassen. An dieser Stelle hätte der Autor einerseits auf die prekäre Situation der Social Sciences in den 1940er- und 1950er- Jahren hinweisen müssen, deren Legitimität von vielen Politikern und Naturwissenschaftlern gleichermaßen in Zweifel gezogen wurde.2 Zum andern wäre aber die in Title III und Title VI des NDEA verankerte Förderung von Fremdsprachen und Area Studies geeignet gewesen, um zu zeigen, dass in Zeiten von Kaltem Krieg und Dekolonisierung bestimmten Geistes- und Sozialwissenschaften von der Bildungspolitik eben doch strategische Bedeutung zugeschrieben wurde.

Ungeachtet dieser Einwände handelt es sich hier um eine lesenswerte, sorgfältig argumentierende und zugleich hochaktuelle Studie über einen wichtigen Abschnitt der Geschichte der USA. Sie zeigt empirisch fundiert die Funktionsweise des amerikanischen Bildungssystems im Spannungsfeld verschiedener Akteure aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft und deren widerstreitenden Interessen. Damit ist sie auch ein dezidierter Versuch der Historisierung gegenwärtiger politischer Debatten in den USA über die Rolle des Zentralstaates und den Nutzen und die Gefahren staatlicher Einflussnahme auf die amerikanische Gesellschaft. Aus deutscher Perspektive kann Urbans Buch zugleich als ein Beitrag zu den aktuellen Diskussionen über die Reform des Hochschulsystems gelesen werden, in der die amerikanische Wissenschaftslandschaft oft und unkritisch als Vorbild herangezogen wird, ohne dass ihre Funktionsweise und historische Entstehung hinreichend bekannt wären.

Anmerkungen:
1 Barbara Barksdale Clowse, Brainpower for the Cold War. The Sputnik Crisis and the National Defense Education Act of 1958, Westport/CT 1981.
2 Vgl. Mark Solovey, Riding Natural Scientists’ Coattails onto the Endless Frontier. The SSRC and the Quest for Scientific Legitimacy, in: Journal of the History of the Behavioral Sciences 40 (2004) 4, S. 393–422.

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14.01.2013
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