Australien und die ozeanische Inselwelt haben seit jeher die Vorstellungswelt der Europäer belebt und zunehmend auch deren Reiselust geweckt. Die rasche globale Vernetzung der vergangenen Jahrzehnte hat diese Erdteile noch enger an die Geschehnisse in der nördlichen Hemisphäre gebunden und nicht nur aus touristischer Perspektive die Aufmerksamkeit für deren Geschichte und Entwicklung weiter gestärkt. Dennoch ist, wie Johannes Voigt zu Recht feststellt, das akademische Interesse an einer historischen Auseinandersetzung mit der ozeanischen Inselwelt begrenzt, im Besonderen aus deutschsprachiger Sicht. Diesem Versäumnis hat sich der Leiter der Abteilung für Überseegeschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart nun mit Erfolg angenommen. Voigts Versuch, beim Leser ein Verständnis für die gegenwartsnahen Paradigmenwechsel im nationalen Selbstverständnis der Nationen zu erwecken, gelingt. Die Bedeutung des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas für die ozeanische Gemeinschaft und der Wandel im Umgang mit den indigenen Urbevölkerungen Neuseelands und Australiens seit den 1960er Jahren finden in dieser Darstellung ebenso Beachtung wie die gegenwärtige Problematik der Bootsflüchtlinge und zunehmende Bedenken hinsichtlich klimatischer Veränderungen und deren Auswirkungen im ozeanischen Raum.
Die thematische Gliederung des Buches ermöglicht ein interessengeleitetes, selektives Lesen und Nachschlagen. In acht Kapiteln informiert Voigt über die geographische Lage und Zugehörigkeit der Naturräume Ozeaniens und Australiens, die von beiden Kontinenten durchlaufenen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und widmet sich ausführlich deren Geschichte sowie neuesten Forschungen hinsichtlich der indigenen Kulturen. Ergänzt wird der Textkorpus durch eine umfangreiche Zeittafel im Anhang. Diese klare Strukturierung kommt einem breiten Publikum entgegen. Voigts Darstellung mag sowohl als Studieneinführung wie auch als Beitrag für den interessierten Reisenden überzeugen, bietet aber nur wenig Neues für den, der bereits über ein tieferes Verständnis der Geschichte dieser Länder verfügt. Zudem gibt die rigide Trennung der Betrachtung der Kontinente in den einzelnen Kapiteln kaum Raum für die Entwicklung eines fließenden Narrativs. Auch ein genauer Blick auf die Literaturlisten, die jedem Unterabschnitt angefügt sind und dem Leser als Ansatzpunkt für weiterführende Studien dienen sollen, weckt Kritik. Viele Literaturangaben erscheinen veraltet und nur ein schmaler Anteil der angeführten Publikationen wurde im letzten Jahrzehnt veröffentlicht.
Bereits in der Einleitung ist erkennbar, wie sehr Voigt darauf bedacht ist, eine zeitgemäße und aktuelle Sicht auf Australien und Ozeanien zu geben. Kritisch vermerkt der Autor, dass die Zugehörigkeiten der betrachteten Räume nicht durch deren geographische Nachbarschaft festgelegt sind. Vielmehr werden Grenzen durch das interessengeleitete Handeln politischer Einflussgruppen bestimmt, ein Thema, welches Voigt erneut im chronologischen Überblick des Studienbuches aufgreift. Der Einleitung folgend diskutiert Voigt im Kapitel „Wissenschaft und Forschung“ den Zugang und die Vielschichtigkeit des Quellenmaterials zu beiden Kontinenten. Voigt behandelt diese Problematik nicht wertneutral. Er äußert sich kritisch gegenüber der gegenwärtigen „Aufarbeitung“, im Besonderen der „Umbenennungsarbeit“ von Archivmaterialien, um veraltete Geschichtsauffassungen und Unrechtspolitiken gegenüber der indigenen Bevölkerung Australiens zu bereinigen. Obwohl Voigt die „Repatriierung“ von indigenen Kunstwerken begrüßt, lenkt er die Aufmerksamkeit seines Publikums auch auf damit einhergehende Probleme der Konservierung und juristische Bedenken, die diese Forderungen begleiten (S. 18).
Auch in den folgenden Kapiteln „Historische Grunderfahrungen“ und „Mensch und Migrationen“ legt Voigt besonderen Wert auf das Einbeziehen neuester Forschungen und eine interdisziplinäre Darstellung, wie beispielsweise in seiner Diskussion verschiedener Besiedlungstheorien der Naturräume erkennbar ist. Die fortlaufende thematische und chronologische Aufschlüsselung in den Kapiteln und innerhalb dieser Aufteilung, nach Kontinenten wirkt nicht nur der Entwicklung einer Erzählung entgegen. Vielmehr lässt Voigt hier eine wünschenswerte Diskussion von Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Australien, Neuseeland und der ozeanischen Inselwelt vermissen. Erst im Teil „Wirtschaft“ zeigt Voigt wieder Parallelen, vor allem zwischen den ökonomischen Entwicklungen Australiens und Neuseelands auf. Dabei fällt dem aufmerksamen Leser auf, dass die Expertise des Autors sich auf diese Länder erstreckt. Im Vergleich wird Ozeanien ein deutlich geringerer Teil des Studienbuches gewidmet. Diese Unausgewogenheit in der Behandlung stellt einen Widerspruch dar, bedenkt man die kulturelle und wirtschaftliche Vielseitigkeit der pazifischen Inselwelt, die Voigt selbst wiederholt betont.
Die knappe, jedoch informative Zusammenfassung der Religionen und Glaubensformen, die sich in Australien und Ozeanien entwickelten, folgt einem eher ernüchternden Kapitel zur „Kultur“. Voigt beschränkt die Diskussion auf Beispiele aus den bildenden Künsten, Sprache und Literatur. Diese Selektion schließt Beiträge im darstellenden Bereich wie Tanz und Theater ebenso wie die Leistungen der florierenden Filmindustrien Australiens und Neuseelands aus. Aber auch wenn der Umfang des Studienbuches eine selektive Darstellung erfordert, so bietet Voigt an dieser Stelle keinen zufriedenstellenden Überblick, sondern lediglich eine Skizze der kulturellen Vielfalt. Literarische Größen Australiens wie Tim Winton und Alex Miller finden weder im Text noch in der weiterführenden Literaturliste Erwähnung. Ebenso fällt auf, dass Voigt, obwohl ausdrücklich in der Kapiteleinleitung benannt (S. 77), den Bereich Musik auslässt. Das Interesse des kenntnisreichen Lesers kann hier wahrscheinlich lediglich in den Abschnitten geweckt werden, in denen die Kultureinflüsse indigener Bevölkerungen gleichgestellt behandelt werden.
Im abschließenden und umfangreichsten Kapitel zeichnet Voigt einen historischen Abriss seit den Anfängen der Besiedlung der Kontinente. Dem Verfasser gelingt es hier am deutlichsten ein Narrativ zu entwerfen und auch Momente transnationaler Verflechtung hervorzuheben. Voigt setzt den Anfangspunkt mit den ersten Einwanderungen der Aborigines vor etwa 50.000 bis 70.000 Jahren, wendet sich dann der Erforschung des Pazifischen Ozeans durch die Europäer und des Weiteren der Kolonialzeit zu. Das 20. Jahrhundert bildet jedoch den Schwerpunkt seiner Erzählung, im Besonderen die Mitwirkung Australiens und Neuseelands an beiden Weltkriegen und die Dekolonisation großer Teile der pazifischen Inselwelt, die sich ab den 1950er Jahren vollzieht. Wiederholt führt Voigt dem Leser die lang anhaltenden Vorurteile gegenüber den indigenen Bevölkerungen vor Augen und resümiert, dass der Prozess einer Wiedergutmachung trotz entscheidender interner Wandlungen noch nicht abgeschlossen ist. An dieser Stelle findet sich ein grober Fehler im Manuskript. Premierminister Kevin Rudd hielt die öffentliche Entschuldigung Australiens („Sorry Speech“) gegenüber den „stolen generations“ nicht am 26. November 2007, sondern am 13. Februar 2008. Voigt schließt das Kapitel mit einem strategischen Ausblick. Er verweist auf die Vermittlerpositionen Australiens und Neuseelands in der ozeanischen Gemeinschaft und diskutiert die wachsende Rolle Chinas als möglichem Rivalen und Einflussfaktor.
Voigt hat in kompakten Format eine Publikation vorgelegt, die für ein tieferes Verständnis beider in der südlichen Hemisphäre gelegenen Kontinente wirbt und bemüht ist, die komplex wirkenden Kräfte zwischen Vergangenheit und Gegenwart nach zu zeichnen. Das entstandene Studienbuch überzeugt vor allem dadurch, dass Voigt bewusst keine gänzlich wertfreie Einführung anstrebt. Im Gegenteil - Voigt regt den Leser immer wieder an, momentane Bewegungen wie die Wiederbelebung und gleichberechtige Anerkennung indigener Kunst aber auch die globale Neuorientierung Australiens und Ozeaniens im Hinblick auf deren Entwicklung über die vergangenen Jahrtausende zu verstehen. Die klare Struktur des Buches und Fragmentierung jedes Abschnitts steht dem Erzählfluss dabei oft im Weg, aber erleichtert gleichermaßen das selektive Nachlesen. Für eine erneute Auflage des Buches wäre es jedoch lohnenswert, die weiterführenden Literaturlisten mit neueren Veröffentlichungen des letzten Jahrzehnts aus der deutsch- und englischsprachigen Forschungslandschaft zu ergänzen. Diese Mängel lenken jedoch nicht davon ab, dass Voigt mit seiner Publikation erneut eine Bereicherung zum deutschsprachigen Wissensfeld zu Australien und der ozeanischen Inselwelt geleistet hat.