D. Brückenhaus: Policing Transnational Protest

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Title
Policing Transnational Protest. Liberal Imperialism and the Surveillance of Anticolonialists in Europe, 1905–1945


Author(s)
Brückenhaus, Daniel
Published
Extent
XI, 300 S.
Price
£ 56.00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Benedikt Stuchtey, Philipps-Universität Marburg

Es ist ein höchst interessantes Phänomen, dass die transnational verflochtenen antikolonialen Bewegungen spätestens seit der Jahrhundertwende in den europäischen Hauptstädten aktiv wurden. Die kritische Auseinandersetzung mit Expansion und imperialer Herrschaft sollte nicht nur beispielsweise in Kalkutta oder Algiers, sondern auch in den Machtzentren von London und Paris erfolgen. Die Studie von Daniel Brückenhaus wendet sich diesem Phänomen mit dem langen zeitlichen Horizont bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zu und schenkt der Frage, welche Rolle hierbei die ebenfalls transnational agierende Polizei in Europa gespielt hat, eine besondere Aufmerksamkeit. Insofern liegt ihr zum einen die Perspektive zugrunde, die in Europa agierenden antikolonialen Netzwerke mit ihren globalen Verbindungen aufzuspüren. Zum zweiten vollzieht sie die Gegenmaßnahmen europäischer Behörden und Geheimdienste nach, die mit dem nachgerade klassischen und bis in die Gegenwart so geläufigen Argument vorgingen, ungewöhnliche Umstände erlaubten ungewöhnliche staatliche Verfahrensweisen.

Denn der Antikolonialismus, der prinzipiell eine in der Regel nationalstaatliche Parallelerscheinung zur positiven Beurteilung der kolonialen Expansion seit der Frühen Neuzeit gewesen ist, hatte sich im Zeichen seiner wachsenden globalen Verflechtung und der ihm zukommenden politischen Bedeutung zu einer Gefährdung des imperialen Selbstverständnisses der europäischen Mächte entwickelt – und zwar mit einer beachtlichen Geschwindigkeit. Indem Daniel Brückenhaus sich hier auf die britischen und französischen sowie auf die deutschen Fallstudien konzentriert, könnte der Einwand erhoben werden, dass nicht nur einmal mehr die „großen“ westeuropäischen Beispiele heran gezogen werden, ohne die „kleineren“ und oftmals im Schatten der Forschung stehenden Kolonialmächte wie die Niederlande, Belgien oder auch Portugal zu berücksichtigen; und dass überdies mit dieser eher aus dem europäischen Blickwinkel kommenden Vorgehensweise Parallelen und Kooperationen der Antikolonialisten selber, mithin jenseits Europas, weniger Bedeutung beigemessen wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: besaßen die Antikolonialisten Indiens ein britisches, diejenigen Indochinas ein französisches und diejenigen Indonesiens ein niederländisches Europabild oder besaßen sie auch ein gemeinsames Bild des imperialen Europas?

Aber dieser Einwand müsste andererseits entkräftet werden, weil der Wert dieser Studie insbesondere in seiner genauen Analyse liegt, wie sich im westlichen Europa „Überwachungsgeschichte(n)“ (Sven Reichardt) herausbildeten. Bernard Porter1, James Hevia2 und viele mehr haben zu einer besonders reichen Literatur dieses großen Forschungsfelds beigetragen, das im Kern danach fragt, wie stark Sicherheit und Stabilität des (imperialen) Staates von wem und zu welchem Zeitpunkt in Frage gestellt bzw. verteidigt wurden. Von daher rührten der Antikolonialismus und die öffentliche und transnationale Debatte über ihn an Grundsatzfragen des Imperialstaats, so wie seine Vertreterinnen und Vertreter Freiheiten in Anspruch nahmen, die ihnen in den Kolonien nicht gewährt worden wären. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts, so stellt dieses Buch überzeugend heraus, waren die antikolonialen Bewegungen so stark transnationalisiert, dass in ihrer Folge in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Dekolonisation und die Unabhängigkeitsbewegungen einzigartige globale Erscheinungen wurden. Zugleich profitierten die polizeilichen Möglichkeiten zur Überwachung der Antikolonialisten maßgeblich davon, nicht auf einen nationalstaatlichen Aktionsraum begrenzt zu sein. Anschaulich illustriert Brückenhaus dies gleich in seiner Einleitung am Beispiel des indischen Unabhängigkeitskämpfers Virendranath Chattopadhyaya, der zunächst in London aktiv gewesen war, bevor er nach Paris flüchtete, um auch dort im Wissen der französischen Stellen und durch diese unterstützt von der britischen Geheimpolizei verfolgt zu werden. Als er in den 1920er-Jahren nach Berlin kam in der Hoffnung, hier sicher zu sein, arbeiteten die britischen und deutschen Behörden Hand in Hand und die Gefahr, der Polizei ausgeliefert zu werden, war alltäglich. Das hinderte ihn freilich nicht daran, eine führende Persönlichkeit in der „League Against Imperialism“ zu werden, die ihr internationales Hauptquartier in Berlin besaß.

Weil das vorliegende Buch reich an diesen illustrativen Beispielen ist, kann es gut die jüngere Forschungstendenz umsetzen, jenseits einzelner Kolonien oder Kolonialreiche die Verflechtungsräume zwischen ihnen auszuloten. Die europäischen Hauptstädte als transnationale Kontaktzonen eigneten sich hierfür ausgezeichnet und es kommt nicht von ungefähr, dass London bereits zur Jahrhundertwende nicht mehr lediglich eine imperiale, sondern längst eine globale Metropole geworden war. Auch das Paris der Zwischenkriegszeit bildete, wie Michael Goebel im Jahr 2015 beeindruckend gezeigt hat, ein unersetzliches Zentrum für die „Saat des Nationalismus der ‚Dritten Welt’“.3 Dies sollte freilich nicht dazu verleiten, allzu leichtfertig überall Kooperationen festzustellen, denn nicht zuletzt ist die Geschichte des Kolonialismus und Imperialismus die Geschichte von Gewalt, Krieg, Konkurrenz etc.

Martin Thomas und Richard Toye haben jüngst in ihrem Buch „Arguing about Empire“4 die Techniken imperialer Rhetorik in Großbritannien und Frankreich zwischen 1882 und 1956 miteinander verglichen und festgestellt, dass bei aller Bedeutung gegenseitiger Wahrnehmung und intensiver Zusammenarbeit auch die Rede davon sein sollte, dass die Systeme und die beiden sehr unterschiedlich aufgestellten Kolonialreiche schließlich auch miteinander konkurrierten. Doch das betrifft selbstverständlich vornehmlich die politischen und administrativen Ebenen. Wer wie Daniel Brückenhaus sich die Aktionsebene der kolonialen Immigranten in Europa vor Augen führt, kann sehr gut auf Schichten der intellektuellen transnationalen Zusammenarbeit stoßen und darüber hinaus auf ihre seinerzeitigen Erwartungen, mehr persönliche Sicherheit und politischen Spielraum außerhalb des „eigenen“ imperialen Zusammenhangs zu gewinnen – schließlich bewegte sich die Kolonialismuskritik seit dem Ersten Weltkrieg in großen Schritten von einer ursprünglichen Auseinandersetzung mit dem „eigenen“ Kolonialreich zu einer grundsätzlichen Ablehnung aller Formen imperialer Herrschaft. Sie lud also gleichsam dazu ein, im internationalen Zusammenhang gesehen zu werden.

Wie trügerisch diese Erwartungen aber waren, zeigt die Studie eindringlich. Sie geht dabei chronologisch vor, untersucht in einem ersten Schritt die polizeiliche Beobachtung indischer Antikolonialisten bis 1914; widmet sich daraufhin den spezifischen Bedingungen, die der Erste Weltkrieg schuf; geht in der Folge in zwei parallelen Schritten zunächst der französischen, dann der britischen Sicherheitspolitik bis 1925 nach; analysiert die „League Against Imperialism“ bis 1933; und schließt mit einem Kapitel über den transnationalen Antikolonialismus vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Herrschaft. Ein Ergebnis ist das komplizierte Spannungsverhältnis zwischen der Selbstwahrnehmung der demokratischen „westlichen“ Kolonialmächte und ihres Anspruchs auf einen „liberal imperialism“ einerseits, und ihrer autokratischen Gewaltherrschaft in der nicht-europäischen Welt auf der anderen Seite, das sich wiederum im Kampf gegen das Wirken der Antikolonialisten in Europa abbildete. Ein weiteres Ergebnis lautet, dass genau dieses Spannungsverhältnis nicht nur eine sehr präsente öffentliche Meinung voraussetzte, sondern sie überdies in ihrer Verteidigung der Grundrechte gegen die Staatsgewalt stärkte. Wer die Geschichte der Kolonialismuskritik im langen 19. Jahrhundert studiert, dem werden diese Punkte freilich nicht vollkommen unbekannt vorkommen.

Anmerkungen:
1 Bernard Porter, The Origins of the Vigilant State, London 1987.
2 James Hevia, The Imperial Security State, Cambridge 2012.
3 Michael Goebel, Anti-Imperial Metropolis. Interwar Paris and the Seeds of Third World Nationalism, Cambridge 2015.
4 Martin Thomas / Richard Toye, Arguing about Empire : Imperial Rhetoric in Britain and France, 1882–1956, Oxford 2017.

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25.01.2018
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