S. Rohdewald: Transottomanica - Osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken: Perspektiven und Forschungsstand

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Title
Transottomanica-osteuropäisch-osmanisch-persische Mobilitätsdynamiken :. Perspektiven und Forschungsstand


Editor(s)
Rohdewald, Stefan; Conermann, Stefan; Fuess, Albrecht
Series
Transottomanica
Published
Göttingen 2019: V&R unipress
Extent
279
Price
€ 40,00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Carolin Liebisch-Gümüş, Historisches Seminar, Universität Kiel

‚Transottomanica‘ bezeichnet sowohl das thematische Spektrum der neuen Schriftenreihe, die der hier rezensierte Band eröffnet, als auch das von den Herausgebern des Bandes initiiere DFG-Schwerpunktprogramm (SPP). Der Begriff steht zugleich für ein globalhistorisches Programm. Denn Conermann, Fuess und Rohdewald kündigen Verflechtungsgeschichten an, die das Osmanische Reich, Persien, das Russische Reich und Polen-Litauen über ihre Grenzen hinweg verbinden. Statt einer klar umrissenen Region rücken sie durch Mobilität hervorgebrachte, grenzübergreifende „Handlungs- und Diskurszusammenhänge“ (S. 47) ins Zentrum. Ihr Begriff von Mobilität umfasst weniger Verkehrsphänomene im engeren Sinn als mobile Akteure, Netzwerke religiöser und sprachlicher Minderheiten, Wissenszirkulation, Handel, Warentausch und Alltagskulturen. Damit steht das Projekt auch für eine Synthese von wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Perspektiven.

Aus Sicht der globalgeschichtlichen Forschung ist dieses Programm überaus vielversprechend. Zum einen überzeugt der Ansatz, Raum und Kultur konsequent relational zu betrachten und Fragestellungen in flexiblen Interaktionsräumen statt prädefinierten areas zu untersuchen. Es verspricht zudem eine regional operierende Globalgeschichte, die durchaus offen ist für Ferneinflüsse – etwa aus Indien oder Westeuropa –, Europa aber nicht a priori als relevanten Bezugsrahmen setzt. Die Langzeitperspektive vom 16. bis ins frühe 20. Jahrhundert bietet dem Projekt zugleich die Chance zu erklären, wann und wie sich transosmanische Verflechtungen wandelten. Conermann, Fuess und Rohdewald erwähnen selbst die internationalen Machtverschiebungen zugunsten der europäischen Mächte im 19. Jahrhundert, in deren Folge transregionale Zusammenhänge „in zunehmend globale und nationalisierte Kontexte auf- und übergehen“ (S. 48).

Ein Ergebnisband, der das anspruchsvolle Programm oder Teilbereiche davon in empirischen Studien umsetzt, ist das Buch indes nicht. Wie bereits der Untertitel ankündigt, erwartet die Leser/innen stattdessen viel Forschungsperspektivisches. Auf vier Beiträge zu theoretischen und methodischen Perspektiven folgen sechs Abrisse, die sich umfassend mit der Forschungslage beschäftigen. Letztere sind äußerst hilfreich für Historiker_innen und Regionalspezialist_innen, die zu transkulturellen Themen in den Regionen forschen, und eine wahre Fundgrube an Ideen, die nur darauf warten, von zukünftigen Doktorand_innen freigelegt zu werden. So regen, um nur zwei Beispiele zu nennen, Suraiya Faroqhi, Denise Klein und Markus Koller an, den Handelsweg von Kaschmirschals oder Diamanten zu ergründen, der womöglich von Indien über jüdische Händler in Istanbul bis zu den Roben der osmanischen Palastelite führte. Thomas M. Bohn und Christoph Witzenrath verweisen auf interessante Wechselwirkungen zwischen russisch-osmanischer Migration, staatlicher Seuchenbekämpfung und traditioneller Magie, die in der lokalen Bevölkerung als Mittel gegen Epidemien und vermeintliche Wiedergänger praktiziert worden sei und selbst einen aussichtsreichen Gegenstand transkultureller Untersuchungen abgebe.

Die vier Beiträge zu theoretisch-methodischen Perspektiven beginnen mit einem Überblicksartikel der Herausgeber. Er fasst das Gesamtkonzept konzise und verständlich zusammen und verortet es sowohl im globalgeschichtlichen als auch im regionalwissenschaftlichen Feld. Im Anschluss folgen je ein Beitrag, der in die drei Schwerpunktthemen Mobilität/Migration, Wissenszirkulation und Handel einführt. Dieser Zuschnitt entspricht den drei Forschungsgruppen des SPPs. Mitunter gewinnt man beim Lesen daher den Eindruck eines Antragstextes. Für die projektinterne Selbstverständigung ist ein solches Format zweifelsohne von hohem Wert. Demgegenüber mag die allgemeine, an den Regionen oder transregionaler Geschichtsschreibung interessierte Leserschaft in den vier Beiträgen wohl eher eine Art ‚Cliffhanger‘ für die zukünftigen Publikationen der Reihe erblicken. Davon abgesehen erfreuen bei der Lektüre die zahlreichen Themenideen und Beispiele, darunter etwa Rohdewalds faszinierende Betrachtung von Mobilität/Migration als Topoi zeitgenössischer Narrative. Rohdewald verweist auf die Herkunftsmythen, die unter anderem osmanische Intellektuelle wie Evliya Çelebi oder Gelibolulu Mustafa Âlî im 16./17. Jahrhundert entwarfen. Sie zeugen von der herausgehobenen Bedeutung von Mobilität – real und narrativ – für die Konstituierung sozialer und imperialer Identität in heterogenen Gesellschaften (S. 65ff).

Mit seiner konzeptionellen Ausrichtung schließt der Band auch formal an die Globalgeschichte an, der eine gewisse Neigung zum programmatischen Text attestiert werden kann. Indessen bieten Werke wie Wenzlhuemers jüngste Einführung in das Forschungsfeld, auf die sich Conermann, Fuess und Rohdewald selbst beziehen, oder auch der Überblicksband von Barth, Gänger und Petersson gute Beispiele, wie sich ein konzeptioneller Anspruch gewinnbringend mit kleinen empirischen Umsetzungen verbinden lässt.1 Wären zumindest einige der Beiträge im Teil zu den theoretisch-methodischen Perspektiven als konkrete Studien angelegt worden, hätte dies den Herausgebern zugleich die Möglichkeit eröffnet, auf die Herausforderung von Michael Borgolte zu antworten, die dieser in seinem Geleitwort zum Band formuliert. Wie Borgolte treffend festhält, bleibt es abzuwarten, inwiefern es dem Projekt am Ende gelingt, aus den unterschiedlichen Verbindungen und Formen von Mobilität „den gesuchten hochkomplexen Interaktionsraum hervortreten zu lassen und dabei auch die Kräfte, die ihn stimuliert haben, historisch zu erklären“ (S. 17). Selbstredend wären zu diesem frühen Zeitpunkt keine umfassenden, schon gar keine abschließenden Antworten zu erwarten. Empirisch unterfütterte Beiträge hätten aber zumindest perspektivisch demonstrieren können, inwiefern eine „Mobilitätslinse“ (S. 52) gegenüber einem regional gebundenen Vorgehen zu neuen Einsichten und Deutungen gelangen kann. So hätte sich jeweils anhand einer bestimmten Leitfrage explizieren lassen – um an die bekannte Warnung aus der Globalgeschichte anzuschließen – wie grenzüberschreitende Verbindungen nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch hinsichtlich ihrer Wirkmächtigkeit und ihres analytischen Potenzials bewertet werden können.

Neben dem Geleitwort von Michael Borgolte, das sich durch den Vergleich des SPP ‚Transottomanica‘ (2017-2023) mit seinem und Bernd Schneidmüllers SPP ‚Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter‘ (2005-2011) wie eine interessante Miniaturhistorisierung transkultureller Forschungsprogramme liest, bereichert eine einleitende Reflexion von Benedikt Stuchtey den Band. Am Beispiel des British Empire lenkt er den Blick auf Drehkreuze von Mobilitätsdynamiken wie Hafenstädte. Solche Orte der Verdichtung könnten von Historiker_innen nicht nur als Durchgangsorte begriffen werden, sondern gleichermaßen als Orte, an denen sich Kontrolle, Begrenztheit, „Mobilitätsverhinderung“ (S. 42) und etwaige mit Migration einhergehende Ängste oder soziale Probleme nachvollziehen lassen. Stuchteys wichtiger Hinweis auf die Kehrseiten von Mobilitätsdynamiken schließt direkt an die (historische) Mobilitätsforschung an und ihr Plädoyer dafür – in den Worten Valeska Hubers – „das Augenmerk darauf zu richten, wie die Unterschiede zwischen den Mobilitäten gemacht, wie Durchlässigkeiten geregelt und wie Mobilitäten mit verschiedenen Bedeutungen belegt wurden“ 2.

Wem kann der Band empfohlen werden? Da sein Fokus darauf liegt, den Forschungsstand sowie konkrete Lücken und Perspektiven in den Regionalstudien aufzuzeigen, spricht er in erster Linie Promovenden und Forschende an, die selbst transregionale Themen von Osteuropa bis Persien erforschen oder planen, dies zu tun. Für sie eignet er sich hervorragend als forschungspraktisches Handbuch und Fundus für Anregungen. Dass der Band als Open-Access-E-Book über die Internetseite des Verlags heruntergeladen werden kann, verstärkt diesen praktischen Mehrwert. Nützlich ist überdies die historische Kartensammlung im Anhang, darunter eine wunderbar ‚grenzenlose‘ Karte der großen Reiche von der Ostsee bis an den Persischen Golf aus dem Jahr 1553. Zwar enttäuscht die Qualität der Bilder in der E-Book-Version, dank angegebener Weblinks lassen sich die meisten Karten aber unkompliziert in hoher Auflösung über das Internet abrufen. Auch jenseits der engeren Forschungscommunity kann der Band Beachtung finden. Insbesondere die Lektüre der Geleitessays von Borgolte und Stuchtey sowie der Einführung der Herausgeber ist sicherlich ein Gewinn für alle, die sich für historische Mobilitätsforschung in (trans-)imperialen Zusammenhängen interessieren.

Anmerkungen:
1 Boris Barth / Stefanie Gänger / Niels P. Petersson (Hrsg.), Globalgeschichten. Bestandsaufnahme und Perspektiven, Frankfurt am Main 2014; Wenzlhuemer, Roland, Globalgeschichte Schreiben. Eine Einführung in 6 Episoden, Konstanz – München 2017.
2 Valeska Huber, Multiple Mobilities. Über den Umgang mit verschiedenen Mobilitätsformen um 1900, in: Geschichte und Gesellschaft 36 (2010) 2, S. 317-341, Zitat auf S. 325.

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27.03.2020
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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