Um 1500 war der Indische Ozean Mittelpunkt eines kommerziellen Netzwerks, das sich von der Levante und dem Osmanischen Reich über Indien, Siam und Indonesien bis China, Japan, die Molukken und die Philippinen streckte. Als erster Europäer begegnete der von Portugals Krone gesandte Seefahrer Vasco da Gama 1498 dieser komplexen Welt, mit dem Auftrag, den Grundstein für ein Kolonialreich und Handelsmonopol in Asien zu legen. Damit aber wurde weit mehr als ein Imperium aufgebaut, ein neues Zeitalter der Welthandelsbeziehungen wurde eingeleitet, sowohl von Konflikten als auch von Kooperationen zwischen Europäern und Asiaten geprägt. Aus Anlass des 1998 in Lissabon zelebrierten 500. Jubiläums dieses Ereignisses fragt sich Peter Feldbauer in seinem Buch „Estado da India“, wie sich diese „Landung“ der Portugiesen im Indischen Ozean vollzog und welche Folgen sie für Europäer und Asiaten hatte.
Anders als die üblichen post-kolonialen und Weltreichs-Debatten, hinterfragt Feldbauers Werk die Beziehungen zwischen „Estado da India“ und den verschiedenen politischen Regionen um den Indischen Ozean. Insbesondere untersucht er die beidseitigen, sich auf Grund der kommerziell motivierten Kontakte ergebenen Einflüsse, Anpassungen und Entwicklungen. Die Betrachtung geht dabei weit über eine typisch strukturierte Geschichte des Estado hinaus, um von einer transkontinentalen Perspektive die Begegnung zweier Welten zu skizzieren, womit der Titel der Reihe völlig gerechtfertig erscheint: „Expansion, Interaktion, Akkulturation“. Interaktion wird aber vorwiegend in der Form von Handelsbeziehungen verstanden, aus denen sich das gesamte Geschichtsbild Feldbauers ableiten lässt. Die einführende Fragestellung, wie und inwiefern der portugiesische Vorstoß in den Indischen Ozean den Weg zur „Deformierung“ und Eingliederung Asiens in das europäische Weltsystem bereitete, wird weit überschritten, indem Feldbauer die These entwickelt, der Kontakt zwischen Abend- und Morgenland hätte zur Dynamisierung des frühneuzeitlichen europäischen Kapitalismus entscheidend beigetragen und damit der Entwicklung der europäischen Weltwirtschaft durchschlagend geholfen. Für Feldbauer ist die Autonomie des asiatischen Großhandelsraums beim Rückgang der portugiesischen Präsenz ab 1640 noch relativ intakt, wenngleich manches auf eine anfängliche, zu dieser Zeit noch nicht abgelehnte, Interdependenz beider Weltgroßmärkte hinzudeuten scheint (S. 172ff., 179ff., 185f.).
In Bezug auf Portugals Rolle in der Welt des Indischen Ozeans beschäftigt sich Feldbauer mit drei in der bisherigen Forschung über den Estado tief verwurzelten Thesen. Erstens haben Krone und Hochadel Portugals ihre asiatische Seemacht-Ausdehnung um 1500 zwar als Fortsetzung des Kreuzzugs gerechtfertigt und sogar von der Errichtung eines talassokratischen „Mare Claustrum“ geträumt, aber bereits um 1515 erkannte man die Irrealität dieses Projektes. Man akzeptierte die schrittweise Zunahme des sowohl von Asiaten als auch von Portugiesen betriebenen Privathandels zum Nachteil des königlichen Monopols und so entwickelte sich der gesamte Estado zu einem effizienteren Handelspartner und Vermittler zwischen Europa und Asien. Dabei wurden etliche Anpassungen sowohl seitens der Portugiesen, als auch der Asiaten notwendig, die das Militär, den Handel, das Finanzwesen oder den Schiffsverkehr stark betroffen haben.
Im Geopolitischen blieb die portugiesische Präsenz, obwohl der Estado vor allem an Indiens Westküste anfangs eine Störung der vorher herrschenden Verhältnisse darstellte, eine Nebenerscheinung am Rande der großen kontinentalen Mächte wie Mogul-Reich, Persien bzw. Osmanischen Reich und China. Eine aggressivere Haltung nahm der Estado anfangs nur gegenüber Persern bzw. Osmanen ein, wenngleich ab 1570 diese Räume eine friedlichere Integration in das Handelssystem erfuhren. Kern des Estado blieb immer die Malabarküste, wo er eine größere Störung der politischen Verhältnisse hervorrief, vor allem in Calicut und Cochin. Landesgewinne zum Nachteil des für mehrere indische Regionen bedrohlichen Osmanischen Reiches, wie Goa, Diu und Ormuz, wurden für die Portugiesen zu vitalen Häfen, die als Teil des Estado ihre Blütezeit erlebten. Östlich des Kaps Comorin war die portugiesische Präsenz fast ausschließlich die eines Handelsakteurs unter vielen anderen, wenn auch von China und Japan nicht immer willenlos toleriert. Die stärkere Niederlassung auf Malakka und den Molukken beeinflusste vielmehr die regionale Wirtschaft, indem sie z.B. den Gewürzanbau übermäßig förderten, als die politische Verhältnisse, in denen die Portugiesen ihren eigenen Platz innerhalb lokaler Konflikte fanden.
Im Zusammenhang mit der häufigen Kritik, die Portugiesen hätten im Kontrast zu den später in Asien etablierten Niederländern und Engländern keine moderne und effiziente Handelsorganisation entwickelt, stellt Feldbauer in Anlehnung an Experten wie Curtin oder Chaudhuri ein ganz anderes Bild dar. Zwar wurden bestimmte Handelsrouten (carreiras) offiziell bzw. monopolistisch vom Estado befördert, aber es galten ähnliche staatliche bzw. monopolartige Bedingungen wie später in den nordwesteuropäischen Ost-Indien-Kompanien. Parallel zu den carreiras oder gerade die carreiras ergänzend handelten jedoch nicht nur asiatische Privatkaufleute, sondern auch viele in Asien lebende Portugiesen (so genannte casados), die eine vitale Rolle für Finanzen und Handelsbilanz des Estado gespielt haben. Der Estado basierte teilweise auf einem redistributiven Geschäft (Schutzbriefe, Zollgebühren, Steuer, usw.), immer mehr jedoch auf Privathandel (S. 128ff.). Nicht nur Europa wurde mit Asiens Luxusgütern wie Gewürzen, Seide, Perlen usw. versorgt, auch europäische Waffen, Edelmetalle und Manufakturen gelangten nach Asien mit ähnlichen wirtschaftlichen Folgen. Erstaunlich innerhalb der Handelsentwicklung ist die erstmalig „weltumfassende“ Ausdehnung des Silberhandels von Acapulco über Manila, Nagasaki, Macao, Goa und Ormuz, die in Lissabon begannen und endeten (S. 118).
Die These von Pearson, Niederländer und Engländer hätten bei ihrer Etablierung in Asien ab ca. 1620 im Vergleich zu den Portugiesen kaum Gewalt angewandt, bezeichnet Feldbauer in Anlehnung an Chaudhuri als „erstaunlich naiv und empirisch schlicht falsch“ (S. 133). 1 Zwar verursachte das Eindringen der portugiesischen Kriegsflotten wegen ihrer überlegenen Technik etliche Veränderungen, aber nach einer Anfangsphase der Etablierung bis ca. 1515, in der es vorwiegend darum ging, sich Handelsplätze und Stapelhäfen zu sichern, beschränkte sich Gewalt vorwiegend auf Selbstverteidigung und auf die Aufrechterhaltung der carreiras. Vom Kreuzzugsideal motivierte Kriegsaktionen gegen das Osmanische Reich im Persischen Golf und im Roten Meer nahmen ab 1550 entscheidend ab. Von Feldbauers Interpretationen lässt sich nicht nur die interessante Frage ableiten, ob sich Portugal einen Platz im Asienmarkt gar ohne Gewalt hätte schaffen können, sondern auch ob die begrenzte, anfängliche Gewalt der Portugiesen von Asiens Mächten toleriert wurde, um sich einen von ihnen als notwendig und profitabel empfundenen Handelspartner in Europa zu schaffen.
Leser, die vorwiegend an Portugals Kolonialgeschichte und Empire-building ohne transnationale oder vergleichende Perspektive interessiert sind, werden vor allem die ökonomischen Betrachtungen in der Studie nutzen können. Im gesamten Bild vermisst man jedoch etwas mehr Tiefe in Bezug auf die portugiesische Administration des Estado und auf diplomatische Beziehungen mit asiatischen Akteuren. Ebenso wären mehr Karten, vor allem der einzelnen Subregionen, sowie ein Sach- und Personenregister wünschenswert. Feldbauers Darstellung des asiatischen Großhandelraums im 15. Jahrhundert kann an manchen Stellen zu zeitgenössisch erscheinen, als zu stark von der Gegenwartsperspektive eines Weltmarkts beeinflusst. Leitbild bleibt aber Portugals „Estado da India“ als anfänglicher Eindringling und später „eingebürgerter“ Teil Europas in ein außereuropäisches Netzwerk, das nicht nur die Vergangenheit Asiens bis etwa 1641 widerspiegelt, sondern auch seiner Zukunft im Globalisierungszeitalter ähneln kann.
Anmerkung:
1 Zitat von Kirti N. Chaudhuri auf S. 134 (aus Chaudhuri: O comércio Asiático, in: Bethaencourt, F.; Chaudhuri, K. (Hg.), História da Espansão Portuguesa 2. Do Índico ao Atlãntico 1570-1697, Navarra 1998, S. 194.). Ansonsten vgl. Feldbauer S. 177f. für die Entwicklung Michael N. Pearsons Bilanz des portugiesischen Einflusses im Indischen Ozean.