Bekanntlich porträtieren die meisten weltgeschichtlichen Darstellungen diese immer noch gerne als einen Prozess der Ausbreitung westlicher Kultur und Zivilisation über den Globus. Allzu oft wird weiterhin an der lieb gewonnen „master narrative“ festgehalten, welche die Entstehung der modernen Welt ausschließlich als Geschichte des Aufstiegs und Triumphs des Westens schildert und somit eine inhärente Überlegenheit westlicher Zivilisation unterstellt. Der Politikwissenschaftler John M. Hobson stellt in seinem anregenden Buch dieses einseitige Zerrbild gleichsam vom Kopf auf die Füße: Zwischen 500 und 1800 hat nach Hobson nicht der Westen, sondern vielmehr der technologisch und zivilisatorisch in jeder Hinsicht überlegene Osten die weltgeschichtliche Entwicklung entscheidend geprägt. Hobson geht sogar noch einen Schritt weiter: Der nach 1840 beobachtbare Aufstieg des Westens zu globaler Dominanz beruhe nicht auf einer autonomen, eigenständigen Entwicklung, sondern auf erfolgreichen Anleihen und gewaltsamen Aneignungen von Ressourcen der außereuropäischen, insbesondere asiatischen Welt. Hobson kommt sodann zu dem Schluss, dass die westliche Moderne in erheblichem Maße auf Errungenschaften des Ostens oder Asiens beruhe und daher, wie der Buchtitel andeutet, die moderne westliche Zivilisation östliche Ursprünge aufweise.
Um diese Thesen zu belegen, liefert Hobson einen historiographischen Überblick zur Weltgeschichte seit ca. 500, mit dessen Hilfe er die Evidenz seiner alternativen Konzeption zu beweisen sucht. Dabei wird kein lückenloser historischer Abriss angestrebt, vielmehr beschränkt sich die Darstellung auf jene Aspekte, die in den herkömmlichen europazentrierten Darstellungen ausgelassen werden und die geeignet sind, den Mythos der europäischen Zentralstellung in der Geschichte der Moderne zu unterminieren. In drei Abschnitten werden drei verschiedene historische Komplexe diskutiert. Der erste Teil beschäftigt sich mit einem Phänomen, das Hobson als „oriental globalisation“ bezeichnet. Damit charakterisiert er einen Prozess der frühen Globalisierung, den er im Zeitraum vom ca. 6. bis zum 17. Jahrhundert ansiedelt und der verschiedene Zentren der Welt des Nahen und Fernen Ostens (China, Mittlerer Osten, Nordafrika) miteinander verband. Zwischen diesen Zentren gab es einen in der Anfangsphase (bis ca. 1100) insbesondere von Muslimen aus dem Mittleren Osten getragenen Verkehr und Handel, der nach Hobson insgesamt zum Entstehen des größten weltumspannenden Netzwerks fortgeschrittener Gesellschaften in der menschlichen Geschichte führte. Die zweite Phase der „oriental globalisation“ von 1100 bis 1800 wurde nach Hobson von China dominiert. In der Song-Dynastie verortet Hobson eine Art industrieller Revolution, die jener Englands um Jahrhunderte vorausgehe. Im Song-China wurden Durchbrüche in Schlüsselsektoren wie Eisen- und Stahlproduktion erzielt, ebenso im Geldwesen, Buchdruck, Agrikultur, maritime Navigation und der Militärtechnologie. Hobson bestreitet vor allem die These, dass China sich im 15. Jahrhundert gleichsam zurückgezogen habe und in Stagnation verfallen sei. Er argumentiert, dass das chinesische Reich vielmehr seinen Vorsprung gewahrt habe und bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein die technologisch und wirtschaftlich führende Weltmacht gewesen sei.
Die beiden ausstehenden Teile behandeln daran anschließend die Prozesse, durch welche östliche Technologien und Wissen in den Westen migrierten und dort zum Durchbruch zur Moderne entscheidend beitrugen. Hobson unterscheidet zwei Phasen: Die in Teil 2 beschriebene Phase von 500 bis ca. 1500 ist gekennzeichnet durch die graduelle Diffusion des „ advanced Eastern resource portofolio“ (S. 99) in den Westen. Techniken wie z.B. Eisen-Pflug, Pferde-Geschirr, Wind- oder Wassermühle seien alle vom Osten her in Europa assimiliert worden und haben zum Entstehen der feudalen Agrarwirtschaft beigetragen. Hobson sieht den Westen aber nicht nur als passiven, sondern auch aktiven Rezipienten. So sei im selben Zeitraum eine auf dem Christentum beruhende kollektive europäische Identität in bewusster Interaktion mit dem islamischen Osten geformt worden. Teil 3 analysiert die Phase von 1492 bis 1850. In dieser Zeit ging der Westen nach Hobson dazu über, sich östliche Ressourcen mit Gewalt anzueignen. Damit einher ging auch eine neue Konstruktion europäischer Identität, die abermals in Abgrenzung zum Osten erfolgt. Die europäische Identität beruhte nun zunehmend auf einer rassistischen Konzeption, nach der die Zivilisationen und Völker der Welt in eine Hierarchie von relativem Wert und Entwicklungsstufen eingeteilt wurden. Völker, die als nicht zivilisiert und unterentwickelt klassifiziert wurden, wurden als hilfebedürftig („The White Men’s Burden“) angesehen. Hilfe wurde Ihnen sodann in Form von Kolonialismus und Imperialismus zuteil. Insgesamt kommt Hobson in diesem Teil zum Ergebnis, dass „without the plundering and exploitation of Eastern [and other] resources—land, labour, and markets—Europe would have failed to break through into industrial modernity” (S. 312).
Der Schluss betont, dass die Überwindung einer eurozentrischen Perspektive dazu führt, die Weltgeschichte der Neuzeit neu zu konzeptualisieren. Die neuzeitliche Moderne erscheint nun nicht mehr als einsame Errungenschaft des Westens, sondern vielmehr als ein Ergebnis komplexer Interaktionen über Zeit und Raum hinweg. Die Moderne kann folglich nur innerhalb globaler Zusammenhänge und Entwicklungen gedacht werden.
John M. Hobson hat eine im Ganzen interessante, stimulierende Studie vorgelegt, die dazu anhält und anregt in neuer Weise über die Geschichte der Globalisierung und das Entstehen der Moderne nachzudenken. Zwar sind die meisten seiner Thesen nicht wirklich neu (sie lassen sich u.a. zurückführen auf die auch in der Arbeit zitierten Edward Said, Eric Wolf, Ruth Benedict, Kenneth Pomeranz usw.), doch hat er diese kritischen Reflexionen und Impulse zu einem durchdachten, konsistenten historischen Argument weiter entwickelt. Hobson entlarvt nicht nur herkömmliche verzerrte Darstellungen der Weltgeschichte als eurozentristisch, sondern er setzt ihnen - in Konturen- eine alternative Darstellung entgegen. Auf der anderen Seite bleibt ein gewisses Unbehagen. Da ist zum einen die pauschalierende und verallgemeinernde Verwendung von geopolitischen und /oder geokulturellen Großkategorien wie „West“ und „Ost“. Unhinterfragt und unerklärt wird die Existenz zweier essentialistischer monolithischer Blöcke angenommen, ohne zu erklären, wodurch sie sich voneinander unterscheiden und wie sie sich zusammensetzen. Handelt es sich um verschiedene Zivilisationen, Wirtschaftssysteme, politische Reiche? Je konsequenter man „Ost“ und „West“ hinterfragt, desto mehr zerfallen diese Kategorien in verschiedene heterogene Bestandteile und die Argumentation des Buches gerät in eine Schieflage, denn sie basiert trotzt der Betonung der Rolle historischer Interaktionen auf einer strikten Ost-West Dichotomie. Eine andere Quelle für Unbehagen ist die Selektivität der historischen Darstellung. Es ist richtig, dass China in vielerlei Hinsicht dem Westen vor 1850 überlegen war, doch es gab auch sichtbare soziale und wirtschaftliche Alarmzeichen, die von Hobson ignoriert werden. Seine Behandlung des Westens ist genauso selektiv: Kann der Industrialisierungsschub im späten 19. Jahrhundert nur auf die imperialistische Ausbeutung von Rohstoffen und Menschen zurückgeführt werden? Auch stellt sich nach der Lektüre des Buches die Frage, nach welchen Kriterien man die von Hobson immer wieder pauschal festgestellte zivilisatorische „Überlegenheit“ oder „Modernität“ einer Region (sei es Westen oder Osten) historisch messen kann. An vielen Stellen wird deutlich, dass Hobsons Untersuchung letztendlich doch auf einem ziemlich konventionellen, vorrangig an Wirtschaftleistung orientierten Modernitäts- und Fortschrittsbegriff beruht.