A. Römmele u.a. (Hgg.): Political Parties and Political Systems

Cover
Title
Political Parties and Political Systems. The Concept of Linkage Revisited


Editor(s)
Römmele, Andrea; Farrell, David M.; Ignazi, Piero
Published
Extent
181 S.
Price
$ 119.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Anja Osei, Institut für Afrikanistik, Universität Leipzig

Kay Lawson gab 1980 das Buch "Political Parties and Linkage" 1 heraus, das zu einer wichtigen Inspiration für die Parteienforschung wurde. Lawson entwickelte damals mit dem Linkage-Konzept eine Möglichkeit, die Rolle politischer Parteien als intermediäre Organisationen zwischen Staat und Gesellschaft systematisch und theoretisch fundiert zu analysieren. Sie untersuchte politische Parteien in ihrer Rolle als Institutionen, die die Präferenzen der Bevölkerung mit der Politik der Eliten verbinden. In der Folgezeit wurde ihr Konzept von vielen Autoren aufgegriffen, weiterentwickelt und modifiziert.

Der nun vorliegende Sammelband von Andrea Römmele, David M. Farrell und Piero Ignazi ist zum einen eine Würdigung von Lawsons Werk und gibt zugleich einen Überblick über 25 Jahre Wirkungsgeschichte des Linkage-Konzepts und seine verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten. Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt. Die ersten fünf Artikel konzentrieren sich auf die Parteienforschung - das "klassische" Gebiet der Linkage-Theorie. Dabei schließen sich die Arbeiten teilweise an das an, was in der Parteienforschung als "Parteiwandel" diskutiert wird.

So beziehen sich Römmle, Farrel und Ignazi in Kapitel 2 auf eine Verlaufstypologie politischer Parteien, die von den Massenparteien über die catch-all-Parteien bis hin zum heute vorherrschenden Typus der Kartellpartei reicht. Die Kartellparteien sind nicht mehr Vehikel für starke ideologische Identifizierungen, sondern sie sind professionelle Organisationen, die sich nur soweit für den Willen der Bevölkerung interessieren, wie das ihrem eigenen Machterhalt dienlich ist. Angewendet auf das Linkage-Konzept bedeutet dies eine zunehmende Bedeutung der "linkage by reward", die von Lawson als der Austausch von Wählerstimmen gegen materielle Vorteile definiert wurde. Da politische Parteien keine unbegrenzten Ressourcen zur Verfügung haben, suchen sie nach einer spezifischen Klientel, der selektive Anreize geboten werden.

Collete Ismal geht in ihrem anschaulich geschriebenen und mit Zahlenmaterial unterlegten Beitrag der Frage nach, warum die partizipatorische Linkage (also die Fähigkeit der Parteien, die Anschauungen der Bevölkerung in den politischen Entscheidungsprozess zu übertragen) im Niedergang begriffen ist, und warum die Parteien sich immer weiter von der Bevölkerung entfernen und entfremden. Sie sieht die Parteien in Frankreich in der Krise: sie verlieren an Mitgliedern, die Wahlbeteiligung nimmt ab, und immer weniger Wähler fühlen ihre Interessen in der politischen Arena vertreten. Ismal führt die steigende Diskrepanz zwischen Parteieliten und Wählern darauf zurück, dass Parteien heute, im Gegensatz zur Ära der Massenparteien, hauptsächlich als Wahlmaschinen agieren, die die Interessen einer politischen Klasse vertreten. Dabei entstehen neue Formen von Klientelismus und Patronage.

Kris Deschouwer schließlich ordnet seinen Artikel in einen breiteren Rahmen ein und betont den Kontext, in dem politische Parteien heute existieren. Die Regionalisierung von Nationalstaaten zum einen und der Prozess der europäischen Integration zum anderen haben die institutionellen Bedingungen, an die Parteien sich anpassen müssen, nachhaltig verändert. Er macht dabei deutlich, dass die Parteienforschung vor der Aufgabe steht, Methoden zu entwickeln, mit denen Linkage-Prozesse in komplexen und mehrschichtigen politischen Systemen besser dargestellt werden können.

Der zweite Teil des Buches ist überschrieben mit "Transnationalization and Citizen Links". Hier sind Beiträge versammelt, die über die Parteienforschung hinausgehen und das Konzept auf neue Forschungsfragen im sub- und suprastaatlichen Bereich übertragen. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und wie Linkages durch Globalisierung und Transnationalisierung verändert werden und ob daraus neue Formen von Linkage entstehen. Besonders nennenswert ist hier der Artikel Subrata K. Mitra, die beschreibt, wie der Staat in Indien auf die Herausforderungen der Globalisierung reagiert. Mitra vertritt die Ansicht, dass der Staat durch die Globalisierung nicht geschwächt wurde, sondern vielfältige Anpassungsmechanismen entwickelt hat, die die Balance zwischen globalen Normen und unilateralen Interessen halten. Durch geschickte institutionelle Arrangements (z.B. informelle Quotensysteme für wichtige soziale Gruppen, vermittelnde Kommissionen und Anerkennung kultureller Symbole) ist der Staat einen bindenden Kontrakt mit substantiellen Sektionen der Gesellschaft eingegangen ist, wobei auch politische Parteien eine tragende Rolle gespielt haben.

Andere Beiträge befassen sich mit Linkage-Prozessen und Demokratiedefiziten in der europäischen Union (Herrmann Schmitt), der Übertragung des Linkage-Konzepts auf die Elitentheorie (Eva Etzioni-Haley) oder Linkage-Prozessen in Parteinetzwerken (Mildred A. Schwartz). Die Vielfalt der Themen, die in den Artikeln behandelt werden, deutet an, dass das Linkage-Konzept keineswegs auf die Parteienforschung beschränkt bleiben muss, sondern auch auf viele andere Felder der Politikwissenschaft ausgedehnt werden kann. Gleichzeitig kommt aber gerade durch diese sehr unterschiedlichen Herangehensweisen eine mögliche Schwäche des Konzepts zum Ausdruck: es bleibt ein Beigeschmack von Beliebigkeit und fehlender Schärfe. Römmele, Ignazi und Farrell ist die Unübersichtlichkeit bewusst, wenn sie zum Beispiel in der Einleitung konstatieren, dass die Forschung zu diesem Thema sich tendenziell auseinander entwickelt hat. Das Buch jedoch lässt in weiten Teilen eine Stellungnahme dazu oder eine Möglichkeit, die Stränge der Forschung wieder zusammenzuführen und dem Konzept mehr Tiefe zu geben, vermissen – die Ansätze sind hier lediglich versammelt. Auch wenn sich die meisten Autoren in irgendeiner Weise auf Lawson beziehen, so sind doch ihre Methoden höchst unterschiedlich, so dass man sich als Leser bisweilen die Frage stellt, was genau das Linkage-Konzept nun eigentlich beinhaltet.

Es bleibt Kay Lawson selbst in ihrem Schlusskapitel "Linkage and Democracy", das den dritten und letzten Teil des Bandes bildet, überlassen, die Frage nach der theoretischen Brauchbarkeit noch einmal aufzuwerfen und die Verwirrung wenigstens teilweise aufzulösen. Politikwissenschaftler haben, so Lawson, in der Vergangenheit das Linkage-Konzept benutzt "to refer to connections that lead to – and away from – power" (S.162). Die Kernhypothese liegt also in der Annahme, dass die Ausübung von Macht/ Herrschaft auf Verbindungen zu den Beherrschten bzw. auf deren Konsens angewiesen ist. Man könne, schreibt Lawson weiter, von diesem Standpunkt aus verschiedene Fragen stellen: zum Beispiel, welche Art Linkages welche Art von Herrschaft produzieren; welche Akteure daran beteiligt sind (beispielsweise politische Parteien oder Elitennetzwerke) oder danach fragen, welche Linkages Demokratie fördernd sind.

Lawsons zusammenfassende Ausführungen bieten die notwendige Klammer für die Einzelbeiträge und werten das Buch damit auf. Alles in allem ist "Political Parties and Political Systems" eine gelungene Übersicht über die Stellung des Linkage-Konzeptes in der Wissenschaft. Der Wert des Buches liegt vor allem darin, interessante Denkanstösse für weitergehende Forschungen zu geben.

Anmerkungen:
1 Lawson, Kay, Political Parties and Linkage. A Comparative Perspective, New Haven 1980.

Editors Information
Published on
27.10.2006
Author(s)
Contributor
Edited by
Cooperation
Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
Classification
Temporal Classification
Regional Classification
Book Services
Contents and Reviews
Availability
Additional Informations
Language of publication
Language of review