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Title
Das britische Empire. Ein Weltreich unterm Union Jack


Author(s)
Nasson, Bill
Published
Essen 2007: Magnus-Verlag
Extent
270 S.
Price
€ 14,95
Reviewed for Connections. A Journal for Historians and Area Specialists by
Torsten Loschke, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Das wachsende Interesse der Geschichtswissenschaft an globaler und transnationaler Geschichte hat auch den Imperien neue Aufmerksamkeit beschert. Angestoßen von einer politikwissenschaftlich geprägten Debatte über den imperialen Charakter der USA am Beginn des 21. Jahrhunderts 1, fragen Historiker seit einigen Jahren verstärkt nach der Bedeutung von Imperien in der gesamten Geschichte der Neuzeit. So ist beispielsweise die zentrale Rolle von Weltreichen – als Formen großräumiger Integration – bei der Geschichte von Globalisierungsprozessen deutlich gemacht worden.2 Ein wesentlicher Akteur war dabei zweifellos das erste wirkliche „Weltreich“ der Geschichte, das British Empire, das seit dem 18. Jahrhundert im globalen Maßstab agierte und expandierte und schließlich große Teile der Welt durch Kriegsflotten, Handelsströme, Migrationen und Kolonialbesitz miteinander verband.

Nachdem die Geschichte des britischen Imperiums bisher vor allem im angloamerikanischen Raum debattiert wurde, gibt es mittlerweile auch vereinzelte Bemühungen, die Ergebnisse dieser Forschungen in die deutsche Diskussion einzuführen.3 Allerdings ist die Zahl genuin deutschsprachiger Publikationen zur Geschichte des britischen Imperiums immer noch sehr überschaubar.4 Es deutet auf eine wachsende Nachfrage hin, wenn nun der Magnus-Verlag die Übersetzung einer 2004 erschienenen, englischsprachigen Überblicksdarstellung publiziert. Das Buch von Bill Nasson richtet sich offenkundig nicht nur an ein Fachpublikum und könnte gerade dadurch geeignet sein, die Geschichte des Weltreichs und die angelsächsischen Perspektiven auf diese Geschichte auch in Deutschland bekannter zu machen, wie Christoph Marx (Universität Duisburg-Essen) im Vorwort des Bandes zurecht bemerkt (S. 9).

Bill Nasson ist ein südafrikanischer Militärhistoriker, der in England studierte und heute an der Universität Kapstadt lehrt. Der englische Originaltitel seines Werks, „Britannia’s Empire. Making a British World“ – der in der deutschen Ausgabe leider dem nichtssagenden „Ein Weltreich unterm Union Jack“ gewichen ist – macht deutlich worum es geht: Zu zeigen, wie das Antlitz der Welt durch das British Empire geprägt wurde und welches (zwiespältige) Erbe dieses Imperium hinterlassen hat. Obwohl der Ansatz ähnlich erscheint, schlägt Nasson dabei keine neoimperialistischen Töne wie Niall Ferguson an5, sondern argumentiert sehr abwägend und legt neben der Darstellung der großen historischen Entwicklungslinien seinen Fokus auf die Beschreibung der vielfältigen Kultur- und Alltagsgeschichte des Weltreichs.

Nach einer in die Thematik einführenden Vorrede erörtert Nasson in einem Prolog zunächst die Bedingungen und Ursachen der britischen imperialen Expansion. Anschließend erzählt er in chronologischer Folge, unterteilt in vier Kapitel, die Geschichte des Empire: Beginnend bei den zaghaften und zunehmend selbstbewussteren Anfängen imperialer Expansion („Ein Weltreich entsteht. 1500-1700“), über das wichtige 18. Jahrhundert, in dem Großbritannien sich gegen alle Konkurrenten durchsetzte („Krieg und Expansion. 1700-1800“), die Epoche englischer Weltmacht („Eine britische Welt. 1800-1914“) bis zur Phase von Schwächung und Dekolonisation („Der endlose Niedergang. 1914-2000“). In einem Epilog setzt sich der Autor noch einmal ausführlich mit den Fragen auseinander, wie die Geschichte des Imperiums und seine zahlreichen Hinterlassenschaften einzuschätzen seien und ob eine solche Einschätzung überhaupt möglich ist.

An Nassons Buch erscheint mir bemerkenswert, dass der Autor anstatt über den Einfluss von Postkolonialismus und kulturwissenschaftlicher Wende nur zu reden, die Anregungen dieser Perspektiven konkret in seine Gesamtdarstellung einfließen lässt. Er hinterfragt die etablierten Meistererzählungen über das Empire und präsentiert verschiedene Versionen der gleichen Geschichten, sodass es dem Leser ermöglicht wird, sich ein eigenes kritisches Urteil zu bilden. Besonders ausführlich tut der Autor dies im Epilog, in dem in einer „heiteren Skizze“ (S. 218) zunächst die nostalgischen und selbstgefälligen Geschichten über Imperialismus, Zivilisierungsmission und friedliche Dekolonisierung im 19 und 20. Jahrhundert ausgebreitet und dann mit den weniger schönen Aspekten des Empire konfrontiert werden (S. 209-222).

Nasson beschreibt an vielen Stellen des Buches anschaulich die Deutungen und Weltbilder der jeweiligen zeitgenössischen Akteure, um zu einem besseren Verständnis der historischen Vorgänge zu gelangen. Die konsequente kulturhistorische Perspektive ergibt zusammen mit den politik- und wirtschaftsgeschichtlichen Abschnitten eine ausgewogene Geschichte des Weltreichs und holt auch vernachlässigte Aspekte seiner Geschichte wieder ans Licht. Gelungen sind beispielsweise die Passagen über die Vermessung und Kartierung des imperialen Raums im Zuge aufgeklärter Wissenschaft im 18. Jahrhundert (S. 88ff.). Ganz im Einklang mit neueren Forschungen betont Nasson zudem die Grenzen imperialer Macht und die eigenständige Rolle der Bevölkerung der Kolonien, die eben nicht nur Unterworfene, sondern auch Handelnde waren, die verschiedene Strategien im Umgang mit den imperialen Eroberern verfolgten. Die Vielfalt der Peripherien des Imperiums und seiner Bewohner verbiete es, so der Autor, ebenso einfach nur von „den Kolonien“ oder „den Kolonisierten“ zu sprechen und Verallgemeinerungen zu treffen. Nicht zuletzt fragt Nasson auch beständig nach den Rückwirkungen des Empire auf das „Mutterland“ und der postkolonialen Realität des heutigen Großbritanniens (S. 12, S. 237-244).

Während sich Nasson zu recht ausführlich und differenziert der Vielfalt der Peripherien des britischen Weltreichs widmet, bleiben die Vorgänge in der imperialen Metropole allerdings merkwürdig unscharf. „Empire“ scheint für ihn vor allem das zu sein (abgesehen von kurzen Abschnitten über die besondere Peripherie Irland), was sich außerhalb der britischen Inseln befand. Anstatt eines heute wünschenswerten integrierenden Zugriffs auf die Geschichte von Imperien, werden so traditionelle historiographische Perspektiven bestärkt, die entweder nur auf das „nationale“ Zentrum eines Imperiums oder auf die Vorgänge in „Außereuropa“ blicken. Wahrscheinlich im Bemühen um eine ausgewogene, nicht-eurozentrische Perspektive blendet Nasson den kontinentaleuropäischen Schauplatz leider fast vollständig aus. Auch der Vergleich mit anderen Imperien scheint mir in dieser Gesamtdarstellung insgesamt zu kurz gekommen und ist zudem oft ungenau (S. 30).

Der Autor bedient sich einer anschaulichen und oft ironischen Sprache und macht die Lektüre so zu einem Vergnügen, das man in vergleichbaren Werken nicht immer findet. Ungewöhnliche und mit einem Augenzwinkern kommentierte Fotos führen den (manchmal bizarren) Alltag des Empire dem Leser plastisch vor Augen. Dieser positive Eindruck wird gelegentlich beeinträchtigt durch schlechtes Deutsch der Übersetzung („Sinn machen“ S. 206, „Unbedeutendheit“, S. 34) oder allzu verschachtelte Sätze. Denn manche Formulierungen geraten so blumig und verschlungen (was auch der Übersetzung anzulasten ist), dass sie die präzise Argumentation beeinträchtigen. Gerade im Epilog mit seiner Reflexion über das Erbe des British Empire, bleibt Nasson zu abwägend und essayistisch, und man vermisst eine klare Struktur sowie eine deutlichere Positionierung des Autors.

Obwohl er sich auf der Höhe des Forschungsstandes bewegt, bezieht sich der Autor fast nie explizit auf die Debatten in der historischen Forschung, weshalb sich nur selten nachvollziehen lässt, woher seine Argumente stammen. Dies ist zweifellos dem Bemühen geschuldet, das Buch auch für einen weiteren Leserkreis attraktiv zu gestalten. Konsequenterweise verzichtet das Werk auf Fußnoten und enthält nur eine kurze Liste mit weiterführender Literatur. Insgesamt ist Bill Nasson aber ein ausgewogenes, gut lesbares Überblickswerk gelungen. Um einen tieferen Einblick in die Thematik und die Forschungsdebatten zu bekommen, ist allerdings ein Rückgriff auf die englischsprachige Literatur, beispielsweise die „Oxford History of the British Empire“6, unverzichtbar.

Anmerkungen:
1 Wichtige Beiträge der Empire-Debatte finden sich in: Speck, Ulrich; Sznaider, Natan (Hrsg.), Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung, München 2003.
2 Osterhammel, Jürgen; Petersson, Niels, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, 2. Aufl., München 2004, S. 27.
3 Stuchtey, Benedikt, Nation und Expansion. Das britische Empire in der neuesten Forschung, in: Historische Zeitschrift 274 (2002), 1, S. 87-118.
4 Zu den Ausnahmen zählt die 2001 vorgelegte, detailreiche Geschichte des britischen Weltreichs von Claudia Schnurmann, die besonders durch den weit gespannten chronologischen Rahmen hervorsticht: Schnurmann, Claudia, Vom Inselreich zur Weltmacht. Die Entwicklung des englischen Weltreichs vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Stuttgart 2001.
5 Ferguson, Niall, Empire. How Britain made the modern world, London 2004.
6 Louis, William Roger (Hrsg.), The Oxford History of the British Empire, 5 Bde., Oxford 1998-2001.

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04.03.2008
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