P. Castellano: Enciclopedia Espasa

Title
Enciclopedia Espasa. Historia de una aventura editorial


Author(s)
Castellano, Philippe
Published
Extent
582 S.
Price
€ 71,75
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Thomas Neuner, Abteilung für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte, Universität zu Köln

Das 19. Jahrhundert gilt als das Zeitalter de Enzyklopädien. Gegenstand von Philippe Castellanos Werk ist die „Enciclopedia Universal Ilustrada Europeo Americana“, die erst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entstanden ist, jedoch hinsichtlich ihrer Entstehung noch im kulturellen Kontext des ausgehenden 19. Jahrhunderts verankert ist. Die Frage, inwieweit die Enzyklopädien auch als die Kathedralen des 19. Jahrhunderts betrachtet werden können, scheint dem Rezensenten gleichwohl interessant, wird jedoch in der Studie nicht gestellt. Dabei scheint ein solch monströses Bau-Werk wie die „Enciclopedia Universal Ilustrada“, die das gesamte Wissen der Welt abzubilden versucht und unter der kulturellen Hegemonie der katalanischen Kleriker entstanden ist, durchaus Anlass zu einer solchen Überlegung zu bieten. Unzählige, oftmals anonym gebliebene Menschen haben teilweise über Jahrzehnte hinweg an der Entstehung dieses Kollektivkunstwerks zusammengewirkt – sowohl bei dem intellektuellen Schaffensprozess in der Redaktions-Bauhütte als auch bei den Arbeiten in den Druckereien. Auch den unfreien Maurern dieses spanischen Monuments war die Komplizität von Wissen und Macht zutiefst bewusst; ihre Enzyklopädie sollte aber nicht als Einleitungskapitel für eine Revolution dienen, sondern vielmehr die traditionellen Werte der Kirche bestätigen und stabilisieren.

Die in Schweinsleder gebundene und bibliophil mit zahlreichen Illustrationen ausgestaltete Ausgabe von Castellanos Arbeit ist in den 1990er Jahren in Rennes als Dissertation bei dem Spezialisten des spanischen Verlagslebens, Jean-François Botrel, entstanden. Bei der Arbeit handelt es sich nicht ausschließlich um eine Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte des spanischen Verlagslebens, sondern gleichzeitig um eine Regional- und Sozialgeschichte Kataloniens, die auch das intellektuelle Leben im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts untersucht.

Der aus der katalanischen Provinz Lleida stammende Autodidakt José Espasa Anguera (1839-1911) gründete 1860 in Barcelona zusammen mit seinem Bruder Pablo Espasa einen Verlag, der sich im 20. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Verlage der spanischsprachigen Welt entwickelt hat. Der Erfolg des Verlags basierte auf José Espasas Konzept einer Enzyklopädie, wie es sie bis dato auf dem spanischsprachigen Markt nicht gegeben hatte. Die Leistung José Espasas bestand darin, dass er von der bislang vorherrschenden Orientierung an französischen Vorbildern Abstand nahm und die erfolgreichen deutschen Konversationlexika als Vorlage für die Konzipierung seiner geplanten Enzyklopädie nahm. Von den deutschen Verlagshäusern Brockhaus und Meyer erwarb er die Exklusivrechte, um den Textfundus der beiden deutschen Konversationslexika je nach Bedarf für sein geplantes Editionsprojekt verarbeiten zu können. Espasa entschied sich gegen das unhandliche Quartformat der französischen Enzyklopädien und übernahm von seinem deutschen Modell das kleinere Blattformat und das zweispaltige Seitenlayout. Außerdem wurden die einzelnen Artikel nicht wie bei dem „Grand Diccionnaire Universel“ von Pierre Larousse mit Namen gezeichnet, da Espasa wie die deutschen Vorbilder auf einen objektiven Charakter des Gesamtwerks Wert legte. Eine der wichtigsten Innovationen, die von Anfang an die Unverwechselbarkeit der „Enciclopedia Universal Ilustrada“ von den teilweise zeitgleich erscheinenden Bänden der katalanischen Konkurrenzunternehmen ausmachte, war die Fülle an Abbildungen, die die Artikel didaktisch und ästhetisch illustrieren und dem Leser eine möglichst reale und scheinbar objektive Anschauung bieten sollen. Einen Großteil des ikonographischen Dokumentationsmaterials kaufte der katalanische Verleger vom „Bibliographischen Institut Meyer“ sowie vom Brockhaus-Verlag in Leipzig, der Hauptstadt des europäischen Buchhandels: Druckplatten für Kupfer- und Stahlstiche, Lithographien, Photogravüren und Karten. Die Farbdrucke sowie ganzseitige Schwarz-Weiß-Drucke ließ der katalanische Verleger, der in Barcelona bereits mit deutschen Druckmaschinen arbeitete, von seinen sächsischen Vertragspartnern herstellen, die aufgrund der technischen Entwicklungen deutscher Ingenieurskunst zu jener Zeit die Qualitätsstandards in der Welt setzten (eine weitere Verbindung zwischen den „Sachsen“ Spaniens und den „Katalanen“ Deutschlands). Der Großteil der kleinformatigen Schwarz-Weiß-Illustrationen wurde später von den Mitarbeitern gesammelt und ohne Copyright aus spanischen bzw. anderen europäischen Büchern, Zeitschriften und Postkarten übernommen.

Philippe Castellano betont im ersten und zweiten Teil seiner Arbeit die Bedeutung der spanisch-deutschen Kooperation. Leider hat er der Verfasser den sächsisch-katalanischen Kulturtransfers jedoch nur aus einer Richtung beschreiben können, da er keinerlei deutschsprachigen Quellen benutzt hat. Castellano bezieht sich vor allem auf Korrespondenz in katalanischen Provinzarchiven, Unterlagen des Madrider Firmenarchivs Espasa-Calpe sowie dem Textkorpus der durchschnittlich 1500 Seiten umfassenden 82 Bände der Enzyklopädie selbst. Nach einem Brand des Verlagshauses in Barcelona (1935) sind wertvolle Quellen über die Entstehung der „Enciclopedia Espasa“ verloren gegangen. Im ersten Teil des Buches beschäftigt sich Castellano mit der Geschichte des Verlagsunternehmens der Espasa-Familie sowie des als Aktienunternehmen gegründeten Verlages Calpe, mit dem der Espasa-Verlag seit 1922 wegen finanzieller Engpässe kooperierte. Das Enzyklopädie-Projekt hatte seit 1907, als die ersten Faszikel erschienen waren, zum Stillstand aller anderen Verlagsaktivitäten geführt. 1926 waren die Söhne und Erben des Firmengründers, die das Enzyklopädie-Projekt weniger beharrlich verfolgten als ihr Vater, schließlich zur Fusion mit dem Verlagshaus Calpe gezwungen, hinter dem der größte spanische Papierhersteller „La Papelera Española“ sowie das baskische Kreditunternehmen „Banco de Bilbao“ standen. Damit waren der riesige Papierbedarf und die finanziellen Ressourcen eines Editionsprojekts gesichert, dessen Produktion sich über mehr als ein Vierteiljahrhundert erstreckte und das nicht mehr alleine von einem traditionellen Familienunternehmen gestemmt werden konnten.

Im zweiten und umfangreichsten Teil seines Werkes untersucht Castellano die einzelnen Aspekte der intellektuellen Entstehung sowie den Inhalt der Enzyklopädie. Die Rekonstruktion des sozialen Netzwerks der Redakteure und Mitarbeiter ist insbesondere für Barcelona als intellektuellem Feld sehr aufschlussreich: den Großteil der Mitarbeiter rekrutierte der Verlag aus der Universität, dem „Institut d’Estudis Cataláns“, den verschiedenen Akademien sowie anderen semiprivaten Vereinigungen mit enzyklopädischem Aktivitäten: etwa dem „Centre Excursioniste de Barcelona“ oder dem „Ateneu Barcelonès“, ein Zentrum des kulturellen Lebens, das als Kontaktbörse fungierte und den Mitarbeitern der Enzyklopädie eine Bibliothek für ihre Arbeit bot. Doch so stark der katalanische Nationalismus und Optimismus angesichts der Niederlage der kastilischen Zentralregierung im Krieg gegen die USA (1898) auch gewesen ist: Das Projekt brauchte die Mitwirkung der Madrider Journalisten und Universitätsprofessoren sowie der Angehörigen der dort ansässigen Akademien, die dem Projekt den notwendigen institutionellen Rückhalt boten und einen Teil ihres Renommees verliehen. Leider erklärt Castellano nicht, warum keiner der unter den Madrider Universitätsprofessoren herausragenden Krausisten einen Artikel zu der Enzyklopädie beisteuerte. Dagegen beschreibt Castellano sehr quellensicher die Gruppe, die sich am stärksten in das Projekt einbringen konnte: Auch wenn der Klerikeranteil nur ein Viertel der knapp 650 nachgewiesenen Mitarbeiter ausmachte, haben die Werte der katholischen Kirche den Inhalt der einzelnen Artikel und die ideologische Kohärenz des Gesamtwerks nachhaltig geprägt. Der hohe Anteil der Kleriker unterstreicht die kulturelle Hegemonie der Kirche über die spanische Gesellschaft. Aber auch die laizistischen Mitarbeiter waren in der Regel den traditionellen Werten der Kirche verhaftet. Einerseits dominierte unter den Angehörigen der katalanischen Bourgeoisie der Glaube an den technischen Fortschritt, der mit Akribie in der Enzyklopädie dokumentiert wird; andererseits wuchs das Bedürfnis nach Ordnung und Wiederherstellung der auseinanderstrebenden Sinnzusammenhänge. In einer sorgfältigen Analyse des Textkorpus der ersten 15 Bände kommt Castellano zu dem Ergebnis, dass sich die mit der Urbanisierungswelle und der industriellen Revolution verbundenen gesellschaftlichen Spannungen und Fragen in den einzelnen Artikeln der Enzyklopädie widerspiegeln. Aber der Autor macht auch auf die spannende Debatte innerhalb des Mitarbeiterpools aufmerksam, indem er wichtige Konfliktlinien herauspräpariert. Zwar werden unter dem Lemma Zensur die paternalistischen Staatseingriffe gerechtfertig oder unter dem Stichwort „Civilisación“ die Herrschaft des Europäers im Bündnis mit dem Christentum sowie die Auslöschung anderer Zivilisationsformen legitimiert; doch wird in anderen Einträgen, der „Caciquismo“ und die damit verbundene Korruption kritisiert sowie unter dem Stichwort „Centralisación“ die Dezentralisierung des Landes propagiert. Ebenso gelingt es sowohl den Vertretern des Freihandels als auch den Befürwortern der Schutzzollpolitik ihre jeweiligen Argumente im „Espasa“ einzubringen.

Der dritte Teil und kürzeste Teil der Arbeit behandelt die technische Produktion. Der 1. Weltkrieg unterbrach die Handelsverbindungen mit Deutschland und im Verlauf der 1920er Jahre, als die spanische Hauptstadt wieder an Bedeutung gewann, wurde der Druck der Enzyklopädie nach Madrid ausgelagert. Castellano beschreibt die Verkaufs- und Werbestrategien des Verlages für die unterschiedlichen Märkte und erklärt den ökonomischen Verkaufserfolg der in Spanien zum nationalen Prestigeobjekt gewordenen Enzyklopädie. Auch wenn die Verkaufsstrategen von vornherein davon ausgingen, dass auf dem spanischen Markt der größte Teil des Umsatzes erfolgte, hatten sie für den lateinamerikanischen Markt mit höheren Umsatzzahlen kalkuliert als dann tatsächlich erreicht wurden. Ein Erklärungsversuch für die Zurückhaltung der lateinamerikanischen Käufer bietet Castellano leider nicht an und lässt den Leser allein mit der vom Verlag angebotenen und wenig überzeugenden Erklärung, dass unfertige Werke im spanischsprachigen Amerika nur schwer zu verkaufen wären (S. 494). Möglicherweise wurde die Enzyklopädie, die im Titel mit „Americana“ wirbt, in der lateinamerikanischen Presse kritischer beurteilt als in Spanien. Ob die starke Referenz auf Barcelona bei der Erklärung von Alltagsgegenständen sowie der in den Texten mitschwingende Eurozentrismus und die Ablehnung der indigenen Menschenrassen Amerikas beim lateinamerikanischen Publikum anders wahrgenommen wurde als in Spanien, bleibt offen. Vielleicht störte man sich in Lateinamerika aber auch nur am spanischen Nationalismus, der den Textkorpus nachhaltig prägte. Inwieweit sich die Mitarbeit der 17% Hispanoamerikaner im Inhalt des Werkes niederschlägt, wird ebenfalls nicht für wichtig erachtet. Castellano begnügt sich damit festzustellen, dass die Hispanoamerikaner die größte Gruppe unter den ausländischen Mitarbeitern stellten. Dabei hätte eine Einschätzung der Wirkung der Enzyklopädie auf das lateinamerikanische Publikum aufschlussreiche Antworten liefern können.

Wie ein roter Faden durchzieht Castellanos Arbeit das spanische Interesse an deutscher Kultur und Technik. Im „Espasa-Calpe“ dominieren in den Bibliographien zu den einzelnen Artikeln in der Regel deutsche Titel, die in Castellanos Buch oft mit Druckfehlern wiedergegeben werden. Die auf Kosten Frankreichs erfolgte geistige Öffnung für deutsche Geist- und Industrieproduktionen hängt für Castellano eng zusammen mit der neuen geopolitischen Lage nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 sowie den wissenschaftlichen Leistungen der deutschen Universitäten, die den Erfolg der deutschen Industrie erst ermöglichten. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass das Interesse an deutsche Kultur und Technik insbesondere auch über den Krausismo und die Beschäftigung mit dem Denken des deutschen Philosophen Karl Krause vermittelt wurde.1 Die führenden spanischen Krausisten tauchen interessanterweise in Castellanos Arbeit nicht auf, wie auch der Name Krause im Register nicht erscheint. Nur im Nebenersatz erwähnt werden die von Madrider Krausisten begründete und reformerisch wirkende Bildungsinstitution „Institución Libre de Enseñanza“ sowie die wissenschaftliche Austauschorganisation „Junta para Ampliación de Estudios“.

Trotz dieser Monita, die als Ergänzungen zu einer profunden Studie verstanden werden sollten, sei Castellanos Buch nicht nur jedem empfohlen, der sich mit der spanischen Geschichte zwischen 1900 und 1930 beschäftigt, sondern bietet auch allen eine anregende Lektüre, die sich für die europäische Buch- und Verlagsgeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts interessieren.

1 Vgl. Thomas Neuner, Karl Krause (1781-1832) in der spanischsprachigen Welt – Spanien, Argentinien, Kuba, Leipzig 2004.

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25.11.2005
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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