M. Behrooz: Iran at War

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Title
Iran at War. Interactions with the Modern World and the Struggle with Imperial Russia


Author(s)
Behrooz, Maziar
Published
London 2022:
Extent
224 S.
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Eva-Maria Stolberg, Bochum

Maziar Behrooz, associate professor in Geschichte an der San Francisco State University, ist ein ausgewiesener Kenner der iranischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In der vorliegenden Studie widmet er sich der staatlichen Konsolidierung der Qajar-Dynastie (1789-1925) im Kontext des europäischen Imperialismus, wobei die russisch-iranischen Kriege (1804-1813, 1826-1828) im Fokus seiner Analyse stehen. Auf der Grundlage von Archivquellen aus den britischen National Archives, veröffentlichten iranischen Dokumentensammlungen und der Auswertung angelsächsischer, russischer und iranischer Forschungsliteratur gibt der Autor in vier Kapiteln einen überzeugenden Einblick in die komplexen Verflechtungen iranischer Innen- und Außenpolitik in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Die Darstellung schließt mit einer Zusammenfassung in sieben Thesen, einer Chronologie und biografischen Angaben zu den wichtigsten innen- und außenpolitischen Akteuren. Die russisch-iranischen Beziehungen sind ein nur wenig erforschtes Feld der Geschichtswissenschaft dar, besonders aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, sieht man von den Arbeiten einiger weniger Experten wie Muriel Atkin, Elena Andreeva, Stephanie Cronin ab, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben.1 Während diese Autorinnen und Autoren Überblicksdarstellungen oder Spezialstudien zum Orientalismus vorgelegt haben, widmet sich Behrooz vor allem militärischen Aspekten und fragt nach den innen- und militärpolitischen sowie diplomatischen Ursachen für die militärischen Niederlagen des Irans in den Kriegen mit dem russischen Nachbarn.

Einleitend beschreibt der Autor die innenpolitische Krise nach dem Zerfall der Safawiden-Dynastie: Ein lang anhaltender Bürgerkrieg schwächte das Land, wozu die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Stammesgruppierungen beitrugen. Der Tribalismus erschwerte die Einheit des Reiches. Die neue Dynastie der turkstämmigen Qajaren, die sich während des Bürgerkrieg durchgesetzt hatte, war nicht nur in Staatskunst und Diplomatie unerfahren, sondern hatte auch kaum Kenntnis von der beschleunigten Entwicklung in Europa, das durch Aufklärung und industrielle Revolution einen massiven Innovationsschub erfuhr.

Kapitel 1 ist dem schwierigen Prozess der Reichseinigung gewidmet. Die Qajaren waren ein turkisches Nomadenvolk aus Zentralasien, das die Mongolen bei der Unterwerfung des Iran im 13. Jahrhundert unterstützt hatte und trotz der Konversion zum Islam den nomadischen Traditionen verhaftet blieb. Ab dem 15. Jahrhundert wurden die Qajaren im südlichen Kaukasus, in den Regionen Ganjeh und Iravan sesshaft und stellten eine militärische Bedrohung für den Nachbarn Iran dar. Wie Behrooz nachweist, wurde der Iran dadurch Teil des komplexen Machtgefüges im Kaukasus. Der erste Schah aus der Qajaren-Dynastie, Aqa Muhammed, traf bei seinem Regierungsantritt auf eine fragmentierte iranische Gesellschaft, hinzu kamen Korruption und Intrigen am Hof. Wie bei Nomadenstämmen üblich waren die Qajaren untereinander zerstritten. Das erschwerte die Konsolidierung der Dynastie. Gleichzeitig kam es in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu ersten, kleineren militärischen Auseinandersetzungen mit Russland, das im Kaukasus expandierte. Astrachan am Kaspischen Meer war ein strategisch wichtiger Ausgangspunkt, um den geopolitischen Einfluss des Zarenreiches auf den Iran, Zentralasien bis nach Indien auszuweiten. Durch die Unterstützung verschiedener Stammesfraktionen griff das Zarenreich in die Innenpolitik des Irans ein und erschwerte eine Stabilisierung. Stammesführer boten den Russen Gebietskonzessionen im südlichen Kaukasus als Gegenleistung für Unterstützung im innenpolitischen Machtkampf an. Damit, so Behrooz, war die Konfrontation zwischen Russland und dem Iran vorgezeichnet (S. 14.). Der Autor weist auch nach, dass Russland aufgrund der politischen Zersplitterung im Kaukasus und der Machtkämpfe im Iran seine geopolitische Stellung im Mittleren Osten ausbauen konnte (S. 16.). Von Anfang an bestand ein Machtungleichgewicht zwischen dem Iran und Russland, das ein Grund für die späteren Niederlagen des Iran in den Kriegen mit dem Zarenreich war. Zugleich hatten diese Konflikte - wie Behrooz überzeugend darstellt - einen religiösen Hintergrund: Russland verstand sich als Schutzmacht der Christen im Kaukasus, also der Armenier und Georgier, und beabsichtigte, auf beiden Territorien „christliche Protektorate“ zu errichten, eine Politik, die sich sowohl gegen das Osmanische Reich als auch gegen den Iran richtete (S. 20-23.).

Kapitel 2 gibt einen Einblick in die iranische Innenpolitik zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit einer Analyse der Monarchie in ihrer orientalischen Bedingtheit. Unter Aqa Muhammad Shah waren nomadische Traditionen stark ausgeprägt, von einem effizienten Staatsapparat konnte nicht die Rede sein (S. 31). Erst unter Fath Ali Shah wurden Ministerien gegründet, ein Außenministerium wurde erst 1825 geschaffen. Unter Fath Ali Shah gewannen die iranisch-russischen Beziehungen an Dynamik. Gleichzeitig markierte seine Regierungszeit den Eintritt des Irans in die Weltpolitik, die im Mittleren Osten vom „Great Game“ zwischen Großbritannien und Russland bestimmt wurde. Obwohl es Fath Ali Shah gelang, erste Ansätze eines modernen Staatsapparates zu schaffen, war Nepotismus in der iranischen Gesellschaft weit verbreitet. In militärischen und fiskalischen Angelegenheiten handelten die Statthalter in den Provinzen selbstherrlich und stellten die politische Autorität des Shahs faktisch in Frage. Als problematisch erwies sich auch die Schaffung einer modernen stehenden Armee, denn bis Anfang des 19. Jahrhunderts waren die iranischen Truppen von nomadischen Traditionen bestimmt, d.h. sie wurden saisonal, nur im Sommer eingesetzt (S. 40.). Auch technologisch waren diese Truppen den europäischen Armeen unterlegen, die Artillerie war von schlechter Qualität. Eine Rüstungsindustrie, wie es sie im Zarenreich seit Peter dem Großen gab, existierte im Iran nicht. Französische Militärbeobachter berichteten zudem über die mangelhafte Organisation der iranischen Truppen. Am Vorabend der iranisch-russischen Kriege war die iranische Armee aus den genannten Gründen der russischen unterlegen. Im Gegensatz zum Iran hatte das Zarenreich unter Peter dem Großen und Katharina der Großen den Weg einer effizienten Modernisierung in Verwaltung, Wirtschaft und Militär eingeschlagen. Die gewaltige russische Militärmaschinerie, war bereits in den Kriegen gegen Schweden, Polen und das Osmanische Reich erfolgreich erprobt worden.

Kapitel 3 untersucht das Zusammenspiel von Diplomatie und Krieg im ersten russisch-iranischen Krieg (1804-1813). Wie Behrooz pointiert darstellt, war die weltpolitische Lage im Mittleren Osten zu diesem Zeitpunkt für den Iran ungünstig. Während das Zarenreich in den südlichen Kaukasus ausgriff und Irans Nordgrenze bedrohte, verhielt sich Großbritannien in den Nachbarländern Pakistan und Afghanistan nicht weniger expansiv. Ein weiterer Mitspieler im „Great Game“ war Frankreich, das dem Iran eine Allianz gegen Russland vorschlug (S. 54.) Nach der Besetzung Ägyptens durch Napoleon zeigte Frankreich verstärktes Interesse am Mittleren Osten und trat hier in Konkurrenz zu Großbritannien und Russland. Parallel zum 4. Koalitionskrieg in Europa wollte Frankreich, seinen Gegner Russland durch einen lang anhaltenden Krieg mit dem Iran im Osten binden.

Gelungen ist die Beschreibung des Autors, wie die Länder des Mittleren Ostens vom Iran bis nach Afghanistan in die machtpolitischen Rivalitäten der europäischen Großmächte gerieten, so dass dem Iran in seinen Beziehungen zu Russland kaum Spielraum blieb (S. 76f.). Erschwerend kam hinzu, dass die außenpolitische und militärische Entscheidungskompetenz am iranischen Hof durch die Rivalität zwischen der pro-britischen und pro-französischen Fraktion untergraben wurde (S. 80.) Darin spiegelte sich der zunehmende, jedoch gegenläufige Einfluss der französischen Mission unter General Alfred du Gardane und der britischen Mission unter Harford Jones Brydges wider. Vor dem Hintergrund des russisch-iranischen Krieges kam es zu einem machtpolitischen Tauziehen zwischen Frankreich und Großbritannien, das die Souveränität des Iran de facto in Frage stellte. Es habe sich gezeigt, so Behrooz, dass der Iran hochgradig von den Wechselfällen der europäischen Politik abhängig war, was mal zu militärischer Unterstützung durch Großbritannien oder Frankreich führte, diese mal wieder nachließ. So blieb der Iran im Wesentlichen ein Spielball äußerer Mächte (S. 95.).

Kapitel 4 ist der Zwischenkriegszeit und dem zweiten russisch-iranischen Krieg gewidmet. Die Niederlage des Irans im ersten russisch-iranischen Krieg, der mit dem Frieden von Golestan endete, führte dazu, dass der Iran erstmals eine diplomatische Mission nach Russland entsandte und damit erste direkte Informationen über das Nachbarland erhielt. Aus der Zeit von 1813 bis 1825 sind einige interessante iranische Reiseberichte über das Zarenreich überliefert, die zwischen Lob für die effizient organisierte Autokratie und Ablehnung sozialer Verhaltensweisen (so etwa im Umgang der Geschlechter) schwankte. Russland blieb der iranischen Gesellschaft fremd. Das führte, wie der Autor ausführt, zu anhaltenden Vorurteilen, Missverständnissen und Spannungen (S. 104–106.). Die Lage verschärfte sich mit dem Amtsantritt des neuen russischen Oberkommandierenden in Georgien, Alexej Ermolov, dem die gesamte Verwaltung des russisch besetzten Kaukasus oblag und der eine verstärkte Expansionspolitik gegenüber dem Iran verfolgte. Ermolovs Ziel war es, die osmanisch und iranisch beherrschten Gebiete (hier: Aserbajdžan) für das Zarenreich zu annektieren. Der Iran, so Behrooz, war der aggressiven Politik Russlands ohnmächtig ausgeliefert, da es ihm an einer zielgerichteten und entschlossenen Außen- und Militärpolitik mangelte. Deren Gründe hat der Autor in den vorangegangenen drei Kapiteln ausführlich dargelegt. Dies führte schließlich zur erneuten Niederlage im zweiten iranisch-russischen Krieg.

In seinen Schlussfolgerungen argumentiert Behrooz, dass das Eingreifen der europäischen Großmächte in die Souveränität des Iran dessen Nationsbildung behindert habe. Nur durch eine Modernisierung des Militär, des Bildungswesens und anderer gesellschaftlicher Bereiche, so Behrooz‘ These, hätte ein starker Nationalstaat entstehen können, der dem europäischen Imperialismus hätte widerstehen können. Eine solche Modernisierung setzte jedoch erst mit der konstitutionellen Revolution von 1906 ein. Die iranische Kriegsstrategie gegenüber Russland war ineffektiv, weil sie nicht auf dem Konzept einer modernen, stehenden Armee, sondern auf tribalen Steppenkriegstaktiken beruhte.

„Iran at War“ bietet eine profunde Analyse der innenpolitischen Instabilität der Qajaren-Dynastie unter den Bedingungen des aufkommenden europäischen Imperialismus und stellt eine Bereicherung nicht nur für die Russlandhistoriografie und die Orientalistik, sondern auch für die Imperialismusforschung dar.

Anmerkungen:
1 Muriel Atkin, Russia and Iran, 1780–1828, Minnesota 1980; Elena Andreeva, Russia and Iran in the Great Game. Travelogues and Orientalism, London 2007; Stephanie Cronin (ed.), Iranian-Russian Encounters. Empires and Revolutions since 1800, London 2013.

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15.12.2023
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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