Transatlantischer Kulturtransfer im "Kalten Krieg": Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika in historischer Perspektive

Transatlantischer Kulturtransfer im "Kalten Krieg": Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika in historischer Perspektive

Organizer(s)
Frankreichzentrum/ ZHS der Universität Leipzig
Location
Leipzig
Country
Germany
From - Until
01.10.2004 - 02.10.2004
By
Helke Rausch, Zentrum für Höhere Studien/ Frankreichzentrum, Universität Leipzig

Am 1. und 2. Oktober 2004 fand am Frankreichzentrum/Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig eine von der Werner Reimers Stiftung und dem Amerikanischen Generalkonsulat der Vereinigten Staaten in Leipzig geförderte internationale Konferenz zum Thema „Transatlantischer Kulturtransfer im „Kalten Krieg“: Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika in historischer Perspektive“ statt. Im Mittelpunkt der Beiträge und Diskussionen standen Überlegungen zum konzeptionellen Stand und den Weiterentwicklungsoptionen der historischen wie auch einer breiteren kulturwissenschaftlichen Forschung zum Thema. Insbesondere sollten analytische Möglichkeiten für eine systematisch (west)europäisch vergleichende Kulturtransferforschung ausgelotet werden, die angesichts einer eher parallel nebeneinander herlaufenden als im Austausch befindlichen internationalen Transferforschung noch weithin als Desiderat bezeichnet werden muß.

In ihrem einleitenden Referat sah Helke Rausch (Leipzig) im europäischen Vergleich solcher interkultureller Transfers die Chance, das Bewußtsein für die Kontingenz des vielbeachteten deutsch-amerikanischen zu anderen europäisch-amerikanischen Transfers bewußt zu halten. Besonders wurde betont, daß mit einem Vergleich transatlantischer Kulturtransfers zugleich ein noch auszudifferenzierendes Hauptnarrativ für eine transnationale Geschichte Europas vorgeschlagen wird. In der von Hannes Siegrist (Leipzig) moderierten Sektion zeigte Rob Kroes (Amsterdam) am Beispiel amerikanischer Werbung, daß die kulturelle Präsenz Amerikas in Europa v.a. in Gestalt einer spezifisch universalen Ikonographie faßbar wird, die international verständlich ist, sich aber im Zuge ihrer weltweiten Verbreitung einer zwingenden Bedeutungszuweisung durch die USA entzieht. Stattdessen erfolgt die europäische Rezeption so, daß die Bild- und Symbolfragmente aus dem Amerikanischen im Zuge einer europäischen „creolizing freedom“ neu kombiniert und damit faktisch die ursprüngliche (Werbe-)Botschaft entlang europäischer Erwartungen umdefiniert wird.

Anschließend kehrte Richard Pells (Austin/Texas) die analytische Perspektive um, indem er darauf abhob, daß sog. Amerikanisierungsprozesse in der Tat reziprok ablaufen und also immer auch als Phänomen einer „Europäisierung“ der Vereinigten Staaten gedacht werden müssen. Entsprechend wurde der Erfolg amerikanischer Kultur pointiert mit deren Fähigkeit erklärt, genuin europäische Hervorbringungen unter spezifisch amerikanischen Vorzeichen gleichsam an ihre ursprünglichen Produzenten zurückzugeben.

Die Eröffnungssektion hat damit die Kulturtransferthematik facettenreich aufbereitet. Einer singulären Transformationsfähigkeit von amerikanischen Ideen und Gütern sowie einer über Jahrhunderte verfeinerten europäischen Tradition von eklektizistischen Zugriffen auf „Amerikanismen“ wurde zugerechnet, daß der transatlantische Transfer- als dynamischer Aneignungsprozeß abgelaufen ist. Die machtpolitisch asymmetrische Transferkonstellation zwischen den USA und Europa zumal nach 1945 mündete dabei nie in eine Art krude Angebotsdiktatur der amerikanischen Supermacht, sondern bleibt zunächst einmal an die Grundbedingungen eines Austauschs geknüpft.

In einer zweiten Sektion kam sowohl die Historiographie der transatlantischen Kulturtransferforschung selbst als auch ihre zentralen Befunde am Beispiel der deutsch-amerikanischen Transferbeziehungen zur Sprache. Matthias Middell (Leipzig) erörterte Kulturtransfers in der Historiographie nach 1945 und illustrierte am Beispiel der französischen Revolutionsforschung, der (bundes)deutschen Sonderwegdebatte und der ostdeutschen vergleichenden Revolutionsforschung, wie in allen drei Diskursen der Austausch und die Konfrontation mit der nordamerikanischen Historiographie wichtige Justierungen bisheriger Meistererzählungen provozierte. Den Ertrag des Vergleichs bündelte Middell in der These, daß die Selbsteinschätzung einer Gesellschaft als rückständig oder marginal (wie etwa in der frühen Bundesrepublik, der DDR der späten 1960er Jahre und Frankreich um 1990) ihre Transferbereitschaft erhöhe. Umgekehrt mindere die subjektive Unterstellung eigener Dominanz einen entsprechenden Willen zum Transfer. Den Aspekt wechselhafter Transferbereitschaft griff danach Heike Paul (Leipzig) fokussiert auf den deutsch-amerikanischen Kulturaustausch in der Nachkriegsbundesrepublik wieder auf. Am Beispiel der massenkulturellen „Amerikanismen“ Baseball, Coca Cola und Jazz illustrierte Paul, wie sich der selektive Zugriff der deutschen Nachkriegsgesellschaft auf die amerikanischen Produkte im Einzelnen gestaltete, die selbst nach angestrengter Einbettung in westdeutsche Kontexte weiterhin durchaus ambivalenten zeitgenössischen Wertungen ausgesetzt blieben.

Die dritte, von Manfred Berg (Lutherstadt Wittenberg) geleitete Sektion ging den Ursachen für wechselhafte Konjunkturen im transatlantischen Kulturtransfer nach. Marc Frey (Münster) identifizierte die Dekolonisierung und damit einhergehende Transformation der sog. „Dritten Welt“ als Belastung der Transferbeziehungen und entfaltete zu diesem Zweck das Tableau kollidierender Empire-Visionen der ehemaligen europäischen Kolonialmächte und der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Dissens über der Dekolonisierungsfrage brachte nicht nur drastische Störungen besonders in die französisch-amerikanische Konstellation, sondern dehnte die bipolare Weltordnung nach 1945 zugleich polyzentrisch zugunsten der jetzt dekolonisierten Akteure aus. Michael Hochgeschwender (München) diskutierte die Momente von Dissens und Dynamik in den transatlantischen Transferbeziehungen weniger auf dem außenpolitischen Feld als im Blick auf ihre inneramerikanischen Voraussetzungen. Den Bedeutungsverlust des traditionellen und gleichsam Europa-kompatiblen consensus liberalism sah er seit den 1970er Jahren von der Etablierung eines von der Linken abgegrenzten und ökonomisch radikalisierten, massenwirksamen neoconservativism begleitet. Für die Zeit von dessen anhaltender kultureller Hegemonie wurde ein dauerhafter Verlust der ehedem traditionalen Nähe der Vereinigten Staaten zu Kontinentaleuropa prognostiziert. Beide Beiträge thematisierten somit die 1960er Jahre als äußerst ambivalente (Zäsur?-)Phase der transatlantischen Kontaktsituation, indem hier zum einen der Wandel der europäischen Dekolonisierungspolitik transatlantische Einvernehmlichkeiten verhieß, während der Schwund des amerikanischen Konsensliberalismus transatlantische Entfremdungen produzierte.

Der vierten Sektion der Konferenz lag die zentrale Frage nach Identität und Rolle der Mittler, d.h. der Agenden und Rezipienten im Kulturtransferprozeß zugrunde, deren politische, soziale und Erfahrungs-Profile als Bestimmungsfaktor eigener Art im Kulturtransferprozeß ausgemacht wurden. Laura Pippel (Bonn) identifizierte deutschen Kriegsgefangene in den amerikanischen Lagern in den 1940er Jahren als bislang zu Unrecht vernachlässigte Mittlergruppe, die zwar unter den spezifischen Sonderbedingungen der Gefangenschaft, aber ihrer heterogenen Zusammensetzung wegen als durchaus repräsentative Bevölkerungsformation stärker beachtet werden muß. Brigitte Leucht (Portsmouth) deutete die Schuman-Plan Konferenz, die 1951 zur Einsetzung der EGKS führte, als Ergebnis und Exempel einer für die frühe Transfergeschichte nach 1945 signifikanten transatlantischen Netzwerkkonstellation. Damit plädierte sie zugleich für ein per se transnationales Untersuchungsdesign zur Bestimmung von Transferprozessen, indem der Netzwerkansatz die nationalstaatliche Zugehörigkeit relevanter Akteure nicht leugnet, aber von ihren transnationalen Einwirkungs- und Entscheidungszusammenhängen her neu denkt. Emmanuelle Loyer (Paris) rollte die Frage der europäischen und besonders der französischen „Amerikanisierung“ anhand einer Beobachtung französischer Exilantenzirkel in den Vereinigten Staaten vor und nach 1945 auf. Die provokant zugespitzte Frage, ob die nach Frankreich Remigrierten zur eigentlichen Speerspitze der Amerikanisierung Frankreichs nach 1945 geworden seien, beantwortete sie differenziert am Beispiel künstlerischer und wissenschaftlicher Austauschprozesse und konnte dabei erneut deutlich machen, daß die Hypothese eines unilateralen Kulturimports nach Frankreich nicht nur in keinem Fall untermauert werden kann. Mehr noch stieß gerade im französischen Fall jeder „Amerikanismus“ auf im europäischen Vergleich womöglich singulär ausgeprägte Resistenzen und einen dezidierten Willen zu maximal selektiven Aneignungen.

Die fünfte und letzte Sektion war den medialen Verbreitungsmechanismen im Transfergeschehen und dem zentralen Transfermedium des Films gewidmet. Fred Leventhal (Boston) führte aus, daß der britische Filmmarkt nicht einfach einer weitreichenden „Amerikanisierung“ unterlag, sondern bis deutlich in die frühen 1970er Jahre hinein Residuen einer filmisch inszenierten „Britishness“ ausbildete und behielt, die einer über die unmittelbaren Nachkriegsjahre hinausreichenden „siege mentality“ und einem kompensatorischen Bedarf an symbolischer Normalität entsprangen. François Garcon (Paris) wies demgegenüber für Frankreich eine umfassende politische Durchdringung des französischen Filmproduktionsmarktes mit dem Kommunismus nach und legte die permanente Spannung offen, die sich aus diesem Umstand zu einem ungeachtet energischer Quotierungen bald „amerikanisierten“ filmischen Markt ergaben. In beiden Beiträgen wurden Varianten von „kreativer“ Abschottung europäischer Rezipienten gegenüber dem medialen Einfluß Amerikas sichtbar, die indessen lediglich komplementär zu vielfach gestuften Adaptionen von amerika-typischen Themen, narrativen Techniken und Produktionsverfahren auftraten.

Insgesamt hat die Konferenz die Reichweite des selbstgestellten Themen an vielen Stellen erst vermessen wollen und können. Umso plausibler ist daher auch die Selbstbeschränkung, die sie sich thematisch mit der Konzentration auf signifikante westeuropäische Gesellschaften auferlegt hat. Zugleich sind zahlreiche Punkte benannt worden, die auf eine Agenda zur Konzipierung Europäischer Geschichte im 20. Jahrhundert als vergleichende Transfergeschichte „across the Atlantic“ gehören. So bleibt es dringlich, den Untersuchungsaufbau zugunsten binneneuropäischer oder auch transeuropäischer Austauschprozesse durchlässig zu halten.

Dann sind Fallstudien gefragt, die transatlantische Kontaktsituationen und -konstellationen so konkret wie möglich fassen und darüber hinaus die Intensität und relative Bedeutung des jeweiligen Transferprozesses im Geflecht paralleler Austauschvorgänge abwägen. Daß eine vergleichende Transfergeschichte ihr explikatives Heil in der historischen Exaktheit wird suchen müssen, belegen allein die allenthalben zahlreichen Hypothesen zur „Aneignung“ von „Amerikanismen“ in Europa (etwa anläßlich des Konsums von amerikanischen Verbrauchsprodukten oder der Benutzung amerikanischer Medien), die empirisch häufig vage bleiben. Als Kernproblem wurde schließlich ausgemacht, daß der Transfer den Kontakt zwischen heterogenen Hybridkulturen (hier einer längst europäisierten amerikanischen und einer längst amerikanisch affizierten europäischen Kultur) beschreibt und also per se transnational ausgerichtet ist, umgekehrt aber keine Untersuchungsanordnung an nationalen Bezügen vorbei gewählt werden kann, die im 20. Jahrhundert für die Selbstzuordnung und Handlungsbedingungen der historischen Akteure ungeachtet voranschreitender Internationalisierung und Vernetzung weiterhin bedeutsam bleiben. Beiträge und Diskussionen im Rahmen der Konferenz haben damit zugleich wichtige Kriterien für die Weiterentwicklung einer europäisch vergleichenden Transfergeschichte benannt.

Contact (announcement)

Helke Rausch/Frankreichzentrum der Universität Leipzig

hrausch@uni-leipzig.de

http://www.uni-leipzig.de/zhs/frankz/frankz.htm
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Published on
21.10.2004
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