M. Cueto: A History of the Pan American Health Organization

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Title
The Value of Health. A History of the Pan American Health Organization


Author(s)
Cueto, Marcos
Published
Extent
185 S.
Price
$29.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Klaas Dykmann, Hamburg

Im Zuge der weltweiten Vernetzung seit Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine „Weltgesundheitspolitik“ europäische Regierungen zu beschäftigen, die durch übertragbare Krankheiten ihre Handelsgeschäfte und Bevölkerung bedroht sahen. Diese Furcht „infizierte“ auch die Bewohner der Amerikas, d.h. die Bevölkerung der mehrheitlich unabhängigen Staaten Lateinamerikas sowie der USA. In der Folgezeit wurden nun nicht nur in europäischen Häfen Quarantänemaßnahmen zum Ärgernis der internationalen Handelsschifffahrt, sondern auch Kontroll- und Isolationsmaßnahmen in amerikanischen Küstenmetropolen, die als Anleger für europäische und asiatische Schiffe zunehmend an Attraktivität gewannen. Bereits 1902 gründeten die unabhängigen Staaten der westlichen Hemisphäre das Internationale Sanitärbüro in Washington, dessen Geschichte sich Marcos Cueto anlässlich des 100jährigen Gründungsjubiläums der Organisation annahm.

Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation Pan American Health Organization (PAHO) ist die älteste Gesundheitseinrichtung mit internationaler Ausrichtung. 1902 zunächst als Internationales Sanitärbüro gegründet (1923 umbenannt zum Panamerikanischen Büro), wurde die Organisation nach Eingliederung in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1947 zur Pan American Sanitary Organisation (PASO), deren Büro jedoch weiterhin Panamerikanisches Sanitärbüro hieß. 1958 wurde die zugleich als Gesundheitseinrichtung für die Amerikas und Regionalbüro der WHO in der westlichen Hemisphäre wirkende Organisation zur PAHO umbenannt. Dieser Namenswandel resultierte aus dem Eindruck, dass die alte Bezeichnung „Sanitärbüro“ nicht mehr die Aufgaben der Organisation beschrieb, da er isolierte Interventionen nahe legte, die nicht länger als repräsentativ galten. „Gesundheit“ galt dagegen umfassender Begriff, der den Charakter der Organisation sowie deren Aktivitäten besser erfasste (S. 108).

Marcos Cueto, ein renommierter peruanischer Medizinhistoriker, der derzeit mit anderen Experten eine neue Geschichte der WHO anlässlich des Gründungsjubiläums im Jahr 2008 verfasst, erzählt in dieser Auftragsarbeit für die PAHO die Geschichte der Organisation auf solide, wenngleich erwartungsgemäß wenig kritische Weise.1 Seine Recherchen führte er in einer beeindruckenden Anzahl von Archiven in vielen Ländern des Doppelkontinents durch. Die Archivarbeit Cuetos ist bedeutend, zumal viele der Dokumente, besonders aus der Anfangszeit, wegen Platzmangels vernichtet worden waren.2 Es ist allerdings angesichts des umfassenden Archivmaterials erstaunlich, dass neben der Erwähnung teils anschaulicher Charaktereigenschaften der PAHO-Direktoren weitere illustrierende Details, auf die man zuweilen bei solch extensiven Nachforschungen stößt, eher die Ausnahme darstellen. Cuetos lediglich 188 Textseiten (inkl. Endnoten) umfassendes Buch ist chronologisch gegliedert, wobei der Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt. Der Verfasser konzentriert sich auf den politischen und wirtschaftlichen Kontext, in dem die PAHO entstand, ebenso wie auf Gesundheitspolitik, Akteure (vorwiegend die Direktoren) und Aktivitäten (S. 5). Im ersten Kapitel behandelt Cueto die Ursprünge der internationalen öffentlichen Gesundheit in den Amerikas. Anschließend geht es um „die Geburt einer neuen Organisation“ (1902-1919). Kapitel 3 wendet sich der „Konsolidierung einer Identität“ zu und befasst sich mit den Zwischenkriegsjahren (1919-1939), in denen die Amerikas tiefgehende gesellschaftliche Wandlungsprozesse, Finanzkrisen und Erholungsperioden durchlebten. Im folgenden Kapitel analysiert Cueto die unmittelbare Phase im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg, die von Modernisierungsmission und Technologieglauben – nicht nur in der westlichen Hemisphäre – bestimmt war. Den ambitionierten Verheißungen dieser Zeit entsprechend lautet dieser Teil „Für einen Kontinent ohne Krankheit“. Im fünften Kapitel deutet die Überschrift „Gesundheit, Entwicklung und Gemeindebeteiligung“ bereits an, dass sich der Ansatz einer technologiegestützten und krankheitsfixierten Gesundheitspolitik vom Zeitgeist herausgefordert sah: Der Zusammenhang zwischen Gesundheitssituation und Entwicklungsstand, aber auch eine weniger autoritätsgläubige, den akademisch ausgebildeten Arzt als oberste Instanz in Frage stellende Herangehensweise, wurden zunehmend wichtige Aspekte einer Gesundheitspolitik vor allem in Ländern der „Dritten Welt“. Hier schildert Cueto die interessante interinstitutionelle Kooperation zwischen der PAHO und der Interamerikanischen Entwicklungsbank, die auch von der persönlichen Zusammenarbeit der chilenischen Direktoren beider Einrichtungen getragen wurde. In dieser Zeit erfreute sich auch das Konzept der Primary Health Care in den Amerikas zunehmender Popularität. Im sechsten und letzten Kapitel konzentriert sich Cueto auf die bleibende Relevanz und neue Herausforderungen für eine interamerikanische Gesundheitspolitik. Der Autor geht hier auf Tendenzen seit den späten 1990er Jahren ein, d.h. z.B. die Ausbreitung von AIDS sowie die Bedeutung der gesundheitsrelevanten Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für Lateinamerika.

In der Einleitung vermerkt Cueto, dass die Gründung der Organisation als Ergebnis verschiedener Kräfte zustande kam; darunter hebt er die Ausbreitung des internationalen Handels, medizinische Fortschritte sowie neue politische und diplomatische Beziehungen zwischen den amerikanischen Ländern hervor (S. 3). Die in Anbetracht der Ausbreitung von Cholera und Gelbfieber in der Region gegen Ende des 19. Jahrhunderts wahrgenommene Handlungsnot erklärt die anfängliche Hauptaufgabe der neuen Einrichtung: die Hygiene der amerikanischen Häfen zu verbessern, um den Handel zu sichern. (S. 6f.) Die Angst vor Epidemien ging in den Amerikas einher mit der Angst vor Einwanderung aus Asien und Europa, besonders zwischen Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Die rassistische und soziale Diskriminierung der medizinischen Untersuchung bei der Einreise betraf vor allem Nichteuropäer, beeinträchtigte jedoch nicht die Motivation der erstaunlich vielen Menschen aus aller Welt in die Amerikas zu reisen (S. 16). Um die Jahrhundertwende wurde ein erfolgreicher Kampf gegen Gelbfieberepidemien letztlich zu Lasten der Bekämpfung anderer Infektionskrankheiten erzielt. Es wurden somit in der Beziehung zwischen öffentlicher Gesundheit und Handel Prioritäten gesetzt: Die Krankheiten, deren Auswirkungen auf den Handelsverkehr sich spürbarer gestalteten (so wie Gelbfieber), erhielten mehr Aufmerksamkeit (S. 35).

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Begriff „kontinentale Verteidigung“ etabliert. Ein leicht verständliches und weit kommuniziertes Bild war das der Gesundheitsbeamten in der Region, die ihren “eigenen Krieg” gegen vermeidbare Krankheiten und ungesunde Lebensbedingungen entfesselten (S. 74). Ein Gefühl hemisphärischer Solidarität wurde gefördert – die Gefahr eines Angriffs auf die Amerikas wurde wahrgenommen und das europäische Rassenmodell (trotz fortbestehender Diskriminierung/Rassismus in den Amerikas) abgelehnt, da die meisten Länder eine Mestizenmehrheit aufwiesen (S. 75-77).

Die Verfassung der PASO von 1947 legte folgende Ziele fest: Förderung und Koordination von nationalen Anstrengungen in der westlichen Hemisphäre, um Krankheit zu bekämpfen, Leben zu verlängern und die körperliche und mentale Gesundheit der Menschen zu fördern (S. 95). Das Budget der Organisation stieg sprunghaft an, Krankenpflegerprogramme wurden professionalisiert und Stipendienprogramme zur Ausbildung von lateinamerikanischem medizinischem Personal mehrten sich. Da besonders US-Einrichtungen von den Stipendienprogrammen profitierten, spricht Cueto von einer „Amerikanisierung“ der medizinischen Ausbildung in der Region (S. 103).

Während der Jahre des „Kalten Krieges“ wirkte PAHO-Direktor Soper als einer der Architekten des Konzepts zur Ausrottung bestimmter übertragbarer Krankheiten. Er war im Glauben, dieses Konzept könne auf eine Reihe von Krankheiten übertragen werden: etwa Malaria, Gelbfieber und sogar Tuberkulose (S. 109). Das bekannteste und weitreichendste Ausrottungsprogramm war der Kampf gegen Malaria – geprägt von der Überzeugung, dass Wissenschaft und Technologie über die Natur obsiegen könnten (S. 113). Für lateinamerikanische Diktaturen galt die Ausrottung der Malaria zudem auch als eigennützige Legitimierungskampagne (S. 114). Trotz vieler technologischer und kultureller Probleme bei der Durchführung der Malariabekämpfung (S. 117) konnte die Krankheit 1966 in fünf Ländern der Hemisphäre ausgerottet werden.3

Die Ideen, die sich zwischen den 1960er und frühen 1980er Jahren bei der PAHO und der Interamerikanischen Entwicklungsbank durchsetzten, entstanden aus einer in Lateinamerika vorherrschenden Ideologie, die „Entwicklung“ als notwendige Anstrengung ansah und auf zwei Großmodellen, der Modernisierungs- und Dependenztheorie, basierte (S. 127). Trotz der Unterschiede haben beide Konzepte etwas gemeinsam: Der Staat soll Entwicklung initiieren, womit z.B. privaten Einrichtungen, Zivilorganisationen oder Gemeindeinitiativen keine bedeutende Rolle eingeräumt wurde. Die wichtigste Determinante für Entwicklung schien die Wirtschaftspolitik zu sein. Agrarwirtschaft wurde in Konflikt mit Industrialisierung gesehen und daher als synonym für Unterentwicklung erachtet. Beide Modelle reflektieren überdies die Furcht vor sozialen Bewegungen wie die Kubanische Revolution und die nachfolgenden radikaleren anti-imperialistischen Tendenzen (S. 128). In diesem Zusammenhang erwähnten offizielle Dokumente der PAHO in den frühen 1960er Jahren die Kubanische Revolution kaum. Jedoch war klar, dass die OAS, die US-Regierung, andere regionale Regierungen sowie die WHO selbst Besorgnis ausdrückten und einen Weg zu einer dauerhaften Entwicklung suchten, der eine Alternative zu den radikalen Maßnahmen auf Kuba aufwies. Gesundheitsmaßnahmen der US-Regierung begleiteten die Allianz für den Fortschritt, die von der Kennedy-Regierung 1961 als Sozialprogramm für Lateinamerika zur Eindämmung revolutionärer Tendenzen eingeleitet worden war (S. 128). Die Ziele waren sehr ambitioniert, aber vor allem in ländlichen Regionen zeitigten die Programme nur mäßige Erfolge (S. 130).

Die Kritik an der klassischen Medizinausbildung sowie die Verbindung zwischen Gesundheit und Entwicklung, die bereits seit den 1960ern in der Organisation zunehmende Aufmerksamkeit genossen hatte, legten gemeinsam die Basis für die Annahme des Ansatzes der Primary Health Care (PHC) (S. 136). Schließlich gipfelte die Popularität des Grundversorgungsmodells in der Erklärung von Alma Ata (gemeinsame Konferenz von UNICEF und WHO 1978), in der u.a. „angemessene Technologie“ gefordert sowie gegen medizinischen Elitismus und kostenintensive krankheitsfixierte Technologie protestiert wurde (S. 137). Dem PHC-Konzept lag eine Kritik an der unzureichenden Hilfe für die Gesamt- bzw. ländliche Bevölkerung zugrunde. Eine weitere bedeutende Forderung des Grundversorgungsmodells war die Teilnahme der Gemeinden an der Gesundheitspolitik. Trotz einiger Erfolge gilt Primary Health Care auch heute noch als kontrovers (S. 145).

Im Schlusskapitel befasst sich Cueto mit aktuellen Trends seit den 1990er Jahren und hebt hierbei u.a. HIV/AIDS, Globalisierungstendenzen und neue Herausforderungen hervor. Leider ist es eher eine Zustandsbeschreibung als eine echte Schlussfolgerung, welche zusammenfassend die PAHO im historischen Kontext verortet hätte.

Dementsprechend nimmt Cueto im Allgemeinen keine historische Bewertung der PAHO vor, sondern legt seiner Studie eine positive Rolle als implizite Vorannahme zugrunde. Cuetos Verständnis von Geschichte ist in diesem Zusammenhang erwähnenswert: „...history can be a rich source of inspiration for the members of an institution, a means of justifiably claiming an identity, and a method of socializing the new members of a group“ (S. 5). Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, die PAHO benötigte eine offizielle Geschichte – und die hat sie nun. Es fehlt demnach eine Berücksichtigung politischer Fehlentscheidungen, personeller Fehlbesetzungen sowie eine Erwähnung von Skandalen und Krisen. Eine Untersuchung letztgenannter Aspekte sollte zu einer solchen Studie gehören, soweit sie die Funktionsweise der PAHO beeinträchtigt bzw. die Außenwahrnehmung der Organisation nachhaltig beeinflusst haben. Zudem wäre eine detailliertere Verortung der PAHO unter den anderen Regionalorganisationen der WHO interessant gewesen – schließlich ist die PAHO nicht nur die älteste und einzige noch existierende Regionalinstitution dieser Art, sondern verfügt auch über den größten Zuständigkeitsbereich bezüglich Bevölkerung und geographischer Ausdehnung. Das Verdienst von Cuetos knapper Darstellung ist es, ein gutes Überblickswerk in bewährter institutionengeschichtlicher Tradition zu bieten. Auch wenn es sich um eine Auftragsarbeit handelt – etwas kritischer hätte Cueto schon sein können.

Anmerkungen:
1 Jedoch ist Cuetos Buch nicht derart unkritisch wie der Bildband der PAHO von 1992: Pro Salute Novi Mundi, A History of the Pan American Health Organization. PAHO, Washington D.C. 1992.
2 Howard-Jones, Norman, The Pan American Health Organization. Origins and Evolution (= History of International Public Health, No. 5), Genf 1981, S. 5.
3 Neben Venezuela, Grenada und Caricou, St. Lucia, Trinidad & Tobago, Dominica und Jamaika konnten auch Ungarn, Spanien, Bulgarien und China (Taiwan) die Malaria besiegen. Etwa 43 Prozent der Ressourcen wurden auf die Länder in den Amerikas verwendet, was die hohe Erfolgsquote in der westlichen Hemisphäre (fünf von zehn Ländern) erklärt. Siddiqi, Javed, World Health and World Politics. The World Health Organization and the UN System, London 1995, S. 155.

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09.11.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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