M. Zeuske: Afrika – Atlantik – Amerika

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Title
Afrika – Atlantik – Amerika. Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem Atlantik und in den Amerikas sowie in Europa


Author(s)
Zeuske, Michael
Series
Dependency and Slavery Studies
Published
Berlin 2022: de Gruyter
Extent
330 S.
Price
€ 79,95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Jasper Hagedorn, Universität Bremen

Michael Zeuske führt Europa in seinem Buch nur im Untertitel auf. Das ist konsequent, da sein Anliegen eine globalhistorische Perspektive auf die Geschichte des atlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei ist. In den letzten zehn Jahren hat sich die Sklaverei-Forschung in Deutschland dynamisch entwickelt und die Annahme einer angeblichen Ferne Deutschlands von der Sklaverei beendet. Die neuen Erkenntnisse über das Ausmaß und die Komplexität der Verflechtungen deutscher Akteure und Territorien mit der atlantischen Sklaverei sind von großer Bedeutung. Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass der Fokus auf europäischen und nordamerikanischen Akteuren eine eurozentrische Perspektive fördert.

Zeuske widerlegt die traditionelle Erzählung des Dreieckshandels und zeigt, dass das Zentrum des Sklavenhandels im Atlantik in einer Süd-Süd-Achse zwischen Afrika, Südamerika und der Karibik lag. Europa spielte dabei eine untergeordnete Rolle und war globalhistorisch lange Zeit peripher verortet. Erst durch das Andocken an Sklavereipraktiken und Sklavenhandel Afrikas, Asiens und Amerikas ab dem 15. Jahrhundert schuf Europa die Voraussetzung für eine Position globaler Vorherrschaft. Das Buch verfolgt eine umfassende Makroperspektive.

Zeuske gliedert diese Entwicklung in drei Atlantiken, die bestehende Forschungsmodelle aufgreifen. Der erste ist iberisch dominiert, der zweite wird von Konflikten zwischen iberischen und nordwesteuropäischen Sklavenhandelsmächten geprägt und der dritte ist der sogenannte „hidden“ Atlantik, in dem der Sklavenhandel trotz formaler Abolitionen fortbestand. Diese Dreiteilung ist klar und präzise und unterstreicht die Expertise des Autors auf diesem Gebiet. Die Einteilungen erheben keinen Absolutheitsanspruch, sondern verdeutlichen die Komplexität von Interdependenzen und parallelen Entwicklungen. Ein afrikanisch-iberischer Atlantik existierte entgegen bisheriger Annahmen durchgehend von 1415 bis mindestens 1900, auch während der Hochzeiten nordwesteuropäischer Akteure im Nordatlantik. Es ist daher notwendig, eine Perspektive jenseits der traditionellen nationalen und imperialen Atlantiken einzunehmen, und dabei die fortwährend bestehende Süd-Süd-Achse zu berücksichtigen.

Die amerikanischen Sklavereien werden in drei Phasen unterteilt, die zeitlich grob den Sklaverei-Atlantiken entsprechen und sich teils gegenseitig bedingen. Die erste Phase war von indigenen Sklavereien bestimmt. Trotz neuer kolonialer Rechtsvorstellungen bestanden indigene Sklavereien sowie Mischformen auch nach der Ankunft europäischer und kreolischer Akteure weiter und beeinflussten koloniale Sklavereien. Zeuske betont die Wirkmächtigkeit und Langlebigkeit indigener Elemente im 'kolonialen' Amerika. Die „Atlantic Slavery“, die nach römischem Recht geprägt wurde, setzte sich schließlich durch und bildet die zweite Phase. Sie breitete sich zwischen 1400 und 1900 bis in den Indischen Ozean aus. Die dritte Phase ist die „Second Slavery“, die ursprünglich von Dale Tomich formuliert wurde. Es handelte sich um eine 'modern kapitalistische' Form der Sklaverei, die in weiten Teilen durch Technologisierung und Anbindung an den „hidden“ Atlantik bedingt war (S. 196).

Trotz zahlreicher, oft mikrohistorischer Beispiele finden viele dieser Überlegungen auf einer abstrahierten Ebene statt. Das gewaltige geographische und zeitliche Spektrum des Buches wird in beeindruckender Komplexität dargestellt. Zeuske verwehrt sich dabei jeglicher Vereinfachung. Er versteht Sklaverei nicht nur als Institution nach römischem Recht, sondern als ubiquitäres Phänomen, das historisch in allen Gesellschaften in verschiedenen Ausprägungen auftritt und auch heute noch nicht gänzlich beendet ist. Weder die Aufklärung noch Revolutionen konnten die atlantische Sklaverei nachhaltig abschaffen. Trotz ihres offiziellen Endes um 1880 bestand sie in Mentalitäten und starken Abhängigkeitsverhältnissen fort. Eine konzeptuelle Offenheit, wie sie sich auch in der Überschneidung der Sklaverei-Atlantiken zeigt, ist Voraussetzung für die gelungene Konstruktion von Makronarrativen im Raum Afrika-Atlantik-Amerika. Ein umfassender Literaturkorpus bildet die Grundlage, auf der Zeuske verschiedene nationale und transnationale Forschungstraditionen und -ansätze zusammenführt.

Im Fokus steht der Beginn des Sklaverei-Atlantiks, den Zeuske im iberischen Transfer afrikanischer Sklavereipraktiken über den Atlantik nach Amerika sieht. Der Versklavungsprozess in Afrika unterlag bis ins 19. Jahrhundert der Kontrolle afrikanischer Eliten. Europäische Festungen an der Küste sind für Zeuske ein Symptom der 'Lückenhaftigkeit' (S. 115) europäischer Kontrolle. Europäische und amerikanische Akteure sind in dieser Hinsicht als 'Juniorpartner' zu verstehen. Die Klarheit, mit der afrikanische Akteure ins Zentrum der atlantischen Sklaverei gerückt werden, ist angesichts der nachgezeichneten Süd-Süd-Achse der Sklaverei folgerichtig. Im 15. Jahrhundert übernahmen die Iberer auf „Experimentalinseln“ wie São Tomé afrikanische Formen der Sklaverei. Zudem betrachteten sie den menschlichen Körper als „Grund-Kapital für Herrschaft, Militär und Wirtschaft sowie zur Bevölkerungsentwicklung“ (S. 20).

Iberer übertrugen die von versklavten Afrikanerinnen und Afrikanern erlangten Technologien und Kenntnisse über die Landwirtschaft im tropischen Klima erfolgreich auf die karibischen Inseln und das amerikanische Festland. Dies geschah, als infolge des demografischen Zusammenbruchs in Amerika ein Bedarf an Arbeitskräften entstand. Hieraus resultierte eine Abhängigkeit von afrikanischen Eliten, der sie sich nicht gänzlich entziehen konnten. Bis zum 19. Jahrhundert waren die Gebiete der „Second Slavery“ außerhalb der USA auf den Import von Versklavten angewiesen.

Zeuskes übergeordnete Makroperspektive verliert die Mikroebene nicht aus den Augen. Die traditionelle Fokussierung auf nationale Kollektivgruppen ist nicht ausreichend, um die Komplexität des Sklavenhandels zu erfassen. Es ist wichtig, auch die Vielzahl der oft außerhalb nationaler Räume agierenden Einzelpersonen, die den Sklavenhandel durchführten und ermöglichten, zu berücksichtigen. Auf der Akteursebene wird die komplizierte und vielseitige Verflochtenheit und Abhängigkeit des Sklaverei-Atlantiks deutlich. Kapitäne, Schiffsoffiziere, Handwerker, Mannschaften, Cargos und Faktoren waren die selbstbewussten Träger des Handels, die oft transnational und transimperial agierten. Die Schiffsmannschaften des afrikanisch-iberischen Atlantiks waren in der Regel transkulturelle sogenannte „Atlantikkreolen“, die nicht selten Nachfahren verschleppter afrikanischer Frauen waren. Auch in den späteren Atlantiken bestand benötigtes Hilfspersonal vor Ort, etwa in Hafenorten, oft aus Atlantikkreolen.

Wenngleich sich die Aufmerksamkeit in dieser Perspektive von Europa löst, betont Zeuske die Verantwortung und Rolle verschiedener europäischer Institutionen und Akteure im atlantischen Sklavenhandel auch abseits der direkt involvierten Fernhändler, Kapitäne oder Reeder. Grundlegend gab es eine institutionelle Absicherung durch europäische Staaten und Monarchen. Besondere Aufmerksamkeit liegt auf der Rolle als Versicherer oder Finanziers, die oft so aktiv in diesem Geschäft waren, dass sie nur dem Namen nach nicht Sklavenhändler waren.

Zeuske betont die zentrale Rolle der Sklaverei und des Kapitalismus für den globalen Bedeutungsgewinn Europas. Er beschreibt die um 1800 entstandene „Second Slavery“ als „Sklaverei-Kapitalismus“ (S. 76). Kaufleute und Finanziers akkumulierten durch den (illegalen) Sklavenhandel große Kapitalmengen und investierten in Sklavenplantagen sowie moderne Produktionstechniken. Es fand jedoch auch ein Umtausch von menschlichen Körpern in Geld statt, welches sie nach Europa transferierten.

Zeuske präsentiert eine globalhistorische Analyse der Entwicklung des Sklaverei-Atlantiks mit Afrika im Zentrum. Dabei werden die komplexen Verflechtungen nach Amerika und Europa nicht vernachlässigt. Europa erhält im Verlauf der Darstellung konsequenterweise mehr Raum, ohne die These eines 'AAA'-Systems zu unterlaufen. Es ist ein umfassender Überblick über die Geschichte der Sklaverei im Atlantik, der mit seiner innovativen Herangehensweise überzeugt.

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12.04.2024
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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