D. B. Freeman: The Pacific

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Title
The Pacific.


Author(s)
Freeman, Donald B.
Series
Seas in History
Published
London 2010: Routledge
Extent
260 S.
Price
£ 65.00
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sünne Juterczenka, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Interesse an maritimen Räumen wächst in den Kulturwissenschaften seit langem.1 Dabei haben bestimmte Ozeane die Produktivität der Forschung stärker angeregt als andere. So werden dem Mittelmeer auch sechzig Jahre nach dem Erscheinen von Fernand Braudels magnum opus2 Konferenzen, Publikationen und Forschungszentren gewidmet. Und die atlantische Welt hat sich längst vor der aktuellen Faszination für globale Verflechtungen als Raum erwiesen, den eine Vielzahl translokaler und transkultureller Beziehungen konstituiert. Die Beschäftigung mit Mittelmeer und Atlantik lenkte die Aufmerksamkeit auf Themen wie Diaspora, Sklaverei oder Piraterie; sie belebte Forschungszweige wie die Migrationsforschung und generierte Konzepte wie das des Black Atlantic. All dies hängt gleichermaßen mit historischen wie historiografischen Konjunkturen zusammen und untermauert die Relevanz maritimer Perspektiven in einer Zeit, die sich selbst einer Epoche der Globalisierung zurechnet. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Reihe „Seas in History“ die unterschiedlichsten Aspekte maritimer Lebenswelten. Zum Atlantik, zum Nord-Ostseeraum und zum Indischen Ozean liegen bereits Bände vor. Darin geht es, wie Reihenherausgeber Geoffrey Scammell im Vorwort klar stellt, nicht zuletzt um den „significant cultural influence“ maritimer Räume auf die „civilizations adjoining them“ (ix).

Der Pazifik ist in der Historiografie insgesamt weniger präsent als Mittelmeer und Atlantik, und dies vorwiegend in englischer Sprache – etwa in dem Klassiker des Geografen Oskar H.K. Spate.3 Der Verfasser des vorliegenden Bandes, Donald B. Freeman, zitiert Spate eingangs mit der Behauptung, die Konzeption einer pazifischen Hemisphäre sei ein „European artefact“ (S. 5). Die Annäherung der Geschichtswissenschaften an die Anthropologie hat unterdessen pazifische Orte und Akteure in den Blickpunkt gerückt. Forscher wie Marshall Sahlins, Clifford Geertz, George Marcus und James Clifford haben Debatten angeregt, die auch aus der hiesigen Geschichtswissenschaft kaum mehr wegzudenken sind. Zudem haben Historikerinnen und Historiker inzwischen das koloniale Engagement (auch der Deutschen) im Pazifik eingehend untersucht. Schließlich werden in pazifischen Regionen bestimmte ökologische Entwicklungen besonders deutlich, welche die Umweltgeschichte zunehmend beschäftigen (insbesondere die Klimaerwärmung).

Es gibt also genügend Gründe, den Band des emeritierten Geografen Freeman von der York University (Kanada) zur Hand zu nehmen, der explizit einen interdisziplinären Zugang wählt. Dieser kommt freilich – so viel sei vorweg genommen – mit einem Pragmatismus daher, den weder Braudels meisterliche Darstellung noch die beschriebenen Forschungstendenzen beirren können. Auf 260 Seiten entfaltet er einen breiten Überblick: Der reicht chronologisch von der frühesten Siedlungsgeschichte bis zur Prognose künftig eisfreier Schifffahrtswege durch die Arktis, geografisch vom „American“ bis zum „Asian Rim“ und thematisch von den unterschiedlichen naturräumlichen Beschaffenheiten bis zur künstlerischen Darstellung dieses größten aller Weltmeere. Der Band ist mit Karten und Abbildungen, einer Auswahlbibliografie sowie mit einem Register ausgestattet. Bei sparsamen Nachweisen verzichtet er hingegen auf einen Anmerkungsapparat.

Das Eingangskapitel widmet Freeman den komplexen geologischen, klimatischen und meteorologischen Eigenheiten der Pazifikregion. Phänomene wie Plattentektonik, Meeresströme, Vulkanismus und zyklische Luftbewegungen erklärt er allgemein verständlich. Dabei vertritt er ausdrücklich keine deterministische Sicht, sondern betrachtet die physischen Rahmenbedingungen als „a range of particular opportunities and constraints or impediments which influence the choices humans make […].“ (S. 3) Als Historikerin hätte ich mir (gerade vor dem Hintergrund der beschriebenen interdisziplinären Annäherungen) bisweilen weniger Zahlen gewünscht. Denn was bedeuten Entwicklungen mit handgreiflichen ökonomischen und ökologischen Auswirkungen für die Menschen im Pazifikraum konkret? Man denke an die Intensivierung des El Niño-Phänomens, das Ansteigen des Meeresspiegels oder die Verbreitung tropischer Krankheiten in nördlicheren Regionen (solche Phänomene spricht Freeman durchaus an, ihre Wahrnehmungen und Deutungen hingegen nicht).

In den nächsten beiden Kapiteln umreißt Freeman die von Asien ausgehende Besiedelung, Erforschung und Kolonisierung der Inselwelt sowie des amerikanischen Pazifikrandes. Machtansprüche und Einfluss der verschiedenen chinesischen Dynastien stellt er in kondensierter Form dar. In die Geschichte der asiatischen Länder gewährt er jeweils einen äußerst knappen Einblick. Sodann charakterisiert er die kulturelle Diversität der polynesischen, mikronesischen und melanesischen Inselwelten. Es folgt eine Beschreibung der europäischen, asiatischen und amerikanischen Expansionen. Zusammen mit dem vierten Kapitel, in dem es um Fortbewegung, Navigation und Kartierung geht, ergibt sich schon rein quantitativ ein deutliches Übergewicht zugunsten westlich-europäischer Aktivitäten, insbesondere der Entdeckungsreisen des 18. Jahrhunderts.

Das fünfte Kapitel behandelt die Nutzung pazifischer Ressourcen – von William Blighs Brotfruchtexpedition über Holzwirtschaft und Walfang bis zur Perlenfischerei. Die Zwangsrekrutierung pazifischer Arbeiter („blackbirding“) stellt Freeman in den Kontext von Phosphatgewinnung und Zuckeranbau in den europäischen Kolonien des 19. Jahrhunderts. Er kennzeichnet den Pazifik in diesem Zusammenhang kritisch als „lawless, exploitable border“. (S. 126) Auch berichtet er über Probleme (Überfischung, Verschmutzung) und Konflikte (Opiumkrieg), die die skrupellose Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen verursachte.

Im umfangreichsten sechsten Kapitel beschreibt Freeman militärische Auseinandersetzungen im Pazifikraum. Hier wäre (anstelle detaillierter Beschreibungen beider Weltkriege mitsamt Befehlshabern, Truppenstärken und Strategien) eine stärkere Beachtung vorkolonialer Gesellschaften erhellend gewesen. Entwickelten diese doch lange vor den europäischen Kriegen ganz eigene Beziehungsdynamiken – nicht selten mit gewaltsamen Folgen. Dies zeigt Freeman etwa im Fall von Rapa Nui (der Osterinsel): Dort zerstörten Polynesier durch Entwaldung die eigene Subsistenzgrundlage und unterschiedliche Gruppen dezimierten sich in Konflikten gegenseitig, noch ehe Epidemien und peruanische Sklavenhändler die Insel im 19. Jahrhundert fast völlig entvölkerten.

Das siebte Kapitel („Picturing the Pacific“) zeigt den Pazifik in der Kunst: von Gauguin bis Stevenson und von Melville bis zu den Bounty-Filmen. Hier erwähnt Freeman auch die wegweisenden (wiewohl älteren) anthropologischen Arbeiten von Bronislaw Malinowski, Margaret Mead und Raymond Firth. Er betont zwar die „richness of indigenous artifacts“ (S. 191) – ohne allerdings ins Detail zu gehen. Am Beispiel von Katsushika Hokusais ikonisch gewordener „Woge bei Kanagawa“ (um 1830) betont er die Einflüsse fernöstlicher Werke auf westliche Künstler. Schnitz- und Textilkunst der Inselvölker und der Native Americans streift er in einem Atemzug mit dem Tätowieren, das als einzige Kunstform mit einer Abbildung vertreten ist (sie stammt wiederum aus dem Europa des 18. Jahrhunderts).

Schließlich referiert Freeman die politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen in nachkolonialer Zeit. In seiner Zusammenfassung eröffnet er einen optimistischen Ausblick auf das Entwicklungspotenzial des Pazifikraums als „global growth engine“ (S. 240) in einem „Pacific century“ (S. 241).

Dieser Band ist ein fulminanter Rundumschlag. Informativ und flüssig geschrieben, bietet er einem breiten Lesepublikum einen raschen und attraktiven Einstieg – vorausgesetzt, dieses Publikum teilt den Interessensschwerpunkt des ‚europäischen Pazifiks’. Braudels universalgeschichtliche Idee, die am Anfang der Beschäftigung mit maritimen Räumen stand, spielt dabei kaum eine Rolle (von elaborierten Modellen wie dessen verschiedenen Zeitebenen ganz zu schweigen) – so etwas ist im Reihenkonzept offenkundig nicht angelegt. Die Fokussierung auf das ‚Dazwischen‘ und die Hervorhebung der ungeheuren räumlichen Dimensionen, die den Pazifik von allen anderen Meeren unterscheiden, akzentuieren indessen zugleich Chancen wie Probleme einer globalen maritimen Beziehungsgeschichte. Freeman gebraucht hier die Formel „tyranny of distance“ (S. 1), ohne den australischen Historiker Geoffrey Blainey zu erwähnen, der mit seinem betagten Klassiker gleichen Titels am australischen Beispiel schon einmal versucht hat, was Scammell wie oben zitiert programmatisch ankündigt. 4 Dabei hätte die Rolle Blaineys und anderer in den australischen „History Wars“ wertvolle Aufschlüsse über den heutigen Umgang mit der europäischen Kolonisation und ihren Konsequenzen für indigene Bevölkerungen erlaubt.

Ein solcher Parforceritt auf der maritimen Trendwelle kann zwar erfreulicherweise dazu beitragen, das Augenmerk auf maritime Themen zu lenken. Die verstärkte Beschäftigung mit ihnen könnte aber Erwartungen enttäuschen, wenn die dazu gehörigen Herausforderungen nicht ernst genommen und eigene kulturelle Voreingenommenheiten nicht stärker reflektiert werden.

Anmerkungen:
1 Stellvertretend für neuere Publikationen: Bernhard Klein / Gesa Mackenthun (Hrsg.), Sea changes. Historicizing the ocean, New York 2004 oder Jerry H. Bentley / Renate Bridenthal / Kären Wigen (Hrsg.), Seascapes. Maritime histories, littoral cultures, and transoceanic exchanges, Honolulu 2007.
2 Fernand Braudel, La méditerraneé et le monde méditerranéen à l'époque de Philippe II, 3 Bde., Paris 1949.
3 Oskar K. Spate, The Pacific since Magellan, 3 Bde., Canberra 1979-1988.
4 Geoffrey Blainey, The tyranny of distance: How distance shaped Australia’s history, Melbourne 1966.

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Published on
13.04.2012
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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