T. M. Shaw: Irony and Illusion in the Architecture of Imperial Dakar

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Title
Irony and Illusion in the Architecture of Imperial Dakar.


Author(s)
Shaw, Thomas M.
Published
Extent
139 S.
Price
$ 99.95
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Eike Karin Ohlendorf, Graduiertenkolleg "Bruchzonen der Globalisierung", Universität Leipzig

Französisch-koloniale Architektur, ihre Inspirationsquellen, Vorläufer und Wurzeln, das sind die Themen dieser Monografie. Aufhänger und Fluchtpunkt des Textes ist Dakar – genauer fünf koloniale Bauten, entstanden in den 1920er und 1930er-Jahren. Sie gelten der Literatur und den Quellen als Paradebeispiele des neo-sudanischen Stils, dessen Herkunft und Entstehungsgeschichte der Kunsthistoriker Thomas Shaw nachgeht.

Architektur und Stadtgestaltung spielten im französisch-kolonialen Projekt des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle: Die Gestaltung städtischen Raumes sollte lokale Gesellschaften formen und koloniale Herrschaft stabilisieren.1 Dakar allerdings, Hauptstadt der riesigen Kolonialföderation Französisch-Westafrika, ist bislang kaum in den Fokus solcher Untersuchungen geraten. Alain Sinou, der in seiner Arbeit über koloniale Siedlungen im Senegal Dakar einige Beachtung schenkt, ist so bis heute die größte Autorität auf dem Gebiet kolonial-Dakarer Stadtgestaltung. Für Sinou stellt der neo-sudanische Baustil, um den es in Shaws Buch geht, einen Versuch französisch-kolonialer Herrschaftslegitimation dar, der eine Kontinuität herstellen sollte zwischen einheimischer Kultur, einheimischer, „traditioneller“ Herrschaft und kolonialem Staat. In Ermangelung reproduktionswürdiger lokaler Elemente – so Sinous Argumentation – hätten die Architekten der Zeit auf „sudanische“ Elemente, allen voran der Moschee von Djenné (im heutigen Mali gelegen), zurückgegriffen.2

Shaw versteht sein Buch als Beitrag zu einer Diskussion um die Afrikanität afrikanischer Formen. Es geht ihm um Ursprung und Herkunft stilistischer Elemente. Shaw argumentiert, Stereotype vom innovationsunfähigen Afrikaner abzulehnen, müsse nicht in der Vorstellung münden, afrikanische Gesellschaften hätten alle Formen und Techniken selbst hervorgebracht. Denn so spreche man ihnen die Fähigkeit ab, im Austausch mit anderen Kulturen Elemente zu übernehmen, sich anzueignen und umzuformen, den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Er kritisiert einen statischen Authentizitätsbegriff und plädiert dafür, Synkretismen, Weitergabe und Aneignung ästhetischer Formen zu beleuchten. Shaw begibt sich daher auf die Suche nach Herkunft, Weitergabe, Umdeutung und Neuinterpretation architektonischer Formen. Um es vorwegzunehmen: Die Umsetzung dieses Vorhabens konnte kaum überzeugen.

Shaw betrachtet drei Schauplätze. Erstens legt er sein Augenmerk auf die Vorbilder des neo-sudanischen Stils, die Moscheen in Timbuktu und in Djenné. Er diskutiert mehrere Hypothesen über die Herkunft jener Gestaltungselemente, die im 20. Jahrhunderts als konstitutiv für den „sudanischen“ Baustil interpretiert wurden. Er argumentiert mit den wenigen verfügbaren Quellen, im 14. Jahrhundert habe der Herrscher des westafrikanischen Großreiches Mali wahrscheinlich Beziehungen nach Ägypten gepflegt. Shaw öffnet so einen Möglichkeitsraum des Stilimportes und untermauert sein Argument von der Aufnahme und Weiterentwicklung fremder ästhetischer Elemente zum sudanischen Stil; aber er kann keinen fundierten Beleg für eine seiner durchaus denkbaren Thesen bieten. Es hätte seine Argumente gestützt, hätte er genauer aufgezeigt, worin die übernommenen Stilelemente bestanden.

Shaw fokussiert dann auf die Moschee von Djenné, Paradebeispiel des sudanischen und monumentales Vorbild des neo-sudanischen Baustils. Obwohl die Moschee den Quellen als abgeschlossenes, unveränderliches Bauwerk gilt, wurde sie im Zuge von Wartungsarbeiten vielfach umgestaltet; außerdem ist sie seit ihrer ersten Errichtung zwei Mal gänzlich neu gebaut worden, zuletzt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Shaw vermutet, dass die französische Kolonialverwaltung diesen Neubau unterstützte und dabei Einfluss nahm auf die Struktur des sakralen Gebäudes, das anschließend Modell stand für den als besonders afrikanisch gefeierten Stil, – eine Vermutung, für die es zwar Indizien gibt, zweifelsfreie Belege fehlen allerdings.

Zweiter Schauplatz der baustilistischen Synkretisierung ist für Shaw Marseille, mit den dortigen Kolonialausstellungen 1906 und 1922. Hier findet er die Prototypen des neo-sudanischen Stils, zeichnet deren Erschaffung nach, trägt Informationen über die beteiligten Architekten und die Umsetzung ihrer Ideen zusammen. Der Publikumserfolg des westafrikanischen Pavillons auf der Ausstellung von 1906 ist für Shaw entscheidend für das Entstehen des neuen Stils. Der Architekt des Pavillons, Auguste Deglane, hatte Westafrika bereist, und Shaw erläutert, dass sich der Pavillon und die Moschee von Djenné in diversen Stilelementen ähnelten. Leider bleibt er Detailinformationen schuldig, wie etwa Reiserouten Deglanes in Westafrika. So thematisiert Shaw weder, ob der Architekt Djenné oder Timbuktu gesehen hat, noch, ob zum Zeitpunkt einer etwaigen Reise die Moschee in Djenné überhaupt besichtigt werden konnte: Seinem Buch ist nicht einmal zu entnehmen, wann deren letzter Neubau genau ausgeführt wurde. Diese argumentativen Lücken sind symptomatisch – häufig lässt Shaw Thesen unbelegt, Informationen erscheinen erratisch zusammengetragen und in keinen inneren Zusammenhang gestellt.

Die dritte Bühne der hier erzählten Geschichte ist schließlich Dakar, wo die fünf Untersuchungsobjekte errichtet wurden. Shaw zeichnet deren Entstehungsgeschichte nach; er hebt den Einfluss des Generalgouverneurs Jules Brévié hervor, der vor seiner Dakarer Amtszeit Gouverneur der Kolonie Niger gewesen war und dort bereits erste Gebäude im neo-sudanischen Stil hatte errichten lassen. Offenbar war die Person Brévié sowohl für den Aufschwung als auch für den späteren Niedergang des neo-sudanischen Stils entscheidend. Ob es sich bei beidem aber um mehr als eine Laune des Generalgouverneurs handelte, bleibt unklar und undiskutiert: Die einzige von Shaw besprochene Quelle, die Auskunft gibt über den Zweck der stilistischen Neuschöpfung, benennt Suche nach mehr Originalität und Abwechslung. Es hätte sich hier angeboten, Sinous These von der Herrschaftslegitimation durch Übernahme einheimischer Stilelemente zu besprechen. Die Frage also, nicht nur wie, sondern auch zu welchem Behufe, ein ästhetisches Konzept neu entwickelt und eingesetzt wurde, hätte Shaws Buch bereichern können – ob Architektur bewusst zur Beeinflussung der Bevölkerung eingesetzt wurde, ob sie aus einer Laune heraus entstand, einmal vorhanden aber als Herrschaftsinstrument entdeckt wurde, oder ob sie womöglich nichts weiter als eine Eitelkeit des obersten Kolonialverwalters war und blieb.

Der Begriff „neo-sudanisch“ entstammt der Quellensprache. Den unbedarften Betrachter/innen erschließt sich dessen ästhetische Bedeutung allerdings kaum: Es springen keine Ähnlichkeiten beispielsweise zwischen der ehemaligen Poliklinik der Medina und der Dakarer Kathedrale, zweier der fünf untersuchten Gebäude, ins Auge. Shaw macht bedauerlicherweise nicht deutlich, inwiefern der neo-sudanische einen kohärenten und eigenständigen Stil darstellt. So bleibt die Frage, ob dieser Stil überhaupt über die Behauptung seiner Existenz hinausgeht, ob es ihn also tatsächlich „gibt“.

Ironie und Illusion verspricht Shaw im Titel. Illusion ist der neo-sudanische Stil für ihn, da afrikanische Elemente nur die Oberflächen zierten. Als europäisch identifiziert Shaw dagegen die verwendeten Materialien sowie die Organisation des Raumes (S. 113). Während er die Materialien ausführlich bespricht – insbesondere den im eigentlichen sudanischen Stil verwendeten Lehm –, mangelt es unglücklicherweise an einer Diskussion europäischer und afrikanischer Raumordnungen. Gerade deren Untersuchung hätte hier fruchtbringend sein können. Ironie ist für Shaw vor allem die Tatsache, dass die als afrikanisch verstandenen Elemente der untersuchten Gebäude – und damit Aspekte afrikanischen stilistischen Erbes, so sieht es Shaw – durch die Linse europäischer Architekten gebrochen, reinterpretiert und umgeordnet worden sind. Was als afrikanisches Erbe zur Schau steht, ist von Europäern entworfen und gebaut.

Shaw hat hier einen schmalen Band von gerade 139 Seiten geschaffen, der nicht mit unnötigen Fußnoten belastet sein will (S. 18f), Literatur- und Quellenbelege absichtlich auf ein Minimum reduziert. Die Quellen hat Shaw in verschiedenen Archiven in Frankreich und in Senegal zusammengetragen. Gerade in Anbetracht dieser nicht unaufwändigen Recherchen ist es bedauerlich, dass er auf ausführliche Quellenbelege verzichtet. Es handelt sich hier doch nicht um ein Handbuch, sondern um einen Forschungsbeitrag, der sein Fundament textlicher (Quellen- wie Literatur-) Bezüge deutlicher hätte offen legen müssen.

Ebenso schwerwiegende Kritik gilt Shaws Sprache. Offenbar unterlag sein Manuskript keinem nennenswerten Lektorat. Vielen Sätzen fehlt das Verb, oder es stehen gleich zwei zur Auswahl. Nebensätze sind ohne Anbindung, Verbal- und Substantivkonstruktionen stehen im Widerspruch zu den Regeln der englischen Sprache nebeneinander. Für den Gang der Argumentation folgenreicher als solche grammatikalischen Schwächen aber ist der häufig mangelnde oder gar falsche Bezug von Sätzen und Absätzen untereinander. Die sprachlichen Schlaglöcher hindern nicht nur die Lesbarkeit, sie lassen auch die Argumente holpern.

Dieses Buch geht von einer inspirierenden Idee aus – es will zeigen, dass afrikanische Gesellschaften Teil vielfältiger, auch großräumiger Interaktionen waren. Diese Austauschbeziehungen brachten den Import stilistischer Elemente mit sich, die reinterpretiert und mit den Jahren umgeformt wurden. Afrikanische Elemente inspirierten ihrerseits französische Architekten, wurden per Kolonialausstellungen nach Europa transferiert und über diesen Umweg in die koloniale Metropole Dakar reexportiert. In der Ausführung allerdings, in der Argumentationsführung, in der Sauberkeit der Belege, in der Sprache selbst, schwächt Shaw diese Idee. Seine Thesen bleiben unpräzise, die Darstellung ist eklektisch.

Anmerkungen:
1 Wright, Gwendolyn, The Politics of Design in French Colonial Urbanism, London 1991.
2 Sinou, Alain, Comptoirs et villes coloniales du Sénégal. Saint-Louis, Gorée, Dakar, Paris 1993, S. 334-339.

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09.02.2007
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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